Mexican Gothic: Pilzsporen-Body-Horror und Britisch-Koloniales Grauen

Heute schreib ich gleich noch mal über ein Buch, dass ich gerade durch habe: Mexican Gothic von Silvia Moreno-Garcia. Von ihr hatte ich vor ein paar Jahren schon Die Tochter des Dr. Moreau (das bessere Poor Things ^^) gelesen, das mir auch schon gefiel.

Ein Abstrich allerdings: Mich macht’s immer skeptisch, wenn Feminismus in ein historisches Setting verlegt wird, in dem jeder kleinste selbstbestimmte Akt der Heldin schon zur feministischen Tat wird. Dem haftet oft eine konservative Nostalgie an. Ein Feminismus light für Leute, die überzeugt sind, dass heutzutage Feminismus ja gar nicht mehr nötig sei. Das ist auch einer der Gründe, warum ich mit sowas wie The Marvelous Mrs. Maisel nichts anfangen kann.

Silvia Moreno-Garcias Umgang mit Gothic Horror gefällt mir aber: Das Gruseln vor dem Unbekannten und Mythisch-Weirdem, dem Horror in der Reibung zwischen Natur und Wissenschaft, Historie und Folk Tales, britischer und mexikanischer Kultur und Geschichte, hier schafft sie es, in Einbeziehung vieler Retro-Versatzstücke ihren ganz eigenen Frankenstein von Roman zusammenzuweben.

Die Zutaten: Noemí, eine junge bessergestellte Frau, die im Mexico City der 1950er lebt, entflieht dem Druck ihres Vaters, sich einen Ehemann zu suchen, indem sie sich opfert, eine frisch verheiratete Cousine zu besuchen. Diese hatte besorgnisserregende Briefe an ihre Familie geschrieben, aus denen nicht ganz klar wird, ob sie im Haus ihres Mannes in Gefahr ist, oder ob sie an einer mysteriösen wahnhaften Krankheit leidet. Die hysterische Frau, kenn’nwaja, überraschender Spoiler: ist sie natürlich nicht. Aber Auseinanderzuhalten was Pilzsporen-Halluzination und real ist, und wo die Halluzination zum Kontakt-Mycel zu vergangenen Ereignissen wird, das ist im Verlauf des Romans für die Heldin durchaus nicht immer einfach zu durchschauen.

Selbstverständlich ist der Spielort ein schauriges abgelegenes altes Herrenhaus, nicht mal mit Elektrizität versorgt, Noemí ist dort von der Umwelt so gut wie ganz abgeschnitten, unter den Fittichen einer streng hierarchischen britischen Kolonial-Familie und deren Bediensteter. All das kommt vage bekannt aus allen möglichen klassischen Schauergeschichten vor, und spätestens als die Hauptfigur, Noemí eine Art erotische SM-Träume vom Mann ihrer Cousine entwickelt, obwohl sie ihn IRL als abstoßend machistisch empfindet, erwartete ich, dass er sich als Vampir entpuppt. Noemí als Jonathan Harker und Mina Murray aus Bram Stokers Dracula in einer Person, ihre Cousine als Lucy Westenra. Aber Silvia Morona-Garcia spielt hier mit Erwartungen, die wir mit uns Bekanntem verbinden, aber die dann nicht erfüllt werden: Es gibt immer wieder unerwartete Wendungen. Aber es ist gleichzeitig ein langsam brennender Roman. Der Grusel des übernatürlich Ungewissen schraubt sich erst nach und nach hoch, begleitet vom Schaudern über Einblicke in eugenische, kolonialistische und patriarchalische Familiengeschichte. Das Haus erwacht immer mehr zum Leben, ein modriges Monster, wo Schwarzschimmel und Pilzkulturen mehr als nur die physikalische Ebene des Gemäuers durchdringen, wo die Geschichte in jeder Pore oder Spore sitzt und rachelusterfüllt in die Gegenwart blinzelt. Der Peak der Geschichte, mit schönem extra Twist, explodiert dann richtiggehend, aber das Ende ist leider etwas knapp ausgefallen. Da hätte ich mir etwas mehr Aufdröseln, Nachsinnen, Nachwehen, ach, einfach ein bisserl mehr erhofft.

Das Buch ist keine ganz runde Sache. Silvia Moreno-Garcia hat sich ein bisschen übernommen, und ich wünschte, sie hätte noch mal ein paar Monate länger dran feilen können, weil da noch mehr drin steckt. Ich musste an Lovecraft Country denken, der Serie, die so toll Lovecraftsche Horror-Fantasy mit kritischer Black History verwebt (Matt Gruffs Buchvorlage hab ich leider nicht gelesen). Mexican Gothic geht für mich in diese Richtung Historischen mit Mythischem Horror zu verbinden, nur leider ist er nicht ganz ausgegoren. Aber es macht Spaß, ist auf jeden Fall lesenswert. Und manchmal ist es ja auch schön, wenn man die Stellen, die einem fehlen, stattdessen mit eigenen Gedanken füllt. Ich selbst habe die Audible Version als ungekürztes Hörbuch genossen. Als Buch ist es 2020 bei Del Rey Books erschienen, dt. Titel ist Der mexikanische Fluch.

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