Virtual Reality und Kunst – re:publica 2016

Hier kommt das Skript, Audio und Video meines Vortrags zu Virtual Reality und Kunst auf der re:publica 2016. Es war mein erster Besuch dort und ich habe ihn in vollen Zügen genossen. Selten so viel spannenden Input so komprimiert erfahren. Insgesamt viel weniger ‘businessy’ als ich befürchtet hatte, viel sympathischer. Ich selbst hatte mich eigentlich mit einem anderen Thema beworben (eher Richtung, wie sich soziale Medien in unser Denken, unser Wahrnehmung usw einschreiben), aber wurde dann gefragt, ob ich bei meinem Background nicht lieber was zu VR und Kunst machen würde, weil das heuer ein Schwerpunkt sei. Da ich mich immer für das was Medien so mit uns anstellen interessiere, und ich VR als neues immersives Medium tatsächlich sehr spannend finde (Mixed oder Augmented aber eigentlich noch mehr), nahm ich das gerne als Gelegenheit an, mir mal ein paar mehr Gedanken dazu zu machen. Und sei es nur, um das allgemeine “woah, krass!” und “VR ist die Zukunft von xy” um etwas zu erweitern. Bei mir geht es denn mehr darum, was ein Medium, in das du eintauchst, eigentlich für das Verhältnis von Künstler*in und User und Werk bedeuten könnte, und über die Möglichkeiten und Notwendigkeit von freier kritischer VR Kunst um ihre gesellschaftliche Rückkopplung sichtbar zu machen.

Ich werde auf jeden Fall in den kommenden Tagen noch Impressionen und Gedanken und Vortrags-Tipps zum Im-Nachhinein-Gucken von der re:publica aufschreiben, hier aber erst mal mein Vortrag, weil doch ein paar Leute nachgefragt haben. Freut mich! Danke!

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Virtual Reality und Kunst

Um Virtual Reality und Kunst soll es bei mir hier heute gehen. Was ist das besondere an VR, was macht dieses Medium so radikal, warum wird es als ähnlich einschneidend wie seinerzeits die Einführung der Perspektive in der Malerei betrachtet?

Immersion vs Erzählen

Eine Sache, die an VR fasziniert, ist für den User allein schon die Auflösung der Distanz zu der präsentierten Erlebniswelt. Pimentel und Texeira haben über diesen anti-semiotischen Charakter, also dass wir keine Zeichen mehr zu übersetzen brauchen, sondern direkt eintauchen können schon in den 90ern geschrieben: “Einfach gesagt, ist Virtuelle Realität, wie Schreiben und Mathematik, ein Weg, das, was du dir mit deinem Denken vorstellen kannst, zu repräsentieren und zu kommunizieren. Aber sie kann machtvoller sein, weil du die Ideen nicht in abstrakte Symbole mit restriktiver Semantik und syntaktischen Regeln konvertieren musst.”

VR Kunst aber nun nur als bloßes Eintauchen in eine Erlebniswelt zu betrachten, hieße, lediglich von der Perfektheit der Illusion fasziniert zu sein, wenn nicht sogar von der eigenen Schöpfermacht berauscht zu sein. Es hieße, das Medium nur als Erweiterung von so etwas wie 3D-Filmtechnik zu betrachten. Etwas, mit dem du noch mehr mittendrin bist im Geschehen. Nun, als Eintauchen in ein Erlebnis, als Identitätstourismus – so werden die Möglichkeiten von Virtueller Realität von vielen derzeit gedacht. Ob es eine Achterbahnfahrt durch den Kosmos ist oder der Aufenthalt in einer Isolationshaftzelle – das heißt VR als Möglichkeit zu denken, wie ich als Künstler meine Version einer Geschichte noch eindringlicher auf den User wirken lassen kann. Das stößt aber schon beim Storytelling an eine Grenze: Wie erzähle ich eine Geschichte? Wie lenke ich den User meine Handlung entlang? Storytelling im klassischen Sinne funktioniert nicht, wenn der User als Figur teil der Erlebniswelt wird und frei in ihrem oder seinem Handeln ist. Wenn User hingucken und hingehen können, wo sie wollen – wie kann dann eine stringente lineare Handlung erzählt werden?

Oder reicht ein zu erkundender Raum als Erlebnis? Wellnesskunst-VR mit sphärischen Klängen und meditativen Umgebungen gibt es ja auch schon. Das gerade frisch veröffentlichte VR Erlebnis vom Guardian über Einzelhaft funktioniert deswegen gut, weil eine Isolationszelle per se ein abgeschlossener kleiner Raum ist. Da lässt sich nicht viel Erforschen und Interagieren. Ähnlich ist es in Notes of Blindness, in dem das Audio-Tagebuch des langsam erblindenden John Hull, visuell und akustisch umgesetzt wurde. Umgebungsgeräusche, O-Ton, Erzählerstimme – akustisch gibt es auch hier, wie beider Einzelhaft-VR eine Mischung aus Erzähler und Erleben. Es werden Grenzen gesetzt, die den User einschränken. Aber das ist keine wirkliche Lösung des Storytellingproblems, schöpft auch nicht die Eigenheiten des Mediums aus, sondern schränkt sie ein: Der Erschaffer will die Macht behalten, sein Publikum zu steuern. Es soll nur ein bisschen von der Leine gelassen werden, darf sich in 360° umgucken, bisschen was tun, wie Gaming gedacht, aber bitteschön weiterhin in der passiven Rolle bleiben.

VR heißt so einfach nur, das Erlebte als noch ein bisschen echter zu empfinden. Im Moment ist das durchaus auch faszinierend, aber wenn die Technologie gewohnter wird, könnte es dazu führen, dass VR ähnlich verpufft wie 3D, als nicht mehr als eine Art Special Effect durch den sich der User noch mehr berühren oder manipulieren lässt.

VR Erlebnis als schöpferischer Akt

Ein konsequenterer Ansatz ist es, den User als Miterschaffenden dieser künstlichen Welt zu sehen. Also: Dass ich keine feste Geschichte vorgebe, sondern nur eine Umgebung, eine potenzielle Erlebniswelt erschaffe, in der ein User selbst ihr oder sein Erlebnis formt. Keine fertige Geschichte, die der User durchspielt. Der autoritäre Erzähler verschwindet. Die Erlebende bringt ihre eigenen Wünsche, Ideen, ihren ganzen Background hinein und schafft das virtuelle Kunstwerk dadurch, wie sie sich in dieser Welt verhält, überhaupt erst mit.

Ein vergängliches und personalisiertes virtuelles Erlebnis: Keine zweite Person wird sich exakt genauso Umgucken und in derselben Weise mit der virtuellen Umgebung interagieren. Den User als Mit-Erschaffenden zu denken, scheint mir dem Medium Virtual Reality angemessener, denn anders als beim Buch oder Film gibt es hier kein abgeschlossenes Produkt oder Objekt, sondern dieses entsteht erst, wenn der User die VR Brille aufsetzt und mit der artifiziellen Realität interagiert. Und existiert nicht mehr, wenn er sie abnimmt.

Ist es nicht ein ganz schöner und ermächtigender Gedanke, dass der Autor somit im VR Medium, nun rund 50 Jahre nachdem Roland Barthes ihn schon mal für tot erklärt hat, nun gewissermaßen ein zweites Mal sterben könnte? Barthes bezog das damals darauf, dass ein Kunstwerk immer vor dem biographischen Hintergrund seines Schöpfers interpretiert werden müsse: Er emanzipierte dagegen die individuelle Betrachtungsweise. In VR stirbt der Autor nun den Tod als handlungsformende Hand. Virtual Reality also als Ermächtigung des Users und der Userin: das Erleben wird zu einem schöpferischen Akt.

VR als Erotik der Kunst

Oder gar: Zu einem lustvollen schöpferischen Akt, einem sinnlichen schöpferischen Erlebnis, eben wegen dem Eintauchen in die virtuelle Welt. Susan Sontag hat schon ein paar Jahre vor Barthes (jouissance) in Against Interpretation festgehalten, dass es bei Kunst nicht um eine richtige Lesart gehe. Das Herangehen an Kunst dürfe nicht darauf beschränkt werden, dass es nur eine vom Schöpfer quasi versteckte Bedeutung gäbe, die es zu enthüllen gälte. Sie forderte stattdessen eine Erotik der Kunst und verschob damit die Gewichtung auf das individuelle emotionale sinnliche Erleben eines Kunstwerks.

Das möchte ich auf das schöpferische Kunsterlebnis von Virtual Reality übertragen: Sie ermöglicht auch formal eine Erotik der Kunst, indem der User gleichzeitig Erlebender und Mit-Schöpfer des Werks wird. Also dadurch, dass jeder User, jedes Userin ein individuell anderes Virtual Reality Erlebnis durchläuft, ja, durch ihren Blick und ihre Interaktionsentscheidungen erst mitkonstruiert, und eben nicht eine vom Künstler vorgegebene Storyline nachvollziehen muss. Das VR Kunstwerk an sich entsteht erst in dem Moment der Interaktion mit dem einzelnen User.

In voller Konsequenz des Mediums gibt es also bei Virtual Reality kein eines fixes Werk mehr, sondern es ist eine flüchtige Vielheit von Kunstwerk: die verschiedenen Erlebnisstränge, die verschiedene User durchmachen, stehen als viele ephemerale Kunstwerke gleichberechtigt nebeneinander.

Kritik des Unsichtbaren

Das Spannende an einem neuen Medium ist auch immer, herauszufinden, wie wir darüber sprechen können. Sprache hilft uns ja, etwas zu verstehen. Bei Virtual Reality ist das alles noch im Entstehen. Wird sie angesehen, wird sie erlebt, wird sie gespielt? Das greift alles nicht so recht. VR hebt unsere gewohnte Vorstellung von Perspektive aus den Angeln. Wir stehen vor, oder besser gesagt, in einem unsichtbaren Medium. Wir haben kein Buch, keine Leinwand, keinen Bildschirm – nichts, was uns von dieser Welt in der Welt trennt. Durch dieses Eintauchen wird auch die Konstruiertheit dieser Welt quasi unsichtbar. Ohne eine Distanz dazu – wie können wir uns da ein kritisches Bewusstsein bewahren?

Überall dort, wo neue Technologie unsichtbar wird, oder: unsichtbar gemacht wird, gibt es dieses Problem der Art und Weise der Kritik. “Black Box Society” nennt Frank Pasquale das Phänomen im Zusammenhang mit immer mehr intransparenten zum Teil lernenden Algorithmen, die immer größere Teile unseres Lebens durchziehen. Es ist schon schwierig etwas zu kritisieren, wenn es sehr komplex ist, aber es ist noch schwieriger, wenn es quasi unsichtbar ist. Kate Crawford hat die Gefahren, die darin stecken, dass die Vorurteile von Menschen unsichtbar mit in Technologie hineinkonstruiert werden, gestern bei ihrem Vortrag hier schön an ein paar Beispielen aus der automatischen Bilderkennung gezeigt: Wenn zum Beispiel bei einer Suche nach CEO nur Bilder von weißen Männern als Ergebnis ausgespuckt werden. Der Timeline-Algorithmus von Facebook ist auch so ein schwer fassbares Ding. Es gibt keine Kontrollinstanz außerhalb des Unternehmens und es gibt immer noch viele User, die nicht mal wissen, dass ihr Newsfeed gefiltert wird. Genauso schwer ist es, die Konstruiertheit von VR zu sehen.

Und es wichtig dass Technologie nicht unsichtbar bleibt, sondern dass wir Wege finden, darüber zu sprechen, weil Unsichtbarkeit leicht mit Neutralität verwechselt wird, und dazu verführt, zu denken, dass eine bestimmte Technologie nur so und nicht anders konstruiert werden könne. Die Sichtbarmachung ist nötig, um sinnvoll Kritik üben zu können.

Kunst als spielerisches Erforschen

Und eine kritische Auseinandersetzung mit neuen Technologien, neuen Medien ist wichtig, weil sie uns verändern und wir verstehen sollten, wie. Digitale mobile Kommunikationsmedien zum Beispiel haben unseren Sinn für Raum und Zeit, für Soziales, für Privatheit und Öffentlichkeit grundlegend verändert, und wir stecken hier immer noch mitten im Versuch, zu verstehen, wie. Marshall McLuhan hat darauf hingewiesen, dass Medien zu verstehen heißt, die Effekte von Medien zu verstehen. Kunst kann das im kreativen Erforschen und Spiel mit dem Medium oft besser festmachen, als eine komplexe wissenschaftliche Abhandlung. Bestimmt kennen viele von euch die Serie Black Mirror? In ihr wird kreativ mit den Möglichkeiten moderner Kommunikationsmedien gespielt. Science Fiction, aber so nah an den jetzigen technologischen Entwicklungen, dass es hilft, besser zu verstehen, wie diese unsere Gesellschaft verändern.

Körperlichkeit in VR: das Bauchgefühl

Mit Virtual Reality stehen wir schon an der Schwelle zu einem noch größeren Umbruch, als ihn soziale Medien, Smartphones usw. bedeutet haben. Wo Smartphones Mobilität des Bildschirms und dank Touchscreens eine direktere, intuitivere Bedienung als die gute alte Maus am Desktopcomputer brachten, fällt bei virtueller Realität der Bildschirm weg, und wir können noch direkter auf Dinge zugreifen. Das ist der anti-semiotische, oder post-semiotische Charakter von VR: Wir müssen nichts per Mausklick auf ein Symbol eines Mülleimers ziehen, sondern können etwas gleich mit einer Handbewegung in einen virtuellen Mülleimer werfen.

Steuerung durch Gesten, durch Blick, oder – auch das gab es schon in einer VR Installation – Steuerung der Fortbewegung durch Atmung. Damit lassen sich ganz neue körperliche Erfahrungen austesten. VR Kunstinstallationen, in denen sich die Schwerkraft verändert, je nachdem wo du gerade bist. Der Kreativität sind da eigentlich keine Grenzen gesetzt.

In einem Artikel über Mixed Reality mit Magic Leap hieß es vor kurzem, dass hier eine Verschiebung vom Erschaffen, Weiterverbreiten und Konsumieren von Information zum Erschaffen, Weiterverbreiten und Konsumieren von Erfahrungen stattfände. Dass Virtual Reality so anders sei, weil wir ganz aus dem Bauch heraus verstünden, was wir dort erleben. Ich werde immer etwas nervös, wenn mir Leute Bauchgefühl als Beleg für Authentizität oder Wahrheit nennen, gerade in der Ära der besorgten Bürger. Aber mit genau wegen so einer Direktheit des Fühlens wird gerade sehr viel herumgeschwärmt in Sachen VR.

VR und Empathie: Botschaft vs Spektakel

Kaum ein Text über VR derzeit, in dem nicht mit dem Begriff der Empathie herumgeworfen wird. Vor allem Journalismus, der dank des Gamings von sozialem Miteinander, das ja den Kern von Social Media Plattformen darstellt, derzeit ohnehin schon mehr denn je auf kurzlebige Emotionalisierung statt auf tiefergehende Erklärungen setzt, scheint darauf anzuspringen. Darüber hinaus scheint mir die virtuelle Teilnahme an Doku-Erlebnissen auch ein Weiterführen von so etwas wie Liveticker oder Livestreamen von Katastrophen zu sein. Es geht leider oft mit dem Verzicht auf komplexere sachliche Auseinanderetzung einher. Menschen sind auch von Filmen zutiefst gerührt, oder vom Bild eines toten Flüchtlingskinds kurzzeitig schockiert. Muss ich in einem virtuellen Flüchtlingslager stehen, um die Not dieser Menschen nachvollziehen zu können?

Das Geld für das Herumexperimentieren mit VR wird gerade in rauen Mengen von vielen ausgegeben, die mit Emotionen Geld verdienen können. Ob es Newsmedien sind, die auf emotionalisierte Inhalte setzen, um Leser zu locken, oder Facebook, das soziale Vernetzung gamifiziert. “Es ist eine Sache, wenn du jemandem etwas beschreibst, aber was ganz anderes, wenn du es erlebst”, so Matthew Cooke, der an VR Welten wie z.B. Isolationshaft in einer Einzelzelle arbeitet. Chris Milk hat in einem TED-Talk den Begriff von VR als “Empathiemaschine” geprägt, und auch Nonny de la Peña von Emblematic verwendet diesen Begriff: Sie schaffen VR Erlebnisse, in denen du zum Beispiel live dabei sein kannst, wenn in Syrien eine Autobombe hochgeht, oder wenn George Zimmerman Trayvon Martin erschießt.

Im Schlusspanel der Theorizing The Web Konferenz vor ein paar Wochen ging es um die Viralität des Bösen, dort stellte Zeynep Tufekci die Frage in den Raum: Gibt es auch nur einen wirklich gelungenen Anti-Kriegsfilm? In dem wirklich die Botschaft gegenüber dem Spektakel überwiegt? Botschaft vs Spektakel – das sollte auch bei als Emotionsmaschine eingesetzter Virtual Reality abgewogen werden. Es kann nicht einfach gelten “Wer verstehen will, muss fühlen.”

Ava Kofmann sprach ebenfalls bei Theorizing The Web über die Gefahr, dass wir übersehen, dass hinter der Virtual Reality Technologie diesselben Machstrukturen die Muskeln spielen lassen wie auch sonst im Silicon Valley. Kofmann wies auf die Gefahr hin, dass hier etwas als Objektivität 2.0 vermarktet wird, was in Wahrheit jedoch genauso von einem Autoren konstruiert wurde, wie ein Film. Nur weil die gestaltende Hand mit dem Wegfallen des Bildschirms noch unsichtbarer wird, und der Nutzer das Geschehen aus 360° betrachten kann, darf hier keine Objektivität, keine Neutralität angenommen werden. Virtuelle Realität also als Doku, all diese Empathie-VR-Projekte, sollten kritisch gesehen werden, denn, um nochmal Kofmann zu zitieren: VR lässt uns vielleicht durch die Augen von jemandem sehen, aber wir können nicht in deren Kopf sein.

Philippe Bertrand ist einer von acht Künstlern, die The Machine To Be Another geschaffen haben, eine Virtual Reality Installation, in der es ebenfalls um Empathie geht. In ihr kannst du in den Körper einer anderen Person schlüpfen. Sie wird ergänzt durch Liveperformer und es werden Teilnehmenden auch Gegenstände, zum Beispiel ein Apfel, in die Hand gelegt, wenn sie das gerade in der Virtuellen Realität erleben. Aber auch Bertrand lehnt VR als Empathiemaschine eher ab. Er sagt, dass es ihnen in ihrem Kunstprojekt um das Experimentieren mit Empathie ging, nicht um die Technologie als quasi Lösung dafür, Empathie zu erzeugen. In weiteren künstlerischen Projekten würden sie sich dem Thema auch ganz ohne Technologie annähern.
Und auch Ava Kofmann brachte es bei ihrem Theorizing The Web Vortrag auf den Punkt: Empathie darf nicht zum Endprodukt werden.

Aber wer das Geld für die neue Technologie hat, hat auch das sagen, womit herumexperimentiert wird.

VR als Empathiemaschine: What could possibly go wrong?

Der quasi-pädagogische Ansatz, VR als Empathiemaschine zu gebrauchen könnte das sein, was sich im VR Mainstream durchsetzt. Von Hollywood bis Neuromarketing – das ist gefundenes Fressen. Deswegen wird herumgetüftelt, wie Storytelling aussehen könnte, eine Führung des Erlebenden, wie kann ich ihn manipulieren, was für eine Karotte halte ich ihm vor’s Maul, damit er sich einem von mir entworfenen Erlebnisstrang entlangbewegt, und damit er das fühlt, was ich ihn fühlen lassen will. Jason Lanier erzählt in einem Interview für Wired von einem Forschungskollegen, Jeremy Bailenson (der Director des Virtual Human Interaction Labs an der Stanford University ist und einen Psychologie-Background hat), und Lanier hält dessen Experimente zum Teil für fragwürdig. Darunter war nämlich so etwas wie “Hey, ich möchte mal sehen, ob ich das Selbstbewusstsein von jemandem verändern kann, indem ich ihn in einer VR Simulation nach und nach kleiner werden lasse, oder indem ich seine Hautfarbe immer dunkler werden lasse, während er mit anderen interagiert”, also Rassismus erfahren lasse. Lanier bestätigt, dass beides funktioniert hat, aber er selbst sieht solches Herumexperimentieren als ethisch fragwürdig an, gerade, sagt er, in dem Zusammenwirken mit unserem derzeitig dominanten Geschäftsmodell, in dem sich alles um Werbung und Manipulation und Spionieren dreht. Die Befreiung des Users, als die VR gern gefeiert wird, ist also durchaus mit Skepsis zu sehen.

Kunst als Kritik ermöglichende Instanz

Wenn sich ein so spannendes Medium wie VR als an Storytelling gebunden und als Gefühlserzeugungsmedium durchsetzen sollte, ist das durchaus auch ein Zeichen für die schmerzhafte Leerstelle der Kunst in diesem Bereich. Konzerne, Marketing (und Militär, aber darauf gehen wir jetzt mal nicht näher ein) – dort steckt das meiste Geld und die technologischen Voraussetzungen um mit VR schöpferisch tätig werden zu können. Und dort ist Kunst meist eher in Formen wie Entertainment oder Design gern gesehen, aber nicht als freies und auch kritisches Herumexperimentieren, das sich nicht vermarkten lässt. Und nicht als potenzieller Disruptor. Wenn’s blöd läuft, bewegen wir uns auf eine Hauptentwicklung des VR Mediums in Richtung Black Box, das heißt: Unsichtbarhaltung der Verankerung und der Rückkopplung der virtuellen Realität in der gesellschaftlichen Realität.

Aber, um Marshall McLuhan zu bemühen, er schrieb: “Künstler waren lange die, die mögliche Effekte von neuen Medien aufspürten, Navigatoren was Soziales und Politisches anbelangte. Die Modelle, die sie schufen, waren nicht sehnsüchtige Träume, die Geld kaufen kann, sondern dringliche tatsächliche Instruktionen wie sich Disaster vermeiden lassen. Jede neue Struktur, die Erfahrung in Codes verpackt und Information bewegt, sei es das Alphabet oder die Fotografie, hat die Macht hat, ihren strukturellen Charakter und ihre Annahmen auf alle Ebenen unserer privaten und sozialen Leben aufzuerlegen, sogar ohne die Leistung von Konzepten oder von bewusster Akzeptanz.” Das sei das, was er mit “the medium is the message” eigentlich meinte.

Oder, wie es Bruce Springsteen sang: “We learned more from a 3-minute record, baby, than we ever learned in school.” Kreatives, spielerisches, und ja, auch emotionales Wissen über ein Medium.

Genau deswegen wollte ich bei aller Euphorie über das Medium einen etwas kritischeren Vortrag zu Virtual Reality und Kunst bringen – das Schwärmen überlasse ich heute anderen, und es gibt auch genug zu Schwärmen. Keine Frage, es wird auch so bestimmt viel spannendes Entertainment dabei herauskommen, und es wird noch besser ausgetüftelt, wie sich User gamen lassen, bei der Stange gehalten werden können, so dass wir uns gewiss nicht langweilen werden mit VR.
Aber.
Wieviel Spannenderes, Vielschichtigeres und Erhellenderes eine freie wilde und auch eine kritische Kunstszene aus Virtual Reality herausexperimentieren könnte, das wäre doch sehr bereichernd zu erfahren.

Wenigstens ein spannendes positives Beispiel möcht ich kurz ansprechen, und zwar eine Mischung aus Kunst und Doku namens Clouds: Eine VR Dokumentation über die Schönheit von Code und digitaler Kunst, über kreatives open source VR Coden, und gemacht mit DepthKit, einer Open Source VR Editing Suite, finanziert über Kickstarter. Die Virtualität, die Künstlichkeit des Erlebnisses, wird darin umarmt, nicht in Pseudorealismus übersetzt. So sind zum Beispiel die Bilder der dokumentierten Personen von Glitches verzerrt. Sie sind so als digitales Avatar kenntlich gemacht. Eine fragmentierte Welt, beschreibt es einer der Macher, Jonathan Minard, in der Bruchstücke von Code herumschweben. Der Betrachter oder Erlebende ist sich bewusst, dass er eine computergenerierte Welt erlebt. Das besondere an CLOUDS ist auch, dass es keine lineare Erzählung ist, sondern als loses Netz angelegt ist, das der User in seiner selbstgewählten Reihenfolge und seinem eigenen Tempo erforschen kann. Das geht genau in die Richtung Ausforschen der Möglichkeiten des Mediums, wie ich sie mir mehr wünsche. Einer Ermächtigung des individuellen Users, eben das, was ich mit der Erotik der VR Kunst und dem kreativen Erleben angesprochen habe.

Ihr seht hoffentlich, was ich meine: Mehr Arthouse, weniger Game of Thrones! Oder wenigstens: mehr Black Mirror! Allein schon das nötige technische Knowhow, aber ebenso die Finanzierung machen es jedoch schwer, Virtual Reality Technologie außerhalb des Rahmens, und außerhalb der Plattformen, und damit außerhalb der Interessen von Sponsoren aus den großen Bereichen, die heute damit arbeiten, künstlerisch zu erforschen. Deswegen möcRe:hte ich diesen Vortrag als kleines Plädoyer verstanden wissen, für alternative unabhängige Finanzierung von Kunst, für eine Stärkung von interdisziplinären Kunstkollektiven, von mit Technologie und Wissenschaft verwobenen Kunstformen, die kreativ erkunden können, was Virtual Reality kann, und wie sie sich in unserer Gesellschaft niederschlagen könnte.

Danke für’s Zuhören.

re:publica Seite zum Vortrag
Audiomitschnitt
Google Slides
Videomitschnitt:

NOSTALGIE DER STRASSENFOTOGRAFIE – TEIL 2: Privates im Öffentlichen

Espen Eichhöfer, ein deutscher Straßenfotograf, ist von einer Frau verklagt worden, die das Objekt eines seiner Bilder war und sie hat gewonnen. Irgendwie. Die Diskussion um den Fall klang in etwa so: “OMFG, das Ende der Kunstfreiheit! Die Straßenfotografie hierzulande ist dem Untergang geweiht!” In Nachrichtenmedien, Blogs und Social Networks kümmerte sich kaum jemand um die Position der Frau. Weil nichts gar so einfach sein kann, wurde ich neugierig, begann ein wenig darüber zu lesen und wurde hineingesogen. Die Querelen um Straßenfotografie machen Spannungen sichtbar, die mit unseren immer stärker überwachten und digital durchdrungenen Leben zugenommen haben. Während manche Straßenfotografen argumentieren, dass die Gesetze zu unserem Persönlichkeitsrecht veraltet seien, könnte das eigentlich auf sie selbst zutreffen.

Ich werde diese Woche ein paar bescheidene Gedankene zu ein paar Aspekten dieses gewaltigen Themas in ein 3-4 Teilen posten, weil es zu lang für einen Text geworden ist. Hier ist der zweite Teil.
(Die englische Version gibt es hier. Die Fotos sind von mir.)

Privates im Öffentlichen

Lasst uns einen näheren Blick auf das Urteil im Eichhöfer-Fall werfen, in dem viele deutsche Zeitungen und Blogs den Untergang der Straßenfotografie gedämmert haben sehen. Das Urteil besagt, dass, obwohl die Klägerin sich als das Foto gemacht wurde in einem öffentlichen Raum befand, sie offensichtlich in einer völlig privaten Lebenssituation war (das bedeutet: nicht als Teil einer großen Menschenmenge bei einem öffentlichen Ereignis wie einem Straßenfest, einer Demo oder einem Sportevent). So hat der Richter entschieden, dass in diesem Fall deine Privatheit, dein Persönlichkeitsrecht, Schutz verdient, auch wenn du dir dessen bewusst bist, dass du, sobald du öffentlichen Raum betrittst, potentiell unter irgendeiner medialen Überwachung stehen könntest. (BGH v. 17.2.2009, VI ZR 75/08, juris Rn. 13) Der Grund, den der Richter für seine Entscheidung angibt, ist, dass es eine beträchtliche Einschränkung deines Rechts auf freie Persönlichkeitsentfaltung bedeuten würde, wenn du dich wegen der Möglichkeit, dass du gegen deinen Willen fotografiert und publiziert werden könntest, nicht ungehemmt in der Öffentlichkeit bewegen könntest. Weil die Grenzen zwischen der Funktion des Fotos als Kunst, Dokumentation und Werbung verschwimmen, finde ich es wichtig, zu erwähnen, dass sich das Urteil bei diesem Punkt nicht auf das Bild im Kunstkontext der Galerie bezogen hat, sondern darauf, dass die Frau überlebensgroße auf einem Poster an einer großen vielbefahrenen Straße öffentlich aushing und auf diese Weise aus ihrer Anonymität gerissen wurde.

Ich kann durchaus nachvollziehen, dass Fotograf*innen mit dieser Entscheidung nicht glücklich sind, aber ich finde sie eigentlich fair. Die Berücksichtung des Punktes “in einer völlig privaten Lebenssituation” zeigt Respekt für kontextuelle Integrität und Konsens. Es drückt aus, dass auch wenn du das Opt-In für die Terms of Service dieses Staates dadurch geklickt hast, dass du hier lebst, du eine Chance bekommst, dagegen zu kämpfen, wenn jemand seine oder ihre Freiheit dazu missbraucht, dir potentiell zu schaden. So etwas zu entscheiden verdient eine vorsichtige singuläre Entscheidung statt einer allgemeinen Freiwild-Regelung zum Vorteil der Straßenfotograf*innen. Diese wäre nichts als ein “wenn du nicht fotografiert werden willst, bleib halt daheim”-Mittelfinger ins Gesicht aller Bürger*innen.

“Öffentlich” wie in “entanonymisiert”

Im öffentlichen Raum war die Standardeinstellung Anonymität; das war ein wichtiger Faktor darin, was Generationen junger Menschen suchten, wenn sie ländliche Gegenden verließen um in Großstädte zu ziehen. Die Macht selbst entscheiden zu können, wer uns kennenlernt und wer nicht. Der süße Duft der Freiheit Dinge ausprobieren zu können, die dir Anonymität verspricht. Vor Social Networks und intelligenten Bilder-Suchmaschinen, hätte flüchtige Wiedererkennbarkeit auch nicht so viel bedeutet. Heute sind wir keine Menschenmenge mehr, sondern wir sind eine Menge von singularen Gesichtern, die von einer Software identifiziert werden können. Selbstverständlich sehnen sich Leute mehr nach Anonymität, je mehr sie getrackt und überwacht werden. Deswegen denke ich, das Urteil im Eichhöfer-Fall war fair: Es geht nicht um “öffentlich vs privat” wie in “eine Straße überquerend vs im Wohnzimmer sitzend” (wie es die Straßenfotografen und ihre Verteidiger aussehen lassen wollen). Es geht um “öffentlich” wie in “entanonymisiert”.

Nostalgie nach dem Schweigen der einfachen Leute

Die digitale Durchdringung unserer Leben bringt natürlich einen neuen Dschungel von richtig und falsch mit sich, und es ist schwer, die Gesetze angemessen neu zu justieren, während wir noch mitten in den großen Veränderungen stecken. Wie Sixtus schreibt, hat das in der Straßenfotografie zu so etwas wie einem gesetzlichem Vakuum geführt und das hat einem Menge damit zu tun, dass Menschen endlich dessen gewahr werden, das Online und Offline, ebenso wie privat und öffentlich, tief ineinander verwoben und keine Gegensätze sind. Wenn du ein Bild deines Schlafzimmers auf Facebook postest – ist das privat oder ist das öffentlich? Hängt es davon ab, wer das Bild gemacht hat? Oder davon, mit welcher Privatheitseinstellung es gepostet wurde, so wie Facebook will, dass du denkst? Oder auf den Kontext, in dem es gemacht wurde? Sixtus beklagt, dass die Menschen sich, weil die Gesetze immer komplizierter werden, einer “Esoterik” zuwenden. Ich würde da “so er” aus “Esoterik” streichen, ein “h” kaufen und stattdessen lösen als: “Ethik”. Ethik hat die Qualität einer “gefühlten Wahrheit” und baut auf gesellschaftlichen Konsens auf und ändert sich leichter als Gesetze. Ethik ist fließender als Gesetze, aber sie als esoterisch abzutun wird ihr nicht gerecht.

Rechtliche Unklarheit für ein “wenn es möglich ist, dann tu’s einfach” Verhalten auszunutzen und das in “Freiheiiiit!”-Waschzettel einzuhüllen, die Mel Gibson blass aussehen lassen würden, erinnert mich an die Cyberspace-Wild-West-Romantik, die von einer alten Tech-Elite über die goldene Ära des Internets erzählt wird. Sie scheinen ähnlich blind für systemische Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten. Straßenfotografie war nie unproblematisch, es ist nur so, dass wir jetzt an einem Punkt sind, an dem die Stimmen ihrer Objekte auch gehört werden. Straßenfotograf*innen und Journalist*innen beschweren sich über diese lästigen Leute, die einst ein stilles Publikum waren oder sich geehrt fühlten, Objekte ihrer Arbeit sein zu dürfen. Diese Nostalgie nach ihrer einstigen Autorität, als Gatekeeper und als Expert*en mit besonderen Fähigkeiten dafür, die Welt einzufangen wie sie “wirklich” ist, ist nichts als Nostalgie nach dem Schweigen der einfachen Leute. Wenn ich eine Sache daraus gelernt habe, Artikel und Blogposts für diesen Beitrag hier zu lesen, dann ist es: Straßenfotografie ist narzisstischer als es Selfies jemals sein könnten. Es geht nicht darum, was du auf dem Foto siehst, es geht darum, was sein Zweck für den eigenen Status ist.

DER Öffentliche Raum hat sich verändert

Wir stehen immer noch am Anfang der Digitalen Revolution, besonders in Deutschland mit all seiner Technophobie. Es ist nicht gerade hilfreich, dass Straßenfotografen und Journalist*innen, die zur digitalen Elite gehören, ihren Status Quo als neue Norm setzen wollen, während es da draußen noch so vile gibt, die neuen Technologien (noch) nicht trauen, weil sie Angst vor Überwachung und Big Data haben. Straßenfotografie hat viel mit diesen Ängsten und dieser Sehnsucht nach Privatheit zu tun, aber sie nimmt diese nicht ernst. “Heutzutage ist Fotografie – und Straßenfotografie insbesondere – eine umstrittene Sphäre, in der all unsere kollektiven Unsicherheiten zusammenlaufen: Terrorismus, Pädophilie, Zudringlichkeit, Überwachung. Wir bestehen auf dem Recht auf Privatheit und, gleichzeitig, fotografieren wir alles, was und alle, die wir sehen und alles, was wir tun – im Öffentlichen und im Privaten – mit unseren Smartphones und Digitalkameras. Einerseits sind wir deswegen jetzt alle Straßenfotograf*innen, aber gleichzeitig sind wir die meistfotografierte und gefilmte globale Bevölkerung ever,” schreibt Sean O’Hagan, nicht über “öffentlich” und “privat” als Gegensatzpaar hinauskommend. Den Wunsch nach Anonymität mit dem Wunsch nach Zensur gleichsetzend, meint Sebastian Graalfs, der Anwalt Espen Eichhöfers: “es geht auch um die Frage, ob diese Gesellschaft noch einen öffentlichen Raum erlaubt?!, in dem Kunst – z.B. Straßenfotografie – stattfinden kann. Oder ob dieser öffentliche Raum atomisiert wird – in Millionen kleine Privatsphären. Das wäre dann die Entfesselung einer allmächtigen Privat-Zensur, die solche Ausstellungen und eine Kunstgattung unmöglich machten.” Georg Diez bemerkt eine wachsende “Kunstfeindlichkeit, das verzerrte und mit Misstrauen belegte Bild von Öffentlichkeit und die Ausdehnung des Privaten bis zur Usurpation noch der letzten Straßenecke. Die Stadt als Bühne verschwindet in dieser Argumentation, die Vorstellung der Straße als Ort der Gleichheit, der Sichtbarkeit, des Alltags, der sozialen Realität, der Geschichtsschreibung, der Erinnerung, der Kunst.”

Was sie zu vergessen scheinen ist, dass die Stadt als urbaner öffentlicher Raum schon viele dieser Qualitäten durch Überwachung, Kommerzialisierung und druckvoller Stadtplanung verloren hat, damit eine Vision der Stadt als Marke Wirklichkeit wird. Städte sind auf dem besten Weg für globalen Konsumerismus standardisiert zu werden und der öffentliche Raum ähnelt nicht mehr dem romantischen Bild einer offenen Zone, die für soziale Interaktionen und die Entfaltung lokal-orientierter Entwicklungen da ist. Das Misstrauen der Menschen ist nicht ohne Grund gewachsen. Wie die Architektin Selena Savić in einem Essay über defensive Architektur schreibt: “zeitgenössischer urbaner Raum wird komplett in Mikro-Zonen für singulare Nutzungsszenarien aufgeteilt. … Letztendlich, verteidigt uns unangenehmes Design oder defensive Architektur aber nicht von wirklichen Bedrohungen: einem systematischen Verfall von Privatheit und Anonymität in öffentlichen Interaktionen; überall Überwachung und TRacking; Missbrauch von Metadaten und anderen Arten privater Informationen; strukturelle Bedrohungen bürgerlicher Freiheiten durch das Koppeln von privatwirtschaftlichen Interessen und schwachen öffentlichen Institutionen. Das sind die wahren Bedrohungen für unsere Gesellschaft heute.” Das ist das öffentliche Szenario, das der Straßenfotograf heute betritt und an dessen sich verändernde Gegebenheiten er sich eben anpassen muss, so wie alle anderen auch.

Wenn überhaupt, dann ist Straßenfotografie am ehesten durch ihre Demokratisierung gefährdet. Mehr dazu im nächsten Teil.

TO BE CONTINUED.

Nostalgie der Straßenfotografie – Teil 1: Straßenfotografie im Kampf gegen das Gesetz

“My best pictures have always been those that I have never made.”
Elliot Erwitt

Espen Eichhöfer, ein deutscher Straßenfotograf, ist von einer Frau verklagt worden, die das Objekt eines seiner Bilder war und sie hat gewonnen. Irgendwie. Die Diskussion um den Fall klang in etwa so: “OMFG, das Ende der Kunstfreiheit! Die Straßenfotografie hierzulande ist dem Untergang geweiht!” In Nachrichtenmedien, Blogs und Social Networks kümmerte sich kaum jemand um die Position der Frau. Weil nichts gar so einfach sein kann, wurde ich neugierig, begann ein wenig darüber zu lesen und wurde hineingesogen. Die Querelen um Straßenfotografie machen Spannungen sichtbar, die mit unseren immer stärker überwachten und digital durchdrungenen Leben zugenommen haben. Während manche Straßenfotografen argumentieren, dass die Gesetze zu unserem Persönlichkeitsrecht veraltet seien, könnte das eigentlich auf sie selbst zutreffen.

Ich werde diese Woche ein paar bescheidene Gedankene zu ein paar Aspekten dieses gewaltigen Themas in ein 3-4 Teilen posten, weil es zu lang für einen Text geworden ist. Hier ist der erste Teil.
(Die englische Version gibt es hier. Die Fotos sind von mir.)

STRASSENFOTOGRAFIE IM KAMPF GEGEN DAS GESETZ

Anders als in vielen anderen Ländern ist in Deutschland das Persönlichkeitsrecht eher so gewichtet, dass es die Fotografierten schützt: Anstelle eines Gesetzes im Geiste von “öffentlich ist öffentlich” haben Menschen das Recht zu entscheiden ob und in welchem Kontext Bilder von ihnen veröffentlicht werden. Wie Andrea Diener erklärt, wird auf der Ebene von Einzelfällen abgewogen, ob der Wert eines Fotos als historisches Dokument oder als Kunstwerk das Persönlichkeitsrecht überwiegt. In einem Blogpost verdammte Günter Hack vor kurzem dieses Recht am eigenen Bild als “Nemesis jedes Street Photographers”. Für ihn und andere ist es veraltet und passt heute nicht mehr, weil es aus einem anderen historischen Kontext kommt. Sixtus schreibt, dass dieses Recht “aus der vordigitalen Zeit [stammt], aus einer Ära, als die ‘Veröffentlichung’ eines Fotos noch ‘Zeitung’ oder ‘Zeitschrift’ bedeutete, als sie die Ausnahme war und nicht die Regel. Aus einer Zeit, als noch nicht jeder Mitmensch eine Fotografiermaschine mit eingebauter Publikationstaste permanent in den Händen hielt.” Und tatsächlich basiert dieses Kunsturhebergesetz auf einen Fall von 1889, als zwei Paparazzi jemanden für die Möglichkeit bestachen, Fotos vom sterbenden Reichskanzler Otto von Bismarck zu machen.

Die Diskussion um die Dos und Don’ts der Straßenfotografie hat sich erhitzt, als vor ein paar Monaten eine Frau einen Straßenfotografen dafür verklagte, dass er ein Bild von ihr ausstellte. Viele Zeitungen und Blogs haben darüber geschrieben, und auch auf Twitter war es ein Thema. Der Fotograf, Espen Eichhöfer, hatte sie ohne ihr Wissen fotografiert und ihr Bild in einer Galerie ausgestellt, hieß es. Das Bild zeigt sie wohl als dominanten Teil einer Straßenszene, während sie in einem Leopardenmantel vor einer Pfandleihe über die Straße eilt. Eichhöfer nahm das Bild ab, als sie sich beschwerte, aber sie klagte dennoch. Sie bekam zwar kein Schadensgeld zugesprochen, aber das Gericht entschied, dass der Fotograf ihr Persönlichkeitsrecht verletzt hat und deswegen die Verfahrenskosten tragen muss. Das löste eine Empörungswelle unter Fotografen, Kunst- und Medienmenschen aus, die um nichts weniger fürchten als um die Kunstfreiheit und die Zukunft der Dokumentation des Lebens auf öffentlichen Plätzen: sie bangen um die Zukunft der Straßenfotografie. Eichhöfer bekam einen Haufen Publicity (darunter ein von ihm selbst verfasster VICE Artikel), die ihm nun die Berufung vor der nächsthöheren Instanz, dem Bundesverfassungsgericht, ermöglicht. Er möchte ein Grundsatzurteil gegen die “Kriminalisierung” von Straßenfotografie. Sein Crowdfundingziel waren 14.000€, er hat 18.000€ zusammenbekommen.

Ein weiterer Fall, der die Gemüter erhitzte, war das “Lex Edathy”, eine Gesetzesänderung, die es in relativ vager Formulierung strafbar macht, unbefugt von einer anderen Person eine Bildaufnahme anzufertigen oder zu verbreiten, die “geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden.” Dagegen wurden natürlich Beschwerden laut, dass diese Formulierung dafür missbraucht werden könnte, kritischen Fotojournalismus unmöglich zu machen.

FÜR DIE FREIHEIT DER KUNST

Eichhöfer sieht sich selbst in der Tradition von Künstlern wie Henri Cartier-Bresson, Garry Winogrand oder Robert Frank: “Meine Fotos sind in dieser Tradition entstanden, sie halten spontane Alltagssituationen fest, die sich ungestellt vor der Kamera abspielen. Eine gelungene Straßenfotografie ist eine Verdichtung oder Zuspitzung vom Leben auf der Straße, im besten Falle ist sie Zeitdokument, Bestandteil des kollektiven Bildgedächtnisses.” Diese Art von Dokumentation ist viel bedeutender für ihn als der Wunsch der abgebildeten Person, obwohl er sagt, dass er es schon verstünde, dass manche Menschen ihr Foto nicht öffentlich ausgestellt sehen wollen.
Die Sorgen der Straßenfotograf*innen sind schnell aufgezählt und sie tauchen in Diskussionen in Blogs überall im Netz immer wieder auf. Hier sind einige, die Sixtus zusammengetragen hat:

  • Es ist technisch unmöglich, jede Person auf der Straße um ihre Erlaubnis zu fragen.
  • Sogar wenn es möglich wäre, Leute um Erlaubnis zu fragen, würden die meisten es dennoch nicht tun, da es den dokumentarischen Aspekt ihres Bilder zerstören würde: Sobald Menschen wissen, dass sie fotografiet werden, verändern sie ihr Benehmen und das Bild würde nicht länger eine authentische Szene zeigen.
  • Heutzutage hat jede*r Smartphones und macht und teilt die ganze Zeit Bilder öffentlich.
  • Bilder zu machen und zu teilen ist zur Kommunikationsart geworden, also käme ein Fotografieverbot einem Kommunikationsverbot gleich.

Günter Hack fügte das Überwachungsargument hinzu:

  • Kommerzielle und staatliche Überwachung sind allgegenwärtig. Kritisiert erst mal sie, denn sie könnten euch viel mehr schaden und haben dazu beigetragen, diese Situation zu normalisieren. Warum sollten Bürger*innen weniger Freiheit haben als der Staat?

FÜR DIE FREIHEIT DES WEGLASSENS

Während ich mit vielen dieser Punkte überhaupt nicht uneinverstanden bin, beschäftigte es mich, dass ich nur auf Artikel stieß, die auf der Seite des Fotografen waren. Die Frau, die Eichhöfer verklagt hatte, blieb in der öffentlichen Diskussion ein stummes Objekt, das Schlagzeilen wie “Wem gehört das Gesicht der Frau im Leopardenmantel?” abbekam, für Artikel, die sich nur um die Meinungen von Kurator*innen, Straßenfotografen und Eichhöfers Anwalt zu scheren schienen. Da Sachen niemals so eindeutig sind, wurde ich neugierig und begann ein bisschen rumzulesen und wurde in dieses Thema hineingesaugt. Einige dieser Artikel, und sogar Eichhöfers Crowdfunding-Versprechen drehen sich nur um die Version des Fotos, das in der Galerie ausgestellt hing. In Jörg Heidrichs Text las ich dann aber, dass das Bild auch für ein überlebensgroßes Poster verwendet worden war um die Ausstellung zu bewerben. Das führt mich dann dazu, mal das tatsächliche Urteil zu überfliegen (das gibt es hier). Es erwähnt noch ein Detail: Das Foto war auch auf der Facebookseite der Galerie zu sehen. Diese Punkte wurden in den meisten Texten zu diesem Thema weggelassen.

Ich denke, dass sie wichtig sind, denn sie bedeuten verschiedene Kontexte und verschiedene Abstufungen von Öffentlichkeit. In einer Galerie diskutierst du es als ein Kunstwerk in einem Kunstrahmen. Auf einem riesigen Poster auf einer öffentlichen Straße wird es in einem Werbungskontext verwendet und entanonymisiert die Frau viel mehr. Wenn ihr Bild auf einer öffentlichen Facebookseite auftaucht, wird ihr Gesicht von Gesichtserkennungssoftware erfasst. Diese könnte helfen, weitere Bilder von ihr zu finden und das könnte dazu genutzt werden Informationen über sie zu herauszubekommen. Um das richtig in Farben einer digital-durchdrungenen Welt auszumalen: Dass sie vor einer Pfandleihe abgebildet wurde, könnte zu einem schlechteren Schufareport führen. Sie könnte dafür getrollt werden, dass sie Pelz trägt. Sie könnte sich vor einem Ex-Ehemann verstecken, der sie verprügelt hat, und das Foto könnte ihm behilflich sein, sie aufzuspüren. Und, wie es so schön heißt: was einmal im Internet landet, kursiert dort für immer, so können mögliche zukünftige Konsequenzen noch gar nicht vorausgesehen werden. Jaja, ich übertreibe, aber das tun auch all die Texte, die sich nicht das kleinste bisschen um die Perspektive der Frau scheren. All diese möglichen Konsequenzen mitgedacht würde ich sagen, dass das Persönlichkeitsrecht in seiner deutschen Form zwar aus vordigitalen Zeiten stammen mag, aber besonders mit dem Ansatz nicht zu verallgemeinern, sondern anhand des jeweiligen Einzelfalles zu entscheiden, erscheint es mir gar nicht so unangebracht.

 

MAN BRAUCHT EIER

Die Geschichte der Leichtigkeit, mit der sich Social Photography (das Fotografieren und anschließende Teilen der Fotografie mit anderen auf Social Networks oder in Messenger-Apps) in vielen Teilen der Welt so weit verbreitet hat, ist auch die Geschichte der Dominanz der sozialen Gruppen, die am wenigsten davon zu befürchten haben, fotografiert zu werden. Ihre Stimme prägt auch den medialen Diskurs dazu. Leute, die es ablehnen, in der Öffentlichkeit fotografiert zu werden, werden als eitel betrachtet und in den meisten deutschen Artikeln, die ich zum Eichhöfer-Fall gefunden habe, zeigt der Tonfall wie auch der Inhalt keinerlei Sympathie für die fotografierte Frau. Es dreht sich nur um die Fotografen: Sie brauchen Freiheit, um tun zu können, was sie wollen, weil sie wichtige Kunst und wichtige Dokumentationsarbeit für die ganze Menschheit leisten. Meike Laaf sorgt sich um die Selbstzensur dieser wichtigen Künstler*innen ohne die Selbstzensur zur Kenntnis zu nehmen, die es für deren Objekte bedeuten kann: “Tanz, als ob dir niemand dabei zusähe” ist zu “geh nicht aus dem Haus, wenn du nicht willst, dass jemand von dir ein Bild macht, dass dich aus deinem Alltagsmoment reißt und vor einem großen Publikum öffentlich zur Schau stellt” geworden.

“Um heutzutage ein Straßenfotograf zu sein, brauchst du Bessenheit, Hingabe und Eier”, hat der Straßenfotograf Martin Parr einst gesagt, und tatsächlich scheint es eine recht maskuline Sphäre zu sein, wenn du den Tonfall betrachtest, mit dem die Fotografierten beschrieben werden. Eichhöfer prangert die Versuche von Leuten wie der Frau, die ihn verklagt hat, als “hysterisch” an. Günter Hack nennt sie “selbsternannte Opfer”, und verspottet sie: “ich stehle keine Seelchen, meine lieben, zarten Eingeborenen, mich interessiert nur wie das Licht auf belebte und unbelebte Körper fällt, auf dass die Nachwelt sich davon ein Bild machen kann, wie wir gelebt haben!” Als ob ein Fotograf in seinem Anspruch auf das Recht der Zudringlichkeit und Inbesitznahme weniger selbsternannt wäre. Als ob die Angst davor, dass eine*m die Seele gestohlen wird nicht tatsächlich eine gute Metapher für die Angst davor wäre, angeprangert, geoutet, getrollt, gestalkt usw zu werden. Auch Sixtus verhöhnt die möglichen Einwände seiner Objekte sarkastisch; dies ist einer der Untertitel zu einem Bild, dass er in seinem Text zum drohenden Untergang der Straßenfotografie verwendet: “Auch diese Dame wollte vermutlich nicht fotografiert werden. Zumindest entnehme ich das ihrem Blick. Im Dienste der Kunst habe ich ihren Wunsch jedoch ignoriert.” Sixtus wählt das “das machten doch alle”-Argument und verweist auf die Allgegenwärtigkeit von digitaler sozialer Fotografie, der zukünftigen Omnipräsenz von Life-Logging und Google Glass. Er ignoriert, dass dies (noch) nicht die Realität von allen um ihn herum ist. Während es langsam zur Realität wird, werden mehr und mehr Leute sensibel dafür und sehnen sich nach neuen Definitionen davon, was akzeptabel ist, was hingenommen werden muss.

TO BE CONTINUED.

“””Kunst””” – Vortrag für Edel Extras ästhetische Prozesse

Donnerstag, 5.3., hatte ich das Vergnügen, für die Kunstwochen im Edel Extra, einem kleinen Raum für ästhetische Prozesse, neben drei anderen Vorträgen folgenden von mir zu halten. Beeindruckend war Hermann Glaser, vor dessen scharfen Verständnis und Witz ich mich wieder mal verneige. Von seinem Credo “Jeder muss ‘Klopstock’ sagen können!” bis zur Kritik an affirmativer Kultur, ach ja, und wie er, als jemand meinte, die Kunstfreiheit sei durch Political Correctness bedroht, elegant und knapp, mit dem Hinweis auf den Unterschied zwischen Präskription und moralischer Kritik als Vorschlag, abwinkte – I’m fangirling.

Hier aber nun wie versprochen das kleine Brainstorming zum Thema, das ich dort beitrug:

“Was ist Kunst, was kann Kunst sein, wie ist ein Kunstbegriff zu definieren” – als ich gefragt wurde, ob ich heute hier einen kurzen Vortrag zu diesem Thema halten würde, sind bei mir gleich schaudernd Erinnerungen an ein Philosophieseminar wieder hochgekommen, das ich vor 100 Jahren belegt hatte, und in dem wir ein Semester lang in unglaublich trockener Weise Kunst zu definieren versuchten, in dem wir uns an der Geschichte entlanghangelten. Von Geniebegriff über Wahrheit, Schönheitblablubb, und was es nicht alles gab. Ich hatte die ganze Zeit insgeheim tatsächlich die naive Hoffnung, dass der Professor am Ende des Semesters doch noch eine befriedigende zeitgemäße Definition aus dem Ärmel zaubern würde, was aber natürlich nicht geschah und so ließ mich dieses Thema so unzufrieden zurück, dass ich eigentlich bis heute noch mit der Kunst hadere. Deswegen habe ich auch etwas gezögert, zuzusagen, und komme heute mit durchaus diffusen Gedanken zu euch.

Es gibt in New York eine zwischen Kunst und Unternehmensberatung changierende Gruppe namens K-Hole. Bei ihnen verschwimmt die Grenze zwischen Business und Kunst: sie machen keine Kunstwerke, die sich ausstellen liesen, liefern aber auch keine Unternehmensberatung, die aus Daten bestünde, aus denen eine Firma einfach so Nutzen ziehen könnte. Eher lässt sich das, was sie tun, als ästhetische Fiktion bezeichnen, die meines Erachtens zwar den Geist von kritischer Kunst atmet, aber sich bewusst nicht als kritisch sieht. Für K-Hole würde sich, denke ich, die Frage nach einem, mir bei der Definition hilfreichen, Spannungsfeld zwischen Kunst und Business nicht mehr stellen. Ist Kunst heute, wenn sich die kreativsten Köpfe nur noch auf das Designen von Start Ups oder im Marketing bewegen?

Marken nehmen die Rolle ein, die vielleicht eher der Staat einnehmen sollte, wenn er dies von einer neutralen demokratischen Warte aus täte. Kunstsponsoring wie der Place de la Liberté, den meine Lieblingszigarettenmarke vor ein paar Jahren am Quellegelände als zeitlich begrenzten Freiraum für Kunst ausrief, dabei auch noch Street Art subsumierend, wird von vielen als Erschließung neuer Möglichkeiten gesehen, um bekannter zu werden und von Kunst leben zu können und würdigt nicht die Kunst zum Werbeträger herab. Ihr merkt an meiner Wortwahl, dass ich das nicht so sehe. Ich bin ja schließlich auch etwas älter und mit einem Kunstbegriff groß geworden, der irgendwo zwischen DIY Punk, Soziokultur mit Fokus auf Underground-Musik und Literaturtheorie hin- und her irrt. Für mich ist es eine Entwertung von Kunst, wenn sie benutzt wird, um ein Produkt zu bewerben. Und das geschieht für mich auch, wenn eine Bank oder ein Ölkonzern ein Museum finanziell unterstützt. Oder wenn Red Bull eine Music Academy macht. Derek Walmsley hat im Wire im Kontext der Red Bull Music Academy u.a. als Problem von Mäzenentum festgehalten, dass es die Szenen und das Publikum ignoriert, die Untergrundmusik zu einem so dynamischen System machen. Das trifft, denke ich, nicht nur auf Musikmäzenentum zu, sondern auch auf die Kreativszene. Context matters, das ist ein Punkt, bei dem ich bei den verschiedensten Themen, die mich beschäftigen immer wieder stoße und der ziemlich vernachlässigt wird. In gemanagter Kunst wird deren eigentlicher Kontext meist zugunsten eines Zwecks, sei es Profit, sei es Imagearbeit im Feld von Marketing, neutralisiert oder entfernt.

Das geschieht auch, wenn die Stadtplanung selbst hier in Nürnberg, wenn auch mit 10 Jahren Verspätung, Richard Florida liest und die Kultur- und Kreativwirtschaft für sich entdeckt. Und tatsächlich hat die Stadt in den letzten Jahren auch hier genug Beinflussungskraft bewiesen: Plötzlich schossen lauter Creative Mondays und Fablabs aus dem Boden und Kreativität steht plötzlich in erster Linie dafür, kreativ aus irgendwas Geld machen zu können. Plötzlich sind Jobs einer der Hauptthemen im Kultur- und Kreativbereich, und es sind darin lauter Leute damit beschäftigt, sich zu vernetzen und Ideen herauszumelken, aus denen das nächste Start Up erblühen kann, das die Branche very kreativ disruptet. Kreative Communities bestehen plötzlich daraus, sich gegenseitig daraufhin zu beschnüffeln, wie dir der oder die andere nützlich sein könnte. Connections und so. Unglaublich, wie schnell sich da in den letzten Jahren wie viel Idealismus verflüchtigt hat und die Grenze zwischen Kunst und Wirtschaft verschwimmt. David Liese hat das auf Regensburg Digital, einem kritischen lokalen Blog, sehr schön in der Warnung zusammengefasst: “Denn wer „kreativ“ sagt und damit die prosperierende Designagentur ebenso meint wie den kleinen Künstler, der trägt dazu bei, dass sich der Unterschied zwischen einem kritischen und einem pragmatischen Kunst- und Kulturbegriff zugunsten des zweitgenannten verflüchtigt.”

Michael Cirino, ein ehemaliger Künstler, der inzwischen unter dem Namen A Razor A Shining Knife außergewöhnliche kulinarische Events macht, zieht in einem Interview für den Pacific Standard (mit dem passenden Titel: How Do You Make a Living, Producer of Experiential Weirdness?) die Grenze am Beispiel Musik ganz deutlich: “Du bist ein Künstler bis zu dem Moment, in dem du bei einer Plattenfirma unterschreibst. Dann wirst du zum Musiker und dein Job ist es, Musik zu verkaufen. Wenn du die Idee Musik zu verkaufen nicht magst, dann bleib weiterhin ein Künstler. Mach deine Platten, verkauf sie selbst, aber bitte niemanden anders in sie zu investieren, weil sie von der Sekunde an, in der sie das tun, ein Mitspracherecht haben.”

In meinen Augen ist die Kultur- und Kreativwirtschaft für die Künstler*innenszene einer ganzen Stadt ein bisschen das, was in der Musik so etwas wie die Red Bull Music Academy (oder auch ein großes Plattenlabel für Musiker*innen) ist: Förderer und Parasit, der, solange die Künstler und Künstlerinnen alle Kunststückchen machen, die erwünscht sind und damit Imagearbeit für’s Produkt leistet, egal ob das ein Energy Drink oder eine Stadt ist, oder gar Geld in die Kassen spült, an ihnen herumnuckelt, ihnen den Kopf tätschelt und ein Häppchen abgibt, und sie danach ausgeblutet zurücklässt. Es entsteht eine Kunstszene, die nur noch darüber als förderungswürdig betrachtet wird, dass sie entweder durchökonomisierte Kunst abliefert, die als Elite gekürt und gefeiert wird. Oder Kunst, die in den Nischen am ausgestreckten Arm verhungernd als exotisches Lockmittel existieren darf, solange sie nicht zu kritisch, laut und dominant wird. Ein Lockmittel, um das Stadtbild ein wenig bunter und wilder wirken zu lassen, denn das bringt Kundschaft in die Stadt.

In diesem Bild von Kunst steckt soviel Respektlosigkeit, dass sich die Künstler*innenszene eigentlich wirklich langsam mal auch hier überlegen müsste, wie sie dagegen in die Puschen kommt und sich nicht nur auf ein brav konformes unkritisches Schmuckwerk einer Stadt reduzieren lässt, das instrumentalisiert wird, um das Eckchen aufzuwerten, das gerade attraktiver gemacht werden soll oder von Missständen ablenken soll. Damit wird aus Kunst dann doch irgendwie bloßes Design oder Handwerk. Oder Entertainment. Je nach “Branche”. Aber dank Austerität und Prekariat ist eben dann doch jeder und jede froh, wenn sie irgendwie ein Stücken vom Kuchen abbekommt und von irgendwas muss man ja leben und Kunst … mei, Idealismus ist halt Luxus. Ist natürlich auch wiederum nachvollziehbar.

Es ist schwer, diesen Entwicklungen etwas entgegenzusetzen, in einer Zeit, in der Stadtplanung alles durchzieht und es kaum mehr blinde Flecken gibt, in denen Kunst auch mal aufregend und gefährlich, zweck- und sinnfrei, oder anonym agieren und wachsen kann. In der Kunst nicht erst die Versammlungsstättenverordnung auswendig können, und mit Blut die Verantwortlichkeit für jegliche möglichen Folgeschäden für Räume und Publikum einer Ausstellung oder eines Auftritts unterzeichnen muss, sondern in der Kunst sich ausprobieren, fließen und wuchern kann. Wie World/Inferno Friendship Society in einem Philipp K. Dick gewidmeten Song sangen: You can’t change the system from within, the system changes you. Es ist ein ziemlich ekliges Gefühl der Hilflosigkeit, dem ganzen Bereich der durchinstutionalisierten und städtisch geordneten Kultur eigentlich gar nicht mehr entkommen zu können, wenn es nicht Kunst im kleinen abgeschotteten quasi-privaten Kreis sein will, der dann aber auch nur Wenige erreicht und recht wirkungslos bleibt. Und Reibung und Begegnung mit Fremdem sind auch wichtig für Kunst. Kultur als ernstzunehmende kritische Instanz ist eigentlich schon ziemlich abgewürgt.

Noch mal zurück zu K-Hole. Ein Kunst-/Mode-/Zeitgeistbegriff, der von ihnen 2013 in ihrer Youth Mode Veröffentlichung geschaffen wurde, und den vielleicht ein paar von euch kennen, ist Normcore. Es wurde oft viel zu vereinfachend als Angepasstheit und Mittelmäßigkeit ausgelegt (wofür K-Hole auch einen Begriff haben: Acting Basic). Etwas genauer betrachtet, entspringt der Begriff eher aus dem Gedanken, dass wir keine fixe authentische Identität besitzen, sondern diese in jedem Moment erst erschaffen, indem wir sie performen. Wir verändern uns ständig. Wenn es keine festen Identitäten gibt, dann gibt es auch keinen Mittelwert, und demnach gibt es auch keine Normalität. Normcore besteht deswegen nicht darin, möglichst normal zu sein, sondern darin, sich jeder Situation gemäß zu verändern und anzupassen, das aber jeweils mit vollem Einsatz. Grund für diesen Zeitgeist ist, wie es K-Hole in Youth Mode ausdrücken: “In der Vergangenheit wurden Menschen in Communities hineingeboren und mussten ihre Individualität finden. Heute werden Menschen als Individuen geboren und müssen ihre Communities finden.”

Vielleicht ließen sich daraus für einen kritischen Kunstbegriff zum Abstecken Begriffe wie ‘der Schwarm’ und ‘das Fließen’ herbeispinnen. Nicht mehr das Schaffen von zeitlosen Werken sondern fließende Kunst, die nicht auf Etablierung aus ist. ‘Schwarm’ statt Communities, weil in einem Schwarm Anonymität mitschwingt und das einem Künstlerbegriff des Genies ebenso entgegensteht wie dem Künstler oder der Künstlerin als Marke. Kunstaktionen wie das Entführen der Gedenkkreuze der Mauertoten durch das Institut für politische Schönheit mitsamt dem Crowdfunding für die Fahrt vieler zum Grenzzaun Europas, oder auch einiges, was Schlingensief geleistet hat, ließe sich vielleicht grob darunter fassen.

Aber nicht nur kritisches und durchdachtes, auch Pop kann so etwas sein: Internet-Memes sind zum Beispiel eine Kunstform des Schwarms, der Hive-Mind, die außerhalb von Verwertungslogik, Copyright ignorierend entsteht und die von unzähligen anonymen Leuten variiert, weiterbearbeitet und im Netz weiterverbreitet wird, und wieder verschwindet. Das Meme ist tot, wenn es nicht mehr im Netz kursiert. Die Bewegung, das Fließen, gehört zu ihm, macht es mit aus. Sobald es nicht mehr weiterentwickelt wird, sobald es auf einem T-Shirt oder einer Tasse landet, sobald eine Marke es sich für Werbung aneignet, oder sobald eine Zeitung es aus seinem natürlichem Lebensraum, aus ihrem Kontext, herausreißt und abdruckt, ist es schon tot. Darin ähnlich der offiziell legitimierter ‘Street Art’.

Die Flüchtigkeit im Sinne von Vergänglichkeit, die Ephemeralität, fände ich auch tatsächlich einen spannenden Ansatz für einen Kunstbegriff heute. Sie kann sowohl dafür sorgen, dass sich einer Verwertungsmöglichkeit entzogen wird, als auch dem konservativen musealen Charakter von Kunst etwas entgegensetzen. Und sie bietet auch der endlosen Dokumentation, dem endlosen Archiv, das wir dank Digitalisierung aus unseren Leben machen, die Stirn. Nichts mehr von Wert schaffen? Kunst als Modus statt als Werk? Das Kunstwerk nur noch als nostalgischer Fetisch, ähnlich der Vinylplatte? In Bewegung bleiben, auf neue Situationen mit ständiger Veränderung reagieren statt einen Stil, eine Marke zu verfestigen? Das als Aggregatszustand von Kunst? Oder ist das dann gleich die Auflösung von Kunst?
Auch irgendwie unbefriedigend, ich weiß.
Das waren dann auch schon meine paar bescheidenen Gedanken zum Thema. Danke für’s Zuhören.