Deb Chachra und Infrastrukturen als Wald

“We expect our infrastructural systems to endure, to be there for us day after day, providing the technological bedrock of our lives. But instead of building out these facilities as monuments like the Hoover Dam, we have the opportunity to think of them as ecosystems, like forests. […] A forest is about the relationship between the elements, and the systems and benefits that result are a product of the forest in its entirety. A forest is sustainable because it’s self-renewing and doesn’t produce waste; whatever falls or dies decays and provides nutrients for new growth.

This is our aspirational model for infrastructure. Like forests, our infrastructural systems now have the potential to be modular, networked, decentralized, responsive, and resilient.” Deb Chachra, How Infrastructure Works

Ich verwende ja immer wieder gerne Deb Chachras Abwandlung eines Arthur C. Clarke Zitats in ihrem Nachdenken über Infrastruktur: “Any sufficiently advanced neglect is indistinguishable from malice.” Also: “Jede hinreichend fortgeschrittene Vernachlässigung/Nachlässigkeit ist von bösem Vorsatz nicht zu unterscheiden.” Die beiden Begriffe, die ich hier als Übersetzung für “neglect” verwende, deuten die Spannweite der Bedeutung an: Wo “Nachlässigkeit” eher für ein Übersehen, eine Vergesslichkeit von einer Verantwortlichkeit absieht, steht “Vernachlässigung” für ein schuldhafteres, aktiveres Übersehen, Übersehen als Handlung, für die es Verantwortung zu tragen gilt.
Ich habe mich sehr auf ihre Buch How Infrastructure Works – Inside the Systems That Shape Our World gefreut, wo sie ihr Nachdenken über Infrastruktur endlich länger ausrollt, und habe es jetzt endlich gelesen.

Es ist gut darin, aufzuzeigen, wie die Infrastrukturen, die wir als so selbstverständlich sehen, dass wir sie oft erst im Kopf haben, wenn sie mal nicht funktionieren – von Wasser und Strom bis Brücken oder Bahngleisen – überhaupt erst diesen Status erreichten: Ihre Geschichte, der Weg von einer neuen Technologie, die erst ein Luxus für wenige ist, die sie sich leisten können, und dann erst langsam breite Verbreitung findet bis sie den Status “Infrastruktur” einnimmt und zu etwas wird, das zum Existenzminimum für alle in einer Gesellschaft gehört. Ein “equitable” Zugang dazu, ein gerechter, (in Abgrenzung zu einem “equal” Zugang) ist schönerweise ein ebenfalls wichtiger Aspekt in diesem Buch.

Teile des Buchs sind ein populärwissenschaftlicher Spaziergang durch Dämme und Solaranlagen in verschiedenen Ländern (vor allem Kanada und USA, aber auch Indien), ein bisschen Doku-Style und auch immer wieder von persönlichen Erfahrungen aufgelockert. Ich mag lieber Fußnoten als Persönliches in solchen Büchern, aber glaube vielen taugt das schon gut, und es macht solche Themen auch zugänglicher. Was mich aber immer wieder eingefangen hat: Deb Chachras Leidenschaft für diese Systeme, die unsere Welt formen, und mit denen wir unser Leben in der Umwelt formen, ist immer wieder so spürbar und ansteckend.

Auch über den Aspekt, dass wir als Gesellschaft zu wenig Respekt für Care Work haben, die im Fall von öffentlicher Infrastruktur Erhaltungsarbeit und regelmäßige Pflege bedeutet, die keinen Profit bringt und deswegen in kapitalistischen Verhältnissen gern vernachlässigt wird – Stichwort “kaputtsparen” –, wird ausgeführt. Und dass dazu heutzutage noch das Problem der extremer werdenden, sich verändernden Umweltverhältnisse kommt, auch darauf geht Deb Chachra ein: Die Infrastruktur ist oft für die heutigen Verhältnisse nicht mehr ausreichend sicher, weil die Abweichungen extremer geworden sind, als man beim Bau noch für möglich gehalten hatte. Flexibilität ist ein neuer Aspekt, der aufgrund der unvorhersehbareren und schneller wechselnden Klimabedingungen hier in Zukunft mitgedacht werden muss, und Deb Chachras Erklärungen dazu, was zu sicherer, nachhaltigerer, resilienterer Infrastruktur gehört, sind interessant, auch wenn das Buch insgesamt da etwas mehr Fokus verdient hätte.

So dreiviertelt durch das Buch, dachte ich mir dann aber: Leider verliert sich Deb Chachra bei aller detailreicher Beschreibung von diversen Möglichkeiten (ich hab hier einiges dazugelernt, z.B. was Gravity Batteries sind) in einer vagen Geste Richtung Zukunft und es bleibt wie so oft die große Frage ausgeklammert: Wie kommen wir als Gesellschaft, als globale Gesellschaft dahin? Und ich dachte mir, naja, was könnte ein US-liberal wissenschaftsjournalistisch geprägter Ansatz auch mehr? Wird das das x-te Buch, dass Möglichkeiten für die Zukunft entwirft, aber den Weg dahin ignoriert oder am Schluss auf ein paar wenigen Seiten grob abgestikuliert? Es klang alles danach, dass Deb Chachra nicht über einen us-liberal grünen Kapitalismus hinausgeht, und ich seufzte innerlich: Zeigt sich hier nicht das was sie kritisiert: ein aktives Vernachlässigen dessen, wie tragend politische und ökonomische Verhältnisse und Kämpfe für ein Thema wie Infrastruktur sind, also “neglect”?

“The point of transforming our infrastructural systems isn’t just to avoid the worst consequences of anthropogenic climate change—it’s to get to this world in which we can use that abundance of energy toward collective thriving, while still respecting the limits and boundaries of our ecosystems and the planet.” Deb Chachra

Dass Deb Chachra sich dem Doomerism als Druckmittel, warum wir in Sachen Klimawandel aktiv werden müssen, verweigert, sondern stattdessen erklärt, dass und wie eine klimagerechte Zukunft auch ohne Verzicht möglich ist, tut gut und hier ist das Buch tatsächlich so radically utopian, wie ich es liebe, und hey, ich hab das Buch natürlich noch zu Ende gelesen, und die letzten Kapitel (die Kapitel sind übrigens das ganze Buch durch angenehm kurz, nur als Info für die Lesemuffel ^^), die sich vor allem um Ultrastruktur (“who pays for what, who owns it, how it’s regulated, what negative externalities are permitted”) drehen, tragen dann doch noch die pragmatische / politische Flamme in sich, die mir vorher gefehlt hatte. Sie sind so ein leidenschaftlicher Aufruf zur Solidarität und dem Einsetzen für öffentliche Infrastruktur und die kollektive Bedeutung und Ethic of Care, die darin steckt und nicht nur quer durch die Gesellschaft und globale Verwobenheit, sondern auch eine Verantwortung ist, die sich auch in die Zukunft erstreckt.

Als ich das Buch am Schluss zuklappte, okay: den E-Reader ausschaltete, driftete mir die gegröhlte Melodie von “Solidarity foreeeveeer”, set in the mood of Pride (dem Film von 2014), als Assoziation durch den Kopf, und: komischerweise musste ich an eine kleines Indie-Game denken: Season: A Letter to the Future, dem ich, glaub ich, mein nächstes YouTube Letsplay widmen werde, ein eher ruhiges Spiel, habe nur noch vage im Kopf, dass ein Staudamm eine Rolle spielt, vielleicht deswegen. Vielleicht musste ich aber auch einfach nur wegen diesem Absatz dran denken:

“Every Hurricane Sandy, Maria, or Harvey, every Camp Fire, every blackout in a summer heatwave or a winter storm, and every multiyear drought is a message from the future where we haven’t reconsidered our infrastructural systems.

We know that there’s such an abundance of energy available on the earth that it’s possible to have functional infrastructural systems in fifty years, or a hundred, or more, and we can imagine what that might enable: a resilient, equitable, sustainable future for all of humanity, embedded in a thriving planetary ecosystem. It’s a destination to navigate toward.” Deb Chachra in How Infrastructure Works. Inside The Systems That Shape Our World. (2023, Riverhead Books, 320 S.)

Also, Happy End: Ich kann Deb Chachras How Infrastructures Work als einen zugänglich und interessant geschriebenen Einstieg in ein Nachdenken über unsere Infrastrukturen von Herzen empfehlen, und letztlich darüber, was das Buch ankündigt hinaus, und motiviert, sich für öffentliche Infrastrukturen als einem tatsächlichen und symbolischen Fundament davon zu engagieren, wie wir als Gesellschaft in der Zukunft leben wollen.

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