Auseinandersetzung um Antje Schrupps ‘Gibt es Frauen und Männer überhaupt?’

Als ich Freitagabend in der Tram in meiner Twittertimeline ein kurzes Hin und Her darüber las, ob die Kritik an einem Text in der ZEIT gerechtfertigt oder überzogen sei, entfuhr mir ein gedankliches “Oje”, weil ich vermutete, dass es um Antje Schrupps ‘Gibt es Frauen und Männer überhaupt?’ gehen würde. Ich lag richtig, und zwei Tage später hatte ich jetzt auch endlich Zeit, den Text zu lesen und der Kritik ein wenig nachzuspüren.

Wenn ich es richtig verstehe, liegt der Hund im Ende begraben, wo Folgendes zu lesen ist:

“Das feministische Projekt, das heute ansteht, bestünde hingegen darin, genau diese Personen – Menschen mit Uterus, die Kinder gebären (möchten) – als politische Subjekte zu positionieren, deren Interessen, Anliegen und Bedürfnisse nicht länger missachtet werden dürfen.”

Das ist unscharf formuliert und kann bedeuten: 1.) NUR solche Personen sollen das politische Subjekt des Feminismus sein. Oder: 2.) Diese Personen sollen AUCH einen Platz als politische Subjekte des Feminismus bekommen. Die Lösung im Sinne Antje Schrupps ist 2.), was eigentlich allen auch im darauf folgenden Satz hätte klar werden können:

“Es wäre der Kampf für eine Gesellschaft, in der Menschen AUCH DANN nichts an Einfluss, Macht, Wohlstand und Lebensoptionen verlieren, wenn sie schwanger sind oder kleine Kinder versorgen.” (Hervorhebung von mir.)

Einige lasen aber glasklar die Bedeutung, die ich unter 1.) beschrieben habe und Leute (teilweise auch welche mit richtig vielen Followern wie Margarete Stokowski und Mario Sixtus, die ich beide auf ihre Art schätze, aber denen ich beiden auf Twitter nicht mehr folge, weil sie so zugespitzt schreiben. Das ist so ein Dauerreizeffekt, als würdest du dauernd provoziert. Mir sind die leiseren Accounts lieber.) tweeteten lautstark, dass Antje Schrupp im TERF-Sinne fordere, dass Feminismus nur für Gebährfähige da sei.

Es schwelt. Halb Feminismusdeutschland scheint schon darauf zu warten, dass der polarisierende Kampf zwischen transinklusivem und -exklusivem (TERF) Feminismus, der z.B. in Großbritannien schon lange ausgebrochen ist, auch hier ‘endlich’ den Mainstream erreicht. (Wobei zu diskutieren wäre, inwieweit ihn die UK-Mainstreampresse überhaupt erst angeschürt hat.) Ich bin froh, dass es hier noch nicht das nächste große Thema des toxischen Kolumnenjournalismus ist, aber hatte, wie einführend schon erwähnt, als ich las, dass Antje Schrupp einen neuen Text in der ZEIT veröffentlicht hat, schon geahnt, dass es Kritik in diese Richtung geben würde, da Antje in der Vergangenheit schon Kritik aus der Enby- und Transgender-Ecke bekommen hat. Warum, weiß ich nicht und ich möchte das auch nicht recherchieren.

Dass sich der Tonfall von Trans- und Enby-Queerfeminismus-Twitter in großen Teilen über die letzten Jahre sehr verschärft hat, ist so schmerzhaft wie schmerzvoll. Schmerzhaft für die, die – oft zurecht – einen geballten Ansturm der Kritik erleben. Schmerzvoll, weil in der Verhärtung des Tonfalls, der Zementierung der Position und der Annahme, das Gegenüber könne nur das Schlechtmöglichste meinen, in Vorverurteilungen, in Forderungen nach eindeutiger Positionierung und nach Anerkennung, schlicht der Schmerz von wiederholten Diskriminierungserfahrungen steckt.

Auf der anderen Seite des Rings: der professionelle weiße Cis-Feminismus, der teils mit komplettem Unverständnis auf die Schärfe der Kritik und auch auf die Unprofessionalität des jungen Queerfeminismus mit DIY- und Meme-Bildungshintergrund reagiert, statt ihn zu verstehen zu versuchen.

Feministische Theorie und erlebte Diskriminierung, Politik vs Akademie, und andere prallen hier immer wieder aufeinander, als wären sie oppositionelle Lager, was man auch meinen könnte, bis der Blick auf die Männers fällt, weiß männlich hetero Mittelschicht aufwärts, wieder mal zum Großteil bloß außenrum sitzen und milde lächelnd den Kopf schütteln über diese crazy Queers und Feminist*innen und die ganzen anderen Freaks im Ring. Hoho, man könnte fast denken, für diese stünde irgendwas auf dem Spiel in diesen Kämpfen. Unterhaltsam allemal, während sie sich dann wieder mit den wichtigen Dingen des Lebens beschäftigen können. Oder sogar mit selbstausgesuchten Themen.

Die Kämpfe werden nicht aufhören.

Die diskursive Macht, die es allein schon durch Reichweite hat, in einem großen Printmedium zu veröffentlichen, oder mehrere Tausend Follower zu haben, ist erschlagend für die, die sich von so einem Artikel falsch dargestellt oder diskriminiert, nicht gehört, abgedrängt, zur Marginalie gemacht fühlen. Aber wenn sich viele, die alle nur eine kleine Reichweite haben, zusammentun, können sie auch gehört werden. So wird ein Machtausgleich versucht: durch Lautstärke und Zuspitzungen und Zusammenschließen zum Hive. Die Affordance von Twitter und Facebook ist ja nun mal, dass man dadurch am besten gehört wird.

Ja, mitunter wird dabei über das Ziel hinausgeschossen und die sogenannte Cancel Culture ist nicht automatisch fair und angemessen, nur weil sie von Marginalisierten kommt. Aber es ist eben ein Mittel der Ohnmächtigen, derer ohne Macht. Um eine Auseinandersetzung auf gleicher Sprechhöhe führen zu können, muss vielleicht erst die Ohnmacht abgeschafft werden. Oder zumindest: Mitgedacht werden. Den Grund für die Schärfe des Tonfalls mitzudenken, wäre doch mal ein Ansatz, oder? Sich der Verzweiflung, die hinter der Aggressivität oder Vehemenz stecken könnten, bewusst werden?

Das heißt nicht, Gesagtes gar nicht kritisieren zu dürfen, aber vielleicht mal etwas mehr Zeit in den Versuch investieren, zuzuhören und verstehen zu wollen. Nachvollziehen zu können, woher die Wut und die Kampfbereitschaft kommt, und sie anzuerkennen. Die eigene scheinbare Nüchternheit bei einem Thema nicht mit Objektivität/Neutralität/Professionalität usw. zu verwechseln, wenn sie eigentlich schlicht einer Privilegiertheit entspringt.

Aber das hat jetzt ganz weit weg von Antje Schrupp geführt, pardon.

Ich nehme Antje Schrupp hier nichts übel, da ich sie als pragmatische Feministin schätze, die sich gerade nicht im Akademischen genügt, sondern die sich traut, laut zu denken und öffentlich zu diskutieren, wie in ihrem immer wieder bereichernden Blog. Der Artikel, um den es hier geht, wirkt auf mich etwas so, als hätte die ZEIT gern mal wieder angetestet, ob das Transgender/TERF-Ding jetzt hier auch schon zieht – deswegen der J.K. Rowling-Aufhänger -, aber als hätte Antje Schrupp dann lieber doch zum Thema ihres aktuellen Buchs geschrieben. ^^

Ihr aktuelles Buch Schwangerwerdenkönnen habe ich noch nicht gelesen, aber wäre jetzt doch neugierig drauf. 17€ sind aber leider ein stolzer Preis für einen 192-Seiten-Essay und Bücher über Schwangerschaft sind jetzt nicht die Top-Prio auf meiner Interessensliste, wo ich erst vor ein paar Monaten The Argonauts und Full Surrogacy Now gelesen habe. Und letzteres sei auch allen in diesem Kontext ans Herz gelegt: Sophie Lewis Ansatz, von Schwangerschaftsarbeit – “gestators of all genders unite!” – zu sprechen und Leihmutterschaft und Wahlfamilien ins Zentrum einer Utopie des Ausgleichs dessen zu stellen, was Antje Schrupp “reproduktive Differenz” nennt, halte ich für einen großartigen Ansatz. Auf deutsch ist es noch nicht übersetzt, aber Lukas Hermsmeier hat schon mal was dazu geschrieben.

Als Vorgeschmack, empfehle ich hier für die Englischlesenden auch noch diese zwei Essays von Sophie Lewis: Who Liberates the Slave?, ich sag mal grob: über Handmaid’s Tale und weißen Feminismus. Und auch ganz großartig, zum Thema Familie und Midsommar / Hereditary: The Satanic Death Cult Is Real.

P.S.: Bisschen Beef mit Antje Schrupps ZEIT-Text hab ich aber trotzdem: Wenn schon bis hin zu millimetergenauen Angaben auf Biologie eingehen, dann nicht alte Mythen reproduzieren. Das tut sie, wenn sie von der Durchschnittsgröße einer Klitoris schreibt, “die bei der Geburt zwischen 0,2 und 0,85 Zentimeter groß ist.” Dabei geht es mir nicht um pingelige Zahlenklauberei, sondern um die bittere Geschichte instutionalisierter Unsichtbarmachung bis hin zu Feindlichkeit Frauen und deren Lust gegenüber, die bei diesen falschen Angaben zwischen den Zeilen mitschwingt. (Mehr zur Klitoris und wie verborgen und schambehaftet das Wissen dazu auch heute noch ist, gibt’s zum Beispiel in diesem Artikel.)

 

Years And Years

Years And Years

Eine meiner Lieblingsserien des vergangenen Jahres war Years And Years. Russel T. Davies, den ich schon für seine Science Fiction Arbeit an Doctor Who und Torchwood und seine queeren Serien Queer As Folks und Tofu / Cucumber / Banana schätze, hat eine ganz wunderbare 6 Episoden lange Miniserie gemacht, in der er einen spekulativen Entwurf der kommenden fünfzehn Jahre wagt. Davies erzählt die Geschichte einer Familie in Tradition des poppigeren British Social Realism wie Billy Elliot, Trainspotting oder Pride, der sich mit Schicksalen der Working Class in der Thatcher Ära auseinandersetzte.

Schon nach der ersten Minute kommt der erste WTF-Moment, als eine Frau in einer TV Show auf eine Publikumsfrage antwortet: “If it comes to Israel and Palestine I don’t give a fuck,” und erklärt: “All I want is for my bins to be collected.” So wird Emma Thompson eingeführt, die Viv Rook spielt: eine brilliante Populistin, die später ihre Partei nach dem in Zeitungen durch vier Sterne ersetzten “fuck” dieser Aussage tauft: Four Star Party. Wir sehen den Ausschnitt aus dieser Talkshow mit einer Familie, den Lyons: Dan, schwuler Housing Officer, der sich um die Unterbringung von Flüchtlingen kümmert, darunter auch der Ukrainer Viktor, in den er sich tragisch verknallt. Dans Freund Ralph, der sich zunehmend offen für Verschwörungstheorien bis hin zur Flat Earth wird. Rosie, die working class single Mom, die im Rollstuhl sitzt und die Kantine einer Gesamtschule führt. Muriel, die Großmutter der ganzen Lyons-Geschwister, mit der sich Celeste immer wieder kabbelt, wenn sie diskriminierende Sprache verwendet, Hausbesitzerin ohne Geld, dieses instandzuhalten. Edith, weltreisende politische Aktivistin, die sich in eine Nachbarin Dans verliebt, die Storytellerin ist: Das entwickelt sich in dieser Zukunft zum Beruf, da sich herausgestellt hat, dass nicht nur Wissenschaft, sondern auch Geschichten dazu beitragen, Menschen die Welt zu erklären. Stephen, reicher weißer Finanzberater, mit seiner Frau, der schwarzen Chefbuchhalterin Celeste, und ihren Kinder Bethany und Ruby – sie sind die einzigen, die in London leben, der Rest wohnt in Manchester.

Diese Familie tauscht sich in der Eingangsszene 2019 während des Fernsehens über Textmessages aus, als der politische Aufreger von einem anderen Ereignis abgelöst wird: Rosie ruft auf dem Weg ins Krankenhaus an – ihr Baby kommt. Sie ist alleinerziehend, es ist ihr zweites Kind, und ihr Bruder Dan macht sich, von seinem Freund gedrängt, auf ins Krankenhaus, damit sie nicht alleine ist. Der Rest der Familie plant schnell per Telefon, wer wann wen abholt, um das Neugeborene am nächsten Tag zu besuchen. Im Kreis der Familie im Krankenhaus stellt sich Dan unter Empörung der anderen die Frage, ob er überhaupt noch ein Kind in eine Welt wie diese setzen würde.

Er erinnert: “Remember back in 2008 we thought politics were boring. But now, I worry about everything.” Und er beginnt aufzuzählen und erklärt damit eigentlich gleichzeitig das Konzept von Years And Years: Wenn jetzt schon alles so viel krasser und schneller geworden ist, wie wird es erst in 30 Jahren sein, in 10, in 5? Und damit setzt ein Fast Forward Modus ein: In einer schnell geschnitten Folge sehen wir familiäre Momente und Nachrichtenmeldungen. Den ersten Kindergeburstag des Babies Lincolns. Die Wiederwahl Trumps. Das Silvesterfeuerwerk 2021 mit Heiratsantrag von Dan an seinen Freund Ralph, der Ja sagt. Nachrichtensendung über eine neue künstliche Insel in China, Hong Sha Dao, einem nuklearen Waffenstandort. Viv Rock kandidiert als Parteilose, verliert (das wird sich später ändern – nicht umsonst waren Boris Johnson und Donald Trump die Inspiration für ihre Figur). Die Bilder flitzen weiter: 2022. Die ukrainische Armee hat die Regierung übernommen, die russische Armee wird nach Kiev geladen um für Stabilität zu sorgen. Die EU erkennt den Status von Hong Sha Dao, der chinesischen Insel, nicht an. Der 90. Geburstag der Großmutter der Familie, sie stehen frierend um ein Lagerfeuer im Garten und sie führt die Tradition ein, ihn jedes Jahr als Winter Feast im Garten feiern zu wollen. Mehr News: Deutschland trauert nach Merkels Tod. Der Tod der Queen – “long live the king!” Wieder sitzt Viv Rook in einer TV Talkshow, und es wird klar, dass sie wegen ihrer provokanten Aussagen da sitzt, obwohl sie keinerlei Status als öffentliche Person hat – sie weiß es, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und die Medien schaffen es nicht, dem zu widerstehen. Silvesterfeuerwerk 2024. Immer mehr ukrainische Flüchtlinge kommen in Dover an. Und der Schnelldurchlauf fährt herunter, wir kommen wir wieder im Familienalltag an. Mit diesen Tempowechseln schafft es Years And Years, sowohl Geschichte, also eher große Ereignisse, zu erzählen, dabei aber auch nie die Geschichten der Figuren im Zentrum der Handlung, ihre Entwicklung, aus den Augen zu verlieren.

Nicht nur Politik und Wirtschaft, sondern auch Technologie widmet sich Years And Years. Vor allem aus der Alltagsperspektive der “kleinen Leute”. Insta/Snapchat-Masken gibt es 2024 in Form kleiner Headsetprojektoren nicht mehr nur auf Social Media, sondern sie können direkt vor das Gesicht projeziert werden. Bethany, die technophile Tochter von Stephen und Celeste können und die Tochter versteckt sich die ganze Zeit dahinter, auch vor ihrer Familie, und macht digitale Appointments mit ihren Eltern, obwohl sie neben ihr in der Küche stehen. Bisschen Black Mirror schwingt mit, wird aber gebrochen. Sprachassistenzgeräte wie Alexa haben sich durchgesetzt und werden zu einem Tool, dass die Familie in regelmäßigen Gruppengesprächen sozial vernetzt, zusammenhält. Heute noch von vielen als Überwachungsgerät angesehen, ist das doch eine zu erwartende Entwicklung, das sich solche Home Assistants breit durchsetzen, sind sie doch zum Beispiel für alte Menschen leichter und intuitiver zu bedienen als ein WhatsApp-Familienchat.

Dan lernt eine Nachbarin kennen, Fran, sie erzählt vom Leben in London, von abgeriegelten Stadtteilen, die nur noch nach Vermögensprüfung betreten werden dürfen. Sie ist Story Teller, was ein Beruf geworden ist, weil erkannt wurde, das auch Geschichten helfen können, die Welt besser zu verstehen. Dan arbeitet in einem sich dauernd vergrößerndem Flüchtlingslager, das eigentlich nur als vorübergehende Unterkunft gedacht war. In einem Streitgespräch mit einer flüchtlingsfeindlichen – “I voted Leave!” – Kollegin, erfahren wir dass es eine Wahl gab, bei der 97% der ukrainischen Bevölkerung angeblich dafür stimmten, russische Staatsbürgerschaft anzunehmen und dass Russland nun die Namen der restlichen 3% hat, die für “Umsiedlung” vorgesehen sind, wobei nicht klar ist, wohin – die Möglichkeit ihrer geplanten Massenermordung schwingt mit. Dan lernt Viktor, einen Flüchtling kennen und es knistert zwischen ihnen. Wobei “knistert” ein eher schlechtes Wort ist, weil Viktor davon erzählt, wie er in der Ukraine nach Übernahme Russlands für seine Homosexualität gefoltert wurde: Mit Stromschlägen auf die Fußsohlen, was kaum physische Spuren hinterlässt und es ihm so erschwert, um seinen Flüchtlingsstatus zu kämpfen.

Die Mutter von Bethany macht sich Sorgen und entdeckt beim heimlichen Stöbern in deren Browserverlauf lauter Suchen rund um den Begriff “trans” – “help for trans”, “trans hope”, “your questions about trans issues” – und die Eltern sind, ganz progressiv und akzeptierend, fast froh, dass sie nun wissen, was mit Bethany los ist. Nur stellt sich dann im persönlichen Gespräch heraus, dass Bethany (“I was thinking about that ever since I was born I don’t belong in this body” – ihre Eltern: “oh, it’s alright, we understand and will always love you”) nicht transsexuell, sondern transhuman ist: “I don’t want to be flesh. I’m really sorry, but I’m going to escape this thing and become digital.” Sie möchte ihren kompletten Körper loswerden ihr Gehirn in die Cloud laden. Mutter: “So you want to kill yourself?” – Tochter: “No life or death, just data” – die Reduktion auf pure Information in einer Gesellschaft, in der Frauen körperlich nie schön, dünn, ausreichen genug sein können, als Befreiung gedacht.

Harter Tobak, und es scheint im ersten Moment an Transfeindlichkeit entlangzuschrammeln wie Dolezal am Rassismus, oder: eine andere Perspektive um über die in den letzten Jahren in Großbritannien erstarkte transfeindliche TERF-Bewegung nachzudenken. Der Transhumanismus wird hier als Generationsproblem eingeführt, in einer Gesellschaft, in der sich liberale Kreise, wie es die Eltern von Bethany sind, in Akzeptanz und Offenheit überschlagen, aber auch oft von einer Technologiefeindlichkeit geprägt sind, die sich heute schon in absurden Detoxing-Apps und ähnlichem niederschlägt. Transhumanismus, von technologischen Implantaten bis zum Traum vom Hochladen des Bewusstseins in eine Cloud, stellt so ein neues Identitätsproblem dar, einen Bruch zwischen Generationen und den konservativeren und progressiveren Ecken der Gesellschaft, der in neuer Form die Bereitschaft Widersprüche und Uneindeutigkeiten auszuhalten und auszudiskutieren, auf die Probe stellt.

Trotzdem blieb mir ein fader Nachgeschmack von dieser Stelle: Ist es ein Lächerlichmachen von Transmenschen, wenn hier der Vergleich mit Transhumanismus gezogen wird? Ich denke, über einen als absurder Lacher, der im Hals stecken bleibt, in der weiteren Konsequenz der Serie nicht, da sie um den Preis einer hier wirklich überzogenen Zukunftsvision, gerade an diesem Thema im weiteren Verlauf der Handlung auch durchspielt wird, was die Konsequenzen sind, wenn Jugendliche nicht ernstgenommen werden, und sich heimlich auf schlechte illegale Lösungen einlassen, bei denen keine medizinischen Grundstandards eingehalten werden (was nebenbei auch als Anspielung auf Abtreibungskliniken gelesen werden kann). Ich muss keine Freundin des Transhumanismus sein, um dieses spekulative Spiel zu schätzen.

Wer denkt, jetzt eh schon alles gespoilert bekommen zu haben: Das waren gerade mal die ersten zwanzig Minuten von Years And Years, aus denen ich hier erzählt habe. Selbst vom an das Musikvideo zu Dancing With Tears erinnernde Finale der ersten Folge zu erzählen, verkneife ich mir, auch wenn es schwer fällt. Die Fülle an Themen, die sich als Anspielungen oder als Weiterdenken von heute schon existierenden Problemen lesen lassen oder die zu Diskussionen anregen können, ist riesig. Nur noch ein weiteres Beispiel: In einem Alternativentwurf zum Verbot, das 2019 in Großbritannien fast zum Porn Ban im Rahmen des Digital Economy Act geführt hätte, inzwischen aber aufgegeben wurde, wird Pornographie in der Zukunft von Years And Years zum Schulstoff: Es wird ab 11 Jahren “Sexual Awareness Image And Control” gelehrt.

Es gibt natürlich auch kritisierenswertes an der Serie: Eine Familie ins Zentrum zu stellen, ist mir eigentlich zu konservativ, denn eines der Dinge, von denen ich mir bzw. den nächsten Generationen mehr wünsche, ist, dass sie ganz frei andere Zusammengehörigkeitsgefüge für sich erforschen und erfahren können, und das mindestens auf gleichberechtigter Ebene mit dem verstaubten christlichen, verstaatlichte Ehekonzept und der Kleinfamilie. Aber Years And Years macht einen guten Job, so eine Großfamilie als Bild für die britische Gesellschaft der Zukunft einzusetzen, und nichts anderes als ein Bild dafür ist sie, worauf schon der Familienname Lyons, die Löwen, wohl der britischste Telling Name schlechthin, anspielt. Diesen zusammengewürfelten Haufen Menschen aus den verschiedensten gesellschaftlichen Schichten, mit verschiedensten Identitäten, Vorstellungen, Abstammungen, mit den verschiedensten Problemen, als Familie zu entwerfen, ist ein in typischer Russel T. Davies-Manier solidarisches Zentrum in der dystopischen Zukunft, die Years and Years entwirft.

Das war’s von mir zu Years And Years – wenn ihr’s noch nicht gesehen habt, schreibt’s euch auf die To Watch-Liste, einen besseren Einstieg in ein Jahr wie 2020, an dem gleich am 2. Januar #WWIII auf Twitter trendet, gibt es derzeit kaum.

Prost Neujahr! oder: Everything happens so much.

Ein neues Jahr also. Die Zeit um Weihnachten und Neujahr habe ich wieder mal sehr viel zu Hause verbracht und viel gelesen und Filme nachgeguckt, die ich verpasst habe und war eher im Kino als in Clubs. Und ich habe mir Gedanken darum gemacht, wie ich mit meinem Medienkonsum von Kultur bis Social Media umgehe und was ich von ihnen will. Dass ich zu wenig reflektiere, zu wenig setzen lasse. Deswegen mal wieder der Vorsatz, mehr zu schreiben und mehr Mut zu Fragmentarischem und offenen Enden zu haben. Jahresendliste als Liste nicht, aber zu Büchern, Filmen und Serien, die mir letztes Jahr etwas gaben, will ich schon noch was schreiben. Musik ist schwieriger geworden. Das liegt an verschiedenen Dingen, nicht zuletzt den neuen Entwicklungen, die mit Social Media, dem Sterben der Musikpresse, allesdurchdringendem Marketing und der Schwierigkeit, das richtige Medium für mich zu finden, zu tun haben. Das “richtige” Format prägt mein Hören, prägt die Bedeutung von Musik für mich. Spotify ist es nicht, aber es ist für viele Veränderungen mit verantwortlich. (Tapes und Vinyl sind es übrigens auch nicht.) Dazu will ich aber auch noch was schreiben. Auf Medienkritik, die mich lange beschäftigte, hab ich keine Lust mehr. Zu frustrierend und sich wiederholend, siehe Omagate und Silvester in Connewitz.

2019 habe ich unglaublich viel gelernt, aber zu wenig davon festgehalten und Konsequenzen gezogen. Tim Colishaw kramte auf Twitter letzthin den treffenden @Horse_ebooks-Tweet von 2012 raus: “Everything happens so much.” Bevor ich dazu komme, etwas umzusetzten, die langwierige praktische Arbeit anzugehen, zerrt mich schon der nächste Aufmerksamkeitsheischer durch die nächste Tür. Oder die Tür brennt gleich ganz ab und bringt erst mal einen ganzen Batzen Zusatzarbeit mit sich, wie beim Brand der Kantine, des Clubs, in dem unser Veranstaltungskkollektiv derzeit haust. Oder eben nicht haust. Brenners “jetzt ist schon wieder was passiert” als Dauerzustand. Zu oft treiben Themen, Probleme und Ideen mich vor sich her statt dass ich sie mir aussuchen und vertiefen kann. Zu oft hatte ich das Gefühl, etwas zu retten, mich übernommen zu haben, statt es lustvoll mit anderen gemeinsam zu organisieren. Aber weniger machen? So vernünftig bin ich glaube ich immer noch nicht. ><

Ein paar Themen haben sich aber auch im positiven Sinne mich ausgesucht und zu längeren Texten und Vorträgen inspiriert: Die rechte Radikalisierung im Internet, insbesondere über Antifeminismus und die Methoden der Rechten – dazu habe ich wirklich unglaublich viel gelesen und gelernt – aber auch das Aufräumen mit Klischees zu weiblicher Fankultur gehörte zu meiner Vortragsarbeit. Das Vortragsreisen hat mir auch wirklich Spaß gemacht im vergangenen Jahr. Und Interviews und Podiumsdiskussion durfte ich zu Frauen in der Musikszene beitragen – da war 2019 endlich so ein bisschen der Comedown des neoliberalen Feminismus. Gut so. Feminismus darf nicht (nur) heißen “mehr Frauen auf der Bühne,” “Fuck you pay me” und Self-Care als Waffe, um sich für den harten kapitalistischen Konkurrenzkampf fitzumachen. Feminismus ist ein Thema, das ich als Pflicht betrachte, keines das ich mir aussuchen würde. Pflicht in dem Sinne, dass ich dazu inzwischen einfach einiges aus Praxis und Theorie zusammenbringen und einen Beitrag leisten kann, der anderen helfen kann. Care Work. Ein anderer Vortrag, den ich heuer dann auch endlich mal in überarbeiteter Form in Nürnberg halten werde, denkt verschiedenste Facetten von Speculative Fiction und Design mit Stadtpolitik und dem Recht auf Stadt, zusammen. Das ist ein superspannendes Feld, zu dem ich mehr machen will. Zu Weltuntergangsgefühlen angesichts der Klimakatastrophe und ihrer Folgen habe ich auch schon was zu schreiben begonnen, das es hier auch demnächst geben wird.

Als ich so Mitte Zwanzig war, war meine größte Angst, dass ich irgendwann nicht mehr gespannt auf Neues bin, keine Veränderungen mehr antreiben will, und nicht mehr wissensdurstig bin. Dass diese Angst gar so unbegründet sein würde und wie anstrengend das wird, hätte ich mir nicht träumen lassen! 🙂