Eröffnungsrede zur Vernissage von “Holy Queers & Tricky Myths”

Ich hatte die Ehre, bei der Ausstellungseröffnung von “Holy Queers & Tricky Myths – Vom Schein der falschen Heiligen” von und mit Florian Aschka, Wilhelm Binder, Georg Klüver-Pfandtner, Larissa Kopp, Berivan Sayici und Miroslava Svolikova in der Galerie Bernsteinzimmer ein paar einführende Worte zu sprechen. Hier die Möglichkeit zum Nachlesen und eine große Empfehlung, die Ausstellung und die darin stattfindenen Performances und Workshops zu besuchen (genauere Infos am Schluss dieses Textes).

Eröffnungsrede zur Vernissage von
“Holy Queers & Tricky Myths”

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Willkommen zur Ausstellungseröffnung von “Holy Queers & Tricky Myths”! Es ist mir eine Ehre, hier ein paar Worte zu Beginn sprechen zu dürfen, auch wenn sie etwas wackliger und konfuser sein werden als ich es mir gewünscht hätte – dank einigem an Vorbereitungsstress und zwei durchfeierten Nächten beim 40. Geburtstags des Musikvereins, dem Veranstalterkollektiv, bei dem ich mitmache. Aber ich freue mich sehr, dass das Bernsteinzimmer diese Ausstellung des Künstlerkollektivs Hotel Butterfly macht – und dass ich eingeladen wurde.

Im Vorfeld von unserem MV40 Festival habe ich der Lokalzeitung ein Interview gegeben, in dem der Journalist davon sprach, dass bei uns ja, wenn er sich unsere Veranstaltungsinfos so ansähe, “inflationär” das “Buzzword” “queer” fallen würde. Ich war etwas baff, denn da steckt ja quasi drin, dass ich das Wort in Veranstaltungsinfos als sowas wie ein Marketingtag verwenden würde, weil es gerade hip sei. Und “inflationär” hieße ja, es so viel und uneindeutig zu verwenden, dass es seine Bedeutung verlöre. Sichtbarmachen von Marginalisiertem wurde da quasi mit einem saisonbedingten Lifestyle, einem Fashiontrend assoziiert. Das Schaffen von queerem Space, in dem du in einem Raum eine Nacht lang , oder – wie hier dank dieser Ausstellung – einen Monat lang, queeren Künstler*innen Raum gibst, sich auszudrücken, auszuleben, eine temporäre Ausnahmezone aus dem heterosexuellen und zweigeschlechtlichen Normalzustand unserer Gesellschaft schaffst, die sich an diesem reiben kann; in der Kunst, wie hier in dieser Ausstellung sichtbar machen kann, dass das, was für die einen Normalzustand ist, für die anderen Normierungszustand ist: die mal mehr, mal weniger explizit geforderte Anpassung an die Norm, und es kann die Kraft sichtbar machen, die es kostet, abseits dieser Norm zu leben, leben zu müssen. Und das ist letztlich eine der Wurzeln des Begriffs “queer”.

Ursprünglich stand das Wort für “weird”, “seltsam”, “exzentrisch”, “nicht der Norm entsprechend”. Ende des 19. Jahrhunderts wurde “queer” zunächst als abwertender Begriff für Homosexualität oder besonders feminine Männer verwendet. Fast ein Jahrhundert später, 1990, als Homophobie im Schatten der AIDS-Epidemie gerade richtig hochkochte, wurde dieser abwertende Begriff von einer New Yorker Direct Action Gruppe aus dem Umfeld von ACT UP (kurz für  “AIDS Coalition To Unleash Power”) ganz offensiv aufgegriffen. Sie nannten sich “Queer Nation” und machten sich damit durchaus nicht nur Freunde, auch innerhalb der LGBT*-Szene.

Von ACT UP kennen vielleicht manche das ikonische Motiv eines rosa Dreiecks mit den Worten “Silence is Death” darunter: Schweigen ist, Schweigen bedeutet Tod. Das bezog sich zum einen natürlich klar auf AIDS, aber ist auch ein Satz, der für die Lebensrealität vieler Schwulen, Lesben, Transmenschen, Intersexuellen steht: Das Schweigen, das Nichtsichtbarmachen, das Nichternstnehmen, das Assimilieren von Queerness ist für viele todbringend. Selbsthass und Scham führen gerade unter Jugendlichen, auch hierzulande immer noch dazu, dass die Selbstmordrate homo- und transsexueller Jugendlichen ungleich höher als die von heterosexuellen ist. Das sind unsichtbare Tode, die letztlich von jedem homophoben Spruch, jedem zynischen Spruch über zu maskulin auftretende Frauen, jedem Scherz über zu feminin wirkende Männer, und ähnlichem Alltagshass mitverursacht werden.

Während die einen gegen Genderwahn preachen, und davon faseln, dass die Homolobby die ganze Gesellschaft verschwulen will, sieht die Lebensrealität für viele Queers immer noch völlig anders aus, vor allem abseits urbaner queerer Communities. Toleriert wirst du noch am meisten, wenn du betonst: “Wir sind doch gar nicht anders”, wenn du als heterosexuell durchgehst, wenn du assimiliert bist. “Selbsthass und Emanzipation – das Andere in der heterosexuellen Normalität”, so titelt denn auch heute noch ein gerade frisch erschienener Essaysammelband, in dem Patsy L’Amour laLove schreibt: “Eine solche, zwangsweise missglückende Normalisierung der eigenen Person, wie sie in der Behauptung, so normal wie alle anderen zu sein, versucht wird, muss letztlich als Unterwerfungsgeste verstanden werden: Das Gefühl normal zu sein, ist nur zu dem Preis zu haben, sich den gängigen Vorstellungen von Normalität anzupassen. Die Homosexualität, um deren Akzeptanz doch eigentlich geworben werden soll, soll möglichst weit in Richtigung ihrer Unkenntlichkeit verblassen. … Der Schein der Normalität wird dem Beharren auf Differenz vorgezogen. Das Problem beginnt da, wo in dieser Gesellschaft Differenz nicht ausgehalten wird.“

Aber ich war bei Queer Nation, also noch mal zurück in die 90er. Sie haben damals einige großartige, kraftvolle Manifeste verbreitet, auf die ich irgendwie immer wieder zurückkomme, und auf einem ihrer Flugblätter erklärten sie, warum für sie “queer” ein besserer Begriff ist als “gay”: “Nun, ‘gay’ ist ein gutes Wort. Es hat seinen Platz. Aber wenn viele Lesben und Schwule morgens aufwachen, fühlen sie sich wütend und angewidert, nicht gay, nicht fröhlich. Deswegen haben wir beschlossen, uns ‘queer’ zu nennen. Es erinnert uns daran, wie wir vom Rest der Welt wahrgenommen werden. ‘Queer’ ist ein Weg, uns selbst zu versichern, dass wir nicht gewitzte und charmante Personen sein müssen, die ihre Leben diskret und marginalisiert halten in der heterosexuellen Welt. Wir benutzen ‘queer’ als Schwule, die Lesben lieben und als Lesben, die es lieben queer zu sein. Und ‘queer’ bedeutet, anders als ‘gay’, auch nicht männlich.” Es ist also vom Geschlecht her ein offenerer Begriff. “Queer” also als ein Wort, mit dem sich die Lesbisch/Schwule/Trans*-Szene als alles beschreibt, was von zweigeschlechtlicher Norm – also der Idee, es gäbe nur 100%ige Frauen und 100%ige Männer – und der heterosexuellen Norm, und von den damit einhergehenden Privilegien abweicht. Queer ist ein Begriff, der alles fasst, was von der Norm abweicht, in Sachen:
– biologischem Geschlecht, also der körperlichen Ebene (nicht nur Penis und Vagina, sondern auch wie stark behaart bist du, wie groß sind deine Brüste, wie tief oder hoch ist deine Stimme, usw.)
– Gender-Identität, also ob du dich als männlicher oder weiblicher empfindest
– Gender-Ausdruck, also ob du dich in Gesten, Kleidung usw männlicher oder weiblicher gibst
– und inwieweit du in Sachen sexueller Orientierung von der heterosexuellen monogamen Norm abweichst.
Für all diese Normabweichungen steht “queer”, und wird als Begriff auch bewusst offen und vage gehalten, damit er immer wieder Diskussionen anregt, neu abgesteckt werden kann.

Diese radikale Offenheit behielt er auch, als er theoretisiert im Wissenschaftsdiskurs seinen Platz fand, wo er sich in der Queer Theory darum dreht, dass geschlechtliche und sexuelle Identität nichts Fixes, sondern dass sie gemacht sind. Teils biologisch angelegt, aber zu einem großen Teil gesellschaftlich und sozial geprägt, von uns performt, nichts Feststehendes. “Queer” hinterfrägt letztlich jede Art von fixer Identitätsbildung, wir entwerfen und inszenieren unser Selbst in jedem Moment aufs Neue. Mit jeder Geste, jeder Entscheidung, die wir treffen.

Queer sein, das heißt heute für die meisten immer noch, sich an einem Punkt seines Lebens als radikal anders zu fühlen, sich falsch zu fühlen, die zugeschriebene Identität als unpassend zu empfinden, wie latent entzündete Haut unter einer kratzigen und zu eng und zu kurz geschnittenen Hose, in die einen die Eltern gezwängt haben, und die du ihnen zuliebe erst mal trägst und den Fehler bei dir suchst, dich als unpassend empfindend.

Queer sein heißt für die meisten heute hoffentlich, sich dieser irgendwann bewusst zu entledigen und die fälschlich zugeschriebene Identität zu überschreiben, sie zu überleben, sie mit eigenen Entwürfen, die sich passender anfühlen zu ersetzen, sich weiterzuentwickeln, und soziale Communities zu finden, die dich willkommen heißen. Und es heißt Menschen zurückzulassen, die dich so nicht akzeptieren.

Queer sein bedeutet deswegen zu lernen, Veränderung zu umarmen, sich bewusst zu verorten, zu inszenieren, das Leben als ständig zu erneuernden Selbstentwurf zu begreifen, in Reibung an anderen Menschen und an den Umständen deines Lebens. Das ist für viele Queers eine Erfahrung, die sie ihr ganzes Leben lang gewissermaßen atmen, so sehr gehört sie dazu. Auch deswegen ist Kunst die Zone des Queeren – das Entwerfen, das Spielen, das Inszenieren.

Richard Goldstein schrieb in The Attack Queers über die Geschichte queerer Communities: “Wir waren ein Kunstwerk, bevor wir ein Volk waren, und wir setzen Kultur immer noch mit einer besonderen Bedeutung ein. Sie ist die Arena, in der wir unsere Verluste betrauern, wo wir die sozialen Aspekte unserer Sexualität erforschen, wo wir Rollen erfinden, wo wir Stil schaffen. Kein Wunder, dass die Debatte über die Sichtbarkeit, die Präsenz von Queerness im Mainstream so intensiv ist. Kultur ist für Queers das, was Religion für Juden ist: die Matrix unserer Nation.” (Quasi auch eine Anspielung auf die Queer Nation Gruppe.)

In einer Zeit, die schneller geworden ist, die um das Internet, um Social Media, als sozialen Ort und Ort der Selbstinszenierung und Echtzeit-Streams erweitert ist, die mehr an uns zerrt, die uns eine gesellschaftliche Pluralität viel intensiver wahrnehmen lässt als früher, macht nun langsam auch der heterosexuelle cis-Mainstream die Erfahrung, das nicht alle so sind wie er. Pluralität wird erfahrbarer, und es müssen sich nicht mehr nur die mit dem Gefühl anders zu sein auseinandersetzen, die in Sachen Geschlecht, sexueller Orientierung, oder durch Hautfarbe, Herkunft, körperlicher Versehrtheit, oder etwas anderes aus der Norm fallen. Nein, auch derjenige, auf dessen Perspektive der gesellschaftliche Konsens lange basierte, erfährt nun, dass seine Weltsicht, seine Erfahrungen, nur eine Schattierung unter vielen ist. All die Marginalisierten, die früher abseits im Schatten der abstrakten Idee einer gesellschaftlichen Mitte Stehenden – sie sind lauter und sichtbarer geworden. Medien werden nicht mehr nur von der Perspektive des weißen Mittelschichts-Bio-Deutschen bestimmt.

Die Sichtbarkeit all dieser Anderen, das laute Sprechen aus derer Perspektive, bringt derzeit die kleine heile Normwelt der Konservativen und Rechten ins Wanken, ja, für viele ist ihr Weltbild bis in die Grundfesten erschüttert, wie es sich in der geifernden Opferhaltung zeigt, mit der sich rechtskonservatives Gedankengut derzeit überall lautstark wieder bemerkbar zu machen versucht. Von der AfD und Reichsbürger*innen, von Trump bis zu Les Manif Tous, bis hin zur Kirche natürlich, egal ob islamische Homophobie oder ob ein Papst Franziskus – wie Anfang Oktober geschehen – die Gendertheorie als “weltweiten Krieg gegen die Zerstörung der Ehe” bezeichnet, und uns Queers damit quasi schon eine verdammt klare Kampfansage macht.

Ich denke mir aber gerne, bei aller Angst, die mitschwingen muss, wenn sich so viel Hass gegen die bloße Idee deiner Identität aufbäumt, dass es ein letztes Aufbäumen ist, angesichts einer Gesellschaft, die sich ihrer Diversität, ihrer Pluralität, immer bewusster wird. Und ich hoffe, muss hoffen, dass wir uns zu einer Gesellschaft entwickeln, in der Unterschiede akzeptiert werden, in der Differenz umarmt wird. Statt mit der Norm der Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit leben zu müssen, wird sich hoffentlich immer mehr die Norm der Unterschiedlichkeit, der Vielfalt durchsetzen, und jene, die versuchen, anderen ihre Norm als einzig wahren Lebensentwurf vorzuschreiben, werden zu den Randfiguren. In den USA gab es Anfang des Jahres eine Umfrage, laut der sich nur noch 48% der 13-20jährigen als komplett heterosexuell empfinden. Unter den 21-34jährigen waren es noch 65%. Und 56% aller 13-20jährigen haben jemanden im Bekanntenkreis, der oder die sich mit einem geschlechtsneutralen “they” oder “ze” ansprechen lässt. 70% fänden genderneutrale öffentliche Toiletten völlig angemessen. Es tut sich was. Es sind langsame aber wuchtige Veränderungen, tektonische Verschiebungen, die gesellschaftlichen Sprengstoff bergen. Kein Wunder, dass der Papst so harte Worte findet, wenn die Zwangsheterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit, in die wir derzeit noch geboren werden, und die Ehe als letzte große und kirchliche Bastion davon, in Frage gestellt werden.

An deren Stelle treten neue Entwürfe des Zusammenlebens, im Queeren das Bonding über Sexualität, Liebe, nicht über Ehe und Fortpflanzung, das Inszenierte, das Künstliche, Camp Culture statt der Fiktion des Natürlichen, Authentischen. Religion und Kirche, die sich trotz all ihrer verrückten Mythen, Rituale, Regeln und Kostüme als natürliche weil gottgebene Ordnung behaupten, bieten eine spannende Reibungsfläche für Queer Culture, für queere Kunst. Die christliche Ikone der Madonna, die schwule Pop-Ikone Madonna, die queer-femistische DJ-Ikone The Black Madonna… Wenn auf einem Bild ein Hoolahoop, der sonst nur knapp oberhalb der Gürtellinie sexy um die Hüften kreist, zum Heiligenschein mutiert, entsteht eine funkensprühende Reibung, von Profanem und Sakralem. Queere Inszenierung trifft auf religiöse Inszenierung, enthüllt den Schein, überscheint den Schein. Sexualisierung trifft auf Entsagung.

Queere Kultur spielt sich auch immer an der Grenze von Genderdissonanz ab, dem nicht Übereinstimmen mit einer Gendernorm, dem Fluidem, dem Nicht-Festlegbaren. Um noch mal Richard Goldstein aufzugreifen: Zentral für queere Kultur ist immer auch eine Kritik an der Norm männlicher Macht, das reicht weiter zurück als es überhaupt eine Queer Theorie gab. Laut Goldstein ist schon im Werk von einem schwulen Künstler wie Tennessee Williams ein tiefes Verständnis für die Beziehung zwischen Patriarchat und der Unterdrückung von weiblichem und homosexuellem Begehren spürbar. Dieses Verständnis von queerer Kultur stammt aus einer gemeinsamen Perspektive, aus Wahrnehmungen und Erfahrungen, die damit queer zu sein einhergingen. Ein Zusammenfinden über Begehren, über Lust, nicht über Entsagung. Walt Whitman sprach von “adhesive love”, klebriger Liebe, die ganz eigene Essenz, geprägt von Freiheit und Vielfalt, dem Aushalten von Differenz, die queer communities zusammenhält, zusammenhalten lässt, und die für Whitman durchaus eine Zukunftsvision für eine bessere Gesellschaft war. Differenz als verbindendes Element, das Erleben des Anderssein als gemeinsame gesellschaftliche Basis.

Dass heute konservative Schwule und Lesben im Fokus der Öffentlichkeit mit Anliegen wie der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehe am präsentesten sind, statt die Probleme der Schwächsten in den Reihen der Queer Community in der Vordergrund zu stellen, kann für mich nicht wirklich so eine Zukunftsvision sein. Wenn Transsexuelle desinteressiert auf der Strecke gelassen werden, selbst der Christopher Street Day in dieser Stadt hier auch 2016 nur mit einem “schwul-lesbisch” im Namen wirbt, obwohl doch gerade die Trans-Community die vorderste Front, den Initiationsfunken der Queer Riots von Stonewall bildete, sehe ich da keine Bewegung, keine Entwicklung, nur Anpassungsversuche. Rechte Schwule mit frauen-, tunten- und transfeindlichen und rassistischen Themen haben an Prominenz gewonnen, und bis heute geht das Coming-Out – bzw. gehen die Coming-Outs, da das ja keine einmalige Entscheidung ist – für die wenigsten homo- oder transsexuellen Menschen unproblematisch vonstatten.

Diese düstere Seite sei hier zum Schluss aber nur deswegen noch mal aufgebracht, weil ich es für wichtig halte, klar zu benennen, wie wichtig und brisant eine Ausstellung mit Queer Culture ist, wie sie ab heute hier für einen Monat präsentiert und performt wird. Danke Hotel Butterfly, danke Bernsteinzimmer!

 

৷ਕკ~ෆ⃛* ૂི•̮͡• ૂ ྀෆ⃛﹡೫٭ॢ*⋆♡⁎೨

Zitiertes mit Leseempfehlung:

The Attack Queers: Liberal Society and the Gay Right
Richard Goldstein

Selbsthass & Emanzipation – Das Andere in der heterosexuellen Normalität
Patsy l’Amour laLove (Hrsg.)

Queer Nation Manifesto

Holy Queers & Tricky Myths in der Galerie Bernsteinzimmer

Dauer der Ausstellung:
Sonntag, 23. Oktober bis Sonntag, 20. November 2016
Öffnungszeiten: Samstag und Sonntag 15.00 Uhr bis 19.00 Uhr
Mit folgenden Special Events:

Dienstag, 25.Oktober:
16:00 Workshop mit Wilhelm Binder
18:00 Lesung Miroslava Svolikova
19:00 Performance BerivanSayici

Mittwoch, 26.10.16:
11:00 Frühstück – Performance – Selfe-Hölle
»Hello Halo & Good Bye Heiligenschein, Porridge«
mit Opfertisch, Altar und live Heiligsprechung

Galerie Bernsteinzimmer, Großweidenmühlstraße 11, 90419 Nürnberg, www.galerie-bernsteinzimmer.de

Holy Queers auf Instagram

Queer Ally For The Straight GQ – mein Problem mit der #Mundpropaganda Kampagne

(via many-sexuals-so-edgi-wow tumblr)
via many-sexuals-so-edgi-wow tumblr

Vor ein paar Tagen hat das deutsche GQ Magazin eine Kampagne namens ‘Mundpropaganda‘ gestartet. Es handelt sich dabei um eine Fotoserie von sich küssenden männlichen Hetero-Berühmtheiten. Viele meiner schwulen Freunde scheinen die Kampagne zu mögen. Manche weil sie es sexy finden. Manche weil sie sie als Verbündete empfinden. Wie so oft werde ich mal wieder die Spielverderberin sein.
Lasst mich einen Satz aus dem GQ Editorial herauspicken um zu erklären warum:

“Sich küssende Heteros – dieser Mut ist absolut männlich.”

Dieser Satz sollte es klar machen: Dies ist kein GQ-Willkommensgruß für Schwule sondern es geht bei der Aktion um gefakte gleichgeschlechtliche Küsse als heroischer Akt von heterosexuellen Männern. Vielleicht war die Intention eine andere, oder vielleicht zielt GQ darauf ab, Schwule als Zielgruppe einzukassieren ohne tatsächlicher schwuler Sexualiät Raum zu geben, oder sie wollten einfach bloß eine medienwirksame rührselige soziale Konflikt-Sache für die Weihnachtsausgabe haben. Mir ist die Intention herzlich egal, für mich zählt das Resultat.

Dass sie es zu einem Hauptstatement der Aktion gemacht haben dass es Männer Mut kostet einander zu küssen ist das ‘No Homo’ dieser Kampagne. Auf den ersten Blick mögen die Bilder erotisch erscheinen, aber die sie umgebenden Texte und der ‘Making Of’ Clip tragen die deutliche Botschaft: “Es ist echt hart für uns, das zu tun, aber wir haben unseren Ekel überwunden um Solidarität mit euch zu zeigen – sind wir nicht toll?” Es wird so explizit betont, dass die Küsse fake, also falsch, unecht sind, dass es diese Küsse selbst des bloßen Schattens von schwulem Verlangen beraubt. Die Interviews sind dazu da, dass die Küssenden sagen können, wie schwer es für sie war, in dieser Art solidarisch zu sein und dass sie viel lieber Frauen küssen. Der ‘Making Of’ Clip zeigt wie manche von ihnen vor Lachen halb zusammenbrechen als sie versuchen sich zu küssen, usw. Partiell ist das ganze gefährlich nah dran schwule Sexualität als abstoßend und unnatürlich zu redämonisieren, egal ob sie eigentlich das Gegenteil bewirken wollten. Umgeben von all diesem Gerede über die Gefaktheit werden die eigentlichen Bilder zu einem zutiefst desexualisiertem Bro-Ding. Dadurch trägt der Kuss letztlich mehr dazu bei, die Heterosexualität der Küssenden zu reaffirmieren als tatsächlich der homoerotische Protest zu sein, den sie erzeugen wollten. (Für mehr zu diesem Phänomen empfehle ich “Bro-Porn: Heterosexualizing Straight Men’s Anti-Homophobia”, von Tristan Bridges und C.J. Pascoe).

Ich weiß nicht, ob GQ die Idee von der tatsächlich existierenden kreativen Protestform der queer Kiss-Ins hat. Da sind oft ‘straight allies’ (‘heterosexuelle Verbündete’ klingt nicht so schön, also belass ich’s lieber beim englischen Begriff; ebenso wie beim Titel dieses Beitrags sehe ich da keinen Sinn in einer Übersetzung) dabei. Es ist nicht so, dass es für gleichgeschlechtliche Heterosexuelle, grundsätzlich immer eine schlechte Idee ist, als Protest gegen Homophobie miteinander rumzuknutschen, aber wenn sie dabei sofort auch markieren, dass sie nicht wirklich homosexuell sind, dann ist das ein klares Zeichen dafür, dass hier gleichgeschlechtliches Verlangen nicht respektiert oder gar sich darüber lustig gemacht wird. Außerdem könnte es kontraproduktiv sein, es zu nur zu tun um von queeren Leuten Applaus zu bekommen.

bro-hug
via pourmecoffee twitter

Ich versuche mal, nicht nur zu rumzukritisieren, sondern auch ein wenig Queer Ally For The Straight GQ zu spielen: Wie hätte diese Kampagne aussehen müssen, damit sie mir taugt? Im besten Fall hätte sie sich um queer-inklusives sexy Küssen gedreht, und mit ‘queer’ meine ich: alle Geschlechter und sexuellen Orientierungen. So dass Leute die Bilder ansehen und keinen Unterschied festmachen können, sondern als Eindruck nur das Küssen als süßer sinnlicher erotischer Akt zwischen allen möglichen Menschen bleibt. Wenn ihr es auf ‘Fake-Küssen’ einschränken müsst, warum dann nicht auch eine lesbische Frau die einen schwulen Mann küsst neben diesen Heterotypen abbilden? Wenn ihr keine Frauen mit reinnehmen wollt, weil es ein ‘Gentlemen’s’ Magazin ist, warum nicht wenigstens schwule oder Trans*-Männer unter die Heteromänner mischen? Das absolute Minimum aber wäre gewesen: Wenn ihr nur Heteromänner dafür zeigt, dann markiert sie NICHT auch noch als solche.
Um es in Celebrities auszudrücken: Es ist ein wenig wie der Unterschied zwischen George Clooney und Jake Gyllenhaal. Beide wurden oft gefragt, ob sie schwul seien, beide sprechen nicht gern über ihr Privatleben. Gyllenhaal macht es aber sehr klar, dass er nicht schwul ist und fügt noch eine ‘Titten und Ärsche’ Bemerkung hinterher, in einem nicht ganz so schönen ‘echte Männer sind sexistisch’ Beweis. Clooney dagegen sagt, er würde niemals behaupten nicht schwul zu sein, weil er damit Schwulsein als etwas kennzeichnen würde, von dem er das Bedürfnis hätte sich zu distanzieren, etwas Negatives, und das fände er nicht respektvoll der Gay Community gegenüber. In diesem (zugegebenermaßen ziemlich-hinkenden aber Clooney-in-einen-Blogpost-einzubauen-schadet-nie) Vergleich steht die ‘Mundpropaganda’ Kampagne ganz offensichtlich viel weiter auf der Gyllenhaal-Seite der Dinge.

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GENTRIFICATION IS REAL via sophfierce twitter

Anderer Kerl, ähnliche Sache: Macklemore. Ich habe erst so richtig realisiert wie wenig ich den großen Macklemore Hit ‘Same Love’ ausstehen kann, als ich hörte, wie Angel Haze den Song für sich eroberte:
https://soundcloud.com/angelhazeym/same-love-angel-haze

Ihre Version (hier die Lyrics) ist um so vieles ermächtigender. Manche Versuche ein Straight Ally zu sein lassen keinen Raum in dem tatsächlich homosexuelle Menschen gehört werden könnten. Sie können Queers auf die Position verdammen, die sich engagierenden Heteros aus der Ferne zu begehren und/oder ihnen zu applaudieren für… – nun ja, im GQ Fall, wenn du drüber nachdenkst: letztlich dafür öffentlich hetero-männliche Abscheu vor männlich-gleichgeschlechtlichem Küssen auf’s neue festzuzementieren. Wenn ein oft übelst homophobes Blatt wie die BILD auf meiner Seite ist, oder der Playboy sich mit dem Posten eines misogyn-lesbophoben Bildes zweier sich offensichtlich für den männlichen Blick küssenden Frauen kontert, und beides freudig auf der GQ Website als Zeichen dafür geteilt wird, wie gut die Kampagne läuft, dann zeigt (gentle)man ja ziemlich deutlich, wie unwichtig ihm die Positionierung gegen Diskriminierung wirklich ist.

In “Why We Should Care How Straight Allies Benefit From Their Support” fragen Tristan Bridges und C.J. Pascoe:

Wieviel Anerkennung verdient Macklemore für sein Coming Out als Straight Ally? (Und er lässt uns wissen, dass er hetero ist, erwähnt es zu Anfang des Songs, dass er schon immer Mädchen geliebt hat.)” [Übersetzung von mir]

Sie vergleichen die Situation mit dem ‘Wirtschaftssystem der Dankbarkeit’ (‘economy of gratitude’), das es oft bei Heteropärchen gibt:

In ihrer Untersuchung fand (Ariel) Hochschild heraus, dass Ehemännern oft mehr Dankbarkeit für das Mitmachen bei Hausarbeit entgegengebracht wurde als Frauen. Das heißt, bei Männern wurde sich subtil – aber systematisch – für ihre Hausarbeit ‘über-bedankt’ und das in einer Weise, die ihren Ehefrauen nicht zuteil wurde. Dieser einfache Fakt, argumentierte Hochschild, war viel folgenschwerer als es zunächst erscheinen mochte. Es war ein indirekter Weg Männer symbolisch darüber zu informieren dass sie sich an einer Arbeit beteiligten, die von ihnen nicht verlangt wurde. Tatsächlich haben wir eine ganze Sprache für die Teilnahme von Männern an Hausarbeit, die Hochschilds Ergebnisse bestätigt. Wenn Männer etwas übernehmen, sagen wir, dass sie ‘aushelfen’, ‘einspringen’ oder ‘babysitten’. Diese Begriffe erkennen ihre Arbeit an, aber rahmen gleichzeitig ihre Teilnahme als ein ‘Extra’ ein – eher als eine fürsorgliche Geste als eine Verpflichtung.

Wir würden sagen, dass etwas ähnliches mit männlichen Straight Allies passiert. Wir alle sind daran beteiligt, die Arbeit an der Gleichheit so zu definieren als wäre sie nicht ihre Sache, indem wir ihnen zuviel Dankbarkeit erweisen, genauso wie Hausarbeit als ‘keine Männerarbeit’ definiert wird. Indem wir diese ‘mutigen’ Männer in Machtpositionen (racial, sexual, gendered, und machmal auch classed) für ihre Anerkennung loben, sagen wir zu ihnen und zu anderen: Das ist nicht euer Job, also danke, dass ihr in Sachen Gleichheit ‘aushelft’.
[Übersetzung von mir]

Tristan Bridges und C.J. Pascoe schließen daraus warnend:

Lasst uns nicht Anti-Homophobie zum Äquivalent von ‘Babysitting’ für Väter und Aktivismus zur de facto ‘zweiten Schicht’ für marginalisierte Leute machen. Die Bewegung für Gleichheit sollte in der Verantwortung aller liegen und ein Auftrag für alle sein.

Ein weiterer Punkt, der mir bei dieser Kampagne in den Kopf kam, ist dass GQ indem sie so eine Kampagne auf die Schwulen-Community mitausrichten zu einer bereits existierenden Kluft zwischen Schwulen und Lesben beitragen. In der Welt von GQ, einem Männermagazin, das für eine stylishe Sorte Frauenfeindlichkeit steht, die mich ein wenig an old school James Bond erinnert, existieren Heterofrauen fast ausschließlich als das fickbare Andere und lesbische Frauen existieren eigentlich gar nicht.

Ich folgte einem Twitterlink zu einer anderen GQ Story, die inzwischen gelöscht wurde: Eine Geschichte, in der ein Mann uns erzählt, dass er die Sorte Kerl ist, der jede Frau kriegen kann und sich deshalb als neue Herausforderung vornimmt, eine Lesbe zum Hetero zu bekehren. Das gelingt ihm dann wohl auch vier Seiten später. (Ich hab nur den Anfang überflogen und das war ganz und gar so wie du es dir vorstellst: Frauenfeindlich, Stereotypen davon wie Lesben aussehen, und der Anspruch dass Lesben nur Heterofrauen seien, die noch nicht von Mr. Right gefickt worden sind.) Als die ersten Zeichen eines Social Media Shitstorms aufkamen, nahm GQ diese Geschichte vom Netz, und zwar mit dem Argument sie sei schon älter und würde nicht mehr ihre Einstellung repräsentieren. Inzwischen haben sie sogar ein Interview mit der lesbischen Aktivistin Yelena Goltsman online. PR Disaster vermieden? Scheint so.

Natürlich ist die GQ Kampagne nicht in erster Linie eine Werbekampagne für das Magazin, aber die Übergänge sind dieser Tage fließend und ich sehe Parallelen zu einem gewissen Typ von Werbung, die Sozialkritik benutzt. Nimm zum Beispiel die #whipit Pantene Werbung, die sich um geschlechterspezifische Doppelmoral dreht:

http://www.youtube.com/watch?v=kOjNcZvwjxI

Die Botschaft ist: “Don’t let labels hold you back. Be strong and shine.” Nun, so lange das nicht auf die Art von ‘shining’ anspielt, die mit Frauen zu tun hat, die Jack-Nicholson-mäßig mit einer Axt hinter den Labels her sind, die sie zurückhalten, kann ich nicht wirklich sehen, wie ‘Glänzen’ gegen geschlechterspezifische Doppelmoral helfen soll. Einer der Kommentare auf youtube oder facebook dazu war: “Verkaufe dein Produkt indem du deinen angestrebten Markt davon überzeugst, dass du mehr darin investierst zu gefühlsmäßig aufgeladenen, global relevanten (…) Problemen etwas beizutragen, als darin für dein Produkt Werbung zu machen.”
Oder nehmt die ‘Beauty Sketches’ Dove Werbung, ein echter Tränendrüsendrücker:

Beachte dabei, dass Dove genauso wie Axe Teil von Unilever ist, was ein recht nettes Konzept ergibt: Zerstöre die Egos von Frauen mit Axe-Werbung und bau sie dann mit Dove-Werbung wieder auf. Ein Erfolgsrezept seit vielen Jahren. Ich glaube, es ist recht einfach zu sehen, wie der Aspekt der Sozialkritik durch solche Kontexte der Bedeutung entleert oder sogar lächerlich gemacht wird.
Genauso ist bei ‘Mundpropaganda’. Stell es dir als auf Viralität hin produzierte Kampagne vor ein Männer-Lifestyle-Magazin zu verkaufen. An Männer, die Gay Rights unterstützen und an Schwule, aber möglichst ohne die konservativen Heteromänner unter der Leserschaft zu vergraulen.
Wenn sie über Homophobie schreiben, schaffen sie es irgendwie Frauen dabei völlig rauszuschreiben, einfach indem über sie nicht geredet wird. Sie sprechen über Homophobie als beträfe diese nicht auch Frauen und TI*-Leute. Lasst uns auch nicht vergessen, dass es die Sorte Magazin ist, die auf einen gewissen Typ von Mann zielt: Maskulin, selbstsicher, erfolgreich, stylish. Nicht-so-maskulin aussehende, sich benehmende, denkende Männer oder Trans*-Männer sind nicht Teil der GQ Welt. Diese ist so unqueer wie’s nur geht: Eindimensionale heterosexuelle Maskulinität.

Das findet Anklang bei bzw wird sogar als Idealbild von manchen schwulen Männern angestrebt, nicht zuletzt weil das negative Stigmatisieren von ‘schwul’ mit Weiblichkeit verbunden ist. ‘Schwul’ als Schimpfwort kann meist einfach ‘wie ein Mädchen’ ausgetauscht werden. Das Stereotyp des ‘weibischen’ Schwulen ist etwas, womit viele schwule Männer fürchten verglichen zu werden, und vielleicht sind die Fitnessstudio-besessene Muskelschwulenszene ebenso wie die heteronorm-angepassten konservativen Schwulen auch eine Reaktion auf diese Art von Homophobie.
Queere Menschen gibt es aber nun mal in allen Formen und Größen und Farben und aus allen Klassen. Das war eine Stärke der Queer Community und sollte es auch bleiben. Kampagnen wie ‘Mundpropaganda’ können die Kluft zwischen erfolgreichen weißen Männern und dem Rest der LGBTBI* Community vertiefen. Wie Mykki Blanco sagte: “Homophobie kommt von Misogynie, dem Hass auf Frauen. Wenn du die Verbindung zwischen Homophobie und Frauenhass nicht siehst, bist du blind.”
Also, meine lieben egal-wie-auch-immer-sich-als-männlich-definierenden Brüder, wenn GQ sagt, “dieser Mut ist absolut männlich” bitteschön hört auf brav die Fotos dieser Heterotypen anzusabbern, sondern sagt stattdessen: “Suck my left one! Jede queer-feministische Lady da draußen hat mehr Mut gezeigt und mehr zu meinen Gay Rights beigetragen als eure sich-selbst-auf-die-Schultern-klopfende hetero-exklusive Kampagne!”