Zuerst erschienen im Rollator Magazin der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg
Wenn ich den Begriff “Diversität” höre, stellen sich mir meist schaudernd die Nackenhärchen hoch. Zu oft wird er für Solutionismus verwendet, der agiert, als ließe sich Diversität ganz einfach über Institutionen und Firmen stülpen, indem ein paar Kurse gebucht werden, zu allen Gedenktagen für marginalisierte Gesellschaftsgruppen ein Insta-Posting gemacht wird, ein paar Quotenfrauen und -People of Colour in niedrigen Positionen angestellt werden, die für PR Fotos des Teams genutzt werden können. Diversity wird dabei als Repräsentation von Vielfalt missverstanden, die es globuli-like versäumt, wirklich an monokulturellen Strukturen zu rütteln. Als Problem gilt in diesem Fall letztlich nicht die Ungleichheit und Exklusion an sich, sondern nur dass sie nicht zum Bild moderner Urbanität passen, das man ausstrahlen möchte.
Diversität ist aber, muss ich zugestehen, auch nicht der schlechteste Schirmbegriff für große Teile des Aktivismus, der mich umtreibt. Ich komme nicht aus der Institutions- oder Unternehmenskultur, sondern aus dem, was zwischen Bezeichnungen wie Subkultur, Alternativkultur oder Soziokultur oszilliert. Ich wurde groß in einer Zeit, in der in Nürnberg der Geist der Soziokultur wehte und die südliche Innenstadt von KOMM, Hemdendienst und LGA geprägt waren, die mir mit einem wilden Gebräu von Punk, Theater, Jazz, Ausstellungen, Performances und niedrigpreisigen Treffpunkten ohne Verzehrzwang den Kopf verdrehten, wo mein schmaler Geldbeutel mir sonst so einen Zugang zu Kultur versperrt hätte. Es dauerte, bis ich mir dessen bewusst wurde, wie elementar für dieses wunderbare Chaos, in dem Trash und Kunst sich gegenseitig inspirierten, die Handarbeit war: Die Vielfalt entstand dadurch, dass hier viele Menschen verschiedener Backgrounds mit Hand anlegten, um diese Orte am Laufen zu halten und mit Programm zu füllen. Der Non-Profit-Geist schuf Raum zum Experimentieren. Solche Vielfalt lässt sich nicht von einer Hand und auch nicht in hierarchischen Systemen kuratieren.
Für mich war es lange Zeit unvorstellbar, dass ich bei so etwas aktiv mitmachen könnte. Erst Ende der 90er, als die LGA erst nach St. Peter (LGB), dann in den Z-Bau verlegt wurde und einschlief, der Hemdendienst seine wackere Zwischennutzodyssee durch die Stadt antrat, und das KOMM gerade zum K4 gezähmt werden sollte, fragte mich ein (schwuler) Freund, der schon länger beim Musikverein dabei war, ob ich mich nicht auch engagieren wolle, et voilà: Ich war dort (als Akteurin) gelandet, wo mir mein Vater verboten hatte, auch nur als Gast hinzugehen. Es war und ist für mich nach wie vor ein unglaublich empowerndes Gefühl, die Kultur der Stadt, in der ich lebe, und einen sozialen Ort mitgestalten zu können.
Die Kollektivstruktur ist ein Exoskeleton, dass dich bei der Umsetzung von Ideen stärkt, und gleichzeitig ein lebender, sich mit neu dazukommenden und ausscheidenden Menschen stets verändernder Organismus, der sozial herausfordert und mit dem du dich stets auseinandersetzen musst, bevor du etwas tun kannst. Das erdet und das verändert eine auch selbst. Mir hat es viel Konfliktscheuheit genommen, andere Perspektiven eröffnet und Lust an Debatte und Dazulernen gegeben.
Wie vielen anderen wurde auch mir im Laufe der Jahre als Veranstalter*in und Künstler*in zunehmend unangenehm bewusst, dass, egal wie divers das Programm dieser Szene – was Genres und Formen anbelangte – auch sein mochte, alles doch arg von weißen able-bodied heterosexuellen cis-Männern dominiert war. Menschen, die nicht irgendwas davon erfüllten, waren kaum präsent, und – wenn sie es waren – oft assimiliert. Das ist kein besonderes Phänomen, sondern bei marginalisierten Menschen weit verbreitet: Angetrieben vom schlichten Wunsch dazuzugehören und als gleich behandelt zu werden, passen wir uns an: in Kleidung. Verhalten, Sprache, Mitlachen bei diskriminierenden Scherzen als seien wir nicht mitgemeint. Bei Queers gibt es für dieses Assimilieren den Ausdruck “straight-passing”, bei Feminist*innen “one of the guys” oder auch “Cool Girl.” Wenn ich einen Moment auswählen müsste, an dem ich das nicht mehr nur diskutierte, sondern aktiv wurde, passt vielleicht dieser: 2013 setzte ich mich hin, und zählte wieviel Frauen und Männer in einem Jahr bei uns auf der Bühne standen (86% m / 14% f waren es damals, und als ich das letzte Mal 2017 zählte, waren wir dann immerhin bei 70% m / 30 f). Das brachte ich auf einer Jahreshauptversammlung ein, und diese niederschmetternde Sichtbarkeit trieb uns dann endlich mal zu konkreten Diskussionen darüber, was wir ändern wollen.
Wir entschieden uns gegen die Einführung einer Quote, weil wir in erster Linie durch ein Interesse an Musik zur ehrenamtlichen Arbeit kamen, und ein Zwang zur Quote die Lust daran verderben könnte. Dazu kam, dass die Bookingangebote zu dieser Zeit auch noch so männlich dominiert waren, dass es gar nicht so einfach war, anders zu buchen. Das ist heute schon ein bisschen besser geworden. Da unser Fokus auf internationalen Bands lag, waren wir auf das Angebot von Touren angewiesen. Bei elektronischen Live Acts ist es einfacher, aber auch teurer, diverser zu buchen: Hier hat sich als Standard etabliert, dass die Künstler*innen für einzelne Gigs einfliegen. Was ich mit zunehmendem Umweltbewusstsein dann allerdings auch kritischer sah. Und Nürnberg ist musikalisch recht konservativ: Was der Bauer nicht kennt usw. Viele sind deswegen schon frustriert weggezogen oder haben das Veranstalten aufgehört. So oder so: Etwas gegen den Strom der Norm zu tun ist immer mehr Aufwand und Risiko. Um Veränderung anzustoßen bedarf es, kreativ und hartnäckig zu bleiben, egal wie anstrengend es ist. Es kann auch Beziehungen kosten, wenn du dich unbeliebt machst, weil du andere Veranstalter*innen oder Bookingagenturen ansprichst, ob es ihnen nicht peinlich ist, 2020 noch ein fast durchgehend männlich besetztes Programm zu haben. Die Geschlechtereinseitigkeit ist der Punkt, wo du wenigstens einen Fuß in die Tür kriegst, aber es ist natürlich nur ein Babystep in Richtung eines wirklich diversen kulturellen Miteinanders.
Ausnahmeerlebnis was die Offenheit Nürnbergs für Neues angeht, war für mich meine Queer Underground Partyreihe “Orchid”. Eine Party für ein Nischenpublikum und auch mit einiger Nischenmusik, die aber seit vielen Jahren gut läuft und für mich ein wichtiges Stück kreativen Experimentierens wurde: Das Kratzen am heteronormativen Normalzustand mit provokativen und glamourösen Elementen durch Plakat-Artwork, Dekoration und Musik. Entstanden ist sie, weil ich nach ein paar DJ-Gastauftritten auf Queer Nights in Berlin und Leipzig schlicht frustriert war, dass in Nürnberg alles queere Feiern so unglaublich bieder und mainstreamig war. Deswegen hatte ich auch nie Zugang zur Queerszene hier gefunden. Da Orchid so gut lief und ich selbst auf eine Gage dafür verzichte, konnte ich guten Gewissens darüber das Programm des Musikvereins um einige Auftritte queerer und schwarzer Künstler*innen erweitern, auch wenn es dafür in dieser Stadt nicht viel Publikum gab. Ohne den Rahmen des Kollektivs und ohne ehrenamtliches Engagement wäre das in dieser Stadt aber nach wie vor nicht möglich, also: nicht finanzierbar. Das mussten wir auch mal wieder erkennen, als wir zu unserem 40. Jubiläum ein zweitägiges Festival mit internationalem und lokalem weiblich dominiertem Programm auf die Beine stellten: Richtig überlaufen war das nicht… Oh Nürnberg!
Natürlich gäbe es bestimmt special Fördertöpfe für diverseres Booking, aber ich halte diese Bürokratisierung der Kulturarbeit für das Allerletzte. Projektbezogene Förderung ist ein Rahmen, der mir die Luft zum kreativen Atmen raubt und die Freiheit, Lust und Spontaneität, die für mich dazu gehört, wenn ich divers Kultur gestalten will.
Ein weiteres Anliegen von mir, um das Nachtleben inklusiver zu gestalten, war, sich gegen die Selbstverständlichkeit von Angrapschen und Belästigungen etwas einfallen zu lassen. 2016 taten wir das in Form von “Reclaim The Night”, einer dreigliedrigen Aktion gegen Übergriffe im Nachtleben: Bei Partynächten strahlten wir Visuals mit Slogans auf der Straße vor unserem Club, die auch Vorbeilaufende erreichten und eine Auseinandersetzung mit dem Thema anregen und unsere Nulltoleranzpolitik Übergriffen und Diskriminierung gegenüber vermitteln sollten. Der zweite Teil war ein Runder Tisch mit anderen Veranstalter*innen zum internen Austausch, sowohl um Bewusstsein für das Problem zu schaffen als auch jenseits von Öffentlichkeit eine Möglichkeit zu geben, sich dazu auszutauschen. Und für mich besonders wichtig: Ein Abend für Gäste/Betroffene, “Reclaim the Night Lounge – Let’s make our spaces safe together,” mit einem Impulsvortrag, der in eine offene Gesprächsrunde einleitete, und den ich später zu einem Vortrag zu Ansätzen für Veranstalter*innen, Betroffene und Allies ausbaute und online verfügbar machte und auch an anderen Orten hielt. Offenen Erfahrungs- und Wissensaustausch jenseits von Workshops hinter verschlossenen Türen halte ich nach wie vor für sehr wichtig, um solche Themen in ihrer Breite anzugehen.
Was ich mit diesen Beispielen deutlich machen will, ist, dass es nicht nur einen Weg gibt, zu Diversität zu gelangen, und dass es nicht immer ernst, sachte und betroffen dabei zugehen muss, sondern ein lustvolles community-inspiriertes und hoffentlich auch community-inspirierendes kreatives Herangehen ein ebenso wirkmächtiger Ansatz sein kann.
Hier noch ein paar Fetzen geballter Tipps oder Erfahrungswerte: Es hat sich längst gezeigt, dass klassische Diversity-Schulungen kaum Spuren hinterlassen, im Gegenteil sogar Vorurteile und damit auch Ausschlussstrukturen verstärken können, weil sie — vor allem auf weiße Männer – bedrohlich wirken können, und sich oft nur formal gebeugt wird, während es unter der Haube brodelt. Viel effektiver ist es, wenn Menschen mit verschiedenen Backgrounds miteinander zu tun haben, sich auszutauschen, und auch wenn Menschen, die eigentlich erst mal nicht so viel mit dem Thema zu tun haben wollen, verantwortlich eingebunden und positiv bestärkt werden.
Als Veranstaltende sollten die Entscheidungen, wem ein Podium gewährt wird und wem nicht, ruhig radikal sein, da sie Signalwirkung haben können. Ein Austausch darüber, dass, was beim Kuratieren als Fokus auf den “rein künstlerischen Wert” gilt, oft nur verschleiert, was an weißem Männernetworking dahinter (mit-)wirkt. Ein Austausch über Strukturen und ein systemischeres Denken helfen.
Zugänglichkeit für marginalisierte Menschen braucht oft explizite Ermunterung, braucht das Signal, das sie/wir dazugehören können und ernstgenommen werden. Repräsentation hilft da schon auch, aber gewiss nicht als einziger Faktor.
Eine positive Fehlerkultur ist dagegen Gold wert: Nicht nachtragend sein, Fehler als Dazulernen sehen, sich zum Weitermachen ermutigen. Richtlinien machen Sinn zur Orientierung, aber sollten nicht zum strikten Regelwerk erstarren: spezifische Situationen und Kontexte verdienen immer wieder neue Einordnung und aus Diskussionen darüber kann gelernt werden. “Diversity” lieber als Inklusion und Dazugehören und Community denken, um sich der Art des Umdenkens bewusst zu sein, das nötig ist, um zu einer vielfältigen Teilhabe zu gelangen.
Diversity ist nicht nur wichtig, weil es so einen sexy internationalistischen Vibe hat, sondern sie gehört zu einem grundsätzlichen Anliegen für ein besseres Leben für alle. Das ist mir so selbstverständlich, dass ich es lange nicht als explizites Engagement wahrgenommen habe, und so geht es, denke ich, vielen, die solche Arbeit machen, weil sie selbst noch das Gefühl kennen, unterschätzt und ausgeschlossen zu sein. Man ordnet es nicht als Arbeit ein, egal wie viel Zeit für Gespräche, das Eruieren von Problemen, Zuhören, Debattieren und Bildung geopfert wird.
Inzwischen habe ich gelernt, es als Arbeit zu verstehen, als sinnvoll und tragend, und ordne es der Care Work zu – all der gern unsichtbar gemachten Arbeit, die den Laden zusammenhält, aber nicht in Effizienz oder Produktivität gemessen werden kann, und von der ein großer Teil unbezahlt oder schlechtbezahlt von Frauen und noch Marginalisierteren geleistet wird.
Statt individualisierendem Solutionismus in Form von Startups und Workshop- und Konferenz-Industrie wäre die Eingliederung in die politische Forderung nach einer Care Revolution sinnvoll: Danach, das gesamte ökonomische Denken um den Sektor unsichtbarer Sorgearbeit zu erweitern. Dazu gehört erst mal das Sichtbarmachen und Anerkennen solcher Arbeit in allen gesellschaftlichen Strukturen, und dann ihre Wertschätzung in Form sozialer Absicherung. Nur wenn Respekt für diese Art von Arbeit zu einem neuen Status Quo wird, statt dass sie nur als Zuckerl obendrauf abgetan wird, lässt sich tatsächlich diversere Teilhabe realisieren.
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