Years And Years

Years And Years

Eine meiner Lieblingsserien des vergangenen Jahres war Years And Years. Russel T. Davies, den ich schon für seine Science Fiction Arbeit an Doctor Who und Torchwood und seine queeren Serien Queer As Folks und Tofu / Cucumber / Banana schätze, hat eine ganz wunderbare 6 Episoden lange Miniserie gemacht, in der er einen spekulativen Entwurf der kommenden fünfzehn Jahre wagt. Davies erzählt die Geschichte einer Familie in Tradition des poppigeren British Social Realism wie Billy Elliot, Trainspotting oder Pride, der sich mit Schicksalen der Working Class in der Thatcher Ära auseinandersetzte.

Schon nach der ersten Minute kommt der erste WTF-Moment, als eine Frau in einer TV Show auf eine Publikumsfrage antwortet: “If it comes to Israel and Palestine I don’t give a fuck,” und erklärt: “All I want is for my bins to be collected.” So wird Emma Thompson eingeführt, die Viv Rook spielt: eine brilliante Populistin, die später ihre Partei nach dem in Zeitungen durch vier Sterne ersetzten “fuck” dieser Aussage tauft: Four Star Party. Wir sehen den Ausschnitt aus dieser Talkshow mit einer Familie, den Lyons: Dan, schwuler Housing Officer, der sich um die Unterbringung von Flüchtlingen kümmert, darunter auch der Ukrainer Viktor, in den er sich tragisch verknallt. Dans Freund Ralph, der sich zunehmend offen für Verschwörungstheorien bis hin zur Flat Earth wird. Rosie, die working class single Mom, die im Rollstuhl sitzt und die Kantine einer Gesamtschule führt. Muriel, die Großmutter der ganzen Lyons-Geschwister, mit der sich Celeste immer wieder kabbelt, wenn sie diskriminierende Sprache verwendet, Hausbesitzerin ohne Geld, dieses instandzuhalten. Edith, weltreisende politische Aktivistin, die sich in eine Nachbarin Dans verliebt, die Storytellerin ist: Das entwickelt sich in dieser Zukunft zum Beruf, da sich herausgestellt hat, dass nicht nur Wissenschaft, sondern auch Geschichten dazu beitragen, Menschen die Welt zu erklären. Stephen, reicher weißer Finanzberater, mit seiner Frau, der schwarzen Chefbuchhalterin Celeste, und ihren Kinder Bethany und Ruby – sie sind die einzigen, die in London leben, der Rest wohnt in Manchester.

Diese Familie tauscht sich in der Eingangsszene 2019 während des Fernsehens über Textmessages aus, als der politische Aufreger von einem anderen Ereignis abgelöst wird: Rosie ruft auf dem Weg ins Krankenhaus an – ihr Baby kommt. Sie ist alleinerziehend, es ist ihr zweites Kind, und ihr Bruder Dan macht sich, von seinem Freund gedrängt, auf ins Krankenhaus, damit sie nicht alleine ist. Der Rest der Familie plant schnell per Telefon, wer wann wen abholt, um das Neugeborene am nächsten Tag zu besuchen. Im Kreis der Familie im Krankenhaus stellt sich Dan unter Empörung der anderen die Frage, ob er überhaupt noch ein Kind in eine Welt wie diese setzen würde.

Er erinnert: “Remember back in 2008 we thought politics were boring. But now, I worry about everything.” Und er beginnt aufzuzählen und erklärt damit eigentlich gleichzeitig das Konzept von Years And Years: Wenn jetzt schon alles so viel krasser und schneller geworden ist, wie wird es erst in 30 Jahren sein, in 10, in 5? Und damit setzt ein Fast Forward Modus ein: In einer schnell geschnitten Folge sehen wir familiäre Momente und Nachrichtenmeldungen. Den ersten Kindergeburstag des Babies Lincolns. Die Wiederwahl Trumps. Das Silvesterfeuerwerk 2021 mit Heiratsantrag von Dan an seinen Freund Ralph, der Ja sagt. Nachrichtensendung über eine neue künstliche Insel in China, Hong Sha Dao, einem nuklearen Waffenstandort. Viv Rock kandidiert als Parteilose, verliert (das wird sich später ändern – nicht umsonst waren Boris Johnson und Donald Trump die Inspiration für ihre Figur). Die Bilder flitzen weiter: 2022. Die ukrainische Armee hat die Regierung übernommen, die russische Armee wird nach Kiev geladen um für Stabilität zu sorgen. Die EU erkennt den Status von Hong Sha Dao, der chinesischen Insel, nicht an. Der 90. Geburstag der Großmutter der Familie, sie stehen frierend um ein Lagerfeuer im Garten und sie führt die Tradition ein, ihn jedes Jahr als Winter Feast im Garten feiern zu wollen. Mehr News: Deutschland trauert nach Merkels Tod. Der Tod der Queen – “long live the king!” Wieder sitzt Viv Rook in einer TV Talkshow, und es wird klar, dass sie wegen ihrer provokanten Aussagen da sitzt, obwohl sie keinerlei Status als öffentliche Person hat – sie weiß es, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und die Medien schaffen es nicht, dem zu widerstehen. Silvesterfeuerwerk 2024. Immer mehr ukrainische Flüchtlinge kommen in Dover an. Und der Schnelldurchlauf fährt herunter, wir kommen wir wieder im Familienalltag an. Mit diesen Tempowechseln schafft es Years And Years, sowohl Geschichte, also eher große Ereignisse, zu erzählen, dabei aber auch nie die Geschichten der Figuren im Zentrum der Handlung, ihre Entwicklung, aus den Augen zu verlieren.

Nicht nur Politik und Wirtschaft, sondern auch Technologie widmet sich Years And Years. Vor allem aus der Alltagsperspektive der “kleinen Leute”. Insta/Snapchat-Masken gibt es 2024 in Form kleiner Headsetprojektoren nicht mehr nur auf Social Media, sondern sie können direkt vor das Gesicht projeziert werden. Bethany, die technophile Tochter von Stephen und Celeste können und die Tochter versteckt sich die ganze Zeit dahinter, auch vor ihrer Familie, und macht digitale Appointments mit ihren Eltern, obwohl sie neben ihr in der Küche stehen. Bisschen Black Mirror schwingt mit, wird aber gebrochen. Sprachassistenzgeräte wie Alexa haben sich durchgesetzt und werden zu einem Tool, dass die Familie in regelmäßigen Gruppengesprächen sozial vernetzt, zusammenhält. Heute noch von vielen als Überwachungsgerät angesehen, ist das doch eine zu erwartende Entwicklung, das sich solche Home Assistants breit durchsetzen, sind sie doch zum Beispiel für alte Menschen leichter und intuitiver zu bedienen als ein WhatsApp-Familienchat.

Dan lernt eine Nachbarin kennen, Fran, sie erzählt vom Leben in London, von abgeriegelten Stadtteilen, die nur noch nach Vermögensprüfung betreten werden dürfen. Sie ist Story Teller, was ein Beruf geworden ist, weil erkannt wurde, das auch Geschichten helfen können, die Welt besser zu verstehen. Dan arbeitet in einem sich dauernd vergrößerndem Flüchtlingslager, das eigentlich nur als vorübergehende Unterkunft gedacht war. In einem Streitgespräch mit einer flüchtlingsfeindlichen – “I voted Leave!” – Kollegin, erfahren wir dass es eine Wahl gab, bei der 97% der ukrainischen Bevölkerung angeblich dafür stimmten, russische Staatsbürgerschaft anzunehmen und dass Russland nun die Namen der restlichen 3% hat, die für “Umsiedlung” vorgesehen sind, wobei nicht klar ist, wohin – die Möglichkeit ihrer geplanten Massenermordung schwingt mit. Dan lernt Viktor, einen Flüchtling kennen und es knistert zwischen ihnen. Wobei “knistert” ein eher schlechtes Wort ist, weil Viktor davon erzählt, wie er in der Ukraine nach Übernahme Russlands für seine Homosexualität gefoltert wurde: Mit Stromschlägen auf die Fußsohlen, was kaum physische Spuren hinterlässt und es ihm so erschwert, um seinen Flüchtlingsstatus zu kämpfen.

Die Mutter von Bethany macht sich Sorgen und entdeckt beim heimlichen Stöbern in deren Browserverlauf lauter Suchen rund um den Begriff “trans” – “help for trans”, “trans hope”, “your questions about trans issues” – und die Eltern sind, ganz progressiv und akzeptierend, fast froh, dass sie nun wissen, was mit Bethany los ist. Nur stellt sich dann im persönlichen Gespräch heraus, dass Bethany (“I was thinking about that ever since I was born I don’t belong in this body” – ihre Eltern: “oh, it’s alright, we understand and will always love you”) nicht transsexuell, sondern transhuman ist: “I don’t want to be flesh. I’m really sorry, but I’m going to escape this thing and become digital.” Sie möchte ihren kompletten Körper loswerden ihr Gehirn in die Cloud laden. Mutter: “So you want to kill yourself?” – Tochter: “No life or death, just data” – die Reduktion auf pure Information in einer Gesellschaft, in der Frauen körperlich nie schön, dünn, ausreichen genug sein können, als Befreiung gedacht.

Harter Tobak, und es scheint im ersten Moment an Transfeindlichkeit entlangzuschrammeln wie Dolezal am Rassismus, oder: eine andere Perspektive um über die in den letzten Jahren in Großbritannien erstarkte transfeindliche TERF-Bewegung nachzudenken. Der Transhumanismus wird hier als Generationsproblem eingeführt, in einer Gesellschaft, in der sich liberale Kreise, wie es die Eltern von Bethany sind, in Akzeptanz und Offenheit überschlagen, aber auch oft von einer Technologiefeindlichkeit geprägt sind, die sich heute schon in absurden Detoxing-Apps und ähnlichem niederschlägt. Transhumanismus, von technologischen Implantaten bis zum Traum vom Hochladen des Bewusstseins in eine Cloud, stellt so ein neues Identitätsproblem dar, einen Bruch zwischen Generationen und den konservativeren und progressiveren Ecken der Gesellschaft, der in neuer Form die Bereitschaft Widersprüche und Uneindeutigkeiten auszuhalten und auszudiskutieren, auf die Probe stellt.

Trotzdem blieb mir ein fader Nachgeschmack von dieser Stelle: Ist es ein Lächerlichmachen von Transmenschen, wenn hier der Vergleich mit Transhumanismus gezogen wird? Ich denke, über einen als absurder Lacher, der im Hals stecken bleibt, in der weiteren Konsequenz der Serie nicht, da sie um den Preis einer hier wirklich überzogenen Zukunftsvision, gerade an diesem Thema im weiteren Verlauf der Handlung auch durchspielt wird, was die Konsequenzen sind, wenn Jugendliche nicht ernstgenommen werden, und sich heimlich auf schlechte illegale Lösungen einlassen, bei denen keine medizinischen Grundstandards eingehalten werden (was nebenbei auch als Anspielung auf Abtreibungskliniken gelesen werden kann). Ich muss keine Freundin des Transhumanismus sein, um dieses spekulative Spiel zu schätzen.

Wer denkt, jetzt eh schon alles gespoilert bekommen zu haben: Das waren gerade mal die ersten zwanzig Minuten von Years And Years, aus denen ich hier erzählt habe. Selbst vom an das Musikvideo zu Dancing With Tears erinnernde Finale der ersten Folge zu erzählen, verkneife ich mir, auch wenn es schwer fällt. Die Fülle an Themen, die sich als Anspielungen oder als Weiterdenken von heute schon existierenden Problemen lesen lassen oder die zu Diskussionen anregen können, ist riesig. Nur noch ein weiteres Beispiel: In einem Alternativentwurf zum Verbot, das 2019 in Großbritannien fast zum Porn Ban im Rahmen des Digital Economy Act geführt hätte, inzwischen aber aufgegeben wurde, wird Pornographie in der Zukunft von Years And Years zum Schulstoff: Es wird ab 11 Jahren “Sexual Awareness Image And Control” gelehrt.

Es gibt natürlich auch kritisierenswertes an der Serie: Eine Familie ins Zentrum zu stellen, ist mir eigentlich zu konservativ, denn eines der Dinge, von denen ich mir bzw. den nächsten Generationen mehr wünsche, ist, dass sie ganz frei andere Zusammengehörigkeitsgefüge für sich erforschen und erfahren können, und das mindestens auf gleichberechtigter Ebene mit dem verstaubten christlichen, verstaatlichte Ehekonzept und der Kleinfamilie. Aber Years And Years macht einen guten Job, so eine Großfamilie als Bild für die britische Gesellschaft der Zukunft einzusetzen, und nichts anderes als ein Bild dafür ist sie, worauf schon der Familienname Lyons, die Löwen, wohl der britischste Telling Name schlechthin, anspielt. Diesen zusammengewürfelten Haufen Menschen aus den verschiedensten gesellschaftlichen Schichten, mit verschiedensten Identitäten, Vorstellungen, Abstammungen, mit den verschiedensten Problemen, als Familie zu entwerfen, ist ein in typischer Russel T. Davies-Manier solidarisches Zentrum in der dystopischen Zukunft, die Years and Years entwirft.

Das war’s von mir zu Years And Years – wenn ihr’s noch nicht gesehen habt, schreibt’s euch auf die To Watch-Liste, einen besseren Einstieg in ein Jahr wie 2020, an dem gleich am 2. Januar #WWIII auf Twitter trendet, gibt es derzeit kaum.

“Yes, we are equal. I’m sure this is difficult for you.” – Vikings, die Serie

Vikings von Michael Hirst ist die erste Wikingerserie, die ich mir seit Wickie angesehen habe, und das ist ja nun doch schon eine ganze Weile her. Und ja, auch ich gehöre zu denen die lange davon überzeugt waren, dass Wickie ein Mädchen war, was ich aber nicht mal so lustig finde. Es zeugt schließlich davon, wie tief der Wunsch nach von Gendernormen befreiten Held*innen schon (oder gerade) als Kind war.

Und das mit den Geschlechternormen reicht halt tief, selbst in das was als wissenschaftlich objektiv angesehen wird. Nehmt nur den Grabfund der Wikingerkriegerin von Birka, bei der eine von solchen Normen dominierte Wissenschaft sich einfach nicht vorstellen konnte, dass es sich um eine Frau handeln könne, weil Waffen und Würfel als Zeichen eines taktisch versierten Kriegs*herren* im Grab lagen. So wurde lange Zeit davon ausgegangen, dass es sich um einen Mann handelte, bis sie sich durch eine DNA Studie als Kriegerin erwies. Der Archäologe Davide Zori stellte fest: „[Die neue Studie] trifft direkt ins Herz der archäologischen Interpretation: Wir haben immer alles auf unserer Vorstellung der Geschlechterrollen abgebildet.“

Als diesen Artikel vor kurzem jemand in meine Timeline gepostet hat, musst ich gleich an Lagertha denken. Die an eine historische Figur angelehnte Kriegerin und mehrfache Mutter, die in der Serie Vikings erst an Seite ihres Mannes von Farmerin zu Earl-Gemahlin aufsteigt, ihn dann verlässt, weil er sich noch eine zweite Gemahlin nehmen will, die schwanger von ihm ist, und die nicht nur Männer, die sie vergewaltigen wollen und Feinde, sondern auch nicht nur einen, sondern gleich zwei Ehemänner tötet, sich ihren eigenen Earl-Titel erkämpft, und schließlich gar Königin wird – sehr schön ist der Moment, in dem sie da König Ragnar gegenüber fallen lässt: “Yes, we are equal. I’m sure this is difficult for you.” – und die dann mit ihrer Liebhaberin lebt, ist eine großartige Figur.

Es ist interessant, dass die Serie mit Ragnar Lothbrok eine zentrale Figur hat, die bei ihren Eroberungen eher von der Neugierde auf andere Kulturen getrieben wird. Dass man als Wikinger dann halt trotzdem nicht einfach so Paris angucken fährt, sondern gleich eine Armada um sich sammelt, um es zu erobern – ja, so waren sie halt, die Wikinger. So waren sie halt *auch*, ist der Kern der Serie. Dass Akte der Grausamkeit in neueren Historienerzählungen oft expliziter als früher ihren Platz bekommen, liegt zum einen gewiss daran, dass es ein Publikum hat, aber die Kunst, die Vikings dabei schafft, ist es, dabei nicht in die Falle zu tappen, sie als einfach nur “barbarisch” darzustellen. Hirsts Erzählung von Vikings kriegt wirklich gut die Kurve, die Neugier auf andere Kulturen und auf Wissen mit einer überaus brutalen Historie in Einklang zu bringen, und sie nicht nur als einen Kampf um mehr Macht und Länder zu schildern.

Auch sehr schön ausgearbeitet ist die Vielfalt der Sprachen, deren Wirkung Raum gegegeben wird: als Barriere, als verbindendes Element, als etwas zu Lernendes. Es geht immer wieder um das Verstehen und Nicht-Verstehen, das mal an Sprache, mal an der Haltung einzelner liegt. In der Serie gibt es Altnordisch als Hauptsprache, das meist als Englisch/Deutsch (Standardsprache, in der du die Serie ansiehst) dargestellt ist, aber in Situationen, in denen Wikinger auf Figuren anderer Kulturen treffen, wird es zu Altnordisch mit Untertiteln. Die anderen Sprachen werden auch meist mit Untertiteln dargestellt, außer es ist die Hauptsprache der jeweiligen Handlungsperspektive, dann werden sie auch in die Standardsprache übersetzt. Weitere Sprachen, die mal länger, mal als Fetzen auftauchen, sind noch mindestens Altenglisch/Angelsächsisch, Altfranzösisch, aber auch Latein und Griechisch, Lettisch, Hindi, Urdu und schließlich sogar Arabisch.

Religionen spielen ebenfalls eine tragende Rolle, die nordische ebenso wie die christliche, auch beider Schicksalergebenheit und ein aufkeimendes Aufbegehren Einzelner dagegen. Religionen werden hier nicht nur als abstrakte Mythen eingesetzt, an die ‘einfachereren’ Menschen von damals halt  glaubten, sondern durch Stilmittel wie das immer mal wiederkehrende Einblenden von Visionen wird vermittelt, wie sehr sie ein Welterklärungssystem darstellten, das durchaus komplex bis tief in den Alltag reichte, und so selbstverständlich war wie für uns heute wissenschaftliche Erklärungsmodelle der Welt. Magischer Realismus auch. Quasi. Sehr schön sind auch die Überblendungen zu Handlungen andernorts, oder der Einsatz von Bildern von Naturgewalten, wenn Figuren Mythen ihrer Gottheiten erzählen.

Wikinger hatten keine Schriftkultur, deswegen sind Geschichten über sie so gut wie ausschließlich von christlichen Mönchen festgehalten worden. Deren Perspektive prägte demgemäß die Darstellung: brutale, primitive verwahrloste, zottelbärtige Männer, die nur an’s Kämpfen, Saufen und Vergewaltigen dachten. Das machte Wikinger für mich jetzt zu einem eher langweiligen Thema, weswegen ich der Serie auch jetzt erst, recht spät, einen Blick gegönnt habe, dann aber doch recht schnell von ihrem emanzipatorischeren Ansatz gefangen genommen wurde. Lagerthas Satz “Yes, we are equal. I’m sure this is difficult for you” könnte auch für die Serie als Kommentar an den christlich-männlich geprägten Blick auf die Wikingerkultur gerichtet sein.

Auch der Einsatz von Humor – ich kann mit humorfreien Serien genauso wenig anfangen wie mit zu zynisch-abgeklärten – und das 1A Styling der Wikinger sprechen mich natürlich auch an. Ganz schöne Fashionistas, von Kleidung und Schmuck bis zu aufwändigen geflochtenen Frisuren und Schminke, aber auch das Schmücken von Schiffen und Hütten ist liebevoll bis ins Detail dargestellt. Es ist eine lose an Historie angelehnte Geschichte, Figuren wie Lagertha, Ragnar oder auch King Ecbert sind überliefert. Nicht verwunderlich, ist es doch eine Serie des History Channels und Hirst ist stolz auf seine Bemühungen um seine semifiktionale Annäherung an historische Authentizität. Er legt dabei mehr Wert, eine vergangene Zeit und ihre Kultur zum Leben zu erwecken, und ihn interessiert das soziale Gewebe mehr, als jede Jahreszahl und jeden geographischen Punkt auf Teufel (oder Loki) komm raus faktisch korrekt hinzubekommen. Das lässt das ganze atmen. Es wird sich Zeit für die Charakterentwicklungen einer ganz schön großen Zahl von Figuren bemüht, von männlichen ebenso wie von weiblichen. Auch die Entwicklung von Freundschaften bekommt viel Raum, nicht nur die von Feindschaften oder sich anbahnenden Beziehungen. Ach, und apropos Beziehungen: Selbst polyamore / offene Beziehungen werden angedeutet. Und Crip Empowerment bekommt im späteren Verlauf der Serie eine ganz eigene Definition. Andererseits würde ich jetzt mal gefühlt sagen, dass die Serie den Bechdeltest nur knapp bestehen würde. Von dem her: Emanzipatorisch mit Anführungszeichen.

Aber hey, wenn sich das Wikingerpärchen Lagherta und Ragnar gleich zu Anfang beim gemeinsamen Wäschewaschen drüber streitet, wer von ihnen in den bislang unerkundeten Westen segeln darf, um zu gucken, ob England wirklich existiert – (naja, okay, und um ein Kloster auszuplündern und Mönche niederzumetzeln) – und wer zu Hause bleiben und auf die Kinder aufpassen muss, nun, dann ist das ja ein durchaus zeitloses Problem, das nicht die Wikinger recht modern wirken lassen sollte, sondern unsere Gesellschaft heute ganz schön antiquiert. So haben Eltern in Vikings zum Beispiel ihre Kinder bei Regierungsgeschäften einfach dabei, was bei uns undenkbar ist und als unprofessionell gilt, siehe z.B. den Verweis einer Abgeordneten mit Baby aus dem Thüringer Landtag vor ein paar Tagen, In Vikings wurde das Problem dann im Verlauf der Handlung übrigens ganz praktisch gelöst: beim ersten Überfall auf Northumbria entführt Ragnar einen Mönch als Sklaven, der dann bei der nächsten Reise auf die Kinder aufpasst, so dass Lagertha mit auf Plünder- und Metzeltour gehen kann. Muss man jetzt nicht heute genauso machen, aber: Chapeau! ^^

Ich hatte leider irgendwann das Gefühl, dass die Serie mit dem Fortschreiten etwas konservativer wurde, und mehr auf Intrigen, Machtspiele und teils überzogene Grausamkeit gesetzt wird, um den Spannungsbogen zu halten – wie es bei ähnlichen Serien, von Westworld bis Game Of Thrones, auch so gehandhabt wird, und was ich auf Dauer ermüdend finde, weil es erzählerisch so banal und unkreativ ist. Wo Ragnar und Lagertha noch eher in Situationen schlitterten, in denen sie sich eine höhere Machtposition erkämpften, weil sich wehren mussten, geht es später dann doch oft mehr um Macht und einen nicht-endenen Rachekreislauf. Wobei das auch an den später dazukommenden Hauptcharakteren liegt. Ausnahmen bilden vielleicht noch Bjorn, der Sohn Lagerthas und Ragnars, der quasi die Neugier seines Vaters geerbt hat, und weiter die Welt erkundet, bis nach Sizilien und Nordafrika. Und Floki – auch eine ganz wunderbare Figur, sehr gespalten und gequält, aber auch voller Witz und Liebe, und: bester Schminkstyle! Aber die Handlungsstränge und auch manche Twists werden in den späteren Staffeln nicht mehr so gut eingewoben in den Rest der Geschichte – z.B. wird aus King Ecberts letztem großen Trick nicht wirklich was gemacht – und die Charakterentwicklung bekommt nicht mehr so viel Zeit, Judiths Söhne z.B. bleiben doch recht grob typisiert, und auch Ivar hätte mehr Tiefenschärfe verdient. Aber dennoch eine immer noch überdurchschnittlich gute Serie und ich bin gespannt auf den 28.11.18, wenn die nächste Staffel rauskommt.

Sexarbeit in TV Serien – Deadwood, Firefly und True Blood

btw-sexarbeitIn einem Text zum neuen Beyoncé Album schreibt die britische Feministin Laurie Penny im New Statesman:

 

“Mehr als alles andere ist Beyoncé eine Künstlerin des Marktes. Sie würde niemals ein Album veröffentlichen, für das ihr Publikum nicht in maßgeblicher Weise bereit ist, und die Mainstreamwelt, die Dance Pop hört, war hierfür bereit. Sie war bereit für ein Album über Feminismus und sexuelles Selbstvertrauen und eine Sorte Mitgefühl, dass dich auf deine Füße reißt und dich anfangen lässt Schönheitskultur zu kritisieren und dann durch die Straßen zu ziehen und Polizeiautos anzuzünden in einer irrsinnig glamourösen Version des Black Blocks.” (Übersetzung von mir)

Dass der Pop-Mainstream nichts herausbringt, von dem er nicht zu wissen glaubt, dass die breite Masse dafür bereit ist, lässt sich gewiss auch von der Welt der Fernsehserien auf HBO oder Fox sagen. Aus diesem Gedanken heraus fand ich es auch interessant, für die ‘Sexarbeit’-themed Dezembersendung von ‘Gender. So What?’ auf Radio Z ein Pop-Thema zu wählen, nämlich sich die Darstellung von Sexarbeit in ein paar TV-Serien ein bisschen näher anzugucken. (Das hier ist die Textversion des Radiobeitrags.) Dafür möchte ich zwei Bälle aufnehmen, die von der Frankfurter Allgemeinen und dem Missy Magazine aufgeschlagen wurden: Sexarbeit in ‘Deadwood’ und ‘Firefly’.

In der FAZ stellt Volker Zastrow seinen Standpunkt klar: “Prostitution ist ein anachronistischer Überrest der Unterdrückung von Frauen. Sie ist Missbrauch, dem man nicht zu Leibe rücken kann, indem man ihn umtextet, rhetorisch normalisiert.” Zur Verbildlichung zieht er die HBO-Serie ‘DEADWOOD’ heran.

Es ist die Geschichte der Goldgräberstadt Deadwood in den 1870er Jahren, als es vom Goldgräbercamp zur Stadt wuchs. Die Hauptidee der Serie ist laut Produzent David Milch das Entstehen einer Gesellschaft aus dem Chaos heraus indem sie sich um ein Symbol herum (in der Serie ist das das Gold) organisiert. Darum werden verschiedene Themen, neben Prostitution und Frauenfeindlichkeit auch Einwanderung, Rassenhass, Drogen und die Entstehung des amerikanischen Kapitalismus angerissen. Es ist eine Western-Serie, die recht unverschönt Geschichte aus der Perspektive von Losern schreibt, voller Dreck und Gewalt.

Zu den Verliererinnen dieser Ära gehören die Prostituierten, die zentrale Rollen in der Serie einnehmen. Sie sind nicht die strahlenden Federboaschönheiten, die wir aus traditionellen Western kennen, sondern sind schmutzige, gelangweilte Frauen, denen Gewalt widerfahren ist und die wissen, dass ihnen weiterhin jederzeit Gewalt zugefügt werden kann. Keine Spur von Glamour, keine Spur von freiwillig gewähltem Job, nein, eher eine Geworfenheit in ein Schicksal, das durch die Position in der Gesellschaft quasi vorgezeichnet ist. Die Frauen des Gem, eines der Deadwood Bordelle, wurden von dessen Besitzer aus einem Waisenhaus abgekauft, in dem er selbst als Sohn einer Prostituierten aufgewachsen war. Mit Joanie und Trixie gibt es gleich mehrere Sexarbeiterinnenfiguren, die als eigenständige Charaktere in Deadwood tragende Rollen einnehmen. Es gibt Selbstermächtigungsversuche, aber Joanies Versuch ein eigenes Bordell aufzumachen scheitert ebenso wie Trixies Schritt in einen Job jenseits der Sexarbeit. In der FAZ hält es Sarkow für ein Argument, dass sich in der Rezeption der Serie über die Rollen der Frauen aufgeregt wurde:

“Es wurde ja nicht nur die Entrechtung von Frauen in Szene gesetzt, sondern auch die von Chinesen, Schwarzen, von Behinderten, von Grubenarbeitern. Niemand in Deadwood ist vor Gewalt sicher, die Ermordeten, denen man kein Begräbnis gönnt, werden den Schweinen zum Fraß vorgeworfen, die Verbrechen bleiben ungesühnt. Auch darüber hätte man sich aufregen können. Tat aber keiner. Vielleicht, weil es vorbei ist. Die Unterdrückten sind frei. Die Menschenrechte sind garantiert. Es gibt diese Greuel nicht mehr. Bis auf die Prostitution.”

Davon abgesehen, dass ich das insgesamt für etwas naiv halte, weil ‘Prostitution’ in der Form von Menschenhandel und Vergewaltigung gewiss nicht das einzige in Deadwood angerissene Greuel ist, dass noch gibt, ist mir wichtig, dass er bei all seiner Aufregung über Prostitution als unmoralischer frauenfeindlicher Akt per se die Selbstermächtigungsakte der beiden von mir erwähnten Figuren übersieht. Es lässt sich durchaus sagen, dass Sexarbeit, der Frauen selbstbestimmt nachgehen, in Deadwood in Form eines von Frauen selbstgeführten selbstgewählten Bordells durchaus als möglicher positiver Ausweg vorgestellt wird. Ein Ausweg der aber – und darin, das in aller Brutalität auszuführen ist DEADWOOD wirklich großartig – ein Ausweg, der aber nicht funktionieren kann, solange die Ideologie und die herrschenden Verhältnisse der Gesellschaft sich nicht ändern. Das ist nämlich er eigentliche Punkt, der bei DEADWOOD gemacht wird: Nicht, dass Sexarbeit ausschließlich Menschenhandel und Vergewaltigung bedeutet, sondern dass selbstbestimmte Sexarbeit an der Form der Gesellschaft wie sie in DEADWOOD dargestellt wird, nicht möglich ist.

Die Redaktion des Missy Magazine hatte die schlagfertige Idee in einem Gegenartikel zu Zastrow eine andere TV Serie wegen ihrer Darstellung der Sexarbeit heranzuziehen: FIREFLY.

FIREFLY spielt in der Zukunft, 2517 um genau zu sein, und es ist ein Space Western, eine Science Fiction Utopie, in der ganz pioniersmäßig die Menschen ein neues Sternensystem besiedeln. Die Hauptfiguren stehen auf der VerliererInnenseite eines Bürgerkriegs, und führen ein Leben außerhalb der Gesellschaft, die aus der Allianz besteht, einer Supermacht, die westliche und fernöstliche Kultur vereint. Sie überleben mit Schmuggeldiensten auf einem Raumschiff namens Serenity, dass der Firefly-Klasse angehört – daher der Serienname. In dieser Serie gibt es eine Figur die sowas wie eine ideale Form der Sexarbeit praktiziert: Inara Serra, ein ‘Companion’. Die Missy schreibt:

Warum wurde „Firefly” damals als feministische Serie gefeiert? Schließlich zeigte Joss Whedon Frauen darin nicht nur als Wissenschaftlerinnen oder Waffenspezialistinnen, sondern auch als Prostituierte. Vielleicht lag es daran, dass die „Companions”, wie SexarbeiterInnen in „Firefly” heißen, keine unterdrückten und misshandelten Frauen waren. Sondern angesehene hochausgebildete Expertinnen, die unter anderem auch in Schwertkampf, Kalligraphie und Psychologie glänzen mussten. Die die Regeln ihrer Arbeit selbst bestimmten – etwa, welche Klienten sie annehmen wollten. Prostitution, wie sie auf der vormaligen Erde existierte, war längst abgeschafft, ersetzt von der staatlich anerkannten „Companion’s Guild”, die ihre eigenen Regeln schuf. So durfte kein Haus je von einem Mann geleitet werden, die Ausbildung in den einzelnen Häusern war umfassend geregelt und beinhaltete Tanz und musische Bildung ebenso wie akademische Fächer. Frauen wie Männer wurden hier ausgebildet, Frauen wie Männer bedienten KlientInnen beiden Geschlechts. Wer ein Mitglied der Gilde je respektlos behandelte, wurde für immer auf eine schwarze Liste gesetzt und könnte nie wieder die Dienste einer Companion in Anspruch nehmen.

So lässt sich über FIREFLY festhalten, dass hier eine Form der Sexarbeit in einer zukünftigen ‘besseren’ Gesellschaft entworfen wird, die das Argument von GegnerInnen, dass Prostitution immer frauenfeindlich und menschenunwürdig sei, entkräftet und damit auch die Trennung zwischen Menschenhandel und Sexarbeit in ihrer Wichtigkeit unterstreicht.

Ich möchte noch ein drittes Beispiel nennen, wie Sexarbeit in einer aktuellen TV Serie dargestellt wird, und zwar in TRUE BLOOD, einer Serie in der Vampire sich durch Massenproduktion von künstlich hergestelltem Menschenblut outen können und für ihre Gleichberechtigung als Teil der Gesellschaft eintreten. In der Rezeption wird das gern als Anspielung auf den Kampf um LGBT*-Rechte gesehen, nicht zuletzt weil die Serie auch Wortspiele aus dem LGBT*-Kontext verwendet, z.B. wird dort aus dem christlich-homophoben ‘God Hates Fags'(‘Gott hasst Schwuchteln’)-Spruch hier ‘God Hates Fangs’ (‘Gott hast Fangzähne’) wird, oder ‘breeder’ (Brüter als Ausdruck für Heteros) zu ‘breather’ (also: die Atmenden).

Ein Vampir, die im Laufe der Serie von einer Neben- zu einer Hauptfigur wird, ist Pam, Pamela Swynford De Beaufort. Bevor sie zum Vampir wurde, war sie Mitte des 18. Jahrhunderts Bordellchefin in San Francisco. Im Gegensatz zu den Menschen in DEADWOOD, denen kein Ausweg aus ihren Klassen und kaum einer aus ihren Geschlechterrollen möglich ist, kam Pam nicht aus einer Zwangslage heraus zur Sexarbeit. Im Gegenteil: Pam wuchs als Kind wohlhabender Eltern auf und langweilte sich in der höheren Gesellschaft. Sie hatte zahllose Affären, und als bisexuelle Femme die ihre Sexualität frei und ungehemmt ausleben wollte, führte ihr Weg zwangsweise aus der lustfeindlichen höheren Gesellschaft hinaus. Sie wurde Bordellchefin. Auch ihre Entscheidung Vampir zu werden war selbstbestimmt: Sie schlitzte sich die Pulsadern auf und stellte damit einen Vampir, mit dem sie eine Freundschaft verband, vor die Wahl sie sterben zu lassen oder zum Vampir zu machen. In ihrem Vampirleben lernen wir sie in der quasi-Gegenwart dann als Besitzerin von Fangtasia kennen, eines Nachtclubs, einem erotisch-aufgeladenen Treffpunkt für Vampire und Menschen, die sich zu Vampiren hingezogen fühlen: ‘Fangbangers’, wie sie moralisch abwertend von der konservativeren Bevölkerung genannt werden.

Ein weiterer Charakter in True Blood bedient sich zeitweise der Sexarbeit: LaFayette, schwuler Koch, Medium und Drogendealer, verdient nebenbei auch noch durch Sex und eine Sexcam-Website Geld, mit dem er u.a. für die Kosten der Klinik für seine Mutter aufkommt. Die Droge, die er vercheckt, ist Vampirblut, das Menschen in kleinen Dosen high macht, und das er im Tausch gegen sexuelle Dienste von einem Vampir bekommt. Wie Pam im 18. Jahrhundert als Frau, die ihre Sexualität offen auslebt, zur gesellschaftlichen Außenseiterin wird, wird LaFayette es in einer Südstaaten-Kleinstadt der Gegenwart durch seine offen ausgelebte Homosexualität. Beide sind also schon bevor sie zur Sexarbeit kommen gesellschaftliche Outlaws, wodurch sich beide aber keineswegs in eine Opferrolle drängen lassen, sondern der Stigmatisierung durch die Gesellschaft eher ein “Fuck You” entgegenwerfen. Sie werden beide als starke charismatische und leidenschaftliche Charaktere skizziert, sowohl was das selbstbewusste Ausleben ihrer Sexualität anbelangt, als auch das Eintreten für Menschen, die ihnen nahestehen; und beide zeichnen sich durch eine großartige Prise schlagfertigen schwarzen Humors aus. Die Sexarbeit wird hier als freiwillig eingegangener Handel dargestellt, bei dem sie selbstbestimmt agieren und selbst entscheiden mit wem sie was tun.

Soweit diese kurz angerissenen drei Beispiele, in denen sich bei genauerer Betrachtung verschiedene Ansätze zur Verbesserung oder Idealvorstellungen davon finden, wie die Bedingungen für Sexarbeit aussehen könnten oder was falsch läuft. Bei Deadwood, in einer historischen Annäherung, scheitern die Ansätze an den brutalen patriarchalisch-kapitalistischen Verhältnissen. Bei Firefly, in einer Zukunft in einer anderen Galaxie, bekommen wir utopische gesellschaftliche Verhältnisse vorgestellt, in denen Sexarbeit sogar als relativ hoch angesehener Job gilt, der nicht nur auf die sexuell-körperliche Ebene reduziert wird, sondern zu dem auch eine psychologisch-betreuende Ebene gehört. Bei True Blood, in einer parallelen Fantasy-Gegenwart bekommen wir die Sexarbeit als etwas präsentiert, das selbstbestimmt ausgeübt werden kann. Das Problem kann hier eher in der Stigmatisierung des Auslebens von nicht-heteronormativen Sexualvorstellungen gesehen werden, das die Betroffenen gesellschaftlich ausgrenzt und dadurch automatisch in die Nähe eines kriminalisierten Milieus rückt.

Abschließend möchte ich noch einen Punkt ansprechen, an dem sich die derzeitige Diskussion um Sexarbeit gern aufhängt: Die Frage nach der Freiwilligkeit, der freien Wahl als Kriterium. Diese hat in unseren drei Beispielen nur die Sexarbeiterin der Zukunft in einem utopischen Gesellschaftsentwurf. Deadwood zeigt letztlich wie nicht nur die Sexarbeiterinnen, sondern alle Menschen in einem hyper-patriarchal-kapitalistischen Umfeld Zwängen unterworfen sind, denen sie nicht entkommen. True Blood gibt uns Figuren, die durch ihre Sexualität bereits von den Moralvorstellungen der Gesellschaft in ein Außenseiterdasein gedrängt wurden, von dem aus der Schritt zur Sexarbeit kein großer mehr war. In keinem der Fälle träge ein Sexarbeits-Verbot zu einer Verbesserung der Situation der Betroffenen bei. In allen Fällen wird das deutlich, was wir bei der aktuellen Diskussion um die Sexarbeit nicht vergessen sollten: Die ‘freie’ Wahl gibt es nicht, sie ist immer an sozio-ökonomische Bedingungen gekoppelt. Diese sozio-ökonomischem Bedingungen zu verbessern sollte also, wenn wir uns auf den Weg zu einer Utopie machen wollen, statt einer partiellen Verbotskultur unser großes Anliegen sein.