Habe vor ein paar Wochen, als mir die 100. Analyse zu Putin/Krieg in die Timeline gespült wurde, bei einem Bekannten auf Facebook ironisch-polemisch kommentiert, in etwa: “Call me IdPol, aber ich hab heut früh beschlossen, erst wieder so’nen Text zu lesen, wenn er nicht von einem weißen Cis-Mann kommt.”
Kommentiert hab ich, weil ich zwar einerseits dankbar für die ganzen Texte bin, die ich dank meiner Timeline zu lesen bekomme, es aber andererseits mehr als auffällig ist, dass einige Männer so gut wie ausschließlich Texte von Männern teilen – ohne das irgendwie seltsam zu finden. Mich nervt, wenn die kritische Theoriebubble es nicht mal wahrnimmt, dass mit ihrem aufklärerischen Selbstverständnis irgendwas faul sein könnte, wenn sie auch im 21.Jh immer noch so ne dampfende Herrensauna ist, die anscheinend für andere wenig einladend ist zum Mitdiskutieren.
Ich sprech das immer wieder mal an, denn Ausschlussmechanismen zu benennen und sichtbar zu machen ist weiterhin unangenehme Aufgabe derer, die ausgeschlossen werden. Diese Kritik als Identitätspolitik abzutun ist einer dieser Ausschlussmechanismen. Und absurd: Ich kritisiere die identitätsbasierte Bubblehaftigkeit und meine Forderung danach, sie aufzubrechen wird als identitätspolitisch kritisiert?
Ich glaube nicht an das, was gemeinhin als identitäspolitisch kritisiert wird: an geschlechter-essentialistische oder neoliberal-feministische Weltverbesserung, also: dass alles automatisch besser liefe, wenn nicht mehr nur weiße Cis-Männer am Tisch säßen. Aber es ist der Standardvorwurf, der dir heute entgegenschallt, wenn Männern der Ausschluss-Vorwurf nicht schmeckt.
Mir geht es bei der Kritikum ein Aufbrechen dieses uralten Kreislauf des gegenseitigen Schulterklopfens und Anerkennens, in den so viele weiße Cis-Männer nun mal so verstrickt sind, dass sie ihn nicht mal wahrzunehmen scheinen. Wie Stefanie Sargnagel mal zum Thema Frauenquote in der Kultur schrieb: “wieviele mittelmäßige männer pushen sich die ganze zeit gegenseitig? wieviele fade 0815 typen wurden da letztens schon wieder eingeladen?” Teilhabe ist der Punkt. Es geht nicht drum, dass der Diskurs automatisch besser wäre, wenn er diverser wäre.
Und kommt mir nicht mit dem Qualitätsargument, denn egal wie mittelmäßig das ist, was Männer schreiben, es finden sich immer Männer, die sie empfehlen und dieses gegenseitige Empfehlen ist wie ein geschlossener Kreislauf, der nicht so leicht zu durchbrechen ist. Es kostet Mühe. Dafür müssen sich Leute in ihrem jeweiligen Bereich etwas aktiver darum kümmern und suchen, ob es nicht andere Stimmen dazu gibt, und sich immer wieder bewusst machen: Es ist kein Zufall, dass gerade kein Text einer Frau oder eines nicht westlich geprägten oder queeren Menschen dazu kursiert, sondern es liegt an lange gewachsenen Netzwerken und Gewohnheiten und Traditionen.
Sich aktiv um Texte von solchen Anderen zu bemühen ist Arbeit, die meist an denen hängen bleibt, die, manche mehr, manche weniger, unter Ausschlussmechanismen leiden und das bedeutet: Sie opfern dafür Zeit und Arbeit, während andere sich einfach zurücklehnen. Ich merke das persönlich. Es ist Zeit, die mir fehlt, um mich um die Themen zu kümmern, die mich eigentlich interessieren und in die ich mich eigentlich tiefer einarbeiten will. Ich bin dessen auch immer wieder mal müde und will auch einfach gemütlich auf die bestehenden Kreisläufe zurückgreifen. Aber wenn dann eben wieder mal zu einem aktuellen Thema fast ausschließlich Texte von Männern weiterverbreitet werden, und das von Leuten, die sich als aufgeklärt und emanzipatorisch sehen, packt mich wieder dieser Ärger und ich überwinde mich, dass zumindest als Missstand zu kommentieren.
Ich tu das ganz gerne ironisch und scherzend, weil das oft eher ankommt und nicht gleich als Angriff verstanden wird. Das Problem an Ironie ist aber, dass sie nur für die erkennbar ist, die meine Position kennen, sowie eine Anspielung auch nur für die funktioniert, die wissen, auf was sie sich bezieht. Das ist etwas, was ich in Kauf nehme, weil mir sonst das Diskutieren und Kommentieren fad werden würde.
Was aber ein Problem ist, sind Leute, die sowas bewusst in Bad Faith Kritik eskalieren. Es ist eine uralte Propaganda-Taktik um die Position der unliebigen Seite anzweifelbar zu machen und Fronten zu verhärten. Dazu werden verschiedenste Mittel verwendet, von Strohmann-Argument über Red Herring bis zu Pseudo-Logik oder Bothsideism (Hier ist einer von vielen Texten im Netz, die das erläutern).
Es werden gezielt Aussagen gesucht, die extreme Klischees verstärken, im Fall meines Kommentars, den ich eingangs erwähnte, ist es das das Klischee der crazy woken identitätspolitischen Feministin, der ihre Achtsamkeits-Yoga-Matte-von-Feminismusverständis wichtiger ist als dass hier gerade Menschen in einem Krieg sterben. Totally lost und wohlstandsverwahrlost halt.
Es gehört zur Methode, dass Aussagen aus dem Kontext und Tonfall gezerrt und weitergeteilt werden, um anderen zu zeigen, dass was dran ist an den Klischees, und so langfristig ein Feindbild zu verhärten, keine Nuancen zuzulassen und vor allem solidarische konstruktive Diskussionen zu verhindern. Es geht dabei nicht um das Verstehen der Gegenseite, es geht nicht um Auseinandersetzung mit dem Thema, sondern um Ablenkung, um Eskalation und/oder um das Verstärken von Feindbildern.
Mein hier eingangs erwähnter Kommentar war natürlich prädestiniert dafür, weil ja auch wirklich nicht sehr konstruktiv. Ob ichs deswegen verdient habe, darauf die Entgegnung “hab Sex bitte” abzubekommen, wie ein random Mann mit ‘lustigem’ Fakenamen dann drunter kommentierte? Weiß nicht. Immerhin zivilisierter als das gute alte “du gehörst mal richtig durchgefickt,” dieses Ehrenabzeichnen jeder Frau, die sich öffentlich feministisch äußert.
Natürlich war ich neugierig, und hab, um ein bisschen Kontext zu kriegen, sein Profil angeklickt. Dort hat er ganz stolz meinen Kommentar als IdPol-Screenshot-Trophäe zum Aufheizen seiner Follower gepostet, die sich in knapp 90 Kommentaren einen drauf runterholten. Von traurigen RAD-Gestalten über Hot Takes-Journo von der Groove bis zu essentialistischen TERFs, alles dabei. Sichtlich Leute, die sich Verächtlichmachung und Freude an Eskalation zum Hobby erkoren haben.
Hab kurz überlegt, “triggered much?” drunterzuschreiben, weil es mir als so absurde Überreaktion erschien, wie sie sich da reinsteigerten, aber durch diese Art meme-hafter Kommunikation hatte das Problem ja angefangen. Deswegen schreibe ich das hier auch erst heute zu Ende. Ich hatte diesen Text schon kurz danach angefangen, aber es ist eine schmaler Grat zwischen Aufklärung und Verstärkung in unserer aufmerksamkeits-fokussierten Social Media Diskursöffentlichkeit. Vielleicht hilft es, dass jetzt ein zeitlicher Abstand dazwischen liegt, und die Edgelords mich längst vergessen haben.
Ich hatte jedenfalls schon so lange nur ziviliserten Austausch auf Social Media, dass ich ganz vergessen hatte, wie sich so ein Hetz-Post anfühlt. Auch die Verstärkung durch solche Plattformeigenheiten, wie dass du auf Facebook zentral gemeinsame Freund*innen angezeigt bekommst, kann dich in so einer Situation ganz schön runterziehen. Wider besseren Wissens fühlt es sich in solchen Momenten so an, als würden all diese schweigenden gemeinsamen Freund*innen die Meinung dessen stützen, der dich verächtlich zu machen versucht. Das ist wohl etwas, was alle berührt, die nicht komplett verroht sind.
Als ich dann auch einen Screenshot davon machen wollte, war das Profil des Users weg und ist es bis heute, ich hab grad noch mal nachgesehen. Bei so einem Edgelord ist da mein erster Gedanke, dass ihn wer wegen Fakenamen gemeldet hat, um ihn zum Schweigen zu bringen. Das wiederum ist etwas, was ich niemandem wünsche, weil Facebook halt für viele ein zentrales Kontaktmedium ist, und es sich übel anfühlen kann, wenn man da plötzlich rausgeworfen wird. Kenn ich aus eigener Erfahrung. Deswegen blocke ich lieber als zu sowas zu greifen. Ausschluss fühlt sich halt immer scheiße an, ob durch patriarchale Verhältnisse, oder ob durch eine Plattform. Und gerade bei solchen Leuten trägt sowas am End noch zur Radikalisierung bei. Oder er hatte zufällig gerade zu diesem Zeitpunkt die Nase von Facebook voll. Kann natürlich auch sein.
Anyway. Die Unmöglichmachung der Kritik an patriarchalen und rassistischen Ausschlüssen mit dem Totschlagargument, das sei identitätspolitische Wokeness, und das Aufhetzen von Netzfollowern sehe ich derzeit vor allem als neue Variante des alten Spiels, Progressive mundtot zu machen, die an traditionellen Netzwerken kratzen. Im Fall meines Posts: Sexistische Ausschlüsse werden zur Nebensache erklärt, über die zu sprechen angesichts der Hauptsache der Kriegsrealität unangebracht sei. Als würden wir nicht konstant solch große Dissonanzen aushalten und mit verschiedenen Problemen mit verschieden schweren Konsequenzen jonglieren müssen. Der Rückzug ins Zynisch-Destruktive ist für manche halt zur Form des Eskapismus geworden, den ich zwar nachvollziehen kann, aber dem ich hoffentlich nie so verfallen werde.
Und was tun mit der männlichen Dominanz in (linken) Theorietexten? Nicht müde werden, das ist das Wichtigste und Schwierigste. Nicht müde werden, das Missverhältnis anzusprechen. Im Idealfall erklärend und diskussionsoffen (außer bei Leuten, denen es sichtlich um Bad Faith Disput geht). Diese Kritik außerhalb der eigenen Wohlfühlbubble tragen. Gezielt gute Texte von anderen als den üblichen Verdächtigen suchen und weiterverbreiten, auch mal bei Multiplikator*innen drunterkommentieren. Es gibt auch Aktionen wie auf Twitter #Frauenlesen, was ein werter Ansatz war, aber es blieb dann doch arg exklusiv und ich hätte vielleicht lieber sowas wie #nichtnurweißewestlichecismännerlesenbroplz…? Manchmal wär mir auch danach, einfach immer nur bei allen, die nur Texte von Männern posten, #Männerlesen drunter zu kommentieren. Ach, ich weiß ja auch nicht.
Ich schließe mal mit einer Vortrags-Empfehlung: Julia Ingold zum Thema “Warum ich keine Männer mehr lese – eine Autopsie der Ermüdung” am 30.6.22 im Balthasar in der Reihe “Freie Uni Bamberg.” Wenns keinen Zoom-Stream geben sollte, überleg ich mir grad tatsächlich, den Ausflug dorthin zu machen.