Streit-Kräfte

Dieser Text hat heut früh eigentlich als Rant über einen Podcast angefangen, wurde jetzt aber ein bisserl mehr: Es ist auch ein raues Nachdenken darüber, wie ich gerade das online Streiten über den Krieg wahrnehme und ist so chaotisch wie halt derzeit meine Gedanken dazu sind.

Beide Konfliktparteien seien unversöhnlich, beide Seiten müssten zu Konzessionen bereit sein, Dämonisierung von Putin sei nicht hilfreich, man müsse ihm eine Brücke bauen – das ist also dieser ‘Streitkräfte und Strategien’-Podcast, den so viele empfehlen? Sorry aber: Was für ein verkürzter seltsamer Blick auf die Lage.

Die Ziele Putins werden reduziert auf geopolitische und militärische Machtlogik, kein Wort darüber, dass wir es hier mit einem völkisch-nationalistischem (Alp)Traum von einem wiederauferstehenden und upgedateten Zarenreich zu tun haben. “Völkisch” in dem Sinne, dass es auf einer wirren Idee einer überlegenen eurasischen Kultur basiert, und auch der von mir, seit ich ihn bei Holly Jean Buck gelesen habe so gerne gedroppte Begriff des “Petromaskulinismus” gehört (geprägt wurde er von der Politikwissenschaftlerin Cara Dagget).

Man kann natürlich glauben oder nicht glauben, dass es möglich ist, solch verbohrte Ideologen wie Putin an den Verhandlungstisch zu zwingen (ich bin skeptisch). Man kann natürlich glauben oder nicht glauben, dass mehr Waffen und mehr Streitkräfte die Lösung seien und das andere Staaten zum Eingreifen verpflichtet seien (meines Erachtens ist es keine Lösung und schon gar nicht gegen eine so starke Militärmacht, das muss selbst Kriegslogikern klar sein). Man kann natürlich glauben oder nicht glauben, dass härtere Sanktionen und Hilfe für die fliehende Zivilbevölkerung der fruchtbarste Weg sind (das ist derzeit der Standpunkt, den ich mir zusammengereimt habe, und ja, ich bin mir im Klaren darüber, dass das auf Kosten der Zivilbevölkerung gehen kann und auch hierzulande hart werden kann, aber besser als mehr Kriegstote und Zerstörung ganzer Landstriche oder gar Eskalation zum Nuklearkrieg). Es gibt bestimmt noch mehr Haltungen dazu, und Variationen davon, aber diese drei waren für mich in den letzten Tagen die, an denen entlang ich mir vorsichtig meine Haltung geformt habe.

Ich bin dankbar für die vielen wilden Diskussionen, die derzeit auf Facebook und Twitter dazu laufen. Die meisten sind wie ich ja erst mal total lost, was das Thema angeht, man hat so grobe Meinung dazu, ist schockiert, hilflos und traurig, und weiß nicht wohin damit, was tun, die Frage “wohin kann ich Kleidung spenden” ist ein typischer Ausdruck dieser Hilflosigkeit geworfen, ein anderer ist das Verfassen langer emotional-distanzierter linker Theorieposts, andere gehen gleich zur direct action über und organisieren Fahrten zur Grenze, um Flüchtlinge einzusammeln, andere machen Spendenaktionen, da entspinnen sich dann Diskussionen dazu, ob man fürs Militär spenden sollte, aber worauf ich eigentlich rauswollte: Die ganzen geteilten Artikel, Kommentartweets, Informationen, politischen Essays, Facebook-Posts die spontanes lautes Denken sind, das Anschluss sucht, und die daraus resultierenden Diskussionen, die auch schmerzhaft an Freundschafts- oder Freundlichkeitsgrenzen gehen, das alles ist herausfordend, aber eben auch großartig: Es ist demokratische Meinungsbildung in action und ich lerne so viel und fühle mich davon gleichermaßen durchgerüttelt wie aufgefangen.

Manche versuchen, das Kleinzureden, so von wegen, Leute die keine Ahnung haben, sollten lieber still bleiben. Ich sage, im Gegenteil! Genau diese Haltung ist undemokratisch und eine Expertokratie ist gewiss nicht das, was wir anstreben sollten, egal ob Militärexperten oder linke Theorie-Bros, sondern genau im Äußern auch unserer relativen Unwissenheit und Unsicherheit auf vielen Gebieten, den forschenden Gedanken, Sichtbarmachen von Fragen und von Denkprozessen, mal geduldig mal wütend, und auch Rummaulen darüber, dass etwas unverständlich sei, aber vor allem, sich immer wieder und weiter austauschen, sich fragend und kritisierend aufeinander zubewegen, darin liegt doch das, was die Gesellschaft und Demokratie ausmacht. (Und beg your pardon, hardcore-linke Freund*innen, aber ich strebe schon im Hier und Jetzt in dieser unperfekten Gesellschaft nach einem besseren solidarischen Leben und möchte daran rumbauen, und nicht alles auf eine Revolutionsutopiekarte setzen.)

Die Angst, sich nicht genug auszukennen und was Falsches zu sagen, und plötzlich als zu woke/marxistisch/bürgerlich, nicht woke/marxistisch/bürgerlich genug gecancelt zu werden, ist für viele eine stete Begleiterin in der Social Media Öffentlichkeit, weil viel zu lange unwidersprochen kleingeistige oder kleinherzige Kleinmacherei stehen gelassen wurde, online als “nicht echte” Kommunikation missverstanden wurde, man lieber schwieg als sich mit Bekannten anzulegen, es sind viele Gründe, aber es sind inzwischen viele Stimmen verstummt und in private Chatgruppen, in die Insta-Stories oder Newsletterkultur oder gar in ihre Offline-Filterbubbles vertrieben, und ich vermisse viele. Aber das ist ein anderes Thema.

Eigentlich wollte ich ja nur eine Kritik daran loswerden, was dieser Podcast da (zumindest in seiner aktuellen Folge) als angeblich neutral-objektive Analyse abliefert. Ein Nachrichtenmedium sollte doch mehr leisten als jemand, der oder die auf Social Media zu einem Thema laut denkt. Dieser Bothsideism, als wäre die Ukraine genauso Agressor in diesem Krieg wie das russische Regime, sollte in einem Podcast nichts verloren haben, dessen Moderatoren sich sachliche Information und Analyse auf die panzerbewehrten Brüste schreiben. Und nebenbei: Das Wort “Konflikt” kann im Kontext dieses Kriegs auch mal vom Tisch. Es suggeriert, dass beide Seiten schuld seien und verschleiert die Tatsache, dass es ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg eines machttrunkenen autoritären Regimes ist.

Wie könnte eine alternative und demokratischere Berichterstattung und Erörterung aussehen? Mindestens wäre sie um eine ideologische Analyse der Ziele Putins zu ergänzen, aber vor allem fehlt der Fokus auf die zivilen Betroffenen. Auf die Realität und Strategien der Vielen, die sich jetzt zum Krieg irgendwie verhalten müssen, ob kämpfen, ob fliehen, ob helfen und wie. Das sollte heutzutage gleichberechtigt in eine Kriegsanalyse mit rein.

Eigentlich haben wir doch schon viel darüber gelernt, was falsch an unserer jahrhundertelangen westlichen “aufklärerischen” Feldherrenperspektive auf die Geschichte war und was sie alles ausgeklammert und komplett verfälscht dargestellt hat. Daraus muss sich doch auch für aktuelle Ereignisse und Formen der Berichterstattung und Analyse was lernen lassen.

Statt, halb vom Krieg, halb von der Aufmerksamkeit, die die Herren Kriegsberichterstatter plötzlich haben, berauscht etwas davon zu faseln, dass Gefühle in ihrer “sachlichen” Analyse keinen Raum haben, einer Analyse – sorry, ich muss noch mal ausschwenken, weil ich mich so geärgert habe, hätte es nicht vorm Morgenkaffee anhören sollen, aber ich hab ja eingangs schon gewarnt, dass es ein Rant wird – einer Analyse, die etwas von Sportberichterstattung hat: Militärstrategen werden wie Bundesligatrainer besprochen, die Chancen der Teams kalkuliert, usw. Vielleicht ist auch das eine Wurzel für den Bothsideism: Der Krieg wird gedacht, als träten hier Teams gegeneinander an, deren Skillset und Strategien man jetzt auf dem Spielfeld rumschiebt und rumdeutet. Das Leiden wird ausgeklammert. Da sollten wir doch heute weiter sein.

Deswegen: Zurück zur der Ansicht, Emotionen hätten nichts in Kriegsberichterstattung verloren, die #unsereJungs™ da heute in diesem Podcast äußerten. Natürlich stört es dabei, den Feldherrenfetisch auszuleben, wenn man die Perspektive der betroffenen Menschen einbezieht, und nichts anderes heißt dieses “Gefühle haben in einer sachlichen Analyse nichts verloren” ja. Es bedeutet nämlich nicht wirklich alle Emotionen beiseite zu lassen: Kriegsrausch, nationales Zusammenhaltsgefühl, Truppengeist, gefühlt-und-nicht-logisch-begründete Kriegs- und Aufrüstungsstrategien: Die sollen nicht ausgeklammert werden, nur nicht als Gefühl verstanden werden. Diese Gefühle werden als “rational” verkleidetund sogar noch verstärkt in dieser Form der Kriegsberichterstattung. Die Gefühle, die in dieser stark verengten Perspektive auf Krieg ausgeblendet werden sollen, und als unsachlich stigmatisiert werden, sind vor allem Empathie, Mitleid, solidarische Verbundenheitsgefühle mit Zivilbevölkerung überall, die sich nicht um Nationsgrenzen scheren. Dieser Zusammenhalt wird als uneigentlich dargestellt. Es soll auch kein Raum sein für Emotionen wie den Schmerz über verlorene Leben, verletzte Körper, sich verloren zu fühlen im Herausgerissenwerden aus gewohntem Umfeld, Verzweiflung über das Kippen des gewohnten Umfelds in ein Schlachtfeld, oder auch die Angst vor Repression und die frustrierenden Schwierigkeiten im Organisieren von Widerstand in Russland selbst (da war ich zum Beispiel für diesen Artikel dankbar), das Mitgefühl und die Hilfsbereitschaft von unten, die sich auch superschnell in praktisches Handeln jenseits von langsamer anlaufenden staatlichen Hilfen zusammengetan hat, wild wuchernd sich über Telegram, Facebook, Instagram, Twitter, vernetzt hat, Spenden sammelt, Wissen, Erfahrungen und Erlebnisse weitergibt, Frust, Hoffnung, Freude wenn etwas gelang, so viele Fremde die anderen Fremden vertrauen usw.

Warum nicht auch eine Kriegsberichterstattung, die in ihre Analyse genauso stark miteinbezieht, wie verlaufen die Truppenbewegungen der solidarischen Kräfte? Wo verlaufen die Grenzen, wenn in Nicht-Offiziellem grenzenlosem Helfen gearbeitet wird und durch was werden sie gesetzt? usw.

Ich sage wohlgemerkt nicht, dass das gar keinen Raum in den Medien findet, aber es findet keinen gleichberechtigten Raum. Meist ist es in einem Feelgood-Artikel, der zeigen soll, wie toll die Deutschen zusammenhelfen um anderen zu helfen. Es findet sich abgewertet gegenüber dem “Expertentum” sachlicher Kriegsanalyse, obwohl solche solidarischen Bewegungen von unten und über Fronten und Grenzen hinweg schon immer ein wichtiger Teil von Krieg waren. Es wird als eine weiche und uneigentliche Seite präsentiert, obwohl hier die Verbundenheit ist und wächst, die gegen Kriege steht.

Ach, mich macht die Kriegstrunkenheit, das Einschwören auf eine Kriegslogik und die behauptete Alternativlosigkeit derzeit schon wirklich hilflos-wütend. Es geht fast so schnell und eindimensional vonstatten wie nach 9/11 und das meine ich nicht als Vergleich der Ereignisse, sondern mich erinnert die schnelle, geschmacklose und undemokratischer Weise daran, mit der die Militärmacht-Lüsternen das Schockiertsein der Gesellschaft über menschliches Leid für ihre Ziele ausnutzen. Hallo, über Nacht 100 Milliarden für die Bundeswehr. Und ja, ich sage, dass hier Emotionen und Affekte ausgenutzt werden. Ohne Ängste und Hilflosigkeit angesichts des Kriegs in der Ukraine wäre das nicht so einfach durchgewunken worden, sondern es wäre zu großen Protesten gekommen. Aber hier stoppe ich mal diese bisschen wild gewucherten Gedanken.

Zum Schluss liebernoch die Worte einer anderen: Mein Lieblingswort diese Woche kommt von Eva von Redecker und lautet “thanatos-besoffen.” Sie twitterte am 28. Februar:

“Wer jetzt Thanatos-besoffen vom „Aufwachen in der Realität“ spricht, ist vollauf dabei, sich mit dem Aggressor zu identifizieren. Unterstützt lieber die, deren Realität von Autokratie, Homophobie, Imperialismus gezeichnet ist, und die für eine andere arbeiten.“

Anmerkungen:

P.S.: Der Podcast ist natürlich nur ein Beispiel unter vielen gerade, er wurde halt einige Male in meiner Timeline und dann noch im Drosten&Ciesek-Podcast empfohlen, woraufhin ich ihn heut früh anhörte und deswegen hat er jetzt diesen Rant abbekommen, aber es gibt natürlich etliche ähnliche Medienformate derzeit.
P.S.P.S.: Hab das heut vormittag schnell runtergetippt und wollte es eigentlich noch mal ruhen lassen und drübergehen, aber hab nicht die Zeit dafür, deswegen hau ichs jetzt einfach raus. Sind ja eh keine abgeschlossenen Gedanken.
P.S.P.S.: Dass ich gar so oft “man” verwendet habe, kann oder kann nicht als genderbewusste Widerspiegelung der lautesten und präsentesten und am meisten weitergereichten Stimmen der öffentlichen Debatte gerade verstanden werden.

Immerhin schreibt Meike Lobo nicht, diese “moderne Frauenbewegung” müsse rhythmisch sein

“We spend too much time telling girls that they cannot be angry or aggressive or tough, which is bad enough, but then we turn around and either praise or excuse men for the same reasons. All over the world, there are so many magazine articles and books telling women what to do, how to be and not to be, in order to attract or please men. There are far fewer guides for men about pleasing women.”
Chimamanda Ngozi Adichie, We Should All Be Feminists

 

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Ausgerechnet am Weltfrauentag jeglicher Idee von Solidarität ins Gesicht zu spucken, und in einem Artikel in einer der größten Zeitungen Deutschlands an verschiedenen Feminismusströmungen herumzunörgeln, bzw. unter denen auch nur die zu kritisieren, die Meike Lobo in (sozialen) Medien aufgefallen sind – well, kann man schon machen. Dabei einen Text abzuliefern, der sich nicht mal die Mühe macht, halbwegs zu recherchieren oder argumentieren, sondern einfach eine chimärenhafte “moderne Frauenbewegung” heraufzubeschwören – dafür ein herzliches pffffrrrrrrrt.

Jahrelang werden soziale Netzwerke wie Twitter dafür kritisiert, dass sie Frauen* zu wenig Möglichkeiten geben, sich gegen Fluten von Hasspostings zu wehren, die voller Gewaltdrohungen stecken, und die Kommunikation unmöglich machen, weil sie die Mentions blockieren. Weil nichts passiert außer schönen Worten, greifen die Opfer zur Selbsthilfe: z.B. wurde Derailing auf Twitter als Muster ausgemacht, um Frauen* mundtot zu machen, oft erfolgt das von extra dafür angelegten “Eier”-Accounts. Damit nicht jedes Opfer auf’s Neue einzeln damit zu kämpfen hat, tun sich Opfer zusammen und erstellen Blocklisten zum Selbstschutz. So wie sich Frauen auch offline z.B. gegen Übergriffige wehren, indem sie sich gegenseitig davor warnen, sich mit Menschen, von denen dieses Verhalten bekannt ist, nicht einzulassen. Meike Lobo macht daraus die “Kritikresistenz” der “modernen Frauenbewegung”. In ihrem Text hüpft sie dabei auch noch fröhlich umherstichelnd von (nicht klar benannten) Feministinnen auf Twitter zu (nicht klar benannten) universitären Feministinnen in Großbritannien, dann wieder zu einem “gelangweilten, übersättigten Selbstverwirklichungsfeminismus privilegierter Frauen” (ah – hier sogar klar benannt: edition f) und wieder zurück. Alles irgendwie diese “Mitglieder der modernen Frauenbewegung”, die ja wohl echt mal an ihrem Image feilen müsste (“schlechte Außenwirkung”) und schlittert dabei nur knapp an der jahrehundealten Waffe der Gegner*innen jeglicher Frauenbewegung vorbei, nämlich diese als hysterisch zu bezeichnen. Nein, das tut Meike Lobo nicht, sie belässt es bei “Übererregbarkeit, “grellen Stimmen”, “empfindlichen Teilen der Frauenbewegung”, “laut, paranoid” – oh, ups: Da ist es ja doch, die uralte H-Bomb gegen die Frauenbewegung: von der “Hysterie des Feminismus” schreibt Meike Lobo.

*summt zur Beruhigung “I was boo-ooorn under a waaandering wooomb….”*

Aus dem Verweigern vieler Feminist*innen sich im Fahrwasser der Silvesterübergriffe von Köln zu Zuarbeiter*innen des Rassismus instrumentalisieren zu lassen, der hierzulande gerade blüht, macht Meike Lobo – sich ins Fahrwasser von AfD und PEGIDA werfend – den Vorwurf, dass diese “moderne Frauenbewegung” der Rape Culture zuarbeite und Opfer gefährde. Wer will gegen solch unterkomplexes “entweder/oder” Herumgemeine denn ernsthaft andiskutieren? Die Argumente dagegen wurden lang und breit veröffentlicht, wer sie nicht lesen oder verstehen will, wird dies auch bei der hundertsten Erklärung nicht tun.

Sie scheint tatsächlich ganz eindimensional davon auszugehen, dass die Frauen, die auf Twitter ein im Kontext sexistisches Hemd eines Wissenschaftlers kritisieren (ein Beispiel von vor zwei Jahren?! Eigentlich wollte ich hier meinem damaligen Text dazu verlinken, finde sie aber nicht mehr – wird vielleicht noch nachgereicht) und darüber feministische Witze reißen, ihr feministisches Engagement darauf beschränken. Dass die Frauen, die auf Twitter spontan lautstark etwas verbal kritisieren, gleichzeitig die sind, die auch abseits davon sehr aktiv sind, scheint ihr nicht mal als Möglichkeit in den Kopf zu kommen (sich für weibliche Flüchtlinge engagieren, so was wie speakerinnen.org auf die Beine stellen, oder sich für Hebammen und für die Anerkennung von Care Work und anderer unsichtbar gemachter Arbeit, die typischerweise von Frauen* verrichtet wird, auf die Straße stellen – ich selber kenne aus dem Stegreif etliche Beispiele). Ich zum Beispiel tweete aber recht wenig über mein konkretes Engagement, weil es meist auf lokaler Ebene stattfindet, und ich auf Twitter eher zum internationalen Gedankenaustausch und informieren unterwegs bin. Oder muss ich, bevor ich ein feministisches Katzengif posten darf oder sprachlich ein paar Diversity-Sternchen sprinkeln kann, erst dazu schreiben, dass schon mein allerallererstes selbstorganisiertes Konzert ein Benefiz für ein Frauenhaus war, das damals knapp bei Kasse war? Dass ich vor der letzten Gesetzesverschlechterung einen Fundraiser für eine Sexarbeiter*innen-Beratungsstelle organisiert habe? Dass ich in meiner Promotertätigkeit andauernd aktiv für mehr Künstler*innen auf der Bühne und Sicherheit von Frauen* im Nachtleben eintrete? Schmerzt der Hashtag-Feminismus und das Gender-Sternchen den konservativen schwarz-weiß Feminismus so sehr? Sorrynotsorry.

Diese Sorte Texte, die dich mit Rechtfertigungen und Erklärungen des immerselben beschäftigt halten, so dass du wieder weniger Zeit hast, deinen Kopf frei für die nächste praktische feministische Aktion zu haben. Gab’s da nicht ein Wort dafür?

 

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Gerade am Weltfrauentag ein dermaßen unsolidarischer, falsch vereinfachender und entstellender Text von einer Frau in einer so großen Zeitung – das machte mich wütend. Das saß. Glückwunsch Zeit.de, Ziel erreicht. Und dann noch den Konterartikel nachlegen und noch mal so viel Klicks abholen. Euer Geschäftsstil ist ein dreckiger. Ich habe mich jetzt ein paar Tage dagegen gesträubt, etwas über diesen Text zu schreiben, weil er so klar zu der Sorte Provokation gehört, die Medien zur Steigerung ihrer Klickzahlen veröffentlichen. Öl ins Feuer gießen, Wut anstacheln – da kriegt man die Leute schon, mit diesen unterkomplexen Aufreger-Artikeln. Nun habe ich mich doch dazu hinreißen lassen. Es sich nicht von der Seele zu schreiben, seine Plattform nicht zu nutzen, ist ja auch nicht besser. Lose-Lose Situation. So ist wenigstens ein Ünzchen mehr auf der “wir wünschen uns von professionellen Schreiberlingen und Medien eine komplexere, weniger emotionale Berichterstattung zum Feminismus” Waagschale. Und ich habe das Wort “Ünzchen” schreiben können. Kommt man auch nicht alle Tage dazu. Ünzchen.

 

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P.S.: Auslöser war übrigens, dass mir heute zur Morgenlektüre Meike Lobos Reaktion-auf-die-Reaktionen-Blogpost als “nachdenkenswert” unter die Finger kam: Er zeige, was für “Diskussions- und Reaktionsschemata wir uns durch soziale Netzwerke angewöhnt” haben. Uff. Es gibt unzählige gute Artikel, die sich analytisch mit diesem Thema auseinandersetzen, aber der von Meike Lobo ist einfach nur ein persönliches Aufarbeiten und Abrechnen. Was völlig okay ist. Aber nicht sonderlich relevant. Sich bei einem langem Artikel in einer großen Zeitung danach über Diskussionen, die sie nicht explizit mit einbeziehen, als “Hinter-dem-Rücken-Lästern” und “Krebsgeschwür von Twitter” zu äußern – uff, harte Worte. Medien und Twitter mit einem Schulfhofverständnis betrachtet. Dass sie einen “Großteil der Reaktionen” als “mutwillige Verzerrung” und “bewusst verfälschende Zusammenfassung” abtut, ist wiederum amüsant. Du erntest, was du säst. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Ünzchen werfen. Usw.usf. Fehlt bloß noch, dass sie das als ‘Derailing’ bezeichnet und die Ironiekatze beißt sich in den Schwanz.