Kulturvisionen – Podiumsdiskussion zum Umbau des K4 Nürnberg

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Heute Abend findet im K4 Hinterzimmer eine Podiumsdiskussion zu einem geplanten Umbau des K4  /Künstlerhaus statt, die mein Veranstalterkollektiv, der musikverein, organisiert hat. Zu sehr rein auf Pragmatik fixiert, zu bereinigend sind uns die Pläne, zu wenig Austausch mit uns Betroffenen fand uns statt, um sie einfach leise über uns ergehen zu lassen. Kurz zusammengefasst: Wegen Lautstärkenüberschneidungsproblemen zwischen verschiedenen Veranstaltungsräumen soll u.a. unser Veranstaltungsbereich (seit vielen Jahrzehnten das Zentralcafé) aus dem Erdgeschoss verschwinden. Dort soll stattdessen ein zwar “fair” organisiertes, aber wirklich sakrisch teures Burgerrestaurant einziehen. Fairness für die, die es sich leisten können. Für uns und die Veranstaltergruppe, mit der wir uns das Zentralcafé teilen, Kaya e.V., soll stattdessen ein nagelneuer Kellerraum im zweiten Untergeschoss gebaut werden. Wo sich andere nach so einem neuen Clubraum die Finger lecken würden, ist uns das zu kurz gedacht. Es wird kein Wort darüber verloren, was für einen Einschnitt das in der kulturellen Ausrichtung des Hauses ist, schon gar nicht öffentlich. Von der Hausleitung wird gar abgestritten, dass diese Umbaupläne, egal wie gut gemeint, eine kulturelle Gentrifizierung des K4 bedeuten.

Die für die Kultur von Nürnberg am nachhaltigsten prägende Zeit des Künstlerhauses war – da lässt sich nicht dran rütteln – die offenste: das KOMM 1974-1994. Hier drei Youtube-Clips, in denen Michael Popp, KOMM-Gründer und langjähriger Leiter des Amts für Kultur und Freizeit, die Bedeutung des KOMM zusammenfasst: 123. Auch er wird heute Abend auf dem Podium sitzen. Die Idee der “Kultur von allen, für alle”, für die das KOMM stand, hatte ihre chaotischen Seiten, aber die trugen auch Früchte, wie sich zeigte: Es sind Menschen, die sich dort kreativ ausprobierten, die aktiv blieben und bis heute so gut wie alle kulturellen und Medien-Bereiche der Stadt durchsetzen. Die Bedeutung von Freiraum, der ermöglicht, dass sich Menschen einer Stadt selbst einbringen können, um ihre Vorstellung von Kultur zu verwirklichen, wurde auch bis heute nicht komplett aus dem Haus vertrieben. Von offenen Werkstätten, über Bildungs- und Film-/Medienbereich und Werkbund bis zu den ehrenamtlichen Konzert-/Club Night-/Vortrags-veranstaltenden Gruppen musikverein und Kaya e.V. ist das Haus letztlich immer noch stark geprägt von  selbstgestalteter, freier Kultur – nur eben unter städtischer Leitung, die in einem neugeschaffenen Verwaltungsbereich mit Großraumbüro im zweiten Stock über uns schwebt.

Derzeit ist unsere selbstgestaltete Kultur – Alternativkultur, Subkultur, Offkultur, ehrenamtliche Kultur, non-profit Kultur, die Definitionsansätze sind so vielfältig wie die Menschen, die da mitmachen – im Herzen des K4 noch ziemlich präsent: Das Zentralcafé ist ein Raum der – wie der Name schon sagt – zentral liegt, und es strahlt in den Gangbereich aus, hat eine soziale und kulturelle Patina geprägt. Im Gang zeigt sich das auch visuell und informativ darin, dass überalle Poster und Flyer verschiedenster kleiner Veranstalter*innen aus dieser Szene hängen, aber auch WG- oder Bandsuchen: eine Landkarte für diese Art Kultur in Nürnberg, zentral zugänglich. Dazu kommen die mit Jugendkultur einhergehenden Tags und Aufkleber, die für manche jetzt schon verpönt sind, aber die eine bedeutende Signalwirkung haben: Sie strahlen aus, das dies nach wie vor ganz klar ein Haus mit anti-rassistischer, anti-sexistischer, anti-homophober – also mit offener, antidiskriminierender Haltung ist. Es waren auch gerade die freien Gruppen im Haus, die beim Aufkommen von PEGIDA und Co. Haltung gezeigt haben. All diese Wirkung, diese Prägung geht verloren, wenn im Erdgeschoss nur noch ein großes von oben durchgeplantes sauberes Foyer sein wird, und kein Raum mehr für jüngere Kultur.

Mit der Auguste kommt ein Gastronomiebereich dazu, der – bei allem Respekt für arbeitsrechtliche Komponente – unerschwingliche Preise für ein Großteil unserer Gäste hat. Die niederschwellige Zugänglichkeit des Hauses sinkt, und das, wo doch gerade ein städtisch geförderte Kulturhaus ein für möglichst viele Bürger*innen erschwinglicher Bereich sein sollte. Was dieses Haus bräuchte, ist eine Kneipe, die eine Schnittstelle darstellt: für alle verschiedenen Gäste des Hauses, und auch für die, die im Haus Kultur und Werkstätten beleben. Ein so vielschichtiges Haus braucht soziale Treffpunkte, an denen sich Menschen mal niederlassen können, um sich auszutauschen. Das sehen die Umbaupläne nicht vor. Aber an solchen Stellen entsteht, lebt Kultur. Bei aller Abgelegenheit ist der Glasbaubereich des Filmhauscafés so ein Treffpunkt. Und im Abendbetrieb sind die Treppen des Altbaus, ob im Sommer die vorm Haus oder im Winter die bei den EG-WCs hinten, notgedrungen genau zu solchen Bereichen geworden – dort wird sich ausgetauscht, kennengelernt, entstehen Ideen, werden Pläne geschmiedet. An solchen Fringes, ausgefransten Randzonen, die nicht klar definiert und nicht mit Konsumzwang belegt sind, begegnen sich Gäste und Macher*innen aus den verschiedenen Bereichen, halten mal einen Moment inne und kommunizieren, bevor sie weiterziehen. Statt mehr solche lockeren Zwischenbereiche zu schaffen, plant der Vor-Entwurf des Gebäudeumbaus alles komplett durch. Er seziert auseinander statt Überlappungen zu schaffen. Er steht für pragmatische Trennung der Bereiche, die von veranstaltungstechnicher Seite völlig Sinn macht, aber eben nur von dieser her. Eine Vertreibung der jungen Kultur gleich zwei Stockwerke unter die Erde, das Erdgeschoss nur noch für Seniorenarbeit und gutbetuchtes Publikum, und als bloßer Durchgangsbereich. Dieser Entwurf will jegliches mögliche Chaos, jegliche eigenständige Prägung des Hauses, die nicht explizit von oben abgesegnet wird, das Ausmalen neben den Linien, abschaffen, auch wenn er das zu bestreiten versucht. Meines Erachtens funktioniert lebendige Kultur so nicht. Wenn freie Gruppen angeblich weiterhin eine große Rolle spielen soll, brauchen sie auch räumlich eine zentrale Präsenz. Ich unterstelle mal, dass das nicht absichtlich geschah, aber letztlich spiegelt der Umbauplan deutlich die hierarchische Kulturvorstellung des Künstlerhauses heute wieder. Architektur ist schon auch ein Spiegel.

Bei Veranstalterkollektiven wie uns ist das “wie” des Veranstaltens genauso wichtig wie das “was”, es finden stetige Diskussionen über Struktur und Abläufe, über Inhalte und Positionierungen, über das, was wir sein wollen und können, statt. Nur so ist der Musikverein auch 40 Jahre alt geworden – was wir heuer übrigens mit einem fantastischem kleinen Zwei-Tages-Festival, dem MV40, feiern werden (Tag 1, Tag 2) und hat sich immer wieder dank junger neuer Mitglieder neu erfunden. So eine Kultur funktioniert nicht von oben nach unten, sondern nur auf Augenhöhe, nur durch unforcierten lockeren Austausch aller untereinander. Keine strikte Trennung von Gästen und Veranstaltenden. Für uns sind unsere Gäste nicht “Leistungszahlen”. Für eine spannende, inklusive Kulturarbeit, die sich untereinander vernetzen will, braucht es belebtere, offene Gänge statt abgesperrte Toiletten und Zwischentüren. Es braucht Sitzbereiche, in denen auch mal ohne Konsumzwang ein Austausch stattfinden kann, und das lose über das ganze Haus verteilt, nicht nur im Glasbau. Es braucht zentral im Erdgeschoss einen niedrigschwelligen, günstigen, offenen Gastrobereich als soziale Schnittstelle, von der aus sich auch das Haus erschließt. Diese sozialen Aspekte davon wie Kultur funktioniert, hätten wir uns von der Hausleitung als Diskussion vor dem Erstellen der Umbaupläne gewünscht. Dass sie uns freie Gruppen tatsächlich so ernst nimmt, wie sie immer theoretisch sagt. Dass sie die jahrelangen Erfahrungen aller im Haus miteinbezieht, und nicht nur als Bedarf sondern sie auf Ideen hin abklopft, was das Haus sein könnte, und was fehlt, und was gut funktioniert. Utopien, Träume, Visionen. Wir funktionieren auch im Untergrund, wir kommen auch mit einem Nischendasein klar – wenn wir die Umbauphase überstehen, die unsere größte Sorge ist. Aber für die Ausstrahlung des Hauses wäre eine solche Neugestaltung des Hausesdas ein herber Verlust. Es verlöre ein großes Alleinstellungsmerkmal. Deswegen wünschen wir uns mehr Diskussion auf Augenhöhe, und eben auch mehr öffentliche Diskussion, darüber wie sich an so einem zentralen Ort der Stadt Menschen ihre Kultur wünschen. Deswegen haben wir auch die Diskussion heute Abend organisiert, an der sich Interessierte beteiligen können. Es soll bitte kein Bashing werden, kein “wir gegen die”, sondern wirklich ein Austausch, der Lust auf mehr macht und wir werden danach auch noch das Zentralcafe für ein, zwei Stunden aufmachen, damit wir weiterquatschen können, wenn ihr das möchtet.

Ich könnte jetzt noch eine Stunde weiter darüber schreiben, aber da wird sowieso noch mehr dazu kommen, denn diese Diskussion über städtisch verwaltete Kultur, die ich auch gerne im größeren Kontext von Bürger*innenbeteiligung, kultureller Stadtplanung und öffentlichem Raum sehe, wird auch mit dem heutigen Diskussionsabend noch lange nicht abgeschlossen sein.

Wer unser ganzes Statement, das die Pros und Contras für den musikverein transparent zu machen versucht, lesen will: Ihr findet es hier. Oder auf Facebook hier. Ich hoffe, dass heute Abend bei der Podiumsdiskussion ein spannendes Gespräch zustandekommt, in dem sich Menschen aus der Zeit, in der das Haus noch eine klare kulturelle Vision hatte und Leute, die diese Vision auch heute noch in diesem Haus halten wollen, mit der jetzigen Hausleitung austauschen, denn wir sind neugierig, mehr über deren genaue kulturelle Vorstellung vom K4/Künstlerhaus zu hören.

Auf dem Podium diskutieren:
Hermann Glaser, Kulturhistoriker und Kulturdezernent der Stadt Nürnberg 1964 – 1990
Michael Popp (KOMM-Gründer, ehemaliger Leiter des Amts für Kultur und Freizeit)
Matthias Strobel, Direktor KunstKulturQuartier
Norbert Zlöbl, Werkbund Werkstatt Nürnberg
eve massacre, Musikverein im K4
Durch den Abend führen und moderieren wird: Tobias Lindemann, Radio Z und Salon der unerfüllten Wünsche

Um 19 Uhr geht es los. Hier findet ihr die genauen Infos auf unserer Website. Radio Z wird die Diskussion aufzeichnen. Wenn ihr darüber informiert werden wollt, wann ihr sie nachhören könnt, und auch weiter auf dem Laufenden gehalten werden wollt, tragt euch am besten in unseren Newsletter ein.

RECLAIM THE NIGHT LOUNGE – Lasst uns gemeinsam etwas gegen Übergriffe im Nachtleben tun

Im Folgenden findet ihr einen Impulsvortrag samt Slides, den ich für die Reclaim The Night Lounge gemacht habe. Das Veranstalterkollektiv musikverein, bei dem ich mitmache, versucht mit verschiedenen Anstößen derzeit gegen Übergriffe im Nachtleben aktiv zu werden – und anderen Lust darauf zu machen, selbst aktiv zu werden. Davon ist dies ein Teil.

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RECLAIM THE NIGHT LOUNGE

Lasst uns gemeinsam etwas gegen Übergriffe im Nachtleben tun

Gleich mal vorneweg: Dieser Abend wir die Probleme nicht lösen. Wer mit der Erwartung hier her gekommen ist, dass wir am Ende mit einer Lösung heimgehen, die und den muss ich enttäuschen. Was ich für prima halten würde, ist, wenn wir alle mit dem Gefühl rausgehen würden, wirklich Lust und Mut zu haben, an dem Thema dranzubleiben. Das Thema ist: Übergriffe im Nachtleben.

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So gut wie alle von uns, vor allem so gut wie alle Frauen haben schon Übergriffe im Nachtleben erlebt. Was als grenzüberschreitend angesehen wird, variiert dabei von Mensch zu Mensch und von Club zu Club. Es gibt in der linken Subkultur die Faustregel: wenn jemand etwas als übergriffig empfindet, dann ist es übergriffig. Damit wird versucht, soziale Räume zu schaffen, in denen die Opfer von Übergriffigkeiten auch mal nicht in der strikten Beweispflicht stehen, die sie auf rechtlicher Ebene haben. Und das ist auch eine der Linien, an denen entlang sich die Diskussion darüber abspielt, wie sich Club Nights und Konzerte zu sicheren Orten für alle gestalten lassen. Hier geht es nicht um eine gesetzliche Reaktion, sondern darum einen gemeinsamen sozialen Konsens durchzusetzen.

Es sollte auch gar keine zu fixe Festlegung davon geben, was Belästigung ist, denn verschiedene Menschen haben ganz verschiedenes Erleben und Hintergründe, und es kommt auf den jeweiligen sozialen Moment an. Eine empfindet es als übergriffig, zu sexualisiert angetanzt zu werden, die andere mag es. Daraus wird dann in der Art und Weise, wie derzeit öffentlich oft diskutiert wird ein Gegensatz gemacht: Die die es mag, sexualisiert angetanzt zu werden, sei sexuell aufgeschlossen und selbstbewusst, und finde, man sollte sich da nicht so anstellen, und die, die es nicht mag, sei prüde, empfindlich, lustfeindlich und will bestimmt Verbote für jeglichen Spaß fordern. Diese Art von Zuspitzung ist pures Gift für eine Konsensbildung. In Wahrheit geht es nämlich beiden Seiten um dasselbe: Sie möchten, dass ihre jeweiligen individuellen Grenzen eingehalten werden. Gegen Sexismus sein, feministisch sein, heißt in diesem Kontext also einfach lustbetont feiern zu können, ohne Angst haben zu müssen, dass persönliche Grenzen überschritten werden.

Die meisten Menschen verhalten sich auch so, für den Rest gilt es, neue Normen zu setzen, einen neuen sozialen Konsens einzufordern. Das ist natürlich gerade da schwer, wo wir keine geschlossene Community haben, sondern immer wieder auch wechselnde Gäste. Trotzdem müssen wir es versuchen und die Selbstverständlichkeit von Übergriffigkeiten aufzubrechen, das ist der erste Schritt dorthin. Es soll hier darum gehen, dass wir auch als Gäste uns wieder mehr als eine Community verstehen, die an ihrem Safe Space arbeitet, nicht einfach nur als Kunden eines Clubs. Das heißt im Idealfall: Alle gucken ein wenig mehr aufeinander, und wie, das können wir uns zum Beispiel hier heute Abend überlegen.

Bei uns vom Musikverein ist die Reclaim The Night Geschichte ein Teil von einem größeren Anliegen, das wir haben. Wir haben vor ca. 2 Jahren festgestellt, dass es uns immer noch ein viel zu unausgewogenes Geschlechterverhältnis auf der Bühne gibt, egal ob bei Konzerten oder bei Parties. Noch dazu in Nürnberg auch hinter den Kulissen, bei denen, die veranstalten. Wir haben dann nach und nach versucht, bewusst mehr weibliche, und auch queere Acts zu finden und nach Nürnberg zu holen, die uns richtig gut gefallen. Dazu kam dann letztes Jahr auf unserer Jahresklausur, dass wir die Nase voll davon hatten, von Reaktionen in Form von Rausschmiss uralten Aushängen gegen Sexismus abgesehen, gegenüber Angetatsche und blöden Anmachen auf Parties untätig zu sein.

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Unsere erste Idee war, bei Parties immer Visuals mit Slogans gegen Übergriffe an die Hauswand zu beamen – die Vorlagen seht ihr hier, das läuft so seit November letzten Jahres – weil das einfach auffälliger ist, als irgendwelche Zettel oder Poster zwischen x andere Poster zu hängen.

Letztlich geht es bei all dem um Konsens und well, ja – eigentlich schlichte Höflichkeit, das Einschätzen-Können und Respektieren von Grenzen. Eigentlich ist es ja wirklich einfach, durch Blickkontakte und Körpersprache vor einer Anmache schon abzuchecken, ob die andere Person Interesse hat. Spätestens aber, wenn sie sich abwendet, deine Hand wegstreift, oder das Gespräch beendet, müsste es eigentlich jedem klar sein. Ist es aber – gerade in alkoholgeschwängerter Atmosphäre und einer gewissen machistischen Kultur – einfach nicht. Und es geht nicht nur um Männer, die Frauen belästigen. Auf meiner Queer Party fühlten sich auch schon mal Männer von anderen Männern zu hart angemacht. Da hab ich mit Aushängen gegenzusteuern versucht, die das auf eher humorvolle Art thematisieren:

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Cats of Grindr und der Hinweis, dass meine Party eben nicht Grindr sei, keine bloße Fleischbeschau, sondern dass hier gegenseitiger Respekt und Consent zählt: erst mal – per Blick und Körpersprache und miteinander reden – abchecken, ob dein Gegenüber überhaupt auch Interesse zeigt.

Und es gibt natürlich auch Frauen, die Männer belästigen, nur als Beispiel: Manche unserer männlichen Bar- oder Einlassleute wurden durchaus auch schon von Frauen belästigt, die ihre Situation ausnutzten, also dass sie halt hinter der Theke oder dem Einlasstisch auf dem Servierbrett eingesperrt sind und nicht groß wegkönnen und höflich zu bleiben versuchen müssen.

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In einem Vortrag zur Digitalisierung verwende ich den Satz von Arthur C. Clarke: “Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.” Letztes Wochenende bin ich auf eine großartige Abwandlung davon gestoßen, von Deb Chachra, einer Ingeneurin und Werkstoffforscherin: “Any sufficiently advanced neglect is indistinguishable from malice.” Also: “Jede hinreichend fortgeschrittene Nachlässigkeit ist von bösem Vorsatz nicht zu unterscheiden.” Wenn Veranstalter also nicht bedenken, was der Rahmen, den sie bauen, z.B. Flyermotive, Diversity auf der Bühne usw. für Frauen bedeutet, wenn ein Architekt ein Damen-WC an einen relativ abgelegenen Ort platziert, wenn ein DJ Tracks mit plumpen sexistischen Texten pumpt, all das gehört zur Architektur das Nachtlebens und schafft einen Raum, an dem sich Frauen oft nicht so willkommen fühlen, oder nur in Begleitung hintrauen. Wenn ich das als Verantwortliche*r dafür vernachlässige, ist das tatsächlich vom Ergebnis her nicht anders, als wenn ich es aus böser Absicht so konstruieren würde. Dieser Gedanke lässt sich aber auch noch darüber hinaus fortsetzen: Unser Problem der Übergriffe im Nachtleben ist letztlich nur ein Ausschnitt der Vernachlässigung und Verharmlosung eines gesamtgesellschaftlichen sozialen Konsens.

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Haben wir Solidarität und gegenseitigen Respekt verlernt? Und damit meine ich nicht nur Übergriffe, sondern eine Kultur, die zutiefst unausgewogen ist. Wir haben im Nachtleben z.B. nach wie vor eine ähnlich unausgewogene Genderverteilung wie in den Führungsetagen oder auf Baustellen. Auf der Bühne stehen zumeist Musiker und männliche DJs, überwiegend von Männern veranstaltet und von männlichen Technikern gemischt. Die meisten männlichen Veranstalter und DJs lehnen sich da auch meist ganz paschamäßig zurück und kommen gar nicht drauf, dass an der Situation was seltsam ist. Die ganze Musikkultur hat für Frauen immer noch meist in erster Linie den Platz als Fan oder als ‘Freundin von’ oder in einer Hilfsposition oder in der Gastro reserviert. Alles andere muss ein Stück weit erkämpft werden.

Aber nicht nur Frauen geht es so, es ließe sich vielleicht sogar besser umreißen, wenn wir das auf Leute erweitern, die nicht gut in Sachen Ellbogenkultur sind, denen es mehr um soziales Miteinander geht, als darum, ihren Platz zu behaupten, und die deswegen auch oft einen Schritt zur Seite gehen und Platz machen statt sich krampfhaft durchzusetzen. Das ist was die Rollenverteilung angeht bildhaft so, kannst du aber auch genauso auf jeder Tanzfläche dieser Stadt live in action so sehen. Es geht also auch um Machtgefälle. Und jede Art von Bro Culture, von Lad Culture, Männlichkeitskultur, trägt dazu bei, diesen Konsens zu stärken.

Gesprächskultur voller sexueller Anspielungen und anzüglicher Witze, Herabwürdigungen von Frauen oder Queers oder Schwächeren, verstärkt auch in Songtexten, wo sie als Kunstfreiheit tabuisiert werden – und das reicht von Ballermann-Indie wie Wanda oder Stoner Rock bis zu diversen Rap Texten. Da kann noch so oft argumentiert werden, die Leute würden das schon trennen können, und das sei doch nur Kunst: In der Club-Situation, wenn mir da auf einer HipHop-Nacht ein Typ, den ich des Raumes verweisen muss, nur noch Sprüche im Hiphop-Jargon wie “I will fuck you up, bitch! Don’t mess with me, bitch!” um die Ohren haut, während er körperlich übergriffig wird, braucht mir keiner mehr damit kommen, dass das gar nichts miteinander zu tun hat. Insgesamt schafft auf jeden Fall die Dominanz einer solchen maskulinen Kultur in einer Szene oft ein Klima, das die Herabwürdigung von Frauen normalisiert.

Viele Männer glauben, über Frauen verfügen zu können. Das zeigt sich in der Selbstverständlichkeit, mit der du zugequatscht wirst und dein Desinteresse an einem Gespräch – geschweige denn an mehr – einfach nicht akzeptiert wird. Wenn Umstehende da einfach wegschauen. Das zeigt sich, wenn du penetrant angetanzt wirst, obwohl du durch Abwenden signalisierst, dass du einfach nur alleine für dich oder mit Freunden tanzen willst. Die banalsten sozialen Signale werden oft blindlings missachtet, und das ist nicht nur zum Kotzen, weil es übergriffig ist, es ist traurig weil es so stumpf und ellbogenmäßig dumm ist, dass deswegen eine exzessive sexuell aufgeladene Partykultur voller gegenseitigem Respekt und einer Sensibilität für soziale Signale den Bach runtergeht. Bis du dich schon gar nicht mehr traust, subtile Zeichen von Interesse an jemanden zu senden, weil dein Gegenüber das gleich als “woah, die krieg ich ins Bett” missverstehen könnte und ausrasten könnte, sobald du an einem späteren Punkt Stop sagst, weil du nicht mehr von ihm willst als z.B. gemeinsames Tanzen, vielleicht auch ein bisschen Knutschen, aber nicht mehr.

Also insgesamt: Scheißpatriarchat is everywhere, und tut Männern genausowenig gut wie uns Frauen. Vielleicht, und das ist nur eines von vielen Fragezeichen, die ich in den Raum stellen möchte, müssen wir unsere Clubkultur wirklich wieder stärker politisieren. Wenn es nur noch um Musik geht, nur noch um Skills und Feiern, eine gute Zeit haben, ohne zu thematisieren, dass diese gute Zeit für manche eben mit Übergriffigkeiten gespickt ist, dann kommen halt auch Leute, die sich einen Dreck um soziale Mindeststandards scheren, sondern denen es nur um ihre gute Zeit geht.

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Faszinierend ist immer wieder aufs neue, dass Übergriffe trotz ihrer Häufigkeit so unsichtbar bleiben. Die Normalisierung und Abgestumpftheit demgegenüber ist eigentlich unglaublich, wenn du genauer darüber nachdenkst. Es funktioniert ekelhaft gut, solche Sachen, die der Hälfte der Gäste nicht passieren, zu verschweigen oder so zu tun, als wären sie schon okay und akzeptiert. Für die, denen so etwas nicht passiert, ist Einschreiten dann gleich Policing, Szenepolizei, Begrenzung ihres Spaßes. Ähnlich wie Martensteins, Sarazins und Pirincis gleich Zensur schreien, wenn jemand mehr Gleichstellung und weniger Rassismus fordert. Wenn es um den eigenen Freiraum geht, hört der Spaß für viele auf. Für den Rest aber würde es den Spaß erst ermöglichen. Wie Margarete Stokowski mal geschrieben hat: “Menschen finden es blöd, wenn man sie privilegiert nennt, und sie nicht gerade ein Champagnerglas in der Linken und ein Lachshäppchen in der Rechten halten. Dann denken sie: Was, ich? Gestern erst eigenhändig den Müll runtergebracht. Aber so ist das mit den Privilegien: Wenn man sie hat, sind sie kein Problem, und wenn man sie vorgeworfen kriegt, wird man bockig. … Wenn bei mir doch alles gut läuft, warum sollte sich dann etwas ändern?” Das verdeutlicht, warum viele Menschen, die nicht unter der Situation leiden, still bleiben, oder es verharmlosen.

Aber warum sind die Frauen und anderen Betroffenen nicht lauter? Warum ist das nicht sichtbarer? Nun, weil wir eben eine Kultur haben, die Übergriffe und Belästigungen zur Bagatelle verklärt, und in dieser Kultur gibt es für jede Frau eigentlich genug Gründe, warum sie sich nicht jedes Mal beschwert. Zum Beispiel

  • weil sie selbst im Freundeskreis schon ein “jetzt hab dich doch nicht so” zu hören bekommen hat
  • weil sie schon mal vom Personal eines Clubs mit einem Augenrollen abgewimmelt wurde
  • weil sie den Mann, der sie von hinten im Vorbeigehen begrapscht hat, eh nicht identifizieren könnten
  • weil sie nicht zum hundertsten Mal hören will, dass der Typ sie ja nur aus Versehen im Vorbeigehen gestreift hätte
  • weil sie einfach ihre Ruhe haben will nach einem unangenehmen Erlebnis
  • weil sie nicht als prüde, empfindlich oder humorlos gelten will
  • weil sie nicht schon wieder was sagen will
  • weil es eh nichts hilft

Und. So. Weiter.

Wir können gerne nachher noch mehr Gründe und Erlebnisse sammeln. Unsichtbar bleibt das Problem, weil wir nicht unseren Mund aufmachen. Und mit “wir” meine ich nicht nur die in der Einzelsituation Betroffenen, sondern uns alle, die wir irgendwas mitanhören oder -sehen, und keine Kritik dran üben, weil’s ja nur ein Einzelfall zu sein scheint, weil es ja nicht so schlimm zu sein scheint. Jedes einzelne Mal, wo wir das übergehen oder mit einem krampfhaften Lächeln abtun, tragen wir letztlich dazu bei, solche Grenzüberschreitungen zu normalisieren. Es ist anstrengend, immer wieder gegen dasselbe antreten zu müssen, aber solange wir es nur über uns ergehen lassen, wird sich auch nichts ändern.

Damit komme ich zu dem Punkt: Was können wir tun? Je nachdem, ob in der Rolle als Veranstalter*in, Clubbesitzer*in, Hausleitung, Thekenmensch, Security, oder Gast gibt es verschiedene Möglichkeiten, etwas gegen Übergriffe im Nachtleben zu tun. Ich hab’s mal in vier Kreise unterteilt.

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Zunächst mal die Täter selbst (bzw geht das auch an die Berichterstattung in der Presse raus): Da möchte ich einfach von einem Flyer-Fundstück ein paar Tipps zitieren:

  • Kippe keine K.O. Tropfen in die Drinks von Frauen.
  • Wenn du eine Frau alleine herumlaufen siehst, lass sie in Ruhe.
  • Wenn du nachts anhältst um einer Frau zu helfen, deren Auto eine Panne hat, versuch daran zu denken, sie nicht zu vergewaltigen.
  • Wenn es dir schwerfällt, Frauen nicht blöd anzumachen oder anzugrapschen, sag einem Freund Bescheid, damit er dich begleitet, und dich im Zweifelsfall zurückhält.
  • Trag eine Trillerpfeife mit dir herum. Wenn du merkst, dass du dabei bist, jemanden zu vergewaltigen, puste rein, bis jemand kommt, der dich davon abhält.
  • Ehrlichkeit ist am besten. Wenn du eine Frau zu einem Date bittest, tu nicht so als seist du an ihr als Person interessiert, wenn du sie nur ins Bett kriegen willst. Wenn du nicht signalisierst, was deine Absichten sind, könnte eine Frau das als Zeichen nehmen, dass du sie nicht vergewaltigen willst.

Dass wir das ein bisschen amüsant finden, zeigt wie sehr wir es gewohnt sind, dass die Täter sowieso unerreichbar sind, und stattdessen die Opfer Tipps bekommen. Genau das ist Victim Blaming: Betrink dich nicht. Geh nicht alleine nach Hause, sondern such dir Leute mit denen du gemeinsam den Heimweg antreten kannst. Warum hast du mit ihm geflirtet, wenn du gar nicht mit ihm ins Bett willst. usw.

Das Problem ist also hier: Wie kann ich die Leute, die so selbstverständlich übergriffig werden, erreichen? Ich kann sie schlecht zu einem Abend wie diesem heute einladen. Die üblichen Hinweisschildchen mit irgendwelchen Regeln – “Null Toleranz bei Sexismus, Rassismus und Homophobie” oder “No means no!” -, das lesen gerade potenziell übergriffige Leute typischerweise nicht. Sie empfinden sich ja meist auch gar nicht selbst als übergriffig. Ich kenne kaum ein Beispiel von einem Poster, das die Zielgruppe tatsächlich ansprechen dürfte, aber an eins muss ich immer wieder denken: Es war ein Poster im Rahmen einer Aktion vom Frauennotruf zusammen mit dem Feierwerk in München (von 40 angeschriebenen Clubs haben sich dort übrigens wohl nur zehn an der Aktion beteiligt!). Ich hab’s mal nachgebaut, weil ich kein Originalbild gefunden habe:

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Auf diesem Level, eben genauso platt, brutal offensiv und plakativ, ja, quasi wie ihr Gegenteil, die sexistische Werbung….

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… genauso hart und provokativ wie übergriffige Werbung, müssten wohl Aushänge aussehen, mit denen du auch wirklich die potenziellen Grapscher und andere Idioten erreichst.

Wer Ideen hat oder das diskutieren mag – ab dafür, genau um so was anzustoßen, dafür machen wir die ganze Reclaim The Night Geschichte – Hive mind funktioniert besser. Und gemeinsam finden sich leichter Wege, um Ideen umzusetzen.

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Dann gibt’s die Sachen, die Veranstalter*innen und Clubbesitzer*innen tun können. Brenzlig ist für gerade privatwirtschaftliche Clubs: Man hat Angst, das Problem sichtbar zu machen, weil es schnell ein schlechtes Licht auf den Laden werfen könnte. Angst ums Image. Verständlicherweise. Deswegen dachten wir uns, als musikverein, also als ehrenamtliches Veranstalterkollektiv trauen wir uns das einfach mal anzustoßen, wir haben da weniger zu verlieren, weil bei uns die Grenzen zwischen Gästen und Veranstaltenden eh verschwimmen, und je mehr verschiedene Läden sich dann vielleicht anzuschließen trauen, und auch mit Aushängen, Visuals arbeiten und transparent mit dem Thema umgehen, desto deutlicher lassen sich Signale setzen. Was von veranstaltender Seite getan werden kann, sind mindestens Dinge wie: Hinweise, dass sich an Bar/Tür/Security-Leute gewendet werden soll bei jede*r Art von Übergriffigkeit und Personal, das Betroffene ernstnimmt, wenn sie sich beschweren, das aber auch selber die Augen offenhält.

Da wäre eben z.B. die Frage an euch, ob euch das in allen Clubs, in denen ihr so verkehrt, deutlich genug ist, dass ihr euch beim Personal um Hilfe wenden könnt, oder ob das deutlicher signalisiert werden sollte. Und auch wie ihr euch das wünschen würdet. Vielleicht gibt’s da ja Ideen, auf die die Veranstaltenden gar nicht kommen.

Wir vom musikverein haben dann auch noch unter dem Reclaim The Night Projektnamen einen Mailverteiler und einen runden Tisch mit anderen interessierten Veranstaltenden und Clubs angestoßen, damit man sich schnell vernetzen kann zu dem Thema und immer wieder mal austauscht, und auch da Aktionen plant.

Und wir dachten uns dann eben noch, wir haben den Raum hier, den können wir doch als Plattform zum Austausch und als Verstärker anbieten, deswegen dieser Abend heute. Darüber hinaus dann noch für euch als Kontaktmöglichkeit zu dem Thema:

  • Eine Extra-Mailadresse – reclaimthenight@musikverein-concerts.de. Die kommt bei Carmen double u cc und bei mir an, und wenn ihr dazu schreibt dass ihr das wollt, werden wir die Mail auch völlig anonym behandeln. Da könnt ihr uns gerne Ideen für Aktionen, Wünsche für Verbesserungen an Veranstaltende, oder auch Erlebnisse schreiben.
  • Damit’s auch ein öffentliches Podium zum Austausch im Netz gibt, haben wir gestern eine Facebook-Gruppe eingerichtet: Reclaim The Night Lounge.

Und wir können eben auch gerne bei der Umsetzung von Ideen helfen, gucken wie sich z.B. Poster- oder Flyerideen oder sonstwas umsetzen und der Druck finanzieren lässt.

Das ist, denke ich, das Wichtige: Wir müssen als Veranstaltende offen sein, andere Perspektiven, vor allem die Perspektiven von Betroffenen, und Vorschläge anhören, dann gucken, was umsetzbar ist oder vielleicht auch auf eine andere passendere Institution oder Gruppe verweisen, oder um Hilfe bitten. Die Möglichkeiten sind ja endlos.

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Dann gibt’s noch die Leute, die selbst gerade nicht betroffen sind, aber einen Übergriff mitbekommen oder grundsätzlich einfach helfen wollen. Da wäre mein Rat: wenn du siehst, dass zum Beispiel eine Frau sichtlich genervt von einem Mann ist, der sie zulabert oder antatscht, geh einfach mal hin und frag sie, ob alles okay ist. Nicht gleich als Retter aufspielen, aber eben zeigen, dass sie nicht alleine ist, und im Zweifelsfall den Nerver ablenken, bis die Frau weg ist. Und dann natürlich, je nachdem was vorgefallen ist, jemandem vom Club Bescheid sagen. Wenn du siehst, dass eine Frau gegen ihr Einverständnis angetanzt wird, auch dann kannst du jemandem vom Club Bescheid sagen. Oder zum Beispiel auch dazwischentanzen.

Es gibt unzählige Einzelsituationen, für die es nicht pauschal eine Lösung gibt, aber was immer zutrifft: Schau nicht einfach weg. In unseren kleinen Clubs hier geht es um gemeinsames Feiern, da sollten alle sich im Idealfall auch dessen bewusst sein, wie es den Leuten um sie herum geht.

Darüber hinaus ist aber noch etwas wichtig: Macht die Übergriffe sichtbar. Erzählt es weiter, tauscht euch mit Freundinnen und Freunden aus. Fragt nach, ob anderen schon mal so etwas passiert ist, lasst das Thema nicht unter den Tisch fallen, lasst nicht locker. Und wenn Leute in eurem Umfeld so etwas verharmlosen, oder gar darüber scherzen, dann sagt etwas dagegen, seid ruhig der Spaßverderber und macht ihnen klar, wievielen Menschen das dafür im Nachtleben regelmäßig den Spaß verdirbt.

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Zu guter letzt gibt es dann noch die Personen, die von Übergriffen betroffen sind. Hier tue ich mir als Veranstalterin schwer, euch irgendetwas zu raten, denn schließlich solltet nicht ihr diejenigen sein, die sich tausend Tricks zum besseren Schutz ausdenken müssen, das ist eben genau das Victim Blaming, das ich schon angesprochen habe. Aber als jemand, der das auch immer wieder passiert, auch wenn nicht mehr so oft – einer der Vorteile des Alterns ^^ : Ich finde einen Austausch über Tipps untereinander schon wichtig. Es darf nur nicht von oben oder von außen kommen, in der Form, die uns für eine Lösung des Problems in Verantwortung nimmt, oder uns gar die Schuld aufbrummt, wenn uns etwas passiert. Wir müssen wegkommen, von einem Zustand, in dem es bei einem sexualisierten Übergriff bei einem betrunken feiernden Mann entschuldigt wird, so auf die Art “er war doch betrunken, er hat es nicht so gemeint, er ist doch sonst gar nicht so”, während die Frau, die betrunken feiert in Verantwortung genommen wird: Hättest du halt nicht soviel getrunken, hättest du halt nicht mit ihm geflirtet, du wolltest es doch auch usw.

Von daher: Es ist wichtig, es so sichtbar wie möglich zu machen. Auch zum hundersten Mal an der Bar oder am Einlass Bescheid zu sagen, selbst wenn ihr den Typen, der euch im Dunkeln auf der Tanzfläche heimlich zwischen die Beine gefasst hat, nicht identifizieren könnt. Die Leute vom Club haben dann zumindest schon mal die Warnung, die Augen extra offen zu halten, und erwischen ihn so vielleicht bei der nächsten Situation. Fühlt euch nicht wie die Spaßverderberinnen, denn das sind immer die, die euch das antun.

Viele haben auch eigene Kniffe im Nachtleben und ein Austausch über unsere Wehrhaftigkeit ist leider wohl auch immer noch notwendig. Mich hat letzthin z.B. ein Freund gefragt, wie normal es heute eigentlich noch sei, dass junge Frauen einen Selbstverteidigungskurs belegen. Das war früher mal ziemlich gängig, aber wir hatten beide das Gefühl, dass das nicht mehr so häufig ist. Ist natürlich auch wieder schwierig abzuwägen mit dem Punkt, dass nicht die Opfer verantwortlich für ihren Schutz sein sollten.

Was wir vor allem, glaube ich, untereinander brauchen, ist mehr gegenseitiges Mutmachen zum Widerstand gegen so einen Mist, und das mit Lust, dass wir uns selber nicht den Spaß rauben lassen, mehr weibliche Solidarität, uns nicht gegenseitig damit alleine lassen. Wenn ihr also auch Tipps austauschen möchtet, wie ihr euch wehrt, wie ihr euch vorbereitet, dann könnt ihr das natürlich auch gerne heute in diesem Rahmen tun. Aber eben immer unter dem Vorbehalt, dass es nur ein letztes Mittel zum Schutz sein sollte, und nicht zu einem sozialen Konsens beitragen darf, dass sich Frauen schon selber drum kümmern, sich zu wehren.

Ein paar typische Beispiele nenne ich jetzt vielleicht mal, und zwar eher, damit Nicht-Betroffenen vielleicht klarer wird, wie tief im Alltag das für viele Frauen verankert ist, wie normalisiert dieser Zustand ist:
z.B.

  • Leute, denen du halbwegs vertraust, ansprechen, ob du mit ihnen gemeinsam zur U-Bahn oder zum Taxistand laufen kannst, weil du dich alleine am Heimweg unsicher fühlst.
  • Immer einen Kopfhörer oder ein Buch dabei haben, um in öffentlichen Verkehrsmitteln gleich auszustrahlen, dass du nicht angesprochen werden möchtest. Überhaupt: Sich möglichst nicht auf ein Gespräch mit einem Fremden einlassen, wenn du alleine unterwegs bist, weil jedes Gespräch sich nach ein paar Sätzen zu einer stumpfen Anmache und bei deiner Ablehnung in Beschimpfungen oder gar Gewaltdrohungen wenden könnte.
  • Ein Klassiker ist auch der zwischen die Finger gespreizte Schlüsselbund, den du am nächtlichen Heimweg in der Jackentasche umklammerst.
  • Oder: Den ganzen Heimweg lang mit jemandem laut telefonieren oder so tun als ob, um einen potenziellen Bedroher abzuschrecken.

Solche Taktiken sind zahllos. Traurigerweise.

Aber wieder zum Positiven. Ich bin ja seit jeher eine Freundin von Dingen die Spaß machen und mit Politik zu tun haben. Deswegen fände ich es auch ziemlich cool, wenn aus diesem Abend heraus etwas Längerfristiges entsteht, wo wir immer wieder mal neue Ideen weiterspinnen können, kleine Aktionen ausdenken, die eben nicht nur bierernst an die Sache herangehen, sondern stattdessen lieber denen, die übergriffig werden, den Spaß verderben.

Wenn ihr wollt, können wir diese Reclaim The Night Lounge genau dafür öfters machen, als losen Treffpunkt, um Ideen auszuhecken und uns auszutauschen. Zweimonatlich oder monatlich – gebt uns einfach Feedback, dann sind wir sofort dabei. Es wäre ein Angebot von uns an euch – ob was draus wird, hängt von euch ab. Von denen, die sich gegen Übergriffe engagieren wollen, weil sie die Nase voll haben.

Damit schon mal Ideen im Raum stehen, hab ich ein bisschen gegrübelt, und habe mal die klassischen Kärtchen zum Abwimmeln rausgekramt, die es in verschiedensten Formen schon weltweit gab, von Punk AZs und Ladyfests bis zu Technikkonferenzen oder Raves. Ich hab da mal schnell was rausgehauen – ist nur ein Anstoß. Und selbstverständlich mit Schreibfehlern. Pardon dafür. Ihr seht die schon überall hier rumliegen.

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Creep Cards hab ich sie getauft. Solche Kärtchen mögen erst manchen vielleicht etwas albern erscheinen, aber sie haben den Vorteil, dass ich mich nicht auf ein Gespräch mit einem vielleicht Betrunkenen einlassen muss, der mich dann in Endlosdiskussionen verwickelt, ich gebe ihm aber trotzdem die Botschaft mit. Und: sie geben mir auch beim Überreichen gleich einen Moment der Ablenkung, in dem ich weggehen kann. Noch dazu gibt’s die kleine Chance, dass der Täter das vielleicht am nächsten Tag, wenn er wieder nüchtern ist, noch mal liest und er merkt, dass er Scheiße gebaut hat. Ist keine Lösung, aber ein Puzzleteil, das auch was beitragen kann.

Wenn euch dafür zum Beispiel bessere Sätze oder Formulierungen einfallen – das wäre super. Das wäre eben genau so eine Sache, wo alle mal nachdenken können, und entweder gleich heute Abend noch oder auch per Mail oder in der Facebookgruppe Ideen einbringen können, und dann könnten wir sammeln und über Formulierungen abstimmen, und das ganze dann noch von jemandem cool layouten lassen, gucken wie wir Geld für den Druck zusammenkriegen, und dann auch wirklich in einer größeren Menge drucken und in der ganzen Stadt verteilen.

Als eine noch aktivere Sache ist mir auch noch eingefallen, dass wir uns auch ab und zu einfach mal zusammentun könnten, und als kleine aber offensive Gruppe von Frauen – es können aber auch gerne Jungs mitmachen! – ein, zwei Stunden gezielt in der U-Bahn oder Innenstadt mit Motto-Schildern, Info-Flyern, vielleicht auch Ghettoblaster und offensivem Auftreten Präsenz zeigen im Nachtleben. Sowas wie eine coole feministische Variante von Jungesell*innenabschieden. Die schaffen es ja auch, den Leuten nachhaltig im Kopf zu bleiben. Das könnte man auch immer wieder mal machen. Und Reclaim The Night, unser Slogan, kommt übrigens von großen nächtlichen Demos bei denen Leute gegen sexualisierte Gewalt und Übergriffe im Nachtleben auf die Straße gegangen sind.

So, das war’s von mir – jetzt seid ihr dran, und ich übergebe an Bettina für die Gesprächsleitung. Danke für’s Zuhören!

Ted Leo + Rebecca Gates – Konzertreview (23.9.12 K4 nbg)

foto: ted leo“Everyone needs a sunday some days, everyone needs to take some time away.
So come on home from the front lines, baby,
You know you’ve done more than your time there was supposed to have been.
A little time out could turn your head ’round,
A little time out could lift us our of the mess we’re in.”
Ted Leo

So viele Konzerte, so wenig Zeit sie sacken zu lassen. Ich versuch mich mal wieder an Konzertreviews. Hier ein erstes.

Letzten Sonntag, 23.9., spielten Rebecca Gates und Ted Leo im Zentralcafé. Ein kleines Konzert, zu klein, viel zu klein, soll heißen viel zu wenig Gäste. Auch wenn das Konzert sehr kurzfristig zustande kam, war es schon krass, dass gar so wenig Leute kamen, wo doch Ted Leo sowas wie der Joe Strummer (nicht nur) meines Punk/Indie-Universums ist. Und er ist weiß Gott kein unbekannter Künstler. Aber egal – Konzerteveranstalten tut halt, wenn du Überzeugungstäterin bist, manchmal auch ein bisschen weh.

Zum Konzert: Rebecca Gates spielte als erstes. Seltsam lange verstrickte Songs, bei denen ich wünschte, ich hätte die Texte besser verstanden, da das Songwriting eher den Geschichten zu folgen schien, die sie besang, als sich an irgendwelche klassischen Vers-Refrain-Strukturen zu halten. Ihre Stimme ging mir aber immer noch so unter die Haut wie zu der Zeit als sie mit den Spinanes diesen schönen Song rausgebracht hatte:

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[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=CY4IZ5c-lNg]

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Teilweise forderte es bei ihr schon Konzentration nicht mit den Gedanken abzuschweifen, wenn einer ihrer Songs die zehnte Abzweigung zu einer neuen Melodie nahm, auch wenn es faszinierend war, wie sie Gitarrenspiel und Gesang verband. Letztlich war es dann doch die einzige Coverversion, die mir so richtig in Erinnerung blieb: Mein Lieblingssong von Arthur Russell, ‘A Little Lost’, den sie etwas flott, aber mit einer ähnlich samtigen Intimität sang.

Über Ted Leo zu schreiben, fällt mir etwas schwerer, weil ich da absolutes Fangirl bin. Er ist nicht nur ein hervorragender Songwriter mit gnadenlos eingängigen Melodien, sondern ich schätze es auch sehr, wie bei ihm the personal und die politics ebenso eng verwoben sind, wie Whisky und Gitarre, aber ohne dass er dabei diesen Jungswelt-Gestus zelebriert, der so vielen Punk- und Indiefolk-Barden durch die Bärte weht. Sein dezenter unzynischer Sinn für Humor und ‘working class’ Spirit wären noch zwei Stichworte, die mir auch an diesem Abend wieder in den Sinn kamen. In Sachen Ausstrahlung gehört Ted Leo definitiv in eine Riege mit Leuten wie Jonathan Richman, die nur auf die Bühne steigen müssen und einmal in die Runde lächeln, und schon hängen ihm alle für die nächste Stunde glückselig grinsend an den Lippen, egal was er macht. Erschwerte Umstände sind aber natürlich, wenn du Sonntagabend vor einem ziemlich leeren Raum spielst, und die paar Anwesenden auch eher in passiver ‘jetzt mach mal’-Stimmung sind. ‘With great power comes great responsibility’, wie schon Spiderman beigebracht wurde, und Herr Leo – selbst an diesem Abend wohl auch etwas verknittert vom Alkoholmissbrauch des Vorabends im Kafe Kult in München – schien sich etwas unter dem Druck der ‘responsibility’ für entertainende Wortwechsel (oft mit Hilfe von via Smartphone übersetzten deutschen Sätzen) zwischen den Songs zu fühlen. Das haute mal mehr mal weniger hin.

Musikalisch fand ich’s ganz groß. Er spielte sich quer durch eine schöne Auswahl aus seiner inzwischen natürlich ganz schön großen Palette an ‘Hits’ und gab auch einen kleinen den Mund doch etwas wässrig machenden Vorgeschmack auf ein neues Album. Ach, und ich bekam zum nachträglichen Geburtstag ‘Me & Mia‘ gewidmet und löste mich innerlich kurz in ein Häufchen ‘aaaaaaaaaaw!’ auf. Und die nachgereiste Kafe Kult Fraktion bekam ‘Bottled in Cork‘ gewidmet, was ja hervorragend passte, so als quasi Trinklied. Das Schöne ist, dass Ted Leo seine Songs auch ohne Band nicht einfach zu balladesken Unpluggedversionen konvertiert, sondern bei ihm eher wie bei einem Billy Bragg auch solo, der Punk nicht verloren geht. Sehr schönes Konzert war das. Fotos hab ich leider keine, aber vom Vortagsauftritt, wo Ted Leo das erste Mal in seinem Leben mit Konfetti beworfen wurde, hat Tobi Eartrumpet hier welche online gestellt.

KUEDO bei sub:city

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Wer mich ein bisschen besser kennt, weiß, dass ich, wenn ich mich verliebe,  dazu tendiere mich in Musik zu verlieben statt in Menschen. Letzte Nacht ging’s  mir so mit KUEDOs Set bei sub:city im K4.

Wenn du dir KUEDOs ‘Severant’ Album noch nicht besorgt hast – tu es. Es ist  mehr als einmal beschrieben worden als: Vangelis’ Blade Runner soundtrack trifft auf Future Bass Music und das dürfte auch der einfachste Weg sein, es zu beschreiben. Kühle schöne Synthies kombiniert mit warmen tiefen Subbässen und den herumwirbelnden funky Beats von Footwork – glaub mir, im Club funktioniert das sogar noch besser, weil du dort den Bass wirklich spüren kannst. Das ist aber nur eine Facette von dem, was er letzte Nacht gespielt hat. Da war auch (Post)Dubstep, Hiphop, Synthpop, Ravestep, sogar discoide Moment – viele verschiedene Stile und Stimmungen aber alle verschmolzen zu einem großen schnurrenden Ball aus Musik. Verzeiht meinen Enthusiasmus, aber das war einfach genau mein Ding.

Er setzte weder darauf, nur das zu spielen, was du von seinen VEX’D oder KUEDO Veröffentlichungen erwarten könntest. Noch verließ er sich auf die wuchtige Sicherheit des abgenutzten simpel strukturierten heavy Dubsteps, der die ‘meine-Eier-sind-genauso-groß-wie-der-Bass-da-drin’ Teile des Publikums ja immer noch zu begeistern scheint. Selbstverständlich gab es auch heavy Parts, aber halt keine von der simplen langweiligen Wobblestepsorte. Stattdessen baute KUEDO ein komplexes Set mit Gewicht auf und einem guten Gespür für Ästhetik. Komplex, ja – aber in keinem Moment fühlte es sich überkonstruiert an. Er fixierte sich nicht darauf sich einer Beatmatch Linie entlang zu bewegen sondern spielte stattdessen mit aufregenden Kombinationen und damit, die richtigen Dinge im richtigen Moment zu droppen.

Es gibt Sets die ganz von einer Reise von Punkt A zu Punkt B bestimmt sind, auf einer eher geraden Linie, und die Spannung und Höhepunkte kreieren als wärst du auf einer Fahrt von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten. Und es gibt es Sets, in denen diese Art Linearität egal ist, sondern die eher multidimensional erscheinen und die G-Punkte des Dancefloors kitzeln als ob jederzeit alles passieren könnte. Das kann schon auch  mal in Überstimulierung enden und ein bisschen viel werden nach einer Weile. KUEDOs Set ging mehr in Richtung des Letzteren, aber er bekam es fertig alles in einem smooth schwebenden Flow zu halten.

Es gab ein paar richtige Facemeltermomente. Für mich waren das ein paar von den footworkmäßig perkussiven Stellen über wunderschönen tiefen Subbasslinien, und auch ein großartiger heavy Ravebreakdwon und -buildup. Es gab auch ein paar Pop- und Spaßmomente, die ich liebte. Vielleicht war’s ja auch nur meine Art von Humor, aber ich musste lachen als er vom ach-so-(Neu)-Romantischen ‘Moments in Love’ (Art Of Noise, Caspa remix(?)) gefühlvoll zu einem rüden Rap rübermixte, der irgendwas über ‘pussy juice, nigga’ spittete.

Ich hab echt noch mal drüber nachgedacht, aber ich bleibe bei meinen Worten von letzter Nacht: Es war das beste Bass Music Set, dass ich bis jetzt gehört habe. Es stand irgendwie für alles, was diese Tage Bass Music zur aufregendsten und lebendigsten Ecke von elektronischer Musik macht. Danke, Mr. Teasdale!

P.S.:
Ich muss SUB:CITY auch noch mal danken: Ich liebe euch dafür, dass ihr uns wieder mal eine Nacht gebracht habt, die fast wie ein Statement gegen die Brostepifikation der Dubstep-Szene war, und zeigt dass es ein Platz für mehr Leute als nur männliche Hetero-Tough-Guys ist. Ich liebe eure Auswahl von Bookings, was ihr spielt, und die handgemachten Poster und Deko (besonders den mürrischen Mond!) – ich glaube, dass all das zusammen schon ausstrahlt, dass es um sowas wie social clubbing geht. Es waren wieder angenehm viele Frauen auf der Tanzfläche gestern wo es da bei anderen Dubstepnächten ungefähr so viele wie im Pit der meisten oldschool Hardcore/Punk Shows.
Trotzdem waren auch wieder ein paar Idioten unter den Gästen, was wirklich nervt, weil es nur ein paar solcher Hoolz braucht, um die Stimmung für viele zu verderben. Ich dachte, wir hätten die Zeiten von Schlägereien am Einlass hinter uns. Es ist ermüdend. Trotzdem glaube ich, dass es für fast alle eine großartige Nacht war!