“Alle Monster sind Menschen” – AHS Asylum

Als einer der Insassen des Briarcliff Asylums von seiner Entführung durch Aliens erzählt, besteht er darauf: “Sie waren keine Menschen, sie waren Monster!” Und die Schwester, die das Institut leitet, entgegnet: “Alle Monster sind Menschen.” Das ist für mich einer der themasetzenden Momente der Serie und ich musste dabei daran denken, wie das britische Klatschblatt The Sun 2018 ernsthaft mal als Schlagzeile brachte: “Snowflake students claim Frankenstein’s monster was ‘misunderstood’ — and is in fact a VICTIM.” Was natürlich genau seit jeher der Punkt von Mary Shellys Frankenstein war. American Horror Story: Asylum (2012, von Ryan Murphy und Brad Falchuk) ist eine ähnliche Fürsprache der gesellschaftlich Unerwünschten. Ich hab es erst vor Kurzem nachgeholt, als ich mich älteren Serien zuwandte, nachdem ich nichts aktuell Spannendes fand.

„Asylum“ hat ja zwei Bedeutungen: Es steht sowohl für eine alte psychiatrische Anstalt mit brutalen Behandlungsmethoden, als auch für einen Zufluchtsort; und dass sich diese nicht gegenseitig ausschließen, lotet die Serie in allen Facetten aus. Das Asylum war bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts ein Ort, auf dem zwar „Heilung“ draufstand, aber der vor allem gesellschaftlich disziplinierend wirkte: Dorthin wurden Misfits der Gesellschaft abgeschoben, und dazu reichte es schon oft, einfach nur eine Frau zu sein, die sich nicht still einem streng patriarchalem Weltbild unterwarf.

“Furcht vor Entmündigung und Zwangseinweisung in ein ‚Irrenhaus‘ als Angst-Ort, an den Menschen, die nicht in enge bürgerliche Vorstellungen passten, abgeschoben werden können”

Furcht vor Entmündigung und Zwangseinweisung in ein ‚Irrenhaus‘ als Angst-Ort, an den Menschen, die nicht in enge bürgerliche Vorstellungen passten, abgeschoben werden können, wenn sie sich nicht anpassen, zog sich selbst noch bis weit in meine Jugend als stets lauernde, strafende Möglichkeit, raunend von Mund zu Mund weitergetragen. Nicht, dass es nicht wirkliche Fälle des Systemmissbrauchs bis heute gäbe: Von Mollath bis Britney sind sie immer wieder ein heißdiskutiertes Thema, aber was ich meine, und was sich noch besser hält, sind nicht die wirklichen Fälle, sondern das Folklorische: Geschichten, die immer weitererzählt werden, um Menschen in gesellschaftlichen Gleichschritt zu bringen. Und in AHS Asylum treffen sich Gruselfolklore und Gesellschaftskritik ähnlich gut wie in Candyman (2021, von Nia DaCosta, Jordan Peele und Win Rosenfeld).

Ob rebellierende verknallte Jugendliche, in der Serie verkörpert von Kit und Alma Walker (Evan Peters und Britne Oldfort), die es wagen, im rassistisch geprägten Massachusetts der 60er Jahre eine ‚Mischehe‘ einzugehen, oder ein lesbisches Paar wie die Journalistin Lanah Winters (Sarah Paulson) und die Lehrerin Wendy Peyser (Clea DuVall): Der Druck, sich in der bedrückend konservativen Kleinstadtatmosphäre verstecken zu müssen, und der Mief der kleinbürgerlichen Ängste sind in AHS Asylum allgegenwärtig. Es ist ein gewalt- und gefühlsberauschter filmischer Fiebertraum (vielleicht auch deswegen ein perfektes Bingewatching für Bettlägrige: Ich hab’s geguckt, als ich krank war), der hauptsächlich in den Kleinstadt-USA der 1960er Jahre spielt.

Metafiguren, die sich an der Geschichte der Leute im Asylum im wörtlichen Sinne aufgeilen. Sie sind wie ein Bild für uns Zuschauer*innen, ja, für den (schau)lüsternen Aspekt des Horrorgenres, vom voyeuristischen bis zum sadistischen Blick.

Der Einstieg in die Serie ist aber eine Szene aus der Gegenwart und setzt einen Metarahmen: Ein Pärchen steigt auf ihrer Hochzeitsreise, auf der es Horrorschauplätze bereist, in ein längst stillgelegtes, überwuchertes Briarcliff Asylum ein: Metafiguren, die sich an der Geschichte der Leute im Asylum im wörtlichen Sinne aufgeilen. Sie sind wie ein Bild für uns Zuschauer*innen, ja, für den (schau)lüsternen Aspekt des Horrorgenres, vom voyeuristischen bis zum sadistischen Blick. Schon hier wird die kitschig-campe Überspitzung mit kritisch-satirischem Effekt eingesetzt, die für mich der Serie zusammen mit einem Vibe der Ambiguität etwas Queeres verleiht.

Es ist ein wahrer Bilderrausch von schmuddligen Zellen und Aufenthaltsräumen, von abblätternder Farbe und Körperflüssigkeiten, von miefigen Anzügen und frischgestärkten Nonnenmonturen, blendend grellen Lichtblitzen zwischen vielen dunklen Szenen, immer wieder von religiöser Symbolik

In AHS Asylum wird mit einer endlosen Reihe von Topoi und Typen der (Film-)Geschichte gespielt: kirchlicher Machtmissbrauch, sexy katholischer Horror, Religion und Wissenschaft als Fetisch, die brutale Nonne (Diva-style ikonisch von Jessica Lange gespielt), die unschuldige Nonne, Teufelsbesessenheit und Exorzismus, selbstbewusste weibliche Lust, Eugenik, der untergetauchte Nazi-SS-KZ-Arzt, Freaks ( <3 Pepper!), Todesengel, Anne Frank, Aliens, Menschenexperimente, die an Moreau und Frankenstein erinnern, ein brutaler Serienmörder, und nicht zuletzt die junge Journalistin, die sich für eine Sensationsstory in Gefahr bringt, und die gleichzeitig das Stereotyp der Lesbe im Männerberuf erfüllt. Das wird alles in Bildern mit Liebe für Details angelegt. Es ist ein wahrer Bilderrausch von schmuddligen Zellen und Aufenthaltsräumen, von abblätternder Farbe und Körperflüssigkeiten, von miefigen Anzügen und frischgestärkten Nonnenmonturen, blendend grellen Lichtblitzen zwischen vielen dunklen Szenen, immer wieder von religiöser Symbolik, von bedrohlichen und angstverzerrten Gesichtern, von kleinen schützenden Gesten und Blicken, sich unter Lust oder Schmerz krümmenden Körpern im Kontrast mit glücklichen Momenten wie der kleinen, schon fast brutal heiter und bunt gefilmten Musicalszene zu ‘The Name Game’ – was für ein emotionaler Bruch.

sexistische Stereotypen, die hier angelegt werden, werden durch die langsame Entblätterung ihrer Hintergrundgeschichte, de-objektiviert. Vom Objekt werden sie zu Personen entwickelt – take that, male gaze!

Ich erinnere mich, dass AHS Asylum von manchen die Kritik abbekam, sexistisch zu sein. Ich finde viel eher, dass hier in dem Horrorgenre entsprechender Manier hervorragend feministische Geschichte behandelt wird. Die brutale gesellschaftliche Bestrafung von lesbischer und weiblich-selbstbestimmten Sexualität und Begehrens ebenso wie dass Frauen mit sexualisierter Gewalt und wirtschaftlichen Zwängen gesellschaftlich alleingelassen werden, sind Themen, die hier in vielen Schattierungen verhandelt werden: Die Geschichte einer Frau, die sich einer Jazzband anschloss, ihre Sexualität so frei wie ihr Mann mit seinen Geliebten ausleben wollte, und dafür als Nymphomanin zwangseingewiesen wurde. Die Erpressung einer Lehrerin damit, keinen Job mehr zu finden, wenn herauskäme, dass sie lesbisch ist. Eine Frau, die als Axtmörderin ihrer Eltern falsch(?)beschuldigt wird, nachdem sie über Jahre hinweg von ihrem Vater missbraucht und ihr nicht geglaubt wurde, wird zwangseingewiesen. Die Geschichte von Lana, deren Lesbischsein ihr zur Falle wird, da es pathologisiert wird und sie entmündigt brutalen Konversionsbehandlungen ausgesetzt wird. Oder eine meiner besonders fiesen Lieblingszenen: Als ein von Satan besessener Junge in einer creepy Exorzismusszene Schwester Jude zuruft: “It drives you crazy doesn’t it? To be the smartest person in the room with no real power because of that smelly clam between your legs?” Feminismus als schmähende Verführung durch Satan, how very katholisch. Es sind klar zunächst sexistische Stereotypen, die hier angelegt werden, aber diese Frauen werden durch die langsame Entblätterung ihrer Hintergrundgeschichte, de-objektiviert. Vom Objekt werden sie zu Personen entwickelt – take that, male gaze! Und sie werden nicht als bloße Opfer inszeniert, sondern als Widerständige.

Moralische und psychologische Debatten um Schuld und Unschuld, um soziale Prägung, um die Möglichkeit, sich zu ändern, um Begehren, Lust und Gewalt, um Vergebung und Heilung

Moralische und psychologische Debatten um Schuld und Unschuld, um soziale Prägung, um die Möglichkeit, sich zu ändern, um Begehren, Lust und Gewalt, um Vergebung und Heilung: So viele Fragen schwingen als Echos durch die Zellen des Asylums, getrieben wie ein manisch kicherndes Ping Pong zwischen religiösem/übersinnlichem und wissenschaftlichem Weltbild, zwischen Individuum und Gesellschaft, zwischen Selbstlosigkeit und Eigennutz, zwischen brutaler Gewalt und intimen Freundschafts- und Liebesmomenten.

Die kollektiven Wahlfamilien der Verletzten und Insassen, die hingebungsvollen, aber auch nie problemfreien Beziehungen der Nicht-Blutsverwandten, die einander vergeben: Sie sind versöhnlicher Trost in dieser Geschichte über eine brutal ausgrenzende Gesellschaft (und nebenbei etwas, das sich hervorragend zu meiner parallelen Lektüre vom empfehlenswerten After Work von Helen Hester und Nick Srnicek fügt.) Eine tragische Backstory nach der anderen entblättert sich, und statt dass Wirkmacht eingebüßt wird, weil der Überblick über all die Figuren, Zeiten und Nebenhandlungsstränge verlorengehen könnte, wird die größere Geschichte des Machtmissbrauchs dahinter sichtbar: die Ohnmacht der Machtlosen, die nicht weiß bürgerlich männlich able-bodied usw. sind, aber die gegen Missbrauch, Gewalt und Betrug im familiären Kreis aufbegehren oder einfach falsch beschuldigt und abgeschoben werden.

Es ist auch ein erzählerisches Spiegelkabinett, zum Beispiel: Wo der Serienmörder seinen Opfern die Haut abzieht, tut das die Sensationsjournalistin mit ihren Opfern bildlich.

Wie hier fast alle tragischen Figuren neben all dem Horror, der ihnen im Asylum unter der Rute der Nonnen zugefügt wird, der Reihe nach als Opfer des Sexismus, des Ableismus, der Nazis, der Homophobie und des Rassismus der Ära enthüllt werden – wohlgemerkt ohne sie zu moralisch reinen Märtyergestalten zu verklären – nun, das sitzt schon verdammt gut. Überhaupt bleibt hier (fast) niemand unschuldig: Satan oder der kapitalistische Eigennutz sind sexy Verführer, ob Ruhm und Reichtum in der Medienwelt locken oder der Aufstieg zum Kardinal von New York: Alle verstricken sich in Schuld, aber niemand wird komplett verurteilt. Alle bekommen wenigstens einen kleinen Moment, der ihre Menschlichkeit aufscheinen lässt, in einer Welt, die in bildgewaltigem Horror und Angst zu versinken droht. Es ist auch ein erzählerisches Spiegelkabinett, zum Beispiel: Wo der Serienmörder seinen Opfern die Haut abzieht, tut das die Sensationsjournalistin mit ihren Opfern bildlich.

Es gibt eine Art Erzählen, in deren Fahrwasser American Horror Story: Asylum auch hätte geraten können: Eines, das ein bisschen zu arg in Verschwörungsdenken verknallt ist: von DaVinci Code bis Assassin’s Creed, wo die Lust in der Enthüllung von immer tiefer verstrickten geheimen Mächten hinter den Dingen liegt. Das hätte mich gerade in einer Geschichte, in der sogar Aliens auftauchen, nicht gewundert. Aber diesen Pfad beschreitet American Horror Story nicht. Es spielt zwar auch mit der Faszination von Enthüllungsmomenten, aber hier werden eher Gräuel und Ungerechtigkeiten und Tabuisiertes freigelegt, keine geheime Macht, die lenkend hinter allem steht. Nicht mal Kirche oder Staat werden als solche gezeigt, auch sie erscheinen in ihrer hilflosen Brüchigkeit und Widersprüchlichkeit, und kommen gleich schlecht weg. So verschlechtern sich die Zustände im Briarcliff Asylum noch, als es von kirchlicher zur staatlicher Hand übergeht. Ein schönes Detail: Für diesen Übergang zur ‚weltlichen‘ Führung sehe ich auch, dass Shachatch, der Todesengel, plötzlich als very gangsta reale Insassin auftaucht. Oder hat Jude mehrere Jahre in einer Wahnvorstellung gelebt, wie ihr erklärt wird? Oder beides?

Übernatürliches, (Pseudo-)Wissenschaftliches und Religiöses werden hier nicht einfach zur Weltflucht eingesetzt, nicht zur Ersatzerklärung, Bagatellisierung oder Entschuldigung, sondern sie unterstreichen reale Misstände.

Zeigt uns die Kamera gerade die Perspektive einer Wahnvorstellung einer Figur oder die fiktive Realität? Dieser Frage nachzugehen, ist Teil des Vergnügens, das AHS Asylum ist. Ist die Alienentführung Kits eine Halluzination? Als eine weitere Person sie gesehen hat, beginnen wir zu zweifeln, und als ein Arzt ihm eine futuristische kleine Maschine herausoperiert, sind wir sicher: Okay, wtf, es gibt hier Aliens! Übernatürliches, (Pseudo-)Wissenschaftliches (z. B. die brutalen Behandlungsmethoden oder der Nazi-Ideologie und Moreau-eskes Experimentieren verschränkende Versuch, Übermenschen zu schaffen) und auch Religiöses wie die Satansbessenheit und Shachath, der Todesengel, werden hier nicht einfach zur Weltflucht eingesetzt, nicht zur Ersatzerklärung, Bagatellisierung oder Entschuldigung, sondern sie unterstreichen reale Misstände. Nicht umsonst gibt es gegen Ende der Serie die Passage der Enthüllungsdoku (wo auch wieder wie am Anfang der Serie mit der Kritik an Leidensvoyeurismus angedeutet ist), die stark an die von Gerardo Rivera über die Willowbrook (1972) erinnert. Er enthüllte, dass in diesem Asylum neben anderen unfassbaren Zuständen geistig-behinderte Kinder von Ärzten absichtlich mit Hepatitis angesteckt wurden. (Google ‚Willowbrook State School‘ für die tägliche Dosis Verständnis dafür, warum „humanistisch“ manchmal doch als ein recht theoretisches und überhebliches Konstrukt erscheint.)

Was AHS Asylum so gut macht, ist, wie es tatsächlich über die Idee von Einzelfällen, in denen die Institutionalisierung missbraucht wird, hinausgeht und den Blick auf das Systemische lenkt: Diese Institutionen sind gewollt und gesellschaftlich ermöglicht.

Nicht nur das Asylum, sondern auch andere staatliche Institutionen wie Polizei oder Waisenhäuser werden in AHS Asylum in Frage gestellt. Soziale Institutionen werden missbraucht, nein, genutzt, um die Ungeliebten und Andersartigen abzuschieben in ein brutales System von Insitutionen, dem sie kaum wieder entrinnen können. Und was AHS Asylum so gut macht, ist, wie es, obwohl es seinen Figuren emotionalen Echoraum für ihr Erlittenes gibt, tatsächlich über die Idee von Einzelfällen, in denen die Institutionalisierung missbraucht wird, hinausgeht und den Blick auf das Systemische lenkt: Diese Institutionen sind gewollt und gesellschaftlich ermöglicht.

AHS Asylums Verknäuelung von Storysträngen und der Unwille, eine klare gut/böse-Geschichte zu erzählen, die am Ende komplett aufgelöst werden kann, passt zu dem, was es behandelt: Die Welt und das, was Menschen antreibt, sind chaotisch und komplex und weder durch Wissenschaft noch Spiritualität oder Moral komplett zu (er)klären. Wir müssen mit Ambiguität leben und Wissen ebenso wie Urteile immer wieder neu verhandeln. Das und Judes letzte Wort an die Kinder sind gute Messages als Ende für diesen eh schon recht langen Blogpost:

„Don’t pick your nose. And never take a job just for the money.“

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