30 Jahre Radio Z – eine Radioplattform, die Utopie wagt

Zum Jubiläum von RADIO Z hatte ich die Ehre, gestern eine Rede zu halten, mit ein paar Gedanken zu seiner Rolle in der heutigen Medienlandschaft. Und mein Fangirling für diesen wunderbaren widerspenstigen Sender möchte ich euch auch hier nicht vorenthalten:

Mich freut es, dass die erste klassische Rede, die ich in meinem Leben halten darf, eine für Radio Z ist, denn: keine Institution hat mich neben dem musikverein so sehr geprägt. Meine frühen Erinnerungen an Radio Z stehen dabei auch für eine Zeit, in der gegen traditionelle Gatekeeper aufgestanden wurde – gegen eine konservative Medienlandschaft, gegen professionelle Werturteile, gegen die alteingesessenen Autoritäten in Politik und Kultur und Medien. Es ging um eine subversive Alternative, in der Nischenkultur und dann zunehmend auch gesellschaftlich marginalisierten Menschen eine Stimme gegeben werden konnte. So gab es bei Radio Z schon ab 1989 eine Schwulensendung, wohlgemerkt noch während der Zeit des Paragraphen 175. Viva Radio Z – egal ob verschiedenste internationale Communities, Flüchtlinge, Behinderte, Psychiatrieerfahrene, Feminist*innen jeglicher Couleur, immer wieder kommen neue Jüngere dazu, Queers, Gamer, Filmliebhaber, Internet-Nerds, aber auch ganz viele Menschen mit exklusivem Musikgeschmack, den sie in inkludierende Musiksendungen verwandeln, mit Musik aus verschiedensten Genres, Ländern, Äras oder aus verschiedensten Gesichtspunkten betrachtet …. Themen mal aus anderen Perspektiven zu sehen, einen machtkritischen Blick, einen mainstreamfernen Blick, und ein Blick von Marginalisierten, die hier ihre Perspektive auf die Welt sichtbar machen – das sind Inhalte, die im Mainstream, der sich an Quoten und Werbefinanzierung orientiert, keine Stimme bekommen oder bekommen können.

Dass Abhängigkeit von Werbung Medien nicht gut tut, lässt sich derzeit an den Problemen der Zeitungsbranche mitverfolgen, die verzweifelt ihren Platz in einem Social Media-dominierten Internet sucht. Social Media zeigt uns langsam seine problematische Seite: Ja, dort können alle sprechen, aber nur zu den Bedingungen der strukturellen Logik der Plattform. Das heißt: eine Plattform, die von Werbung finanziert wird, muss zu lernen versuchen, worauf Menschen am meisten reagieren, und diese Aufmerksamkeitsökonomie wirkt zurück auf ihre User: Wer am provokativsten, am lautesten, am gefühlserregendsten postet, wird am meisten gehört. Dass die Attention Economy von Social Media Plattformen schädlich für das Vermitteln von Nachrichten ist, weil es – gemäß einer zur Werbewirksamkeit nötigen viralen Logik hinter dem Filtern der Timelines – besonders populistische Inhalte bevorzugt anzeigt, gehört wahrscheinlich zu den bittersten gesellschaftlichen Lernerfahrungen des vergangenen Jahres. Es ist ein Paradebeispiel dafür, warum alternative Medienstrukturen, die unabhängig von Sponsoring und Quoten sind, so wichtig sind.

Das Format Radio mag sich für manche heute ein bisserl altbacken anhören, aber das tat es auch schon, als Radio Z anfing. In den 80ern wurde mit MTV das Radioformat totgesagt, “video killed the radio star”. Heute wissen Jüngere nicht mehr, was MTV ist, während nicht zuletzt der wahnsinnige Erfolg von Podcasts und Mediatheken, wie auch Radio Z längst eine hat, eine erneuerte Beliebtheit des Audioformats zeigt – wahrscheinlich werden Menschen es einfach nie müde werden, sich Geschichten zu erzählen und erzählen zu lassen und eine der vielen Künste, die es beim Radiomachen zu erlernen gilt, wird es bleiben, sich immer wieder einen Platz in neuen technologischen Infrastrukturen zu suchen.

Vom Tonbänderschneiden und Flyerkopieren der frühen Jahre bis zu Digitalschnitt und Internetpräsenz – Radio Z stand vor vielen Veränderungen, und Radio Z stand oft kurz vorm Abgrund, aber hat es immer wieder geschafft, sich neu zu erfinden in den vergangenen 30 Jahren. Und das in einer Art und Weise, zu der ich abgewandelt eine großartige Veteranin dieses Senders zitieren will, nämlich Tine Plesch: “Ein kritischer Sender muss, wenn er diesen Anspruch wirklich hat, sein eigenes Scheitern und seine unabänderliche Eingebundenheit in die kapitalistische Gesellschaft stets mitdenken und tatsächlich auch thematisieren.” Bei Radio Z geht es nicht nur um das, was aus den Lautsprechern kommt; nicht Radio als Produkt, sondern Radiomachen als gemeinschaftlicher Prozess. Deswegen an dieser Stelle ein großes Shout Out an all die ganzen großartigen verrückten Menschen, die im Hintergrund Radio Z zusammenhalten – dieses große zappelnde widerspenstige Ungetüm von Community.

Einer der Punkte, die Radio Z so unersetzlich machen, ist auch seine geographische Verortetheit – es ist kein geographisch beliebiges Medium, es ist ein Lokalradio. Und damit meine ich nicht den inhaltlichen Fokus auf lokale Ereignisse, auch wenn der auch dazu gehört, nein, hier meine ich: Leute aus den unterschiedlichsten Schichten und Szenen ein und derselben Stadt finden sich seit sage und schreibe 30 Jahren bei diesem Knotenpunkt Z zu einer Polyphonie zusammen. Es gibt nichts auch nur annähernd Vergleichbares in dieser Stadt, was ein solch diverses Netzwerk von Stimmen darstellt, was so gut die kritische und die kulturelle Vielfältigkeit von Nürnberg repräsentiert. Wenn ich was Symbolisches für das urbane Herz von Nürnberg wählen müsste, wäre das bestimmt kein Hochglanzbild einer blau angestrahlten Burg, sondern viel eher ein vielleicht etwas unansehnlicherer, aber von einer Vielfalt von Signalen nur so pulsierender Kabelhaufen in der Ecke von Radio Z. Es ist Community Radio im besten Sinne: Es gewährt einen granularen Einblick in diese Stadt, einen Zugang durch hunderte kleiner Türen statt nur durch ein großes Tor. Hinter jeder Tür eine andere Stimme, die etwas vorzubringen hat, die Musik vorzustellen hat oder einen kritischen Kommentar oder eine satirische Pointe, und das – um noch mal zum Finanziellen zu kommen – ohne Entgelt.

Es ist ein Medium, das trotz seiner wichtigen Rolle kaum Geld zur Verfügung hat. Umbequemen kritischen Stimmen wird halt auch nicht so gern Geld gegeben, egal wie wichtig ihre Rolle in unserer Gesellschaft ist. Ehrenamtliche Arbeit wird zwar immer schön hochgehalten, aber die Grenze zwischen Selbstaufopferung und Selbstausbeutung, und das nötige Privileg, die Freizeit für Ehrenamt statt eines Zweit- oder Drittlohnerwerbs zu haben, wird dabei meist unter den Tisch gekehrt. Diejenigen, die sich bei Radio Z engagieren, kommen zu einem großen Teil auch aus äußerst prekären Lebensverhältnissen – deswegen nicht nur ein großes Dankeschön von mir für die ganze unbezahlte Arbeit an einem so großartigen Spektrum an Radiosendungen und der Radio Z Infrastruktur, sondern auch die dringliche Forderung nach mehr Förderung!

Es macht mich immer wieder traurig und wütend, wenn ich sehe, wie wenig Förderungsgeld den zuständigen Behörden ein solch großartiges Community Projekt wie Radio Z es ist, wert ist. Ein solch nachhaltig kritisches Medium, eine solch diverse Plattform von Stimmen, ein solch utopischer Raum. Denn letztlich geht es bei Radio Z auch um das, was derzeit zum Beispiel unter dem Begriff “Safe Space” immer wieder heiß diskutiert wird. Nämlich alternative solidarische Räume zu schaffen, in denen ein Ausnahmezustand hergestellt wird, in dem alle Menschen gleich laut gehört werden können, an dem alle Mitglieder mitdiskutieren, mitentwerfen, mitbauen können. Und das ist es, was Radio Z letztlich für mich die letzten 30 Jahre immer gewesen und immer noch ist und bestimmt auch weiterhin sein wird: Eine Radioplattform, die Utopie wagt!

“Ignoranz als Überparteilichkeit”

“Mehrheitsgesellschaft, die ihre Ignoranz als Überparteilichkeit feiert” – dieses Zitat von Martin Krauss trifft, wogegen auch ich mit verschiedensten Leuten die letzten Tage versucht habe, anzudiskutieren. Ich habe mich dabei oft geärgert, dass ich das Gefühl hatte, mich oft nicht gut genug in der Sprache meines Gegenübers ausdrücken zu können. Ich habe mich oft ungebildet gefühlt. Nicht schön, weil ich es gewohnt bin, wenn ich etwas nicht weiß, entspannt dazu zu stehen und solange zu fragen, bis ich es verstehe. Und umgekehrt, zu erklären, bis ich das Gefühl habe, mein Gegenüber hat verstanden, um was es mir geht. In letzter Zeit habe ich mich auf ein paar Diskussionen eingelassen, die diesbezüglich wirklich zermürbend waren. Gerade auch, weil ich es gewohnt bin, mich halbwegs ausdrücken zu können, aber hier wurde mir manchmal die Sprache unter den Füßen weggezogen. Ob das nun ein Verschwörungstheoretiker im Bekanntenkreis ist oder jemand, der sich so lange eine rechte Filterbubble aus Horizontserweiterunggründen angetan hat, dass er gar nicht mehr merkt, wieviel Verständnis er inzwischen für die Rechten zeigt und wie wenig für deren potenzielle Opfer. Oder einer der Autoren von “Mit Rechten reden”.

Ich fühle mich ja oft unzureichend in solchen Auseinandersetzungen, vor allem wenn es eine bestimmte Sorte bisserl akademischerer weißer nicht-mehr-ganz-junger Männer ist, die gewohnt sind, ihre Position kein Stück weit in Frage zu  stellen, sondern meinen, aus einer Position purer Rationalität und Objektivität zu sprechen. Von da aus halt, wo Objektivität den Beigeschmack der Objektivierung des Gegenübers (im Sinne davon, ihm nicht auf Augenhöhe zu begegnen) trägt und Diskussion ein Schachspiel, ein Battle, ein Game, ein technische Fingerspiel ist. Von Evo-Psych bis Philosophie oder Politikwissenschaft – Bro Culture is everywhere.

Sehr anstrengend ist das jedenfalls alles zur Zeit. Und ich wollte mich doch weniger mit Politik befassen und wenn, dann mehr mit Kulturthemen. Filme und Bücher besprechen, Herumtheoretisieren zur Kultur der Digitalität, und überhaupt: wieder mehr Musik machen! Zur Zeit fühlt sich’s eher an, als suchen (um nicht zu sagen verfolgen) die Themen mich anstatt dass ich sie mir aussuche. Und meine Neugierde, dieses elende quengelnde “ich muss das jetzt aber wissen!” lässt mich da wohl nie los. ^^

Und jede Diskussion bereichert mich ja auch, und Austausch ist “in diesen Zeiten vielleicht wichtiger denn je”. Bloß nicht mit Rechten. :sadlol: Wie der Historiker Volker Weiß in dem Artikel, aus dem auch das Eingangszitat war, treffend zusammenfasst: Inhaltliche Auseinandersetzung mit den Neuen Rechten ist sinnlos, weil es ihr darum geht, offene Diskurse auszuschalten. Wenn sie sich darauf einlässt, zu Debattieren, ist das nie als Austausch gemeint, sondern als Promo-Möglichkeit: Es ist eine Möglichkeit, noch mehr Präsenz zu gewinnen und die Grenzen des Sagbaren noch mehr auszuweiten, den Diskurs nach Rechts zu verschieben. Und das gelingt ihnen auch ganz gut. Da muss nur mal ein Blick in die ZEIT der letzten Tage geworfen werden, z.B.

Ein Artikel, der von Bothsideism nur so strotzt, bzw letztlich kaum verhehlt, dass er die Neue Rechte als viel exotisch-faszinierender empfindet als die Langweiler*innen, die dagegen “tanten- und reflexhaft” protestieren.

Ein anderes Beispiel, nebenbei eines von vielen, das das beliebte “die Linken sind schuld am Aufstieg der Rechten” strapaziert (egal ob das dann gerade die SPD, Antifa oder Politisch Korrekte sein sollen):

Ähnlich wie in dem einen Artikel das “Mysteriöse” riechen mir hier Vokabeln wie “Ermächtigungsbewegung” schon fast nach einer Romantisierung von Proto-Faschismus. Das dampft so um das wörtlich Gesagte herum. Kann aber schon mal passieren, wenn es für sinnvoll gehalten wird, moralische Gesichtspunkte aus der Diskussion zu streichen, um so vermeintlich rationaler urteilen zu können. Aber mei, wie ein Freund auf Facebook meinte: “hierzulande wird einfach traditionell gern den Tätern zugehört.”

Und um noch mal deren Inhalte deutlich zu machen, ein letzter Satz aus Krauss’ Artikel: “‘In Publikationen von Antaios wird das Frauenwahlrecht infrage gestellt, ein einkommensabhängiges Klassenwahlrecht gefordert und die Demokratie zur Herrschaft der Minderwertigen erklärt.’ Kaum verhüllter Hass auf Juden, mit Häme garniertes Kleinreden der Schoa – es bahnt sich an, dass das zur normalen und legitimen Meinungsäußerung avanciert.”

Okay, das waren zwei Sätze. Und eigentlich wollte ich ja heute endlich was zu Blade Runner 2049 bloggen.

NOSTALGIE DER STRASSENFOTOGRAFIE – TEIL 2: Privates im Öffentlichen

Espen Eichhöfer, ein deutscher Straßenfotograf, ist von einer Frau verklagt worden, die das Objekt eines seiner Bilder war und sie hat gewonnen. Irgendwie. Die Diskussion um den Fall klang in etwa so: “OMFG, das Ende der Kunstfreiheit! Die Straßenfotografie hierzulande ist dem Untergang geweiht!” In Nachrichtenmedien, Blogs und Social Networks kümmerte sich kaum jemand um die Position der Frau. Weil nichts gar so einfach sein kann, wurde ich neugierig, begann ein wenig darüber zu lesen und wurde hineingesogen. Die Querelen um Straßenfotografie machen Spannungen sichtbar, die mit unseren immer stärker überwachten und digital durchdrungenen Leben zugenommen haben. Während manche Straßenfotografen argumentieren, dass die Gesetze zu unserem Persönlichkeitsrecht veraltet seien, könnte das eigentlich auf sie selbst zutreffen.

Ich werde diese Woche ein paar bescheidene Gedankene zu ein paar Aspekten dieses gewaltigen Themas in ein 3-4 Teilen posten, weil es zu lang für einen Text geworden ist. Hier ist der zweite Teil.
(Die englische Version gibt es hier. Die Fotos sind von mir.)

Privates im Öffentlichen

Lasst uns einen näheren Blick auf das Urteil im Eichhöfer-Fall werfen, in dem viele deutsche Zeitungen und Blogs den Untergang der Straßenfotografie gedämmert haben sehen. Das Urteil besagt, dass, obwohl die Klägerin sich als das Foto gemacht wurde in einem öffentlichen Raum befand, sie offensichtlich in einer völlig privaten Lebenssituation war (das bedeutet: nicht als Teil einer großen Menschenmenge bei einem öffentlichen Ereignis wie einem Straßenfest, einer Demo oder einem Sportevent). So hat der Richter entschieden, dass in diesem Fall deine Privatheit, dein Persönlichkeitsrecht, Schutz verdient, auch wenn du dir dessen bewusst bist, dass du, sobald du öffentlichen Raum betrittst, potentiell unter irgendeiner medialen Überwachung stehen könntest. (BGH v. 17.2.2009, VI ZR 75/08, juris Rn. 13) Der Grund, den der Richter für seine Entscheidung angibt, ist, dass es eine beträchtliche Einschränkung deines Rechts auf freie Persönlichkeitsentfaltung bedeuten würde, wenn du dich wegen der Möglichkeit, dass du gegen deinen Willen fotografiert und publiziert werden könntest, nicht ungehemmt in der Öffentlichkeit bewegen könntest. Weil die Grenzen zwischen der Funktion des Fotos als Kunst, Dokumentation und Werbung verschwimmen, finde ich es wichtig, zu erwähnen, dass sich das Urteil bei diesem Punkt nicht auf das Bild im Kunstkontext der Galerie bezogen hat, sondern darauf, dass die Frau überlebensgroße auf einem Poster an einer großen vielbefahrenen Straße öffentlich aushing und auf diese Weise aus ihrer Anonymität gerissen wurde.

Ich kann durchaus nachvollziehen, dass Fotograf*innen mit dieser Entscheidung nicht glücklich sind, aber ich finde sie eigentlich fair. Die Berücksichtung des Punktes “in einer völlig privaten Lebenssituation” zeigt Respekt für kontextuelle Integrität und Konsens. Es drückt aus, dass auch wenn du das Opt-In für die Terms of Service dieses Staates dadurch geklickt hast, dass du hier lebst, du eine Chance bekommst, dagegen zu kämpfen, wenn jemand seine oder ihre Freiheit dazu missbraucht, dir potentiell zu schaden. So etwas zu entscheiden verdient eine vorsichtige singuläre Entscheidung statt einer allgemeinen Freiwild-Regelung zum Vorteil der Straßenfotograf*innen. Diese wäre nichts als ein “wenn du nicht fotografiert werden willst, bleib halt daheim”-Mittelfinger ins Gesicht aller Bürger*innen.

“Öffentlich” wie in “entanonymisiert”

Im öffentlichen Raum war die Standardeinstellung Anonymität; das war ein wichtiger Faktor darin, was Generationen junger Menschen suchten, wenn sie ländliche Gegenden verließen um in Großstädte zu ziehen. Die Macht selbst entscheiden zu können, wer uns kennenlernt und wer nicht. Der süße Duft der Freiheit Dinge ausprobieren zu können, die dir Anonymität verspricht. Vor Social Networks und intelligenten Bilder-Suchmaschinen, hätte flüchtige Wiedererkennbarkeit auch nicht so viel bedeutet. Heute sind wir keine Menschenmenge mehr, sondern wir sind eine Menge von singularen Gesichtern, die von einer Software identifiziert werden können. Selbstverständlich sehnen sich Leute mehr nach Anonymität, je mehr sie getrackt und überwacht werden. Deswegen denke ich, das Urteil im Eichhöfer-Fall war fair: Es geht nicht um “öffentlich vs privat” wie in “eine Straße überquerend vs im Wohnzimmer sitzend” (wie es die Straßenfotografen und ihre Verteidiger aussehen lassen wollen). Es geht um “öffentlich” wie in “entanonymisiert”.

Nostalgie nach dem Schweigen der einfachen Leute

Die digitale Durchdringung unserer Leben bringt natürlich einen neuen Dschungel von richtig und falsch mit sich, und es ist schwer, die Gesetze angemessen neu zu justieren, während wir noch mitten in den großen Veränderungen stecken. Wie Sixtus schreibt, hat das in der Straßenfotografie zu so etwas wie einem gesetzlichem Vakuum geführt und das hat einem Menge damit zu tun, dass Menschen endlich dessen gewahr werden, das Online und Offline, ebenso wie privat und öffentlich, tief ineinander verwoben und keine Gegensätze sind. Wenn du ein Bild deines Schlafzimmers auf Facebook postest – ist das privat oder ist das öffentlich? Hängt es davon ab, wer das Bild gemacht hat? Oder davon, mit welcher Privatheitseinstellung es gepostet wurde, so wie Facebook will, dass du denkst? Oder auf den Kontext, in dem es gemacht wurde? Sixtus beklagt, dass die Menschen sich, weil die Gesetze immer komplizierter werden, einer “Esoterik” zuwenden. Ich würde da “so er” aus “Esoterik” streichen, ein “h” kaufen und stattdessen lösen als: “Ethik”. Ethik hat die Qualität einer “gefühlten Wahrheit” und baut auf gesellschaftlichen Konsens auf und ändert sich leichter als Gesetze. Ethik ist fließender als Gesetze, aber sie als esoterisch abzutun wird ihr nicht gerecht.

Rechtliche Unklarheit für ein “wenn es möglich ist, dann tu’s einfach” Verhalten auszunutzen und das in “Freiheiiiit!”-Waschzettel einzuhüllen, die Mel Gibson blass aussehen lassen würden, erinnert mich an die Cyberspace-Wild-West-Romantik, die von einer alten Tech-Elite über die goldene Ära des Internets erzählt wird. Sie scheinen ähnlich blind für systemische Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten. Straßenfotografie war nie unproblematisch, es ist nur so, dass wir jetzt an einem Punkt sind, an dem die Stimmen ihrer Objekte auch gehört werden. Straßenfotograf*innen und Journalist*innen beschweren sich über diese lästigen Leute, die einst ein stilles Publikum waren oder sich geehrt fühlten, Objekte ihrer Arbeit sein zu dürfen. Diese Nostalgie nach ihrer einstigen Autorität, als Gatekeeper und als Expert*en mit besonderen Fähigkeiten dafür, die Welt einzufangen wie sie “wirklich” ist, ist nichts als Nostalgie nach dem Schweigen der einfachen Leute. Wenn ich eine Sache daraus gelernt habe, Artikel und Blogposts für diesen Beitrag hier zu lesen, dann ist es: Straßenfotografie ist narzisstischer als es Selfies jemals sein könnten. Es geht nicht darum, was du auf dem Foto siehst, es geht darum, was sein Zweck für den eigenen Status ist.

DER Öffentliche Raum hat sich verändert

Wir stehen immer noch am Anfang der Digitalen Revolution, besonders in Deutschland mit all seiner Technophobie. Es ist nicht gerade hilfreich, dass Straßenfotografen und Journalist*innen, die zur digitalen Elite gehören, ihren Status Quo als neue Norm setzen wollen, während es da draußen noch so vile gibt, die neuen Technologien (noch) nicht trauen, weil sie Angst vor Überwachung und Big Data haben. Straßenfotografie hat viel mit diesen Ängsten und dieser Sehnsucht nach Privatheit zu tun, aber sie nimmt diese nicht ernst. “Heutzutage ist Fotografie – und Straßenfotografie insbesondere – eine umstrittene Sphäre, in der all unsere kollektiven Unsicherheiten zusammenlaufen: Terrorismus, Pädophilie, Zudringlichkeit, Überwachung. Wir bestehen auf dem Recht auf Privatheit und, gleichzeitig, fotografieren wir alles, was und alle, die wir sehen und alles, was wir tun – im Öffentlichen und im Privaten – mit unseren Smartphones und Digitalkameras. Einerseits sind wir deswegen jetzt alle Straßenfotograf*innen, aber gleichzeitig sind wir die meistfotografierte und gefilmte globale Bevölkerung ever,” schreibt Sean O’Hagan, nicht über “öffentlich” und “privat” als Gegensatzpaar hinauskommend. Den Wunsch nach Anonymität mit dem Wunsch nach Zensur gleichsetzend, meint Sebastian Graalfs, der Anwalt Espen Eichhöfers: “es geht auch um die Frage, ob diese Gesellschaft noch einen öffentlichen Raum erlaubt?!, in dem Kunst – z.B. Straßenfotografie – stattfinden kann. Oder ob dieser öffentliche Raum atomisiert wird – in Millionen kleine Privatsphären. Das wäre dann die Entfesselung einer allmächtigen Privat-Zensur, die solche Ausstellungen und eine Kunstgattung unmöglich machten.” Georg Diez bemerkt eine wachsende “Kunstfeindlichkeit, das verzerrte und mit Misstrauen belegte Bild von Öffentlichkeit und die Ausdehnung des Privaten bis zur Usurpation noch der letzten Straßenecke. Die Stadt als Bühne verschwindet in dieser Argumentation, die Vorstellung der Straße als Ort der Gleichheit, der Sichtbarkeit, des Alltags, der sozialen Realität, der Geschichtsschreibung, der Erinnerung, der Kunst.”

Was sie zu vergessen scheinen ist, dass die Stadt als urbaner öffentlicher Raum schon viele dieser Qualitäten durch Überwachung, Kommerzialisierung und druckvoller Stadtplanung verloren hat, damit eine Vision der Stadt als Marke Wirklichkeit wird. Städte sind auf dem besten Weg für globalen Konsumerismus standardisiert zu werden und der öffentliche Raum ähnelt nicht mehr dem romantischen Bild einer offenen Zone, die für soziale Interaktionen und die Entfaltung lokal-orientierter Entwicklungen da ist. Das Misstrauen der Menschen ist nicht ohne Grund gewachsen. Wie die Architektin Selena Savić in einem Essay über defensive Architektur schreibt: “zeitgenössischer urbaner Raum wird komplett in Mikro-Zonen für singulare Nutzungsszenarien aufgeteilt. … Letztendlich, verteidigt uns unangenehmes Design oder defensive Architektur aber nicht von wirklichen Bedrohungen: einem systematischen Verfall von Privatheit und Anonymität in öffentlichen Interaktionen; überall Überwachung und TRacking; Missbrauch von Metadaten und anderen Arten privater Informationen; strukturelle Bedrohungen bürgerlicher Freiheiten durch das Koppeln von privatwirtschaftlichen Interessen und schwachen öffentlichen Institutionen. Das sind die wahren Bedrohungen für unsere Gesellschaft heute.” Das ist das öffentliche Szenario, das der Straßenfotograf heute betritt und an dessen sich verändernde Gegebenheiten er sich eben anpassen muss, so wie alle anderen auch.

Wenn überhaupt, dann ist Straßenfotografie am ehesten durch ihre Demokratisierung gefährdet. Mehr dazu im nächsten Teil.

TO BE CONTINUED.

Nostalgie der Straßenfotografie – Teil 1: Straßenfotografie im Kampf gegen das Gesetz

“My best pictures have always been those that I have never made.”
Elliot Erwitt

Espen Eichhöfer, ein deutscher Straßenfotograf, ist von einer Frau verklagt worden, die das Objekt eines seiner Bilder war und sie hat gewonnen. Irgendwie. Die Diskussion um den Fall klang in etwa so: “OMFG, das Ende der Kunstfreiheit! Die Straßenfotografie hierzulande ist dem Untergang geweiht!” In Nachrichtenmedien, Blogs und Social Networks kümmerte sich kaum jemand um die Position der Frau. Weil nichts gar so einfach sein kann, wurde ich neugierig, begann ein wenig darüber zu lesen und wurde hineingesogen. Die Querelen um Straßenfotografie machen Spannungen sichtbar, die mit unseren immer stärker überwachten und digital durchdrungenen Leben zugenommen haben. Während manche Straßenfotografen argumentieren, dass die Gesetze zu unserem Persönlichkeitsrecht veraltet seien, könnte das eigentlich auf sie selbst zutreffen.

Ich werde diese Woche ein paar bescheidene Gedankene zu ein paar Aspekten dieses gewaltigen Themas in ein 3-4 Teilen posten, weil es zu lang für einen Text geworden ist. Hier ist der erste Teil.
(Die englische Version gibt es hier. Die Fotos sind von mir.)

STRASSENFOTOGRAFIE IM KAMPF GEGEN DAS GESETZ

Anders als in vielen anderen Ländern ist in Deutschland das Persönlichkeitsrecht eher so gewichtet, dass es die Fotografierten schützt: Anstelle eines Gesetzes im Geiste von “öffentlich ist öffentlich” haben Menschen das Recht zu entscheiden ob und in welchem Kontext Bilder von ihnen veröffentlicht werden. Wie Andrea Diener erklärt, wird auf der Ebene von Einzelfällen abgewogen, ob der Wert eines Fotos als historisches Dokument oder als Kunstwerk das Persönlichkeitsrecht überwiegt. In einem Blogpost verdammte Günter Hack vor kurzem dieses Recht am eigenen Bild als “Nemesis jedes Street Photographers”. Für ihn und andere ist es veraltet und passt heute nicht mehr, weil es aus einem anderen historischen Kontext kommt. Sixtus schreibt, dass dieses Recht “aus der vordigitalen Zeit [stammt], aus einer Ära, als die ‘Veröffentlichung’ eines Fotos noch ‘Zeitung’ oder ‘Zeitschrift’ bedeutete, als sie die Ausnahme war und nicht die Regel. Aus einer Zeit, als noch nicht jeder Mitmensch eine Fotografiermaschine mit eingebauter Publikationstaste permanent in den Händen hielt.” Und tatsächlich basiert dieses Kunsturhebergesetz auf einen Fall von 1889, als zwei Paparazzi jemanden für die Möglichkeit bestachen, Fotos vom sterbenden Reichskanzler Otto von Bismarck zu machen.

Die Diskussion um die Dos und Don’ts der Straßenfotografie hat sich erhitzt, als vor ein paar Monaten eine Frau einen Straßenfotografen dafür verklagte, dass er ein Bild von ihr ausstellte. Viele Zeitungen und Blogs haben darüber geschrieben, und auch auf Twitter war es ein Thema. Der Fotograf, Espen Eichhöfer, hatte sie ohne ihr Wissen fotografiert und ihr Bild in einer Galerie ausgestellt, hieß es. Das Bild zeigt sie wohl als dominanten Teil einer Straßenszene, während sie in einem Leopardenmantel vor einer Pfandleihe über die Straße eilt. Eichhöfer nahm das Bild ab, als sie sich beschwerte, aber sie klagte dennoch. Sie bekam zwar kein Schadensgeld zugesprochen, aber das Gericht entschied, dass der Fotograf ihr Persönlichkeitsrecht verletzt hat und deswegen die Verfahrenskosten tragen muss. Das löste eine Empörungswelle unter Fotografen, Kunst- und Medienmenschen aus, die um nichts weniger fürchten als um die Kunstfreiheit und die Zukunft der Dokumentation des Lebens auf öffentlichen Plätzen: sie bangen um die Zukunft der Straßenfotografie. Eichhöfer bekam einen Haufen Publicity (darunter ein von ihm selbst verfasster VICE Artikel), die ihm nun die Berufung vor der nächsthöheren Instanz, dem Bundesverfassungsgericht, ermöglicht. Er möchte ein Grundsatzurteil gegen die “Kriminalisierung” von Straßenfotografie. Sein Crowdfundingziel waren 14.000€, er hat 18.000€ zusammenbekommen.

Ein weiterer Fall, der die Gemüter erhitzte, war das “Lex Edathy”, eine Gesetzesänderung, die es in relativ vager Formulierung strafbar macht, unbefugt von einer anderen Person eine Bildaufnahme anzufertigen oder zu verbreiten, die “geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden.” Dagegen wurden natürlich Beschwerden laut, dass diese Formulierung dafür missbraucht werden könnte, kritischen Fotojournalismus unmöglich zu machen.

FÜR DIE FREIHEIT DER KUNST

Eichhöfer sieht sich selbst in der Tradition von Künstlern wie Henri Cartier-Bresson, Garry Winogrand oder Robert Frank: “Meine Fotos sind in dieser Tradition entstanden, sie halten spontane Alltagssituationen fest, die sich ungestellt vor der Kamera abspielen. Eine gelungene Straßenfotografie ist eine Verdichtung oder Zuspitzung vom Leben auf der Straße, im besten Falle ist sie Zeitdokument, Bestandteil des kollektiven Bildgedächtnisses.” Diese Art von Dokumentation ist viel bedeutender für ihn als der Wunsch der abgebildeten Person, obwohl er sagt, dass er es schon verstünde, dass manche Menschen ihr Foto nicht öffentlich ausgestellt sehen wollen.
Die Sorgen der Straßenfotograf*innen sind schnell aufgezählt und sie tauchen in Diskussionen in Blogs überall im Netz immer wieder auf. Hier sind einige, die Sixtus zusammengetragen hat:

  • Es ist technisch unmöglich, jede Person auf der Straße um ihre Erlaubnis zu fragen.
  • Sogar wenn es möglich wäre, Leute um Erlaubnis zu fragen, würden die meisten es dennoch nicht tun, da es den dokumentarischen Aspekt ihres Bilder zerstören würde: Sobald Menschen wissen, dass sie fotografiet werden, verändern sie ihr Benehmen und das Bild würde nicht länger eine authentische Szene zeigen.
  • Heutzutage hat jede*r Smartphones und macht und teilt die ganze Zeit Bilder öffentlich.
  • Bilder zu machen und zu teilen ist zur Kommunikationsart geworden, also käme ein Fotografieverbot einem Kommunikationsverbot gleich.

Günter Hack fügte das Überwachungsargument hinzu:

  • Kommerzielle und staatliche Überwachung sind allgegenwärtig. Kritisiert erst mal sie, denn sie könnten euch viel mehr schaden und haben dazu beigetragen, diese Situation zu normalisieren. Warum sollten Bürger*innen weniger Freiheit haben als der Staat?

FÜR DIE FREIHEIT DES WEGLASSENS

Während ich mit vielen dieser Punkte überhaupt nicht uneinverstanden bin, beschäftigte es mich, dass ich nur auf Artikel stieß, die auf der Seite des Fotografen waren. Die Frau, die Eichhöfer verklagt hatte, blieb in der öffentlichen Diskussion ein stummes Objekt, das Schlagzeilen wie “Wem gehört das Gesicht der Frau im Leopardenmantel?” abbekam, für Artikel, die sich nur um die Meinungen von Kurator*innen, Straßenfotografen und Eichhöfers Anwalt zu scheren schienen. Da Sachen niemals so eindeutig sind, wurde ich neugierig und begann ein bisschen rumzulesen und wurde in dieses Thema hineingesaugt. Einige dieser Artikel, und sogar Eichhöfers Crowdfunding-Versprechen drehen sich nur um die Version des Fotos, das in der Galerie ausgestellt hing. In Jörg Heidrichs Text las ich dann aber, dass das Bild auch für ein überlebensgroßes Poster verwendet worden war um die Ausstellung zu bewerben. Das führt mich dann dazu, mal das tatsächliche Urteil zu überfliegen (das gibt es hier). Es erwähnt noch ein Detail: Das Foto war auch auf der Facebookseite der Galerie zu sehen. Diese Punkte wurden in den meisten Texten zu diesem Thema weggelassen.

Ich denke, dass sie wichtig sind, denn sie bedeuten verschiedene Kontexte und verschiedene Abstufungen von Öffentlichkeit. In einer Galerie diskutierst du es als ein Kunstwerk in einem Kunstrahmen. Auf einem riesigen Poster auf einer öffentlichen Straße wird es in einem Werbungskontext verwendet und entanonymisiert die Frau viel mehr. Wenn ihr Bild auf einer öffentlichen Facebookseite auftaucht, wird ihr Gesicht von Gesichtserkennungssoftware erfasst. Diese könnte helfen, weitere Bilder von ihr zu finden und das könnte dazu genutzt werden Informationen über sie zu herauszubekommen. Um das richtig in Farben einer digital-durchdrungenen Welt auszumalen: Dass sie vor einer Pfandleihe abgebildet wurde, könnte zu einem schlechteren Schufareport führen. Sie könnte dafür getrollt werden, dass sie Pelz trägt. Sie könnte sich vor einem Ex-Ehemann verstecken, der sie verprügelt hat, und das Foto könnte ihm behilflich sein, sie aufzuspüren. Und, wie es so schön heißt: was einmal im Internet landet, kursiert dort für immer, so können mögliche zukünftige Konsequenzen noch gar nicht vorausgesehen werden. Jaja, ich übertreibe, aber das tun auch all die Texte, die sich nicht das kleinste bisschen um die Perspektive der Frau scheren. All diese möglichen Konsequenzen mitgedacht würde ich sagen, dass das Persönlichkeitsrecht in seiner deutschen Form zwar aus vordigitalen Zeiten stammen mag, aber besonders mit dem Ansatz nicht zu verallgemeinern, sondern anhand des jeweiligen Einzelfalles zu entscheiden, erscheint es mir gar nicht so unangebracht.

 

MAN BRAUCHT EIER

Die Geschichte der Leichtigkeit, mit der sich Social Photography (das Fotografieren und anschließende Teilen der Fotografie mit anderen auf Social Networks oder in Messenger-Apps) in vielen Teilen der Welt so weit verbreitet hat, ist auch die Geschichte der Dominanz der sozialen Gruppen, die am wenigsten davon zu befürchten haben, fotografiert zu werden. Ihre Stimme prägt auch den medialen Diskurs dazu. Leute, die es ablehnen, in der Öffentlichkeit fotografiert zu werden, werden als eitel betrachtet und in den meisten deutschen Artikeln, die ich zum Eichhöfer-Fall gefunden habe, zeigt der Tonfall wie auch der Inhalt keinerlei Sympathie für die fotografierte Frau. Es dreht sich nur um die Fotografen: Sie brauchen Freiheit, um tun zu können, was sie wollen, weil sie wichtige Kunst und wichtige Dokumentationsarbeit für die ganze Menschheit leisten. Meike Laaf sorgt sich um die Selbstzensur dieser wichtigen Künstler*innen ohne die Selbstzensur zur Kenntnis zu nehmen, die es für deren Objekte bedeuten kann: “Tanz, als ob dir niemand dabei zusähe” ist zu “geh nicht aus dem Haus, wenn du nicht willst, dass jemand von dir ein Bild macht, dass dich aus deinem Alltagsmoment reißt und vor einem großen Publikum öffentlich zur Schau stellt” geworden.

“Um heutzutage ein Straßenfotograf zu sein, brauchst du Bessenheit, Hingabe und Eier”, hat der Straßenfotograf Martin Parr einst gesagt, und tatsächlich scheint es eine recht maskuline Sphäre zu sein, wenn du den Tonfall betrachtest, mit dem die Fotografierten beschrieben werden. Eichhöfer prangert die Versuche von Leuten wie der Frau, die ihn verklagt hat, als “hysterisch” an. Günter Hack nennt sie “selbsternannte Opfer”, und verspottet sie: “ich stehle keine Seelchen, meine lieben, zarten Eingeborenen, mich interessiert nur wie das Licht auf belebte und unbelebte Körper fällt, auf dass die Nachwelt sich davon ein Bild machen kann, wie wir gelebt haben!” Als ob ein Fotograf in seinem Anspruch auf das Recht der Zudringlichkeit und Inbesitznahme weniger selbsternannt wäre. Als ob die Angst davor, dass eine*m die Seele gestohlen wird nicht tatsächlich eine gute Metapher für die Angst davor wäre, angeprangert, geoutet, getrollt, gestalkt usw zu werden. Auch Sixtus verhöhnt die möglichen Einwände seiner Objekte sarkastisch; dies ist einer der Untertitel zu einem Bild, dass er in seinem Text zum drohenden Untergang der Straßenfotografie verwendet: “Auch diese Dame wollte vermutlich nicht fotografiert werden. Zumindest entnehme ich das ihrem Blick. Im Dienste der Kunst habe ich ihren Wunsch jedoch ignoriert.” Sixtus wählt das “das machten doch alle”-Argument und verweist auf die Allgegenwärtigkeit von digitaler sozialer Fotografie, der zukünftigen Omnipräsenz von Life-Logging und Google Glass. Er ignoriert, dass dies (noch) nicht die Realität von allen um ihn herum ist. Während es langsam zur Realität wird, werden mehr und mehr Leute sensibel dafür und sehnen sich nach neuen Definitionen davon, was akzeptabel ist, was hingenommen werden muss.

TO BE CONTINUED.

“Gender – so what?!” – Radiosendung

Heute 20 Uhr auf RADIO Z: “Gender, so what?!”

Thema: Gender & Medien

Tobi Lindemann hat’s geschafft, dass ich dafür meinen ersten Radiowortbeitrag seit ca. 10mio. Jahren gemacht hab. Es geht im weitesten Sinne um Horrorfilme und Twerken.
Außerdem gibt’s meines Wissens einen Interview(?)-Beitrag von Frank Apunkt Schneider zu gendergerechter Sprache in deutschen Zeitungen oder so. Und einen Beitrag zu weiblichen Figuren in Videospielen, wenn ich mich recht entsinne.

Alles in allem very entertaining und empfehlenswert, traue ich mir hier mal so zu behaupten. Tune in. 95.8mHz in Nürnberg oder Livestream: http://snd.radio-z.net:8000/Radio-Z