NOSTALGIE DER STRASSENFOTOGRAFIE – TEIL 2: Privates im Öffentlichen

Espen Eichhöfer, ein deutscher Straßenfotograf, ist von einer Frau verklagt worden, die das Objekt eines seiner Bilder war und sie hat gewonnen. Irgendwie. Die Diskussion um den Fall klang in etwa so: “OMFG, das Ende der Kunstfreiheit! Die Straßenfotografie hierzulande ist dem Untergang geweiht!” In Nachrichtenmedien, Blogs und Social Networks kümmerte sich kaum jemand um die Position der Frau. Weil nichts gar so einfach sein kann, wurde ich neugierig, begann ein wenig darüber zu lesen und wurde hineingesogen. Die Querelen um Straßenfotografie machen Spannungen sichtbar, die mit unseren immer stärker überwachten und digital durchdrungenen Leben zugenommen haben. Während manche Straßenfotografen argumentieren, dass die Gesetze zu unserem Persönlichkeitsrecht veraltet seien, könnte das eigentlich auf sie selbst zutreffen.

Ich werde diese Woche ein paar bescheidene Gedankene zu ein paar Aspekten dieses gewaltigen Themas in ein 3-4 Teilen posten, weil es zu lang für einen Text geworden ist. Hier ist der zweite Teil.
(Die englische Version gibt es hier. Die Fotos sind von mir.)

Privates im Öffentlichen

Lasst uns einen näheren Blick auf das Urteil im Eichhöfer-Fall werfen, in dem viele deutsche Zeitungen und Blogs den Untergang der Straßenfotografie gedämmert haben sehen. Das Urteil besagt, dass, obwohl die Klägerin sich als das Foto gemacht wurde in einem öffentlichen Raum befand, sie offensichtlich in einer völlig privaten Lebenssituation war (das bedeutet: nicht als Teil einer großen Menschenmenge bei einem öffentlichen Ereignis wie einem Straßenfest, einer Demo oder einem Sportevent). So hat der Richter entschieden, dass in diesem Fall deine Privatheit, dein Persönlichkeitsrecht, Schutz verdient, auch wenn du dir dessen bewusst bist, dass du, sobald du öffentlichen Raum betrittst, potentiell unter irgendeiner medialen Überwachung stehen könntest. (BGH v. 17.2.2009, VI ZR 75/08, juris Rn. 13) Der Grund, den der Richter für seine Entscheidung angibt, ist, dass es eine beträchtliche Einschränkung deines Rechts auf freie Persönlichkeitsentfaltung bedeuten würde, wenn du dich wegen der Möglichkeit, dass du gegen deinen Willen fotografiert und publiziert werden könntest, nicht ungehemmt in der Öffentlichkeit bewegen könntest. Weil die Grenzen zwischen der Funktion des Fotos als Kunst, Dokumentation und Werbung verschwimmen, finde ich es wichtig, zu erwähnen, dass sich das Urteil bei diesem Punkt nicht auf das Bild im Kunstkontext der Galerie bezogen hat, sondern darauf, dass die Frau überlebensgroße auf einem Poster an einer großen vielbefahrenen Straße öffentlich aushing und auf diese Weise aus ihrer Anonymität gerissen wurde.

Ich kann durchaus nachvollziehen, dass Fotograf*innen mit dieser Entscheidung nicht glücklich sind, aber ich finde sie eigentlich fair. Die Berücksichtung des Punktes “in einer völlig privaten Lebenssituation” zeigt Respekt für kontextuelle Integrität und Konsens. Es drückt aus, dass auch wenn du das Opt-In für die Terms of Service dieses Staates dadurch geklickt hast, dass du hier lebst, du eine Chance bekommst, dagegen zu kämpfen, wenn jemand seine oder ihre Freiheit dazu missbraucht, dir potentiell zu schaden. So etwas zu entscheiden verdient eine vorsichtige singuläre Entscheidung statt einer allgemeinen Freiwild-Regelung zum Vorteil der Straßenfotograf*innen. Diese wäre nichts als ein “wenn du nicht fotografiert werden willst, bleib halt daheim”-Mittelfinger ins Gesicht aller Bürger*innen.

“Öffentlich” wie in “entanonymisiert”

Im öffentlichen Raum war die Standardeinstellung Anonymität; das war ein wichtiger Faktor darin, was Generationen junger Menschen suchten, wenn sie ländliche Gegenden verließen um in Großstädte zu ziehen. Die Macht selbst entscheiden zu können, wer uns kennenlernt und wer nicht. Der süße Duft der Freiheit Dinge ausprobieren zu können, die dir Anonymität verspricht. Vor Social Networks und intelligenten Bilder-Suchmaschinen, hätte flüchtige Wiedererkennbarkeit auch nicht so viel bedeutet. Heute sind wir keine Menschenmenge mehr, sondern wir sind eine Menge von singularen Gesichtern, die von einer Software identifiziert werden können. Selbstverständlich sehnen sich Leute mehr nach Anonymität, je mehr sie getrackt und überwacht werden. Deswegen denke ich, das Urteil im Eichhöfer-Fall war fair: Es geht nicht um “öffentlich vs privat” wie in “eine Straße überquerend vs im Wohnzimmer sitzend” (wie es die Straßenfotografen und ihre Verteidiger aussehen lassen wollen). Es geht um “öffentlich” wie in “entanonymisiert”.

Nostalgie nach dem Schweigen der einfachen Leute

Die digitale Durchdringung unserer Leben bringt natürlich einen neuen Dschungel von richtig und falsch mit sich, und es ist schwer, die Gesetze angemessen neu zu justieren, während wir noch mitten in den großen Veränderungen stecken. Wie Sixtus schreibt, hat das in der Straßenfotografie zu so etwas wie einem gesetzlichem Vakuum geführt und das hat einem Menge damit zu tun, dass Menschen endlich dessen gewahr werden, das Online und Offline, ebenso wie privat und öffentlich, tief ineinander verwoben und keine Gegensätze sind. Wenn du ein Bild deines Schlafzimmers auf Facebook postest – ist das privat oder ist das öffentlich? Hängt es davon ab, wer das Bild gemacht hat? Oder davon, mit welcher Privatheitseinstellung es gepostet wurde, so wie Facebook will, dass du denkst? Oder auf den Kontext, in dem es gemacht wurde? Sixtus beklagt, dass die Menschen sich, weil die Gesetze immer komplizierter werden, einer “Esoterik” zuwenden. Ich würde da “so er” aus “Esoterik” streichen, ein “h” kaufen und stattdessen lösen als: “Ethik”. Ethik hat die Qualität einer “gefühlten Wahrheit” und baut auf gesellschaftlichen Konsens auf und ändert sich leichter als Gesetze. Ethik ist fließender als Gesetze, aber sie als esoterisch abzutun wird ihr nicht gerecht.

Rechtliche Unklarheit für ein “wenn es möglich ist, dann tu’s einfach” Verhalten auszunutzen und das in “Freiheiiiit!”-Waschzettel einzuhüllen, die Mel Gibson blass aussehen lassen würden, erinnert mich an die Cyberspace-Wild-West-Romantik, die von einer alten Tech-Elite über die goldene Ära des Internets erzählt wird. Sie scheinen ähnlich blind für systemische Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten. Straßenfotografie war nie unproblematisch, es ist nur so, dass wir jetzt an einem Punkt sind, an dem die Stimmen ihrer Objekte auch gehört werden. Straßenfotograf*innen und Journalist*innen beschweren sich über diese lästigen Leute, die einst ein stilles Publikum waren oder sich geehrt fühlten, Objekte ihrer Arbeit sein zu dürfen. Diese Nostalgie nach ihrer einstigen Autorität, als Gatekeeper und als Expert*en mit besonderen Fähigkeiten dafür, die Welt einzufangen wie sie “wirklich” ist, ist nichts als Nostalgie nach dem Schweigen der einfachen Leute. Wenn ich eine Sache daraus gelernt habe, Artikel und Blogposts für diesen Beitrag hier zu lesen, dann ist es: Straßenfotografie ist narzisstischer als es Selfies jemals sein könnten. Es geht nicht darum, was du auf dem Foto siehst, es geht darum, was sein Zweck für den eigenen Status ist.

DER Öffentliche Raum hat sich verändert

Wir stehen immer noch am Anfang der Digitalen Revolution, besonders in Deutschland mit all seiner Technophobie. Es ist nicht gerade hilfreich, dass Straßenfotografen und Journalist*innen, die zur digitalen Elite gehören, ihren Status Quo als neue Norm setzen wollen, während es da draußen noch so vile gibt, die neuen Technologien (noch) nicht trauen, weil sie Angst vor Überwachung und Big Data haben. Straßenfotografie hat viel mit diesen Ängsten und dieser Sehnsucht nach Privatheit zu tun, aber sie nimmt diese nicht ernst. “Heutzutage ist Fotografie – und Straßenfotografie insbesondere – eine umstrittene Sphäre, in der all unsere kollektiven Unsicherheiten zusammenlaufen: Terrorismus, Pädophilie, Zudringlichkeit, Überwachung. Wir bestehen auf dem Recht auf Privatheit und, gleichzeitig, fotografieren wir alles, was und alle, die wir sehen und alles, was wir tun – im Öffentlichen und im Privaten – mit unseren Smartphones und Digitalkameras. Einerseits sind wir deswegen jetzt alle Straßenfotograf*innen, aber gleichzeitig sind wir die meistfotografierte und gefilmte globale Bevölkerung ever,” schreibt Sean O’Hagan, nicht über “öffentlich” und “privat” als Gegensatzpaar hinauskommend. Den Wunsch nach Anonymität mit dem Wunsch nach Zensur gleichsetzend, meint Sebastian Graalfs, der Anwalt Espen Eichhöfers: “es geht auch um die Frage, ob diese Gesellschaft noch einen öffentlichen Raum erlaubt?!, in dem Kunst – z.B. Straßenfotografie – stattfinden kann. Oder ob dieser öffentliche Raum atomisiert wird – in Millionen kleine Privatsphären. Das wäre dann die Entfesselung einer allmächtigen Privat-Zensur, die solche Ausstellungen und eine Kunstgattung unmöglich machten.” Georg Diez bemerkt eine wachsende “Kunstfeindlichkeit, das verzerrte und mit Misstrauen belegte Bild von Öffentlichkeit und die Ausdehnung des Privaten bis zur Usurpation noch der letzten Straßenecke. Die Stadt als Bühne verschwindet in dieser Argumentation, die Vorstellung der Straße als Ort der Gleichheit, der Sichtbarkeit, des Alltags, der sozialen Realität, der Geschichtsschreibung, der Erinnerung, der Kunst.”

Was sie zu vergessen scheinen ist, dass die Stadt als urbaner öffentlicher Raum schon viele dieser Qualitäten durch Überwachung, Kommerzialisierung und druckvoller Stadtplanung verloren hat, damit eine Vision der Stadt als Marke Wirklichkeit wird. Städte sind auf dem besten Weg für globalen Konsumerismus standardisiert zu werden und der öffentliche Raum ähnelt nicht mehr dem romantischen Bild einer offenen Zone, die für soziale Interaktionen und die Entfaltung lokal-orientierter Entwicklungen da ist. Das Misstrauen der Menschen ist nicht ohne Grund gewachsen. Wie die Architektin Selena Savić in einem Essay über defensive Architektur schreibt: “zeitgenössischer urbaner Raum wird komplett in Mikro-Zonen für singulare Nutzungsszenarien aufgeteilt. … Letztendlich, verteidigt uns unangenehmes Design oder defensive Architektur aber nicht von wirklichen Bedrohungen: einem systematischen Verfall von Privatheit und Anonymität in öffentlichen Interaktionen; überall Überwachung und TRacking; Missbrauch von Metadaten und anderen Arten privater Informationen; strukturelle Bedrohungen bürgerlicher Freiheiten durch das Koppeln von privatwirtschaftlichen Interessen und schwachen öffentlichen Institutionen. Das sind die wahren Bedrohungen für unsere Gesellschaft heute.” Das ist das öffentliche Szenario, das der Straßenfotograf heute betritt und an dessen sich verändernde Gegebenheiten er sich eben anpassen muss, so wie alle anderen auch.

Wenn überhaupt, dann ist Straßenfotografie am ehesten durch ihre Demokratisierung gefährdet. Mehr dazu im nächsten Teil.

TO BE CONTINUED.

Nostalgie der Straßenfotografie – Teil 1: Straßenfotografie im Kampf gegen das Gesetz

“My best pictures have always been those that I have never made.”
Elliot Erwitt

Espen Eichhöfer, ein deutscher Straßenfotograf, ist von einer Frau verklagt worden, die das Objekt eines seiner Bilder war und sie hat gewonnen. Irgendwie. Die Diskussion um den Fall klang in etwa so: “OMFG, das Ende der Kunstfreiheit! Die Straßenfotografie hierzulande ist dem Untergang geweiht!” In Nachrichtenmedien, Blogs und Social Networks kümmerte sich kaum jemand um die Position der Frau. Weil nichts gar so einfach sein kann, wurde ich neugierig, begann ein wenig darüber zu lesen und wurde hineingesogen. Die Querelen um Straßenfotografie machen Spannungen sichtbar, die mit unseren immer stärker überwachten und digital durchdrungenen Leben zugenommen haben. Während manche Straßenfotografen argumentieren, dass die Gesetze zu unserem Persönlichkeitsrecht veraltet seien, könnte das eigentlich auf sie selbst zutreffen.

Ich werde diese Woche ein paar bescheidene Gedankene zu ein paar Aspekten dieses gewaltigen Themas in ein 3-4 Teilen posten, weil es zu lang für einen Text geworden ist. Hier ist der erste Teil.
(Die englische Version gibt es hier. Die Fotos sind von mir.)

STRASSENFOTOGRAFIE IM KAMPF GEGEN DAS GESETZ

Anders als in vielen anderen Ländern ist in Deutschland das Persönlichkeitsrecht eher so gewichtet, dass es die Fotografierten schützt: Anstelle eines Gesetzes im Geiste von “öffentlich ist öffentlich” haben Menschen das Recht zu entscheiden ob und in welchem Kontext Bilder von ihnen veröffentlicht werden. Wie Andrea Diener erklärt, wird auf der Ebene von Einzelfällen abgewogen, ob der Wert eines Fotos als historisches Dokument oder als Kunstwerk das Persönlichkeitsrecht überwiegt. In einem Blogpost verdammte Günter Hack vor kurzem dieses Recht am eigenen Bild als “Nemesis jedes Street Photographers”. Für ihn und andere ist es veraltet und passt heute nicht mehr, weil es aus einem anderen historischen Kontext kommt. Sixtus schreibt, dass dieses Recht “aus der vordigitalen Zeit [stammt], aus einer Ära, als die ‘Veröffentlichung’ eines Fotos noch ‘Zeitung’ oder ‘Zeitschrift’ bedeutete, als sie die Ausnahme war und nicht die Regel. Aus einer Zeit, als noch nicht jeder Mitmensch eine Fotografiermaschine mit eingebauter Publikationstaste permanent in den Händen hielt.” Und tatsächlich basiert dieses Kunsturhebergesetz auf einen Fall von 1889, als zwei Paparazzi jemanden für die Möglichkeit bestachen, Fotos vom sterbenden Reichskanzler Otto von Bismarck zu machen.

Die Diskussion um die Dos und Don’ts der Straßenfotografie hat sich erhitzt, als vor ein paar Monaten eine Frau einen Straßenfotografen dafür verklagte, dass er ein Bild von ihr ausstellte. Viele Zeitungen und Blogs haben darüber geschrieben, und auch auf Twitter war es ein Thema. Der Fotograf, Espen Eichhöfer, hatte sie ohne ihr Wissen fotografiert und ihr Bild in einer Galerie ausgestellt, hieß es. Das Bild zeigt sie wohl als dominanten Teil einer Straßenszene, während sie in einem Leopardenmantel vor einer Pfandleihe über die Straße eilt. Eichhöfer nahm das Bild ab, als sie sich beschwerte, aber sie klagte dennoch. Sie bekam zwar kein Schadensgeld zugesprochen, aber das Gericht entschied, dass der Fotograf ihr Persönlichkeitsrecht verletzt hat und deswegen die Verfahrenskosten tragen muss. Das löste eine Empörungswelle unter Fotografen, Kunst- und Medienmenschen aus, die um nichts weniger fürchten als um die Kunstfreiheit und die Zukunft der Dokumentation des Lebens auf öffentlichen Plätzen: sie bangen um die Zukunft der Straßenfotografie. Eichhöfer bekam einen Haufen Publicity (darunter ein von ihm selbst verfasster VICE Artikel), die ihm nun die Berufung vor der nächsthöheren Instanz, dem Bundesverfassungsgericht, ermöglicht. Er möchte ein Grundsatzurteil gegen die “Kriminalisierung” von Straßenfotografie. Sein Crowdfundingziel waren 14.000€, er hat 18.000€ zusammenbekommen.

Ein weiterer Fall, der die Gemüter erhitzte, war das “Lex Edathy”, eine Gesetzesänderung, die es in relativ vager Formulierung strafbar macht, unbefugt von einer anderen Person eine Bildaufnahme anzufertigen oder zu verbreiten, die “geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden.” Dagegen wurden natürlich Beschwerden laut, dass diese Formulierung dafür missbraucht werden könnte, kritischen Fotojournalismus unmöglich zu machen.

FÜR DIE FREIHEIT DER KUNST

Eichhöfer sieht sich selbst in der Tradition von Künstlern wie Henri Cartier-Bresson, Garry Winogrand oder Robert Frank: “Meine Fotos sind in dieser Tradition entstanden, sie halten spontane Alltagssituationen fest, die sich ungestellt vor der Kamera abspielen. Eine gelungene Straßenfotografie ist eine Verdichtung oder Zuspitzung vom Leben auf der Straße, im besten Falle ist sie Zeitdokument, Bestandteil des kollektiven Bildgedächtnisses.” Diese Art von Dokumentation ist viel bedeutender für ihn als der Wunsch der abgebildeten Person, obwohl er sagt, dass er es schon verstünde, dass manche Menschen ihr Foto nicht öffentlich ausgestellt sehen wollen.
Die Sorgen der Straßenfotograf*innen sind schnell aufgezählt und sie tauchen in Diskussionen in Blogs überall im Netz immer wieder auf. Hier sind einige, die Sixtus zusammengetragen hat:

  • Es ist technisch unmöglich, jede Person auf der Straße um ihre Erlaubnis zu fragen.
  • Sogar wenn es möglich wäre, Leute um Erlaubnis zu fragen, würden die meisten es dennoch nicht tun, da es den dokumentarischen Aspekt ihres Bilder zerstören würde: Sobald Menschen wissen, dass sie fotografiet werden, verändern sie ihr Benehmen und das Bild würde nicht länger eine authentische Szene zeigen.
  • Heutzutage hat jede*r Smartphones und macht und teilt die ganze Zeit Bilder öffentlich.
  • Bilder zu machen und zu teilen ist zur Kommunikationsart geworden, also käme ein Fotografieverbot einem Kommunikationsverbot gleich.

Günter Hack fügte das Überwachungsargument hinzu:

  • Kommerzielle und staatliche Überwachung sind allgegenwärtig. Kritisiert erst mal sie, denn sie könnten euch viel mehr schaden und haben dazu beigetragen, diese Situation zu normalisieren. Warum sollten Bürger*innen weniger Freiheit haben als der Staat?

FÜR DIE FREIHEIT DES WEGLASSENS

Während ich mit vielen dieser Punkte überhaupt nicht uneinverstanden bin, beschäftigte es mich, dass ich nur auf Artikel stieß, die auf der Seite des Fotografen waren. Die Frau, die Eichhöfer verklagt hatte, blieb in der öffentlichen Diskussion ein stummes Objekt, das Schlagzeilen wie “Wem gehört das Gesicht der Frau im Leopardenmantel?” abbekam, für Artikel, die sich nur um die Meinungen von Kurator*innen, Straßenfotografen und Eichhöfers Anwalt zu scheren schienen. Da Sachen niemals so eindeutig sind, wurde ich neugierig und begann ein bisschen rumzulesen und wurde in dieses Thema hineingesaugt. Einige dieser Artikel, und sogar Eichhöfers Crowdfunding-Versprechen drehen sich nur um die Version des Fotos, das in der Galerie ausgestellt hing. In Jörg Heidrichs Text las ich dann aber, dass das Bild auch für ein überlebensgroßes Poster verwendet worden war um die Ausstellung zu bewerben. Das führt mich dann dazu, mal das tatsächliche Urteil zu überfliegen (das gibt es hier). Es erwähnt noch ein Detail: Das Foto war auch auf der Facebookseite der Galerie zu sehen. Diese Punkte wurden in den meisten Texten zu diesem Thema weggelassen.

Ich denke, dass sie wichtig sind, denn sie bedeuten verschiedene Kontexte und verschiedene Abstufungen von Öffentlichkeit. In einer Galerie diskutierst du es als ein Kunstwerk in einem Kunstrahmen. Auf einem riesigen Poster auf einer öffentlichen Straße wird es in einem Werbungskontext verwendet und entanonymisiert die Frau viel mehr. Wenn ihr Bild auf einer öffentlichen Facebookseite auftaucht, wird ihr Gesicht von Gesichtserkennungssoftware erfasst. Diese könnte helfen, weitere Bilder von ihr zu finden und das könnte dazu genutzt werden Informationen über sie zu herauszubekommen. Um das richtig in Farben einer digital-durchdrungenen Welt auszumalen: Dass sie vor einer Pfandleihe abgebildet wurde, könnte zu einem schlechteren Schufareport führen. Sie könnte dafür getrollt werden, dass sie Pelz trägt. Sie könnte sich vor einem Ex-Ehemann verstecken, der sie verprügelt hat, und das Foto könnte ihm behilflich sein, sie aufzuspüren. Und, wie es so schön heißt: was einmal im Internet landet, kursiert dort für immer, so können mögliche zukünftige Konsequenzen noch gar nicht vorausgesehen werden. Jaja, ich übertreibe, aber das tun auch all die Texte, die sich nicht das kleinste bisschen um die Perspektive der Frau scheren. All diese möglichen Konsequenzen mitgedacht würde ich sagen, dass das Persönlichkeitsrecht in seiner deutschen Form zwar aus vordigitalen Zeiten stammen mag, aber besonders mit dem Ansatz nicht zu verallgemeinern, sondern anhand des jeweiligen Einzelfalles zu entscheiden, erscheint es mir gar nicht so unangebracht.

 

MAN BRAUCHT EIER

Die Geschichte der Leichtigkeit, mit der sich Social Photography (das Fotografieren und anschließende Teilen der Fotografie mit anderen auf Social Networks oder in Messenger-Apps) in vielen Teilen der Welt so weit verbreitet hat, ist auch die Geschichte der Dominanz der sozialen Gruppen, die am wenigsten davon zu befürchten haben, fotografiert zu werden. Ihre Stimme prägt auch den medialen Diskurs dazu. Leute, die es ablehnen, in der Öffentlichkeit fotografiert zu werden, werden als eitel betrachtet und in den meisten deutschen Artikeln, die ich zum Eichhöfer-Fall gefunden habe, zeigt der Tonfall wie auch der Inhalt keinerlei Sympathie für die fotografierte Frau. Es dreht sich nur um die Fotografen: Sie brauchen Freiheit, um tun zu können, was sie wollen, weil sie wichtige Kunst und wichtige Dokumentationsarbeit für die ganze Menschheit leisten. Meike Laaf sorgt sich um die Selbstzensur dieser wichtigen Künstler*innen ohne die Selbstzensur zur Kenntnis zu nehmen, die es für deren Objekte bedeuten kann: “Tanz, als ob dir niemand dabei zusähe” ist zu “geh nicht aus dem Haus, wenn du nicht willst, dass jemand von dir ein Bild macht, dass dich aus deinem Alltagsmoment reißt und vor einem großen Publikum öffentlich zur Schau stellt” geworden.

“Um heutzutage ein Straßenfotograf zu sein, brauchst du Bessenheit, Hingabe und Eier”, hat der Straßenfotograf Martin Parr einst gesagt, und tatsächlich scheint es eine recht maskuline Sphäre zu sein, wenn du den Tonfall betrachtest, mit dem die Fotografierten beschrieben werden. Eichhöfer prangert die Versuche von Leuten wie der Frau, die ihn verklagt hat, als “hysterisch” an. Günter Hack nennt sie “selbsternannte Opfer”, und verspottet sie: “ich stehle keine Seelchen, meine lieben, zarten Eingeborenen, mich interessiert nur wie das Licht auf belebte und unbelebte Körper fällt, auf dass die Nachwelt sich davon ein Bild machen kann, wie wir gelebt haben!” Als ob ein Fotograf in seinem Anspruch auf das Recht der Zudringlichkeit und Inbesitznahme weniger selbsternannt wäre. Als ob die Angst davor, dass eine*m die Seele gestohlen wird nicht tatsächlich eine gute Metapher für die Angst davor wäre, angeprangert, geoutet, getrollt, gestalkt usw zu werden. Auch Sixtus verhöhnt die möglichen Einwände seiner Objekte sarkastisch; dies ist einer der Untertitel zu einem Bild, dass er in seinem Text zum drohenden Untergang der Straßenfotografie verwendet: “Auch diese Dame wollte vermutlich nicht fotografiert werden. Zumindest entnehme ich das ihrem Blick. Im Dienste der Kunst habe ich ihren Wunsch jedoch ignoriert.” Sixtus wählt das “das machten doch alle”-Argument und verweist auf die Allgegenwärtigkeit von digitaler sozialer Fotografie, der zukünftigen Omnipräsenz von Life-Logging und Google Glass. Er ignoriert, dass dies (noch) nicht die Realität von allen um ihn herum ist. Während es langsam zur Realität wird, werden mehr und mehr Leute sensibel dafür und sehnen sich nach neuen Definitionen davon, was akzeptabel ist, was hingenommen werden muss.

TO BE CONTINUED.