Habe Superbusen von Paula Irmschler angehört

Es ist so ein typisches Buch, bei dem dieses Sternevergeben-System überhaupt nicht funktioniert und ich mich frage, wofür genau eigentlich diese Sterne immer stehen und ich dann einfach 4 von 5 gebe, aber mit so einer herumfuchtelnden Geste, damit klar ist, dass ich halt auch nicht weiß. Literarisch ist es nicht sehr anspruchsvoll, zugegeben. Es ist noch dazu einer dieser Alltagsgeschichtenromane, die ich eigentlich nicht mehr sehen kann, und doch: Paula Irmschler setzt mittenrein dann immer wieder diese speziellen Momente, die etwas wunderbar auf den Punkt bringen, Leben im Osten, zu dem man nicht mehr Osten sagt, Momente, die lustvoll kritisieren oder schwärmen, oder einfach berühren, ein Anvertrauen des privaten Nichtsorichtigfunktionierens in der kapitalistischen Gesellschaft, ein Auskotzen über Alltagsdiskriminierung oder Nazis oder Karneval, das einfach gut zu hören tut, und das sie in ihrer ganz eigenen Stimme schreibt, einer trotzigen Stimme, mal ganz weich, dann wieder tough as hell, die auf ihrem Platz beharrt, und ihr soll bloß keiner kommen und sie als nicht bildungsbürgerlich genug oder nicht lustig genug oder nicht hip genug bezeichnen, denn als “nicht genug” werden Frauen eh immer bezeichnet, und wenns niemand anders tut, dann tun sies selber, um sie und sich klein zu halten. Ich mag, dass dieses Buch, gerade als Audiobuch, wie die Erzählung einer Freundin daherkommt, bisschen konfus, und dann doch wieder mit einem guten Erzählbogen, und dann wirste ungeduldig, weil sie etwas ausschweift, aber du magst einfach dass die Joggers dieses Erzählens einen Flecken haben und es sich auch nicht extra schminkt, bevor es in den Supermarkt geht und es ihm eh voll egal wäre, wenn ihr das Buch nicht so genießen würdet wie ich es tat.

Die unsichtbare Arbeit des Sichtbarmachens

Zuerst erschienen im Rollator Magazin der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg

Wenn ich den Begriff “Diversität” höre, stellen sich mir meist schaudernd die Nackenhärchen hoch. Zu oft wird er für Solutionismus verwendet, der agiert, als ließe sich Diversität ganz einfach über Institutionen und Firmen stülpen, indem ein paar Kurse gebucht werden, zu allen Gedenktagen für marginalisierte Gesellschaftsgruppen ein Insta-Posting gemacht wird, ein paar Quotenfrauen und -People of Colour in niedrigen Positionen angestellt werden, die für PR Fotos des Teams genutzt werden können. Diversity wird dabei als Repräsentation von Vielfalt missverstanden, die es globuli-like versäumt, wirklich an monokulturellen Strukturen zu rütteln. Als Problem gilt in diesem Fall letztlich nicht die Ungleichheit und Exklusion an sich, sondern nur dass sie nicht zum Bild moderner Urbanität passen, das man ausstrahlen möchte.

Diversität ist aber, muss ich zugestehen, auch nicht der schlechteste Schirmbegriff für große Teile des Aktivismus, der mich umtreibt. Ich komme nicht aus der Institutions- oder Unternehmenskultur, sondern aus dem, was zwischen Bezeichnungen wie Subkultur, Alternativkultur oder Soziokultur oszilliert. Ich wurde groß in einer Zeit, in der in Nürnberg der Geist der Soziokultur wehte und die südliche Innenstadt von KOMM, Hemdendienst und LGA geprägt waren, die mir mit einem wilden Gebräu von Punk, Theater, Jazz, Ausstellungen, Performances und niedrigpreisigen Treffpunkten ohne Verzehrzwang den Kopf verdrehten, wo mein schmaler Geldbeutel mir sonst so einen Zugang zu Kultur versperrt hätte. Es dauerte, bis ich mir dessen bewusst wurde, wie elementar für dieses wunderbare Chaos, in dem Trash und Kunst sich gegenseitig inspirierten, die Handarbeit war: Die Vielfalt entstand dadurch, dass hier viele Menschen verschiedener Backgrounds mit Hand anlegten, um diese Orte am Laufen zu halten und mit Programm zu füllen. Der Non-Profit-Geist schuf Raum zum Experimentieren. Solche Vielfalt lässt sich nicht von einer Hand und auch nicht in hierarchischen Systemen kuratieren.

Für mich war es lange Zeit unvorstellbar, dass ich bei so etwas aktiv mitmachen könnte. Erst Ende der 90er, als die LGA erst nach St. Peter (LGB), dann in den Z-Bau verlegt wurde und einschlief, der Hemdendienst seine wackere Zwischennutzodyssee durch die Stadt antrat, und das KOMM gerade zum K4 gezähmt werden sollte, fragte mich ein (schwuler) Freund, der schon länger beim Musikverein dabei war, ob ich mich nicht auch engagieren wolle, et voilà: Ich war dort (als Akteurin) gelandet, wo mir mein Vater verboten hatte, auch nur als Gast hinzugehen. Es war und ist für mich nach wie vor ein unglaublich empowerndes Gefühl, die Kultur der Stadt, in der ich lebe, und einen sozialen Ort mitgestalten zu können.

Die Kollektivstruktur ist ein Exoskeleton, dass dich bei der Umsetzung von Ideen stärkt, und gleichzeitig ein lebender, sich mit neu dazukommenden und ausscheidenden Menschen stets verändernder Organismus, der sozial herausfordert und mit dem du dich stets auseinandersetzen musst, bevor du etwas tun kannst. Das erdet und das verändert eine auch selbst. Mir hat es viel Konfliktscheuheit genommen, andere Perspektiven eröffnet und Lust an Debatte und Dazulernen gegeben.

Die Kollektivstruktur ist ein Exoskeleton, dass dich bei der Umsetzung von Ideen stärkt, und gleichzeitig ein lebender, sich mit neu dazukommenden und ausscheidenden Menschen stets verändernder Organismus, der sozial herausfordert und mit dem du dich stets auseinandersetzen musst, bevor du etwas tun kannst. Das erdet und das verändert dich auch selbst.

Wie vielen anderen wurde auch mir im Laufe der Jahre als Veranstalter*in und Künstler*in zunehmend unangenehm bewusst, dass, egal wie divers das Programm dieser Szene – was Genres und Formen anbelangte – auch sein mochte, alles doch arg von weißen able-bodied heterosexuellen cis-Männern dominiert war. Menschen, die nicht irgendwas davon erfüllten, waren kaum präsent, und – wenn sie es waren – oft assimiliert. Das ist kein besonderes Phänomen, sondern bei marginalisierten Menschen weit verbreitet: Angetrieben vom schlichten Wunsch dazuzugehören und als gleich behandelt zu werden, passen wir uns an: in Kleidung. Verhalten, Sprache, Mitlachen bei diskriminierenden Scherzen als seien wir nicht mitgemeint. Bei Queers gibt es für dieses Assimilieren den Ausdruck “straight-passing”, bei Feminist*innen “one of the guys” oder auch “Cool Girl.” Wenn ich einen Moment auswählen müsste, an dem ich das nicht mehr nur diskutierte, sondern aktiv wurde, passt vielleicht dieser: 2013 setzte ich mich hin, und zählte wieviel Frauen und Männer in einem Jahr bei uns auf der Bühne standen (86% m / 14% f waren es damals, und als ich das letzte Mal 2017 zählte, waren wir dann immerhin bei 70% m / 30 f). Das brachte ich auf einer Jahreshauptversammlung ein, und diese niederschmetternde Sichtbarkeit trieb uns dann endlich mal zu konkreten Diskussionen darüber, was wir ändern wollen.

Wir entschieden uns gegen die Einführung einer Quote, weil wir in erster Linie durch ein Interesse an Musik zur ehrenamtlichen Arbeit kamen, und ein Zwang zur Quote die Lust daran verderben könnte. Dazu kam, dass die Bookingangebote zu dieser Zeit auch noch so männlich dominiert waren, dass es gar nicht so einfach war, anders zu buchen. Das ist heute schon ein bisschen besser geworden. Da unser Fokus auf internationalen Bands lag, waren wir auf das Angebot von Touren angewiesen. Bei elektronischen Live Acts ist es einfacher, aber auch teurer, diverser zu buchen: Hier hat sich als Standard etabliert, dass die Künstler*innen für einzelne Gigs einfliegen. Was ich mit zunehmendem Umweltbewusstsein dann allerdings auch kritischer sah. Und Nürnberg ist musikalisch recht konservativ: Was der Bauer nicht kennt usw. Viele sind deswegen schon frustriert weggezogen oder haben das Veranstalten aufgehört. So oder so: Etwas gegen den Strom der Norm zu tun ist immer mehr Aufwand und Risiko. Um Veränderung anzustoßen bedarf es, kreativ und hartnäckig zu bleiben, egal wie anstrengend es ist. Es kann auch Beziehungen kosten, wenn du dich unbeliebt machst, weil du andere Veranstalter*innen oder Bookingagenturen ansprichst, ob es ihnen nicht peinlich ist, 2020 noch ein fast durchgehend männlich besetztes Programm zu haben. Die Geschlechtereinseitigkeit ist der Punkt, wo du wenigstens einen Fuß in die Tür kriegst, aber es ist natürlich nur ein Babystep in Richtung eines wirklich diversen kulturellen Miteinanders.

Ausnahmeerlebnis was die Offenheit Nürnbergs für Neues angeht, war für mich meine Queer Underground Partyreihe “Orchid”. Eine Party für ein Nischenpublikum und auch mit einiger Nischenmusik, die aber seit vielen Jahren gut läuft und für mich ein wichtiges Stück kreativen Experimentierens wurde: Das Kratzen am heteronormativen Normalzustand mit provokativen und glamourösen Elementen durch Plakat-Artwork, Dekoration und Musik. Entstanden ist sie, weil ich nach ein paar DJ-Gastauftritten auf Queer Nights in Berlin und Leipzig schlicht frustriert war, dass in Nürnberg alles queere Feiern so unglaublich bieder und mainstreamig war. Deswegen hatte ich auch nie Zugang zur Queerszene hier gefunden. Da Orchid so gut lief und ich selbst auf eine Gage dafür verzichte, konnte ich guten Gewissens darüber das Programm des Musikvereins um einige Auftritte queerer und schwarzer Künstler*innen erweitern, auch wenn es dafür in dieser Stadt nicht viel Publikum gab. Ohne den Rahmen des Kollektivs und ohne ehrenamtliches Engagement wäre das in dieser Stadt aber nach wie vor nicht möglich, also: nicht finanzierbar. Das mussten wir auch mal wieder erkennen, als wir zu unserem 40. Jubiläum ein zweitägiges Festival mit internationalem und lokalem weiblich dominiertem Programm auf die Beine stellten: Richtig überlaufen war das nicht… Oh Nürnberg!

Natürlich gäbe es bestimmt special Fördertöpfe für diverseres Booking, aber ich halte diese Bürokratisierung der Kulturarbeit für das Allerletzte. Projektbezogene Förderung ist ein Rahmen, der mir die Luft zum kreativen Atmen raubt und die Freiheit, Lust und Spontaneität, die für mich dazu gehört, wenn ich divers Kultur gestalten will.

Ein weiteres Anliegen von mir, um das Nachtleben inklusiver zu gestalten, war, sich gegen die Selbstverständlichkeit von Angrapschen und Belästigungen etwas einfallen zu lassen. 2016 taten wir das in Form von “Reclaim The Night”, einer dreigliedrigen Aktion gegen Übergriffe im Nachtleben: Bei Partynächten strahlten wir Visuals mit Slogans auf der Straße vor unserem Club, die auch Vorbeilaufende erreichten und eine Auseinandersetzung mit dem Thema anregen und unsere Nulltoleranzpolitik Übergriffen und Diskriminierung gegenüber vermitteln sollten. Der zweite Teil war ein Runder Tisch mit anderen Veranstalter*innen zum internen Austausch, sowohl um Bewusstsein für das Problem zu schaffen als auch jenseits von Öffentlichkeit eine Möglichkeit zu geben, sich dazu auszutauschen. Und für mich besonders wichtig: Ein Abend für Gäste/Betroffene, “Reclaim the Night Lounge – Let’s make our spaces safe together,” mit einem Impulsvortrag, der in eine offene Gesprächsrunde einleitete, und den ich später zu einem Vortrag zu Ansätzen für Veranstalter*innen, Betroffene und Allies ausbaute und online verfügbar machte und auch an anderen Orten hielt. Offenen Erfahrungs- und Wissensaustausch jenseits von Workshops hinter verschlossenen Türen halte ich nach wie vor für sehr wichtig, um solche Themen in ihrer Breite anzugehen.

Was ich mit diesen Beispielen deutlich machen will, ist, dass es nicht nur einen Weg gibt, zu Diversität zu gelangen, und dass es nicht immer ernst, sachte und betroffen dabei zugehen muss, sondern ein lustvolles community-inspiriertes und hoffentlich auch community-inspirierendes kreatives Herangehen ein ebenso wirkmächtiger Ansatz sein kann.

Es gibt nicht nur einen Weg, zu Diversität zu gelangen, und es muss dabei nicht immer ernst, sachte und betroffen zugehen, sondern ein lustvolles community-inspiriertes und hoffentlich auch community-inspirierendes kreatives Herangehen kann ein ebenso wirkmächtiger Ansatz sein.

Hier noch ein paar Fetzen geballter Tipps oder Erfahrungswerte: Es hat sich längst gezeigt, dass klassische Diversity-Schulungen kaum Spuren hinterlassen, im Gegenteil sogar Vorurteile und damit auch Ausschlussstrukturen verstärken können, weil sie — vor allem auf weiße Männer – bedrohlich wirken können, und sich oft nur formal gebeugt wird, während es unter der Haube brodelt. Viel effektiver ist es, wenn Menschen mit verschiedenen Backgrounds miteinander zu tun haben, sich auszutauschen, und auch wenn Menschen, die eigentlich erst mal nicht so viel mit dem Thema zu tun haben wollen, verantwortlich eingebunden und positiv bestärkt werden.

Als Veranstaltende sollten die Entscheidungen, wem ein Podium gewährt wird und wem nicht, ruhig radikal sein, da sie Signalwirkung haben können. Ein Austausch darüber, dass, was beim Kuratieren als Fokus auf den “rein künstlerischen Wert” gilt, oft nur verschleiert, was an weißem Männernetworking dahinter (mit-)wirkt. Ein Austausch über Strukturen und ein systemischeres Denken helfen.

Zugänglichkeit für marginalisierte Menschen braucht oft explizite Ermunterung, braucht das Signal, das sie/wir dazugehören können und ernstgenommen werden. Repräsentation hilft da schon auch, aber gewiss nicht als einziger Faktor.

Eine positive Fehlerkultur ist dagegen Gold wert: Nicht nachtragend sein, Fehler als Dazulernen sehen, sich zum Weitermachen ermutigen. Richtlinien machen Sinn zur Orientierung, aber sollten nicht zum strikten Regelwerk erstarren: spezifische Situationen und Kontexte verdienen immer wieder neue Einordnung und aus Diskussionen darüber kann gelernt werden. “Diversity” lieber als Inklusion und Dazugehören und Community denken, um sich der Art des Umdenkens bewusst zu sein, das nötig ist, um zu einer vielfältigen Teilhabe zu gelangen.

Diversity ist nicht nur wichtig, weil es so einen sexy internationalistischen Vibe hat, sondern sie gehört zu einem grundsätzlichen Anliegen für ein besseres Leben für alle. Das ist mir so selbstverständlich, dass ich es lange nicht als explizites Engagement wahrgenommen habe, und so geht es, denke ich, vielen, die solche Arbeit machen, weil sie selbst noch das Gefühl kennen, unterschätzt und ausgeschlossen zu sein. Man ordnet es nicht als Arbeit ein, egal wie viel Zeit für Gespräche, das Eruieren von Problemen, Zuhören, Debattieren und Bildung geopfert wird.

Inzwischen habe ich gelernt, es als Arbeit zu verstehen, als sinnvoll und tragend, und ordne es der Care Work zu – all der gern unsichtbar gemachten Arbeit, die den Laden zusammenhält, aber nicht in Effizienz oder Produktivität gemessen werden kann, und von der ein großer Teil unbezahlt oder schlechtbezahlt von Frauen und noch Marginalisierteren geleistet wird.

Statt individualisierendem Solutionismus in Form von Startups und Workshop- und Konferenz-Industrie wäre die Eingliederung in die politische Forderung nach einer Care Revolution sinnvoll: Danach, das gesamte ökonomische Denken um den Sektor unsichtbarer Sorgearbeit zu erweitern. Dazu gehört erst mal das Sichtbarmachen und Anerkennen solcher Arbeit in allen gesellschaftlichen Strukturen, und dann ihre Wertschätzung in Form sozialer Absicherung. Nur wenn Respekt für diese Art von Arbeit zu einem neuen Status Quo wird, statt dass sie nur als Zuckerl obendrauf abgetan wird, lässt sich tatsächlich diversere Teilhabe realisieren.

Das bisschen Totschlag

“Heftiger Übergriff in der Bremer Straßenbahn: Ein Minderjähriger soll eine Transfrau beleidigt, geschlagen und schwer verletzt haben. Rund 15 Jugendliche feuerten ihn an.” (Spiegel, 05.09.22)

“Das bisschen Totschlag bringt uns nicht gleich um
sagt mein Mann ich kann den ganzen Scheiss einfach nicht mehr hörn
sagt mein Mann ist ja gut jetzt alte haut wir ham schon schlimmeres
gesehn und ich sag noch ‘Lass uns endlich mal zur tagesordnung übergehn'” (Die Goldenen Zitronen)

Erst schüren rechte und TERF-Hetzer*innen über Monate hinweg Hass auf und Angst vor trans Leuten als potenzielle Vergewaltiger und Kindesmissbraucher (genau so wie vor 50 Jahren noch Homosexuelle dämonisiert wurden), BILD und EMMA (aber auch Jungle World war früh dabei, warum ich und eine Handvoll anderer auch nicht (mehr) dafür schreiben) und das Feuilleton fast aller großen Zeitungen hierzulande macht mit. Und viele, auch in meinem Bekanntenkreis, die sich gern so sehen, als stünden sie für eine vielfältige Gesellschaft, glauben nur allzugerne jedes Gerücht, jede Lüge, jede Übertreibung, die als Propaganda gestreut wird, aber auch Wahrheiten, die an ihrem bürgerlich-binärem Heterodasein rütteln, und nicken brav mit: “Jaja, das geht ja echt zu weit langsam, die übertreiben ja echt, diese Genderverrückten!”

Jetzt, wo der Täter in Maltes Fall als nicht einer der “ihren,” als nicht “deutsch genug” um dazuzugehören, enthüllt ist, versuchen sich diesselben großen HetzerInnen plötzlich als Allies darzustellen, die alle LGBTIQA*s vor “Islamisten” schützen würden, und sie schüren auf allen Kanälen von Social Media bis hin zu großen Tageszeitungen fleißig rassistische Ressentiments gegen alle, die als islamistisch wahrgenommen werden können. Es ist so perfide.

Diesen elenden rechten Edgelord-Influencern geht es letztlich nur darum, Hebel an Schwachstellen anzusetzen, wo sich sonst gesellschaftliche Solidarität bildet oder bilden könnte. Keile hineinzutreiben, die immer wieder ein paar abgesprengte Leute mehr in ihren Dunstkreis ziehen könnten. Um Logik und Konsequenz muss es ihnen nicht gehen: sie sprechen das Bauchgefühl an. Das Bauchgefühl derer, die sich missverstanden und zu kurz gekommen fühlen und bereit sind, nach unten zu treten. Es geht auch nicht darum, etwas aufzubauen, es wird zusammengerottet. Es geht letztlich darum Disruption zu säen, gesellschaftszersetzend zu wirken, denn je mehr Krise und Chaos, desto stärker die Sehnsucht vieler nach Autoritätsherrschaft und harten Abgrenzungen. So ist es völlig nachvollziehbar, warum es funktioniert, am einen Tag noch trans Menschen ihre Existenz absprechen zu wollen oder sie für krank zu erklären, und sich am nächsten Tag als ihre Beschützer hinzustellen: Es geht nicht darum für was man ist, es geht nur darum, unermüdlich neue ‘Schuldige’ zu finden, gegen die es sich zusammenschließen lässt und es erschüttert mich immer wieder, wer alles darauf einsteigt.

Und mittenrein in dieses Umschwenken ihrer Taktik, kommt die Nachricht von dieser neuen Gewaltattacke gegen eine trans Frau in Bremen und wieder kann ich nur wütend sagen: Alle, die sich bei der Dämonisierung, Stigmatisierung, Pathologisierung von trans Menschen, ja, letztlich von allen LGBT*s, von allen Queers, von Gender Studies, von progressiven, inklusiven Feminist*innen beteiligen und diese rechte Hetze aufnehmen und weiterverbreiten: Ihr habt das gesellschaftliche Klima mitgeschaffen, in dem solche Taten möglich sind, in dem sich eine Menschenmenge so reinsteigert in Hass und Zerstörungswillen.

Mit jedem Scheißposting auf Faci oder Insta, mit jedem Tweet oder Kommentar, der sich beschwert, weil Transmänner nicht “Mutter” genannt werden wollen sondern “Vater”, oder dass sich über nichtbinäre Genderkonzepte lustig macht, oder findet, dass Kindern keine queeren Themen zugemutet werden sollten, zu ihrem Schutz – WTF?! Schutz vor was? Vielleicht würden sich dann ein paar weniger queere Teenager umbringen oder an Depressionen leiden? Vielleicht würden dann ja Jugendliche gar nicht erst auf die Idee kommen, Lesben anzugreifen, einen trans Mann zu töten, eine trans Frau zusammenzuschlagen und sich dabei gegenseitig anzufeuern?!

Ich sag’s noch mal: Ihr seid mitverantwortlich, da hilft kein Regenbogenfähnchenschwenken zu besonderen Anlässen, bei dem ihr dann ganz gerührt von euch selber seid, dass ihr diese queeren Menschen so unterstützt. Selbiges gilt für Showcases of Antirassismus. Es geht darum, wie ihr euch, wie wir uns im Alltag verhalten, wo uns niemand dafür auf die Schulter klopft, sondern wo es auch mal unangenehm für uns werden kann, wo wir uns keine Freund*innen damit machen. Das muss anscheinend halt echt wieder deutlicher gesagt werden.

Wenn die Worte versiegen

Wahrscheinlich kennen alle, die schreiben, verschiedenste Formen von Blockaden. Du setzt dich mit einer groben Idee hin, willst das tippen anfangen, und – peng! Nada.

Sonst läuft es so: Ich habe eine grobe Idee, tipp die hin, knüpf in einem Flow verschiedene Gedanken, bis ich mich verrenne, das werf ich als loses Machwerk aus Maschen und Knoten aus, grobmaschig hin getippt in einen, in einem wilden Fluss. In diesem Netz trenne ich dann wieder Verbindungen, knote sie an anderen Stellen fest, verhedere mich, entknote, komme bei was ganz anderem raus, als worauf ich zielte, ich ändere und überschreibe, bis die Sprache halbwegs sortiert und übersetzt hat, was in meinen Gedanken vor sich geht: bis sie klingt.

Es ist ein wunderschönes Gefühl, ein kleines manisches High, in so einem wachsenden Text herum zu tasten, bis ich ihm entringen kann, was er von mir, was ich von ihm will. Umso frustrierender ist, wenn die damit verbundene Leichtigkeit nicht eintritt, einfach nichts gelingt. Wenn ich den ersten Satz tippe und nicht die gewohnte Welle an Worten und Gedanken kommt, sondern mein Text nach ihnen schnappend verendet wie ein Fisch an Land. (Okay, pardon the Bildersprache, mag sein, dass ich die letzten Abende zuviel in Red Dead R2 geangelt habe.)

Besonders schmerzt dieses Versagen, wenn es Themen und Kontexte sind, die ich für Menschen oder Publikationen schreibe, an denen mir liegt, und nicht nur für meinen Blog, sprich: wenn ich für und vor anderen scheitere. Aus einer aktuellen solchen Situation heraus schreibe ich jetzt stattdessen wenigstens diesen Text übers Schreibversagen.

Ganz ehrlich: Es liegt auch an meiner psychischen Situation, die während der Pandemie nicht gerade besser wurde. Genau die Impulse, die ich verdrängen musste, um in dieser Zeit der Isolation, Unsicherheit und erzwungenen Untätigkeit als Veranstalter*in und DJ bzw auch Party-Konzepionierer*in nicht komplett durchzudrehen, fehlten mir oft, wenn ich etwas Kreatives anfangen wollte. Von depressiven Phasen ganz zu schweigen. Es ist jetzt wieder besser, aber ich bin noch nicht wieder ganz zurück.

Vor ein, zwei Monaten fragte nun eine Freundin, die wunderbare Subrihanna, ob ich einen Text für das Heft zu ihrer nächsten Ausstellung schreiben wolle. Sie ist Visuals-Künstlerin, die gerade auch an neuen Projekten mit Interaktion arbeitet: Sessions, in denen Musiker*innen oder DJs auf Live-Visuals und/oder ein übergeordnetes Narrativ reagieren, wie kommenden Sonntag mit “Glass Fibre Roots” im Space Between in Nürnberg:

Mich hat die Anfrage sehr gefreut und es ist ein spannendes Themenfeld, aus dem ich mir etwas hätte aussuchen können, zum Beispiel: Wie Aspekte von Live-Elementen und Aufgezeichnetem ineinandergreifen. Das für das Publikum Statische und Nichtnachvollziehbare von Laptop-Perfomances, das mit Live-Visuals gebrochen und um eine ganz andere Ebene erweitert werden kann. Oder wie die Rolle der Visualskünstler*innen oft nur als begleitendes und bestenfalls verstärkendes Eye-Candy gesehen wird, ähnlich unterschätzt wie die Rolle von Tänzern wie Bez (Happy Mondays) oder Keith Flint von The Prodigy (zu “Music For The Jilted Generation”-Zeiten war er noch kein Sänger. Und völlig unrelated: “Break & Enter” ist immer noch ihr bester Track).

Interessant wäre auch gewesen, über Authentizitätsvorstellungen nachzudenken, darüber wie sich die Einstufung von bestimmten Elementen im Live-Musikkontext als “fake” verändert hat und weiter verändert: Galt irgendwann alles, was nicht vor Ort im selben zeitlichen Kontext mit dem Publikum originär und analog gespielt wird, als unauthentisch, hat sich das im Laufe der Jahre verschoben und inzwischen sprechen sogar DJs davon, dass sie “live spielen,” wenn sie auflegen und es gibt Künstler*innen, die mit Live-Einsatz von AI spielen. Wo steht da Live-VJing? Oder auch Themen wie das Spannungsfeld zwischen Subkultur und Kreativwirtschaft, zwischen Konzertsaal und Galerie, Club und Museum, zwischen Kollektiv und Solo-Artist.

Ich hab mich einige Male dran gesetzt, mit einem guten Gefühl, aber nein: Ich bin nie über ein paar Sätze hinausgekommen, egal wie ich mir den Kopf zermarterte. Trotzdem wartete ich und wartete ich, denn: Wer weiß, ob mir im letzten Moment doch noch ein Text aus den Fingern schießt?! Aber es sollte nicht sein.

Scheitern schmerzt, und es sich selbst und anderen einzugestehen ist peinlich und fühlt sich auch nach einer vertanen Gelegenheit und enttäuschten Verbindung an. Was hätte sich da alles für Gedanken hinter der ersten groben Idee entdecken lassen? Als echte Drama Queen frage ich mich in so einer Situation natürlich auch immer, ob ich jemals wieder in einen Schreibfluss kommen werde, oder ob es das jetzt einfach war. Auch ein Grund für diesen Text hier, der so zum Ausdruck von zwei Sachen wird: Nein, das wars noch nicht mit dem Schreiben an sich, nur leider mit dem Text für deine Ausstellung: Liebste Subrihanna, es tut mir leid und mach bitte so großartig und spannend und down to earth weiter wie bisher! <3

#Männerlesen

Habe vor ein paar Wochen, als mir die 100. Analyse zu Putin/Krieg in die Timeline gespült wurde, bei einem Bekannten auf Facebook ironisch-polemisch kommentiert, in etwa: “Call me IdPol, aber ich hab heut früh beschlossen, erst wieder so’nen Text zu lesen, wenn er nicht von einem weißen Cis-Mann kommt.”

Kommentiert hab ich, weil ich zwar einerseits dankbar für die ganzen Texte bin, die ich dank meiner Timeline zu lesen bekomme, es aber andererseits mehr als auffällig ist, dass einige Männer so gut wie ausschließlich Texte von Männern teilen – ohne das irgendwie seltsam zu finden. Mich nervt, wenn die kritische Theoriebubble es nicht mal wahrnimmt, dass mit ihrem aufklärerischen Selbstverständnis irgendwas faul sein könnte, wenn sie auch im 21.Jh immer noch so ne dampfende Herrensauna ist, die anscheinend für andere wenig einladend ist zum Mitdiskutieren.

Ich sprech das immer wieder mal an, denn Ausschlussmechanismen zu benennen und sichtbar zu machen ist weiterhin unangenehme Aufgabe derer, die ausgeschlossen werden. Diese Kritik als Identitätspolitik abzutun ist einer dieser Ausschlussmechanismen. Und absurd: Ich kritisiere die identitätsbasierte Bubblehaftigkeit und meine Forderung danach, sie aufzubrechen wird als identitätspolitisch kritisiert?

Ich glaube nicht an das, was gemeinhin als identitäspolitisch kritisiert wird: an geschlechter-essentialistische oder neoliberal-feministische Weltverbesserung, also: dass alles automatisch besser liefe, wenn nicht mehr nur weiße Cis-Männer am Tisch säßen. Aber es ist der Standardvorwurf, der dir heute entgegenschallt, wenn Männern der Ausschluss-Vorwurf nicht schmeckt.

Mir geht es bei der Kritikum ein Aufbrechen dieses uralten Kreislauf des gegenseitigen Schulterklopfens und Anerkennens, in den so viele weiße Cis-Männer nun mal so verstrickt sind, dass sie ihn nicht mal wahrzunehmen scheinen. Wie Stefanie Sargnagel mal zum Thema Frauenquote in der Kultur schrieb: “wieviele mittelmäßige männer pushen sich die ganze zeit gegenseitig? wieviele fade 0815 typen wurden da letztens schon wieder eingeladen?” Teilhabe ist der Punkt. Es geht nicht drum, dass der Diskurs automatisch besser wäre, wenn er diverser wäre.

Und kommt mir nicht mit dem Qualitätsargument, denn egal wie mittelmäßig das ist, was Männer schreiben, es finden sich immer Männer, die sie empfehlen und dieses gegenseitige Empfehlen ist wie ein geschlossener Kreislauf, der nicht so leicht zu durchbrechen ist. Es kostet Mühe. Dafür müssen sich Leute in ihrem jeweiligen Bereich etwas aktiver darum kümmern und suchen, ob es nicht andere Stimmen dazu gibt, und sich immer wieder bewusst machen: Es ist kein Zufall, dass gerade kein Text einer Frau oder eines nicht westlich geprägten oder queeren Menschen dazu kursiert, sondern es liegt an lange gewachsenen Netzwerken und Gewohnheiten und Traditionen.

Sich aktiv um Texte von solchen Anderen zu bemühen ist Arbeit, die meist an denen hängen bleibt, die, manche mehr, manche weniger, unter Ausschlussmechanismen leiden und das bedeutet: Sie opfern dafür Zeit und Arbeit, während andere sich einfach zurücklehnen. Ich merke das persönlich. Es ist Zeit, die mir fehlt, um mich um die Themen zu kümmern, die mich eigentlich interessieren und in die ich mich eigentlich tiefer einarbeiten will. Ich bin dessen auch immer wieder mal müde und will auch einfach gemütlich auf die bestehenden Kreisläufe zurückgreifen. Aber wenn dann eben wieder mal zu einem aktuellen Thema fast ausschließlich Texte von Männern weiterverbreitet werden, und das von Leuten, die sich als aufgeklärt und emanzipatorisch sehen, packt mich wieder dieser Ärger und ich überwinde mich, dass zumindest als Missstand zu kommentieren.

Ich tu das ganz gerne ironisch und scherzend, weil das oft eher ankommt und nicht gleich als Angriff verstanden wird. Das Problem an Ironie ist aber, dass sie nur für die erkennbar ist, die meine Position kennen, sowie eine Anspielung auch nur für die funktioniert, die wissen, auf was sie sich bezieht. Das ist etwas, was ich in Kauf nehme, weil mir sonst das Diskutieren und Kommentieren fad werden würde.

Was aber ein Problem ist, sind Leute, die sowas bewusst in Bad Faith Kritik eskalieren. Es ist eine uralte Propaganda-Taktik um die Position der unliebigen Seite anzweifelbar zu machen und Fronten zu verhärten. Dazu werden verschiedenste Mittel verwendet, von Strohmann-Argument über Red Herring bis zu Pseudo-Logik oder Bothsideism (Hier ist einer von vielen Texten im Netz, die das erläutern).

Es werden gezielt Aussagen gesucht, die extreme Klischees verstärken, im Fall meines Kommentars, den ich eingangs erwähnte, ist es das das Klischee der crazy woken identitätspolitischen Feministin, der ihre Achtsamkeits-Yoga-Matte-von-Feminismusverständis wichtiger ist als dass hier gerade Menschen in einem Krieg sterben. Totally lost und wohlstandsverwahrlost halt.

Es gehört zur Methode, dass Aussagen aus dem Kontext und Tonfall gezerrt und weitergeteilt werden, um anderen zu zeigen, dass was dran ist an den Klischees, und so langfristig ein Feindbild zu verhärten, keine Nuancen zuzulassen und vor allem solidarische konstruktive Diskussionen zu verhindern. Es geht dabei nicht um das Verstehen der Gegenseite, es geht nicht um Auseinandersetzung mit dem Thema, sondern um Ablenkung, um Eskalation und/oder um das Verstärken von Feindbildern.

Mein hier eingangs erwähnter Kommentar war natürlich prädestiniert dafür, weil ja auch wirklich nicht sehr konstruktiv. Ob ichs deswegen verdient habe, darauf die Entgegnung “hab Sex bitte” abzubekommen, wie ein random Mann mit ‘lustigem’ Fakenamen dann drunter kommentierte? Weiß nicht. Immerhin zivilisierter als das gute alte “du gehörst mal richtig durchgefickt,” dieses Ehrenabzeichnen jeder Frau, die sich öffentlich feministisch äußert.

Natürlich war ich neugierig, und hab, um ein bisschen Kontext zu kriegen, sein Profil angeklickt. Dort hat er ganz stolz meinen Kommentar als IdPol-Screenshot-Trophäe zum Aufheizen seiner Follower gepostet, die sich in knapp 90 Kommentaren einen drauf runterholten. Von traurigen RAD-Gestalten über Hot Takes-Journo von der Groove bis zu essentialistischen TERFs, alles dabei. Sichtlich Leute, die sich Verächtlichmachung und Freude an Eskalation zum Hobby erkoren haben.

Hab kurz überlegt, “triggered much?” drunterzuschreiben, weil es mir als so absurde Überreaktion erschien, wie sie sich da reinsteigerten, aber durch diese Art meme-hafter Kommunikation hatte das Problem ja angefangen. Deswegen schreibe ich das hier auch erst heute zu Ende. Ich hatte diesen Text schon kurz danach angefangen, aber es ist eine schmaler Grat zwischen Aufklärung und Verstärkung in unserer aufmerksamkeits-fokussierten Social Media Diskursöffentlichkeit. Vielleicht hilft es, dass jetzt ein zeitlicher Abstand dazwischen liegt, und die Edgelords mich längst vergessen haben.

Ich hatte jedenfalls schon so lange nur ziviliserten Austausch auf Social Media, dass ich ganz vergessen hatte, wie sich so ein Hetz-Post anfühlt. Auch die Verstärkung durch solche Plattformeigenheiten, wie dass du auf Facebook zentral gemeinsame Freund*innen angezeigt bekommst, kann dich in so einer Situation ganz schön runterziehen. Wider besseren Wissens fühlt es sich in solchen Momenten so an, als würden all diese schweigenden gemeinsamen Freund*innen die Meinung dessen stützen, der dich verächtlich zu machen versucht. Das ist wohl etwas, was alle berührt, die nicht komplett verroht sind.

Als ich dann auch einen Screenshot davon machen wollte, war das Profil des Users weg und ist es bis heute, ich hab grad noch mal nachgesehen. Bei so einem Edgelord ist da mein erster Gedanke, dass ihn wer wegen Fakenamen gemeldet hat, um ihn zum Schweigen zu bringen. Das wiederum ist etwas, was ich niemandem wünsche, weil Facebook halt für viele ein zentrales Kontaktmedium ist, und es sich übel anfühlen kann, wenn man da plötzlich rausgeworfen wird. Kenn ich aus eigener Erfahrung. Deswegen blocke ich lieber als zu sowas zu greifen. Ausschluss fühlt sich halt immer scheiße an, ob durch patriarchale Verhältnisse, oder ob durch eine Plattform. Und gerade bei solchen Leuten trägt sowas am End noch zur Radikalisierung bei. Oder er hatte zufällig gerade zu diesem Zeitpunkt die Nase von Facebook voll. Kann natürlich auch sein.

Anyway. Die Unmöglichmachung der Kritik an patriarchalen und rassistischen Ausschlüssen mit dem Totschlagargument, das sei identitätspolitische Wokeness, und das Aufhetzen von Netzfollowern sehe ich derzeit vor allem als neue Variante des alten Spiels, Progressive mundtot zu machen, die an traditionellen Netzwerken kratzen. Im Fall meines Posts: Sexistische Ausschlüsse werden zur Nebensache erklärt, über die zu sprechen angesichts der Hauptsache der Kriegsrealität unangebracht sei. Als würden wir nicht konstant solch große Dissonanzen aushalten und mit verschiedenen Problemen mit verschieden schweren Konsequenzen jonglieren müssen. Der Rückzug ins Zynisch-Destruktive ist für manche halt zur Form des Eskapismus geworden, den ich zwar nachvollziehen kann, aber dem ich hoffentlich nie so verfallen werde.

Und was tun mit der männlichen Dominanz in (linken) Theorietexten? Nicht müde werden, das ist das Wichtigste und Schwierigste. Nicht müde werden, das Missverhältnis anzusprechen. Im Idealfall erklärend und diskussionsoffen (außer bei Leuten, denen es sichtlich um Bad Faith Disput geht). Diese Kritik außerhalb der eigenen Wohlfühlbubble tragen. Gezielt gute Texte von anderen als den üblichen Verdächtigen suchen und weiterverbreiten, auch mal bei Multiplikator*innen drunterkommentieren. Es gibt auch Aktionen wie auf Twitter #Frauenlesen, was ein werter Ansatz war, aber es blieb dann doch arg exklusiv und ich hätte vielleicht lieber sowas wie #nichtnurweißewestlichecismännerlesenbroplz…? Manchmal wär mir auch danach, einfach immer nur bei allen, die nur Texte von Männern posten, #Männerlesen drunter zu kommentieren. Ach, ich weiß ja auch nicht.

Ich schließe mal mit einer Vortrags-Empfehlung: Julia Ingold zum Thema “Warum ich keine Männer mehr lese – eine Autopsie der Ermüdung” am 30.6.22 im Balthasar in der Reihe “Freie Uni Bamberg.” Wenns keinen Zoom-Stream geben sollte, überleg ich mir grad tatsächlich, den Ausflug dorthin zu machen.

Streit-Kräfte

Dieser Text hat heut früh eigentlich als Rant über einen Podcast angefangen, wurde jetzt aber ein bisserl mehr: Es ist auch ein raues Nachdenken darüber, wie ich gerade das online Streiten über den Krieg wahrnehme und ist so chaotisch wie halt derzeit meine Gedanken dazu sind.

Beide Konfliktparteien seien unversöhnlich, beide Seiten müssten zu Konzessionen bereit sein, Dämonisierung von Putin sei nicht hilfreich, man müsse ihm eine Brücke bauen – das ist also dieser ‘Streitkräfte und Strategien’-Podcast, den so viele empfehlen? Sorry aber: Was für ein verkürzter seltsamer Blick auf die Lage.

Die Ziele Putins werden reduziert auf geopolitische und militärische Machtlogik, kein Wort darüber, dass wir es hier mit einem völkisch-nationalistischem (Alp)Traum von einem wiederauferstehenden und upgedateten Zarenreich zu tun haben. “Völkisch” in dem Sinne, dass es auf einer wirren Idee einer überlegenen eurasischen Kultur basiert, und auch der von mir, seit ich ihn bei Holly Jean Buck gelesen habe so gerne gedroppte Begriff des “Petromaskulinismus” gehört (geprägt wurde er von der Politikwissenschaftlerin Cara Dagget).

Man kann natürlich glauben oder nicht glauben, dass es möglich ist, solch verbohrte Ideologen wie Putin an den Verhandlungstisch zu zwingen (ich bin skeptisch). Man kann natürlich glauben oder nicht glauben, dass mehr Waffen und mehr Streitkräfte die Lösung seien und das andere Staaten zum Eingreifen verpflichtet seien (meines Erachtens ist es keine Lösung und schon gar nicht gegen eine so starke Militärmacht, das muss selbst Kriegslogikern klar sein). Man kann natürlich glauben oder nicht glauben, dass härtere Sanktionen und Hilfe für die fliehende Zivilbevölkerung der fruchtbarste Weg sind (das ist derzeit der Standpunkt, den ich mir zusammengereimt habe, und ja, ich bin mir im Klaren darüber, dass das auf Kosten der Zivilbevölkerung gehen kann und auch hierzulande hart werden kann, aber besser als mehr Kriegstote und Zerstörung ganzer Landstriche oder gar Eskalation zum Nuklearkrieg). Es gibt bestimmt noch mehr Haltungen dazu, und Variationen davon, aber diese drei waren für mich in den letzten Tagen die, an denen entlang ich mir vorsichtig meine Haltung geformt habe.

Ich bin dankbar für die vielen wilden Diskussionen, die derzeit auf Facebook und Twitter dazu laufen. Die meisten sind wie ich ja erst mal total lost, was das Thema angeht, man hat so grobe Meinung dazu, ist schockiert, hilflos und traurig, und weiß nicht wohin damit, was tun, die Frage “wohin kann ich Kleidung spenden” ist ein typischer Ausdruck dieser Hilflosigkeit geworfen, ein anderer ist das Verfassen langer emotional-distanzierter linker Theorieposts, andere gehen gleich zur direct action über und organisieren Fahrten zur Grenze, um Flüchtlinge einzusammeln, andere machen Spendenaktionen, da entspinnen sich dann Diskussionen dazu, ob man fürs Militär spenden sollte, aber worauf ich eigentlich rauswollte: Die ganzen geteilten Artikel, Kommentartweets, Informationen, politischen Essays, Facebook-Posts die spontanes lautes Denken sind, das Anschluss sucht, und die daraus resultierenden Diskussionen, die auch schmerzhaft an Freundschafts- oder Freundlichkeitsgrenzen gehen, das alles ist herausfordend, aber eben auch großartig: Es ist demokratische Meinungsbildung in action und ich lerne so viel und fühle mich davon gleichermaßen durchgerüttelt wie aufgefangen.

Manche versuchen, das Kleinzureden, so von wegen, Leute die keine Ahnung haben, sollten lieber still bleiben. Ich sage, im Gegenteil! Genau diese Haltung ist undemokratisch und eine Expertokratie ist gewiss nicht das, was wir anstreben sollten, egal ob Militärexperten oder linke Theorie-Bros, sondern genau im Äußern auch unserer relativen Unwissenheit und Unsicherheit auf vielen Gebieten, den forschenden Gedanken, Sichtbarmachen von Fragen und von Denkprozessen, mal geduldig mal wütend, und auch Rummaulen darüber, dass etwas unverständlich sei, aber vor allem, sich immer wieder und weiter austauschen, sich fragend und kritisierend aufeinander zubewegen, darin liegt doch das, was die Gesellschaft und Demokratie ausmacht. (Und beg your pardon, hardcore-linke Freund*innen, aber ich strebe schon im Hier und Jetzt in dieser unperfekten Gesellschaft nach einem besseren solidarischen Leben und möchte daran rumbauen, und nicht alles auf eine Revolutionsutopiekarte setzen.)

Die Angst, sich nicht genug auszukennen und was Falsches zu sagen, und plötzlich als zu woke/marxistisch/bürgerlich, nicht woke/marxistisch/bürgerlich genug gecancelt zu werden, ist für viele eine stete Begleiterin in der Social Media Öffentlichkeit, weil viel zu lange unwidersprochen kleingeistige oder kleinherzige Kleinmacherei stehen gelassen wurde, online als “nicht echte” Kommunikation missverstanden wurde, man lieber schwieg als sich mit Bekannten anzulegen, es sind viele Gründe, aber es sind inzwischen viele Stimmen verstummt und in private Chatgruppen, in die Insta-Stories oder Newsletterkultur oder gar in ihre Offline-Filterbubbles vertrieben, und ich vermisse viele. Aber das ist ein anderes Thema.

Eigentlich wollte ich ja nur eine Kritik daran loswerden, was dieser Podcast da (zumindest in seiner aktuellen Folge) als angeblich neutral-objektive Analyse abliefert. Ein Nachrichtenmedium sollte doch mehr leisten als jemand, der oder die auf Social Media zu einem Thema laut denkt. Dieser Bothsideism, als wäre die Ukraine genauso Agressor in diesem Krieg wie das russische Regime, sollte in einem Podcast nichts verloren haben, dessen Moderatoren sich sachliche Information und Analyse auf die panzerbewehrten Brüste schreiben. Und nebenbei: Das Wort “Konflikt” kann im Kontext dieses Kriegs auch mal vom Tisch. Es suggeriert, dass beide Seiten schuld seien und verschleiert die Tatsache, dass es ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg eines machttrunkenen autoritären Regimes ist.

Wie könnte eine alternative und demokratischere Berichterstattung und Erörterung aussehen? Mindestens wäre sie um eine ideologische Analyse der Ziele Putins zu ergänzen, aber vor allem fehlt der Fokus auf die zivilen Betroffenen. Auf die Realität und Strategien der Vielen, die sich jetzt zum Krieg irgendwie verhalten müssen, ob kämpfen, ob fliehen, ob helfen und wie. Das sollte heutzutage gleichberechtigt in eine Kriegsanalyse mit rein.

Eigentlich haben wir doch schon viel darüber gelernt, was falsch an unserer jahrhundertelangen westlichen “aufklärerischen” Feldherrenperspektive auf die Geschichte war und was sie alles ausgeklammert und komplett verfälscht dargestellt hat. Daraus muss sich doch auch für aktuelle Ereignisse und Formen der Berichterstattung und Analyse was lernen lassen.

Statt, halb vom Krieg, halb von der Aufmerksamkeit, die die Herren Kriegsberichterstatter plötzlich haben, berauscht etwas davon zu faseln, dass Gefühle in ihrer “sachlichen” Analyse keinen Raum haben, einer Analyse – sorry, ich muss noch mal ausschwenken, weil ich mich so geärgert habe, hätte es nicht vorm Morgenkaffee anhören sollen, aber ich hab ja eingangs schon gewarnt, dass es ein Rant wird – einer Analyse, die etwas von Sportberichterstattung hat: Militärstrategen werden wie Bundesligatrainer besprochen, die Chancen der Teams kalkuliert, usw. Vielleicht ist auch das eine Wurzel für den Bothsideism: Der Krieg wird gedacht, als träten hier Teams gegeneinander an, deren Skillset und Strategien man jetzt auf dem Spielfeld rumschiebt und rumdeutet. Das Leiden wird ausgeklammert. Da sollten wir doch heute weiter sein.

Deswegen: Zurück zur der Ansicht, Emotionen hätten nichts in Kriegsberichterstattung verloren, die #unsereJungs™ da heute in diesem Podcast äußerten. Natürlich stört es dabei, den Feldherrenfetisch auszuleben, wenn man die Perspektive der betroffenen Menschen einbezieht, und nichts anderes heißt dieses “Gefühle haben in einer sachlichen Analyse nichts verloren” ja. Es bedeutet nämlich nicht wirklich alle Emotionen beiseite zu lassen: Kriegsrausch, nationales Zusammenhaltsgefühl, Truppengeist, gefühlt-und-nicht-logisch-begründete Kriegs- und Aufrüstungsstrategien: Die sollen nicht ausgeklammert werden, nur nicht als Gefühl verstanden werden. Diese Gefühle werden als “rational” verkleidetund sogar noch verstärkt in dieser Form der Kriegsberichterstattung. Die Gefühle, die in dieser stark verengten Perspektive auf Krieg ausgeblendet werden sollen, und als unsachlich stigmatisiert werden, sind vor allem Empathie, Mitleid, solidarische Verbundenheitsgefühle mit Zivilbevölkerung überall, die sich nicht um Nationsgrenzen scheren. Dieser Zusammenhalt wird als uneigentlich dargestellt. Es soll auch kein Raum sein für Emotionen wie den Schmerz über verlorene Leben, verletzte Körper, sich verloren zu fühlen im Herausgerissenwerden aus gewohntem Umfeld, Verzweiflung über das Kippen des gewohnten Umfelds in ein Schlachtfeld, oder auch die Angst vor Repression und die frustrierenden Schwierigkeiten im Organisieren von Widerstand in Russland selbst (da war ich zum Beispiel für diesen Artikel dankbar), das Mitgefühl und die Hilfsbereitschaft von unten, die sich auch superschnell in praktisches Handeln jenseits von langsamer anlaufenden staatlichen Hilfen zusammengetan hat, wild wuchernd sich über Telegram, Facebook, Instagram, Twitter, vernetzt hat, Spenden sammelt, Wissen, Erfahrungen und Erlebnisse weitergibt, Frust, Hoffnung, Freude wenn etwas gelang, so viele Fremde die anderen Fremden vertrauen usw.

Warum nicht auch eine Kriegsberichterstattung, die in ihre Analyse genauso stark miteinbezieht, wie verlaufen die Truppenbewegungen der solidarischen Kräfte? Wo verlaufen die Grenzen, wenn in Nicht-Offiziellem grenzenlosem Helfen gearbeitet wird und durch was werden sie gesetzt? usw.

Ich sage wohlgemerkt nicht, dass das gar keinen Raum in den Medien findet, aber es findet keinen gleichberechtigten Raum. Meist ist es in einem Feelgood-Artikel, der zeigen soll, wie toll die Deutschen zusammenhelfen um anderen zu helfen. Es findet sich abgewertet gegenüber dem “Expertentum” sachlicher Kriegsanalyse, obwohl solche solidarischen Bewegungen von unten und über Fronten und Grenzen hinweg schon immer ein wichtiger Teil von Krieg waren. Es wird als eine weiche und uneigentliche Seite präsentiert, obwohl hier die Verbundenheit ist und wächst, die gegen Kriege steht.

Ach, mich macht die Kriegstrunkenheit, das Einschwören auf eine Kriegslogik und die behauptete Alternativlosigkeit derzeit schon wirklich hilflos-wütend. Es geht fast so schnell und eindimensional vonstatten wie nach 9/11 und das meine ich nicht als Vergleich der Ereignisse, sondern mich erinnert die schnelle, geschmacklose und undemokratischer Weise daran, mit der die Militärmacht-Lüsternen das Schockiertsein der Gesellschaft über menschliches Leid für ihre Ziele ausnutzen. Hallo, über Nacht 100 Milliarden für die Bundeswehr. Und ja, ich sage, dass hier Emotionen und Affekte ausgenutzt werden. Ohne Ängste und Hilflosigkeit angesichts des Kriegs in der Ukraine wäre das nicht so einfach durchgewunken worden, sondern es wäre zu großen Protesten gekommen. Aber hier stoppe ich mal diese bisschen wild gewucherten Gedanken.

Zum Schluss liebernoch die Worte einer anderen: Mein Lieblingswort diese Woche kommt von Eva von Redecker und lautet “thanatos-besoffen.” Sie twitterte am 28. Februar:

“Wer jetzt Thanatos-besoffen vom „Aufwachen in der Realität“ spricht, ist vollauf dabei, sich mit dem Aggressor zu identifizieren. Unterstützt lieber die, deren Realität von Autokratie, Homophobie, Imperialismus gezeichnet ist, und die für eine andere arbeiten.“

Anmerkungen:

P.S.: Der Podcast ist natürlich nur ein Beispiel unter vielen gerade, er wurde halt einige Male in meiner Timeline und dann noch im Drosten&Ciesek-Podcast empfohlen, woraufhin ich ihn heut früh anhörte und deswegen hat er jetzt diesen Rant abbekommen, aber es gibt natürlich etliche ähnliche Medienformate derzeit.
P.S.P.S.: Hab das heut vormittag schnell runtergetippt und wollte es eigentlich noch mal ruhen lassen und drübergehen, aber hab nicht die Zeit dafür, deswegen hau ichs jetzt einfach raus. Sind ja eh keine abgeschlossenen Gedanken.
P.S.P.S.: Dass ich gar so oft “man” verwendet habe, kann oder kann nicht als genderbewusste Widerspiegelung der lautesten und präsentesten und am meisten weitergereichten Stimmen der öffentlichen Debatte gerade verstanden werden.

“Das flüssige Land”-Besprechung und mein dissonanter Pandemiealltag

 

Habe vor ein paar Tagen Das flüssige Land zu Ende gelesen, ein Anti-Heimatroman von Raphaela Edelbauer. Eine Dorfgemeinschaft verschüttet ihre Geschichte, vor allem die an Naziverbrechen, in einem Hohlraum unter der Erde, unter der Ortschaft. Als schwarzes Loch des Verdrängten lässt es aber immer wieder die Gegenwart in sich zurückkrachen. Löcher tun sich in Straßen auf, Häuser sacken ab, bis sie so schräg stehen, dass Bewohner*innen nur noch angeseilt darin leben können, und sie tun das, ohne groß ein Wort drüber zu verschwenden. Die Brutalität des Festhaltens an einer biederen, konservativen Normalität drängt an die Oberfläche, wird sichtbar, spürbar. Edelbauer zeichnet mit wuchtigen Worten eine Dorfszenerie mit harten Kontrasten und vielen typenhaften Charakteren, die mich an die ver-rückte expressionistische Architektur des Kabinetts des Dr. Caligari erinnerte: Gebäude krümmen sich, Wände und Straßen stehen in seltsamen Winkeln zueinander, eine Welt ist aus den Fugen geraten, aber die Bewohner*innen halten an ihren eingefahren Lebensweisen und Traditionen fest, die Edelbauer ins Schaurige übersteigert, wie im Fall einer vierhundertköpfigen Blasmusikkappelle, die Touristenströme durch das immer mehr in sich zusammenbrechende Dorf zum Frühschoppen geleitet, als wenn nichts wäre. Die so lange verweigerte Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte wird um so schwieriger, wenn es keine Zeitzeug*innen mehr gibt, so ist es nur passend, dass Edelbauer dir eine unzuverlässige Erzählerin auf Psychopharmaka an die Hand gibt, die dich durch Das flüssige Land und die Erforschung ihrer eigenen Familiengeschichte leitet.

Heimat als Horror einer Schaukastenrealität, und das Verzweifeln an der (Nicht-)Auseinandersetzung mit der Vergangenheit – das geht mir als Kind einer Generation, die massiv von der (Nicht-)Auseinandersetzung mit (Ex)-Nazi-Eltern/-Großeltern/-Nachbarn usw geprägt war, und als Einwohnerin Nürnbergs, dem Mittelalter-Disneyland mit dem vermodernden Lebkuchenherz, an die Knochen. Ich bewundere, wie Edelbauer es mit wenigen Strichen schafft, etwas auf den Punkt zu skizzieren oder aufzurufen. Dass sie das nicht auf ganzer Strecke des Buches durchhält, geschenkt! Ein Hauch weniger Festhalten am Konzept und weniger geschultes Schreiben, das hätte dem Ganzen noch gut getan.

_〆(。。)

Verdrängung hat mich als Thema auch in meinem Corona-Alltag wieder eingeholt. Lange war ich froh, mal wieder das Beste aus einer schlechten Vergangenheit gelernt zu haben: Im Verdrängen bin ich richtig gut und das ist in Pandemiezeiten ganz hilfreich. Richtig dosiert an den Stellen, wo etwas durchzubrechen droht, wirkt es Wunder und hält richtig lange. Aber es muss einer bewusst sein: Es ist nie eine saubere Angelegenheit, sondern reißt immer etwas mit weg, was du eigentlich behalten wolltest.

Als sich in den letzten Wochen die Aufbruchsstimmung in einen Sommer, in dem die Pandemie vergessen werden soll, breit machte und es sich anfühlte, als ob alle anderen längst wieder ein fast unreduziertes Sozialleben führen, während ich immer noch als umgeimpfte Eremitin im Home Office sitze und endgültig alle social skills verlerne, erfuhr ich allerdings wieder mal am eigenen Leib, dass Verdrängung als Mittel zum länger andauernden Durchhalten ungefähr genauso wenig taugt, wie sich mit Arbeit zuzuschütten. Die Dissonanz brach sich ihren Weg, und sauste und fiepste in Tinnitusform mitsamt Schwindelgefühlen wie kurz vorm Hörsturz durch mich durch, und kaum hatte ich mich für ein paar Tage wieder gefangen, brach sie dann eines Tages im banalsten Moment aus mir heraus, ich hatte es gerade noch vom Einkaufen nach Hause geschafft und saß dann auf der Treppe und steckte halb in mir drin und halb sah ich mir verwundert wie von außen zu, wie heftig es aus mir herausschluchzte. Alien in Sachen Chestburster ein Dreck dagegen. Tage, in denen mich das bloße Aufstehen überfordert. Eine Mail abzuschicken und Abzuspülen und die Kulisse des Funktionierens grob und fahrig aufrechtzuerhalten, fühlt sich an als hätte ich 10 Stunden durchgearbeitet. Mein innerer Workaholic erinnert sich spontan an Fiverr Ads, die ich mal gesehen hatte, und ich fühle mich nutzlos, dreckig, wie der letzte Müll in dieser Welt. Dann wieder ein Tag, an dem ich mir zureden kann, wie gut es mir vergleichsweise zu anderen geht und dass ich mich nicht so anstellen sollte und mich nicht in diesem Sumpf verlieren darf, und ein etwas angenehmeres Level des vertrauten schlechten Gewissens, zu wenig zu leisten, surrt mir die Nackenhaare hoch. Und dann endlich wieder ein Tag wie heute. Einer, an dem ich mich mit meinem Kaffee auf den Balkon in die Sonne setze, als wäre er ein ans Universum gerichteter Mittelfinger, ein Tag, an dem ich lächelnd gegen den Baustellenlärm von nebenan “Goodbye Message” und “Detach” von Sigh of Relief und “Body of Content” von Croatian Amor & Varg durch meine Kopfhörer strömen lasse, während ich langsam durch Twitter scrolle, was sich seit gestern so getan hat, dank @therourke über Werke des Akzelationismus grüble und seine Vortragsslides gebührend bewundere, dann in meiner deutschsprachigen Timeline @Fischblog was übers Bloggen retweeten sehe und mir denke, oooh ja, heute ist ein guter Tag dafür und das hier tippe.

Harter Lockdown jetzt!

Ich bin für einen sofortigen harten Lockdown. Eigentlich bin ich das schon seit März, aber ich war zwischenzeitig wirklich ausgelaugt, konfliktscheu und wollte es nur noch aussitzen. Gerade agiert unsere Regierung aber mit so einer Verachtung von Menschenleben – oder besser gesagt: noch menschenfeindlicher als sonst, will ja nicht Systeme wie Hartz IV oder die Flüchtlingspolitik verharmlosen –, dass ich mich doch auch mal wieder hierzu äußere.

Ich zitiere mal: “Weiterhin verzeichnen die Intensivstationen in Deutschland steigende Patientenzahlen. „Einen Effekt des Lockdowns spüren wir auf den Intensivstationen immer mit einer Verzögerung von 14 Tagen bis drei Wochen – aber derzeit ist noch gar nichts zu spüren“, sagt der neue Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Professor Gernot Marx, Direktor der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care am Universitätsklinikum Aachen.”

Und das Beste, was sich derzeit abzeichnet ist, so weiterzumachen wie bisher statt endlich einen tatsächlichen harten Lockdown zu beschließen?! Ich hab’s echt so satt, wie unsere Regierung auf Menschenleben und medizinische/Pflegearbeit u.v.m. scheißt. Über die Feiertage alleine sind “2.516 Patienten auf den Intensivstationen verstorben.”

Wenn es mir jemand als persönliche Betroffenheit auslegt, dass ich einen harten Lockdown fordere:

Ja, das geht mir auch deswegen so nah, weil ich mich als Risikoperson noch mal länger in Eigenverantwortung abschotten muss, was mich inzwischen psychisch und körperlich echt runtergerockt hat.

Ja, das geht mir auch deswegen so nah, weil ich als Kulturarbeiterin angesichts einer solchen Pandemie gerne akzeptiere, auf mein Sozialleben zu verzichten, das zu großen Teilen um meine Kulturarbeit herum abläuft, und gerne akzeptiere, nicht unter die erhaltenswerte Wirtschaft zu fallen, ABER NUR, wenn ich wegen konsequenter Maßnahmen aufs Abstellgleis gefahren werde, und nicht, wenn es so ein halbgares Hingeziehe im Namen ein paar weniger Branchen ist. Sozialentzug, Kulturentzug und Existenz/Zukunftsangst sind nicht der angenehmste Mix.

Und last, aber gewiss nicht least: Ja, das geht mir auch deswegen so nah, weil ich als queere Linke für eine Politik der Solidarität stehe, und ich mich von einer alles andere als linken Regierung schlicht ausgenutzt fühle dafür, dass ich aus Gründen der Solidarität stillhalte. Bin Bini Adamczak für ihren Tweet heute früh deswegen echt dankbar:
“Links ist nicht, die Coronapolitik der Regierung gegen rechte Coronaleugner zu verteidigen. Links ist, die Coronapolitik der Regierung anzugreifen: für Millionen Infizierte und zehntausende Tote im Namen der nationalen “Wirtschaft”.”

(via David Garcia Ernesto Doell)

Von daher: Ja, ich habe persönliche Gründe, wenn auch keine allzu egoistischen, aber der Hauptgrund für meine Forderung eines sofortigen harten Lockdowns (inklusive Schulen und aller nicht wirklich systemrelevanter Arbeit) ist der eingangs mit dem Zitat von Gernot Marx angeführte: Die Pandemie lässt sich anders nicht ohne das Opfern weitererer zehntausende von Menschenleben in den Griff bekommen.

P.S.: Bilder von der Querdenker-Demo in Nürnberg dieses Wochenende und das späte und verharmlosende Statement des Oberbürgermeisters König dazu, lassen mich tatsächlich nach Kritik an der Polizei in Form des Wunsches nach härterem Durchgreifen fragen (facebook, Twitter). Auch das fühlt sich für mich als Linke ziemlich weird an, aber wie ein Freund auf Twitter tröstend meinte: “Adorno hat mal gesagt, dass Autorität nur bei denen anzuwenden ist, bei denen die Würfel schon gefallen seien, wenn es darum geht kurzzeitig Erfolg zu haben. Das darf aber langfristige Pädagogik und Aufklärung nicht ersetzen. Löst da gut auf i.m.A.” Hier auch das Statement von Das Schweigen durchbrechen: Querdenken in Nürnberg