Habe Superbusen von Paula Irmschler angehört

Es ist so ein typisches Buch, bei dem dieses Sternevergeben-System überhaupt nicht funktioniert und ich mich frage, wofür genau eigentlich diese Sterne immer stehen und ich dann einfach 4 von 5 gebe, aber mit so einer herumfuchtelnden Geste, damit klar ist, dass ich halt auch nicht weiß. Literarisch ist es nicht sehr anspruchsvoll, zugegeben. Es ist noch dazu einer dieser Alltagsgeschichtenromane, die ich eigentlich nicht mehr sehen kann, und doch: Paula Irmschler setzt mittenrein dann immer wieder diese speziellen Momente, die etwas wunderbar auf den Punkt bringen, Leben im Osten, zu dem man nicht mehr Osten sagt, Momente, die lustvoll kritisieren oder schwärmen, oder einfach berühren, ein Anvertrauen des privaten Nichtsorichtigfunktionierens in der kapitalistischen Gesellschaft, ein Auskotzen über Alltagsdiskriminierung oder Nazis oder Karneval, das einfach gut zu hören tut, und das sie in ihrer ganz eigenen Stimme schreibt, einer trotzigen Stimme, mal ganz weich, dann wieder tough as hell, die auf ihrem Platz beharrt, und ihr soll bloß keiner kommen und sie als nicht bildungsbürgerlich genug oder nicht lustig genug oder nicht hip genug bezeichnen, denn als “nicht genug” werden Frauen eh immer bezeichnet, und wenns niemand anders tut, dann tun sies selber, um sie und sich klein zu halten. Ich mag, dass dieses Buch, gerade als Audiobuch, wie die Erzählung einer Freundin daherkommt, bisschen konfus, und dann doch wieder mit einem guten Erzählbogen, und dann wirste ungeduldig, weil sie etwas ausschweift, aber du magst einfach dass die Joggers dieses Erzählens einen Flecken haben und es sich auch nicht extra schminkt, bevor es in den Supermarkt geht und es ihm eh voll egal wäre, wenn ihr das Buch nicht so genießen würdet wie ich es tat.

Game Empfehlungen. Warum auch nicht.

Weil ich selber immer für solche Empfehlungen dankbar bin, wenn Leute meinen Geschmack kennen, und selber auch immer knapp bei Kasse bin, hier auch mal meine Empfehlungen für den Steam Winterschlussverkauf (Geht noch bis zum 5.1.), für Game Nerds eher uninteressant, weil ihr eh schon alles kennt! ?

Und das hier auch ma’ als Eisbrecher, um wieder öfter zu bloggen. Hab heuer irgendwie mehr privat und fragmentarisch geschrieben als öffentlich und zum Austausch und zum Faden aufnehmen einladend. Weiß auch nicht, was da los war, aber hab zum Jahresende die besten Vorsätze und auch richtig Lust, das wieder zu ändern.

Aber heute erst mal die Spieleempfehlungen:

Der Klassiker zuerst: The Witcher 3 samt der hervorragenden beiden DLC-Abenteuer für 9,99€. Ich habs gerade noch mal zu spielen angefangen, weil ich auf das vor zwei Wochen erschienen Update gespannt war. Ist ein erneutes Vergnügen und bin schon gespannt auf die paar kleinen neuen Stories, die sie wohl eingewoben haben. Wind is howling!

Ich liebe gut erzählte Geschichten, egal in welchem Medium, und deswegen empfehle ich von ganzem Fangirl-Herzen diese zwei: Horizon Zero Dawn und Red Dead Redemption 2, beide um 67% billiger, und beides Spiele, die nicht nur schön und laaaaange zu spielen sind, sondern auch so verdammt gute Erzählungen mit vielen Nebenerzählungen sind, egal ob euch jeweils Science Fiction oder Western prinzipiell gefällt. Beide wären auch als Literatur Klassiker geworden, wenn sich die gamesspezifische Erzählart schreiberisch umsetzen ließe. Red Dead finde ich auch ein gutes Einstiegsspiel, wenn ihr noch nicht so viel gespielt habt, und es ist wert, es langsam zu spielen und auf Entdeckungsritte zu gehen und nicht nur die Hauptstory durchzurattern.

Gefolgt von It Takes Two (60% runtergesetzt) – hätte nie gedacht, dass mir so Spaß machen kann, ein sich in der Scheidung befindliches Hetero-Ehepaar mit Kind zu spielen. Wo jeder vernünftige Mensch längst schreiend abgehauen wäre, musst du dich hier mit deine’r Partnerin durch zahllose Abenteuerepisoden wieder zusammenraufen (es kann nur zu zweit gespielt werden und ich genieße es gerade mit Bettina sehr – danke für die Geduld! ^^) . Aber das Ding strotzt nur so vor liebevoll umgesetzten Welten- und Spiel- und Rätselideen und Tempo, dass ich mir immer wieder in den Kopf kommt, was die Erschaffer*innen für einen verdammten Spaß am Entwerfen gehabt haben müssen.

Und von den kleineren Spielen empfehl ich die hier:

Oxenfree ist nicht mehr ganz neu, aber immer noch toll und kostet gerade bloß 1,63€. Gruppe von Jugendlichen verschlägts auf eine spooky Insel und sie müssen deren Mysterium aufklären, geht aber auch um Trauerarbeit. In schöner 80s-Ästhetik und -style Synthie-Musik.

Norco (8,99€) ist ein abgedrehtes Postapokalypse-Detektiv-Mystery, du spürst deinem verschwundenen Bruder nach, mit Hilfe des Familien-AI-Roboters und anderen, in New Orleans und umliegenden Sümpfen, Southern Gotch Science Fiction? Irgendwie auch politisch, in wunderschöner Pixelästhetik. Richtig toll.

Und wer wie ich auch immer wieder mal was Superentspannendes braucht: Mutazione (8,09€) ist eine echt schön gemachte kleine Story. Mit Familiengeschichte und viel Pflanzen säen und zum Wachsen bringen, Gärtnern quasi, und das auf einer Art postapokalyptischer Lummerland-Insel mit irgendwie indigener Kultur und Soap-Faktor.

Und Sunless Skies ist ein sehr ästhetisches Steampunk-2D-RPG-Game, ein Story-Generator. Mit fliegenden Eisenbahnen über einem versunkenen London, ein visueller Genuss. Viel Eisenbahnfliegen, Schießen, die beste Crew des Universums zusammenstellen, weirde Upgrades und ja, schon auch viel zu lesen, viel Text, und es geht um Uhren, und die Entscheidung, ob du die Empress Victoria unterstützt oder die working class Rebell*innen. Keine Frage, oder? Bin noch mittendrin.

Und diese hier hab ich mir gegönnt, aber noch nicht gespielt (alle zwischen 97 Cent und 10€):
Pentiment
Portal
Sayonara Wild Hearts
Remember Me

Die unsichtbare Arbeit des Sichtbarmachens

Zuerst erschienen im Rollator Magazin der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg

Wenn ich den Begriff “Diversität” höre, stellen sich mir meist schaudernd die Nackenhärchen hoch. Zu oft wird er für Solutionismus verwendet, der agiert, als ließe sich Diversität ganz einfach über Institutionen und Firmen stülpen, indem ein paar Kurse gebucht werden, zu allen Gedenktagen für marginalisierte Gesellschaftsgruppen ein Insta-Posting gemacht wird, ein paar Quotenfrauen und -People of Colour in niedrigen Positionen angestellt werden, die für PR Fotos des Teams genutzt werden können. Diversity wird dabei als Repräsentation von Vielfalt missverstanden, die es globuli-like versäumt, wirklich an monokulturellen Strukturen zu rütteln. Als Problem gilt in diesem Fall letztlich nicht die Ungleichheit und Exklusion an sich, sondern nur dass sie nicht zum Bild moderner Urbanität passen, das man ausstrahlen möchte.

Diversität ist aber, muss ich zugestehen, auch nicht der schlechteste Schirmbegriff für große Teile des Aktivismus, der mich umtreibt. Ich komme nicht aus der Institutions- oder Unternehmenskultur, sondern aus dem, was zwischen Bezeichnungen wie Subkultur, Alternativkultur oder Soziokultur oszilliert. Ich wurde groß in einer Zeit, in der in Nürnberg der Geist der Soziokultur wehte und die südliche Innenstadt von KOMM, Hemdendienst und LGA geprägt waren, die mir mit einem wilden Gebräu von Punk, Theater, Jazz, Ausstellungen, Performances und niedrigpreisigen Treffpunkten ohne Verzehrzwang den Kopf verdrehten, wo mein schmaler Geldbeutel mir sonst so einen Zugang zu Kultur versperrt hätte. Es dauerte, bis ich mir dessen bewusst wurde, wie elementar für dieses wunderbare Chaos, in dem Trash und Kunst sich gegenseitig inspirierten, die Handarbeit war: Die Vielfalt entstand dadurch, dass hier viele Menschen verschiedener Backgrounds mit Hand anlegten, um diese Orte am Laufen zu halten und mit Programm zu füllen. Der Non-Profit-Geist schuf Raum zum Experimentieren. Solche Vielfalt lässt sich nicht von einer Hand und auch nicht in hierarchischen Systemen kuratieren.

Für mich war es lange Zeit unvorstellbar, dass ich bei so etwas aktiv mitmachen könnte. Erst Ende der 90er, als die LGA erst nach St. Peter (LGB), dann in den Z-Bau verlegt wurde und einschlief, der Hemdendienst seine wackere Zwischennutzodyssee durch die Stadt antrat, und das KOMM gerade zum K4 gezähmt werden sollte, fragte mich ein (schwuler) Freund, der schon länger beim Musikverein dabei war, ob ich mich nicht auch engagieren wolle, et voilà: Ich war dort (als Akteurin) gelandet, wo mir mein Vater verboten hatte, auch nur als Gast hinzugehen. Es war und ist für mich nach wie vor ein unglaublich empowerndes Gefühl, die Kultur der Stadt, in der ich lebe, und einen sozialen Ort mitgestalten zu können.

Die Kollektivstruktur ist ein Exoskeleton, dass dich bei der Umsetzung von Ideen stärkt, und gleichzeitig ein lebender, sich mit neu dazukommenden und ausscheidenden Menschen stets verändernder Organismus, der sozial herausfordert und mit dem du dich stets auseinandersetzen musst, bevor du etwas tun kannst. Das erdet und das verändert eine auch selbst. Mir hat es viel Konfliktscheuheit genommen, andere Perspektiven eröffnet und Lust an Debatte und Dazulernen gegeben.

Die Kollektivstruktur ist ein Exoskeleton, dass dich bei der Umsetzung von Ideen stärkt, und gleichzeitig ein lebender, sich mit neu dazukommenden und ausscheidenden Menschen stets verändernder Organismus, der sozial herausfordert und mit dem du dich stets auseinandersetzen musst, bevor du etwas tun kannst. Das erdet und das verändert dich auch selbst.

Wie vielen anderen wurde auch mir im Laufe der Jahre als Veranstalter*in und Künstler*in zunehmend unangenehm bewusst, dass, egal wie divers das Programm dieser Szene – was Genres und Formen anbelangte – auch sein mochte, alles doch arg von weißen able-bodied heterosexuellen cis-Männern dominiert war. Menschen, die nicht irgendwas davon erfüllten, waren kaum präsent, und – wenn sie es waren – oft assimiliert. Das ist kein besonderes Phänomen, sondern bei marginalisierten Menschen weit verbreitet: Angetrieben vom schlichten Wunsch dazuzugehören und als gleich behandelt zu werden, passen wir uns an: in Kleidung. Verhalten, Sprache, Mitlachen bei diskriminierenden Scherzen als seien wir nicht mitgemeint. Bei Queers gibt es für dieses Assimilieren den Ausdruck “straight-passing”, bei Feminist*innen “one of the guys” oder auch “Cool Girl.” Wenn ich einen Moment auswählen müsste, an dem ich das nicht mehr nur diskutierte, sondern aktiv wurde, passt vielleicht dieser: 2013 setzte ich mich hin, und zählte wieviel Frauen und Männer in einem Jahr bei uns auf der Bühne standen (86% m / 14% f waren es damals, und als ich das letzte Mal 2017 zählte, waren wir dann immerhin bei 70% m / 30 f). Das brachte ich auf einer Jahreshauptversammlung ein, und diese niederschmetternde Sichtbarkeit trieb uns dann endlich mal zu konkreten Diskussionen darüber, was wir ändern wollen.

Wir entschieden uns gegen die Einführung einer Quote, weil wir in erster Linie durch ein Interesse an Musik zur ehrenamtlichen Arbeit kamen, und ein Zwang zur Quote die Lust daran verderben könnte. Dazu kam, dass die Bookingangebote zu dieser Zeit auch noch so männlich dominiert waren, dass es gar nicht so einfach war, anders zu buchen. Das ist heute schon ein bisschen besser geworden. Da unser Fokus auf internationalen Bands lag, waren wir auf das Angebot von Touren angewiesen. Bei elektronischen Live Acts ist es einfacher, aber auch teurer, diverser zu buchen: Hier hat sich als Standard etabliert, dass die Künstler*innen für einzelne Gigs einfliegen. Was ich mit zunehmendem Umweltbewusstsein dann allerdings auch kritischer sah. Und Nürnberg ist musikalisch recht konservativ: Was der Bauer nicht kennt usw. Viele sind deswegen schon frustriert weggezogen oder haben das Veranstalten aufgehört. So oder so: Etwas gegen den Strom der Norm zu tun ist immer mehr Aufwand und Risiko. Um Veränderung anzustoßen bedarf es, kreativ und hartnäckig zu bleiben, egal wie anstrengend es ist. Es kann auch Beziehungen kosten, wenn du dich unbeliebt machst, weil du andere Veranstalter*innen oder Bookingagenturen ansprichst, ob es ihnen nicht peinlich ist, 2020 noch ein fast durchgehend männlich besetztes Programm zu haben. Die Geschlechtereinseitigkeit ist der Punkt, wo du wenigstens einen Fuß in die Tür kriegst, aber es ist natürlich nur ein Babystep in Richtung eines wirklich diversen kulturellen Miteinanders.

Ausnahmeerlebnis was die Offenheit Nürnbergs für Neues angeht, war für mich meine Queer Underground Partyreihe “Orchid”. Eine Party für ein Nischenpublikum und auch mit einiger Nischenmusik, die aber seit vielen Jahren gut läuft und für mich ein wichtiges Stück kreativen Experimentierens wurde: Das Kratzen am heteronormativen Normalzustand mit provokativen und glamourösen Elementen durch Plakat-Artwork, Dekoration und Musik. Entstanden ist sie, weil ich nach ein paar DJ-Gastauftritten auf Queer Nights in Berlin und Leipzig schlicht frustriert war, dass in Nürnberg alles queere Feiern so unglaublich bieder und mainstreamig war. Deswegen hatte ich auch nie Zugang zur Queerszene hier gefunden. Da Orchid so gut lief und ich selbst auf eine Gage dafür verzichte, konnte ich guten Gewissens darüber das Programm des Musikvereins um einige Auftritte queerer und schwarzer Künstler*innen erweitern, auch wenn es dafür in dieser Stadt nicht viel Publikum gab. Ohne den Rahmen des Kollektivs und ohne ehrenamtliches Engagement wäre das in dieser Stadt aber nach wie vor nicht möglich, also: nicht finanzierbar. Das mussten wir auch mal wieder erkennen, als wir zu unserem 40. Jubiläum ein zweitägiges Festival mit internationalem und lokalem weiblich dominiertem Programm auf die Beine stellten: Richtig überlaufen war das nicht… Oh Nürnberg!

Natürlich gäbe es bestimmt special Fördertöpfe für diverseres Booking, aber ich halte diese Bürokratisierung der Kulturarbeit für das Allerletzte. Projektbezogene Förderung ist ein Rahmen, der mir die Luft zum kreativen Atmen raubt und die Freiheit, Lust und Spontaneität, die für mich dazu gehört, wenn ich divers Kultur gestalten will.

Ein weiteres Anliegen von mir, um das Nachtleben inklusiver zu gestalten, war, sich gegen die Selbstverständlichkeit von Angrapschen und Belästigungen etwas einfallen zu lassen. 2016 taten wir das in Form von “Reclaim The Night”, einer dreigliedrigen Aktion gegen Übergriffe im Nachtleben: Bei Partynächten strahlten wir Visuals mit Slogans auf der Straße vor unserem Club, die auch Vorbeilaufende erreichten und eine Auseinandersetzung mit dem Thema anregen und unsere Nulltoleranzpolitik Übergriffen und Diskriminierung gegenüber vermitteln sollten. Der zweite Teil war ein Runder Tisch mit anderen Veranstalter*innen zum internen Austausch, sowohl um Bewusstsein für das Problem zu schaffen als auch jenseits von Öffentlichkeit eine Möglichkeit zu geben, sich dazu auszutauschen. Und für mich besonders wichtig: Ein Abend für Gäste/Betroffene, “Reclaim the Night Lounge – Let’s make our spaces safe together,” mit einem Impulsvortrag, der in eine offene Gesprächsrunde einleitete, und den ich später zu einem Vortrag zu Ansätzen für Veranstalter*innen, Betroffene und Allies ausbaute und online verfügbar machte und auch an anderen Orten hielt. Offenen Erfahrungs- und Wissensaustausch jenseits von Workshops hinter verschlossenen Türen halte ich nach wie vor für sehr wichtig, um solche Themen in ihrer Breite anzugehen.

Was ich mit diesen Beispielen deutlich machen will, ist, dass es nicht nur einen Weg gibt, zu Diversität zu gelangen, und dass es nicht immer ernst, sachte und betroffen dabei zugehen muss, sondern ein lustvolles community-inspiriertes und hoffentlich auch community-inspirierendes kreatives Herangehen ein ebenso wirkmächtiger Ansatz sein kann.

Es gibt nicht nur einen Weg, zu Diversität zu gelangen, und es muss dabei nicht immer ernst, sachte und betroffen zugehen, sondern ein lustvolles community-inspiriertes und hoffentlich auch community-inspirierendes kreatives Herangehen kann ein ebenso wirkmächtiger Ansatz sein.

Hier noch ein paar Fetzen geballter Tipps oder Erfahrungswerte: Es hat sich längst gezeigt, dass klassische Diversity-Schulungen kaum Spuren hinterlassen, im Gegenteil sogar Vorurteile und damit auch Ausschlussstrukturen verstärken können, weil sie — vor allem auf weiße Männer – bedrohlich wirken können, und sich oft nur formal gebeugt wird, während es unter der Haube brodelt. Viel effektiver ist es, wenn Menschen mit verschiedenen Backgrounds miteinander zu tun haben, sich auszutauschen, und auch wenn Menschen, die eigentlich erst mal nicht so viel mit dem Thema zu tun haben wollen, verantwortlich eingebunden und positiv bestärkt werden.

Als Veranstaltende sollten die Entscheidungen, wem ein Podium gewährt wird und wem nicht, ruhig radikal sein, da sie Signalwirkung haben können. Ein Austausch darüber, dass, was beim Kuratieren als Fokus auf den “rein künstlerischen Wert” gilt, oft nur verschleiert, was an weißem Männernetworking dahinter (mit-)wirkt. Ein Austausch über Strukturen und ein systemischeres Denken helfen.

Zugänglichkeit für marginalisierte Menschen braucht oft explizite Ermunterung, braucht das Signal, das sie/wir dazugehören können und ernstgenommen werden. Repräsentation hilft da schon auch, aber gewiss nicht als einziger Faktor.

Eine positive Fehlerkultur ist dagegen Gold wert: Nicht nachtragend sein, Fehler als Dazulernen sehen, sich zum Weitermachen ermutigen. Richtlinien machen Sinn zur Orientierung, aber sollten nicht zum strikten Regelwerk erstarren: spezifische Situationen und Kontexte verdienen immer wieder neue Einordnung und aus Diskussionen darüber kann gelernt werden. “Diversity” lieber als Inklusion und Dazugehören und Community denken, um sich der Art des Umdenkens bewusst zu sein, das nötig ist, um zu einer vielfältigen Teilhabe zu gelangen.

Diversity ist nicht nur wichtig, weil es so einen sexy internationalistischen Vibe hat, sondern sie gehört zu einem grundsätzlichen Anliegen für ein besseres Leben für alle. Das ist mir so selbstverständlich, dass ich es lange nicht als explizites Engagement wahrgenommen habe, und so geht es, denke ich, vielen, die solche Arbeit machen, weil sie selbst noch das Gefühl kennen, unterschätzt und ausgeschlossen zu sein. Man ordnet es nicht als Arbeit ein, egal wie viel Zeit für Gespräche, das Eruieren von Problemen, Zuhören, Debattieren und Bildung geopfert wird.

Inzwischen habe ich gelernt, es als Arbeit zu verstehen, als sinnvoll und tragend, und ordne es der Care Work zu – all der gern unsichtbar gemachten Arbeit, die den Laden zusammenhält, aber nicht in Effizienz oder Produktivität gemessen werden kann, und von der ein großer Teil unbezahlt oder schlechtbezahlt von Frauen und noch Marginalisierteren geleistet wird.

Statt individualisierendem Solutionismus in Form von Startups und Workshop- und Konferenz-Industrie wäre die Eingliederung in die politische Forderung nach einer Care Revolution sinnvoll: Danach, das gesamte ökonomische Denken um den Sektor unsichtbarer Sorgearbeit zu erweitern. Dazu gehört erst mal das Sichtbarmachen und Anerkennen solcher Arbeit in allen gesellschaftlichen Strukturen, und dann ihre Wertschätzung in Form sozialer Absicherung. Nur wenn Respekt für diese Art von Arbeit zu einem neuen Status Quo wird, statt dass sie nur als Zuckerl obendrauf abgetan wird, lässt sich tatsächlich diversere Teilhabe realisieren.

Das bisschen Totschlag

“Heftiger Übergriff in der Bremer Straßenbahn: Ein Minderjähriger soll eine Transfrau beleidigt, geschlagen und schwer verletzt haben. Rund 15 Jugendliche feuerten ihn an.” (Spiegel, 05.09.22)

“Das bisschen Totschlag bringt uns nicht gleich um
sagt mein Mann ich kann den ganzen Scheiss einfach nicht mehr hörn
sagt mein Mann ist ja gut jetzt alte haut wir ham schon schlimmeres
gesehn und ich sag noch ‘Lass uns endlich mal zur tagesordnung übergehn'” (Die Goldenen Zitronen)

Erst schüren rechte und TERF-Hetzer*innen über Monate hinweg Hass auf und Angst vor trans Leuten als potenzielle Vergewaltiger und Kindesmissbraucher (genau so wie vor 50 Jahren noch Homosexuelle dämonisiert wurden), BILD und EMMA (aber auch Jungle World war früh dabei, warum ich und eine Handvoll anderer auch nicht (mehr) dafür schreiben) und das Feuilleton fast aller großen Zeitungen hierzulande macht mit. Und viele, auch in meinem Bekanntenkreis, die sich gern so sehen, als stünden sie für eine vielfältige Gesellschaft, glauben nur allzugerne jedes Gerücht, jede Lüge, jede Übertreibung, die als Propaganda gestreut wird, aber auch Wahrheiten, die an ihrem bürgerlich-binärem Heterodasein rütteln, und nicken brav mit: “Jaja, das geht ja echt zu weit langsam, die übertreiben ja echt, diese Genderverrückten!”

Jetzt, wo der Täter in Maltes Fall als nicht einer der “ihren,” als nicht “deutsch genug” um dazuzugehören, enthüllt ist, versuchen sich diesselben großen HetzerInnen plötzlich als Allies darzustellen, die alle LGBTIQA*s vor “Islamisten” schützen würden, und sie schüren auf allen Kanälen von Social Media bis hin zu großen Tageszeitungen fleißig rassistische Ressentiments gegen alle, die als islamistisch wahrgenommen werden können. Es ist so perfide.

Diesen elenden rechten Edgelord-Influencern geht es letztlich nur darum, Hebel an Schwachstellen anzusetzen, wo sich sonst gesellschaftliche Solidarität bildet oder bilden könnte. Keile hineinzutreiben, die immer wieder ein paar abgesprengte Leute mehr in ihren Dunstkreis ziehen könnten. Um Logik und Konsequenz muss es ihnen nicht gehen: sie sprechen das Bauchgefühl an. Das Bauchgefühl derer, die sich missverstanden und zu kurz gekommen fühlen und bereit sind, nach unten zu treten. Es geht auch nicht darum, etwas aufzubauen, es wird zusammengerottet. Es geht letztlich darum Disruption zu säen, gesellschaftszersetzend zu wirken, denn je mehr Krise und Chaos, desto stärker die Sehnsucht vieler nach Autoritätsherrschaft und harten Abgrenzungen. So ist es völlig nachvollziehbar, warum es funktioniert, am einen Tag noch trans Menschen ihre Existenz absprechen zu wollen oder sie für krank zu erklären, und sich am nächsten Tag als ihre Beschützer hinzustellen: Es geht nicht darum für was man ist, es geht nur darum, unermüdlich neue ‘Schuldige’ zu finden, gegen die es sich zusammenschließen lässt und es erschüttert mich immer wieder, wer alles darauf einsteigt.

Und mittenrein in dieses Umschwenken ihrer Taktik, kommt die Nachricht von dieser neuen Gewaltattacke gegen eine trans Frau in Bremen und wieder kann ich nur wütend sagen: Alle, die sich bei der Dämonisierung, Stigmatisierung, Pathologisierung von trans Menschen, ja, letztlich von allen LGBT*s, von allen Queers, von Gender Studies, von progressiven, inklusiven Feminist*innen beteiligen und diese rechte Hetze aufnehmen und weiterverbreiten: Ihr habt das gesellschaftliche Klima mitgeschaffen, in dem solche Taten möglich sind, in dem sich eine Menschenmenge so reinsteigert in Hass und Zerstörungswillen.

Mit jedem Scheißposting auf Faci oder Insta, mit jedem Tweet oder Kommentar, der sich beschwert, weil Transmänner nicht “Mutter” genannt werden wollen sondern “Vater”, oder dass sich über nichtbinäre Genderkonzepte lustig macht, oder findet, dass Kindern keine queeren Themen zugemutet werden sollten, zu ihrem Schutz – WTF?! Schutz vor was? Vielleicht würden sich dann ein paar weniger queere Teenager umbringen oder an Depressionen leiden? Vielleicht würden dann ja Jugendliche gar nicht erst auf die Idee kommen, Lesben anzugreifen, einen trans Mann zu töten, eine trans Frau zusammenzuschlagen und sich dabei gegenseitig anzufeuern?!

Ich sag’s noch mal: Ihr seid mitverantwortlich, da hilft kein Regenbogenfähnchenschwenken zu besonderen Anlässen, bei dem ihr dann ganz gerührt von euch selber seid, dass ihr diese queeren Menschen so unterstützt. Selbiges gilt für Showcases of Antirassismus. Es geht darum, wie ihr euch, wie wir uns im Alltag verhalten, wo uns niemand dafür auf die Schulter klopft, sondern wo es auch mal unangenehm für uns werden kann, wo wir uns keine Freund*innen damit machen. Das muss anscheinend halt echt wieder deutlicher gesagt werden.

Zu Holly Jean Bucks ‘Ending Fossil Fuels’ Buch

Ich empfehle in klimapolitischen Diskussionen immer wieder gern Holly Jean Bucks Bücher “After Geoenginering – Climate Tragedy, Repair and Restoration” (Verso, 2019) und “Ending Fossil Fuels – Why Net Zero Is Not Enough” (Verso, 2021), weil ich nichts vergleichbar Gutes kenne, was so komprimiert, informativ, realistisch-utopisch und verschiedene Bereiche in Beziehung zueinander setzend denkt.

Mit “realistisch-utopisch” meine ich, dass sie sehr gut Detailwissen aus den verschiedensten Bereichen daraufhin zusammendenkt, wie sich damit eine wünschenswerte Zukunft nicht nur vorstellen, sondern gar erreichen lassen könnte. Sie schafft, gleichzeitig die Lage nicht zu beschönigen aber mich bei beiden ihrer Bücher mit Hoffnung und Lust auf das Organisieren für eine bessere Zukunft zurückzulassen. Quasi wie der “this is fine!”-Hund als “this still can get fine”-Hund, der vorsichtig mit anderen zusammen, herunterfallende Trümmer vermeidend oder zur Seite schiebend, den Weg aus dem brennenden Raum heraus organisiert.

In “After Geoengineering” setzt Holly Jean Buck dazu zwischen die Sach-Kapitel sogar fiktive utopische Geschichten, um der Theorie auch Fleisch und Alltagsleben einzuhauchen, eine Zukunft vorstellbar zu machen, von der aus wir rückentwickeln können, wie sie am erreicht werden konnte. Könnte? (Futur II ist nicht meine Stärke, weil stark vernachlässigt, aber es sollte vielleicht wieder mehr zum Einsatz kommen. ^^)

Buck steht für mich für einen Ansatz, bei dem verschiedenste kleine und große Anstrengungen ineinandergreifen müssen, um etwas zu bewirken. Sie ist keine Revolutionsromantikerin, sondern sieht die langwierige notwendige (Care-)Arbeit, die in einer besseren Zukunft stecken, deswegen auch ihr starkes Plädoyer für einen planvollen Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen, der neben dem Klima auch Gerechtigkeit auf globaler sowie auf lokaler Ebene zusammenbringt.

Ich tu mir hart, diese Bücher auf ein paar Sätze zu reduzieren, nicht zuletzt wegen eines Zuges für den ich sie auch schätze: Sie arbeitet selten mit harten Abgrenzungen, sondern selbst Punkten, die sie kritisch behandelte, gesteht sie positive Möglichkeiten zu, wenn sie diese Aspekte sieht. Wie schwer mir das Zusammenfassen fällt, hab ich mal wieder gemerkt, als ich kürzlich voreilig in einem Facebook-Comment schrieb, ich würde ein paar Sätze zu ihren Büchern sagen. Ich hab zwei Mal angesetzt und hatte dann wie so oft bei sowas das Gefühl, ich vereinfache so sehr, dass ich dem, wofür ich die Bücher schätze, nicht gerecht werde.

Deswegen bekommt ihr hier nun eine längere Zusammenfassung von “Ending Fossil Fuels”, die eine minimal gekürzte Version dessen ist, was ich mit Tobias Lindemann für Radical Utopias erarbeitet habe. Wers lieber anhört als liest, hier ist die Folge auf YouTube.

“Radical Utopias – Training For A Complicated Future” ist unsere Reihe für Buchvorstellungen und utopiasche politische Diskussionen, in der wir Bücher, die wir dazu spannend finden, zusammenfassen, um ein Gespräch dazu anzufachen. Impuls war für mich da, dass Bücher, die ich spannend finde, oft nicht oder erst ewig später auf deutsch erscheinen, hier mehr Info und die alten Folgen zum Nachgucken.


Ending Fossil Fuels hat drei Teile:

Im ersten Teil, den ich hier am knappsten abhandle, wird die Vision der “Netto-Null” als ein zu vage formuliertes Ziel auseinandergenommen. Sie ist z.B. problematisch, weil CO2-Rückbindung, vor allem die mit flächenintensiven Projekten wie Aufforstung oder Sequestrierung in Landwirtschaft, die bald an ihre Grenzen stoßen dürften. Es wird dort entkarbonisiert, wo es am leichtesten ist, statt in den Bereichen, wo es am nötigsten ist, und der Ausstieg aus den Fossilen wird verlangsamt, weil so getan wird, als würde ein Ausgleich durch CO2-Handel reichen können statt einer CO2-Bepreisung als Marktmechanismus. Im Netto-Null Konzept wird auch keine Verantwortung für Gesundheitswesen (z.B. 2018 gab es 8.7 Mio Tode durch Luftverschmutzung durch fossile Brennstoffe) und Umweltgerechtigkeit (People of Colour und Arme bekommen am meisten Schäden ab) übernommen. Es wird durch Lobbyarbeit die Förderung alternativer innovativer Technologien erstickt.

Buck fragt sich, ob die Netto-Null nicht eine kollektive Täuschung, ist ein Fetisch einer von Vermessung und Quantifizierung bestimmten Welt. Buck schlägt statt “Netto-Null” “Phaseout of fossil fuels” (Ausstieg aus fossilen Brennstoffen) als Diskursbegriff vor, für den komplexen Tanz zwischen Abschaffung von fossilen Brennstoffen und Förderung und Aufstockung alternativer Energieformen und CO2-Sequestrierung. Und es geht Buck dabei auch um eine Neuausbalancierung von Macht. Sie zieht Studien heran, die zeigen wie die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern korrupten und autoritäre Regimen nutzt und der planvollen Ausstieg aus Fossilen kann für Buck auch zur Verhinderung geopolitischen Konflikten um Ölreserven oder Gas-Pipelines beitragen. Risiken sieht sie bei Unterversorgung von Communities durch steigende Preise oder Kapazitätsreduzierungen, was zu politischen Konflikten und Destabilisierung von Staaten führen kann. Oder auch ein “pump and panic”, bei dem Konzerne vor Einschränkung des Marktes noch mal möglichst viel Kapital aus den Vorkommen schlagen wollen.

Buck ist deswegen die Perspektive wichtig, dass der Ausstieg nicht nur ein Problem ist, sondern verschiedene Probleme. Deswegen bringt sie im zweiten Teil dann fünf verschiedene Linsen, durch die ein planvoller Ausstieg aus den Fossilen zu betrachten wäre

1. Kultur

Da gehts darum, wie zentral Öl für das 20. Jahrhundert war, wie es für Freiheit und endloses Wachstum stand, für individualisierte Macht usw. Das geht bis tief in die Sprache und hat eine Kultur geschaffen, die mies darin ist, Dinge zu beenden und das nicht als Versagen zu sehen. Es gibt auch eine Kultur der “Petronostalgie”, für die neue autoritäre Bewegungen stehen, und die Nähe von Frauenfeindlichkeit und Klimaleugnung wird mit dem Begriff “Petro-Maskulinität” gefasst. Buck stellt sich da die Frage, wie sich da durchdringen lässt und sieht eine Möglichkeit darin, die Klimabewegung in einen Dialog mit politischen Post-Arbeit oder Anti-Arbeit-Traditionen zu bringen. Wenn fossile Brennstoffe nicht mehr für solide Jobs stehen, fallen ein Haufen Argumente weg. Und die Anti-Arbeit-Bewegungen könnten dem Umweltaktivismus helfen, nicht mehr nur für Verzichtskultur zu stehen, sondern eine alternative politische Vision der Freude und des Genusses herzustellen.

Buck sieht die ganze Kultur der Innovation eigentlich als eine der konstanten Sorge darum, zurückgelassen zu werden: Es ist eine Rhetorik der Angst verkleidet in eine Sprache des Optimismus. Das Problem an diesem Innovationsmindset ist auch, dass es zu einer Abwertung von Instandhaltung und Pflege, geführt hat, mit desaströsen Ergebnissen. Dagegen sieht sie es als nötig, eine Kultur des Planens zu setzen. Da geht sie kurz auf die russische Planwirtschaft des 19. Jahrhunderts ein: Dass es kein schrittweises Ausrollen einer Strategie war, den Markt zu ersetzen, sondern dass da stückweise etwas, oft in Reaktion auf Zusammenbrüche, angegangen wurde. Die logistischen und buchhalterischen Prozesse des wirtschaftlichen Planens, die da geschaffen wurden, wie der 5-Jahres-Plan, wurden von kapitalistischen Konzernen adaptiert und werden bis heute verwendet. Das sozialistische Planen wurde in den 1930ern und Vierzigern zu einer breiteren Idee, die Gesundheit, Wohnen, soziale Sicherheit, Stadtplanung und wirtschaftliches Planen umfasste. Das änderte sich, als nach dem 2. Weltkrieg das wissenschaftliche, rationale Planen aufkam. Es entwickelte sich zu einem Mashup regionaler Planung, in dem es um Landnutzung, Wohnraum, Verkehr, Umwelt- und Entwicklungsplanung ging, aber wirtschaftliche Planung rausfiel. Neoliberalismus trieb das dann noch weiter: In den 1980ern ging es darum, Planwirtschaft zu liberalisieren, quasi den Markt zu befreien und zu einer Marktwirtschaft zu gelangen.

Die Gegenkultur der 68er half hier mit: Die Kultur des Planens wurde als zu technokratisch, elitär, zentralisiert und bürokratisch betrachtet. Bis heute wird Planwirtschaft mit einer diffusen Angst vor totalitärer Herrschaft und dem Verlust individueller Freiheit verbunden, obwohl demokratisches Planen natürlich möglich ist. Das braucht allerdings nicht nur eine technokratische Reform, sondern eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Beziehungen und Strukturen. Buck sieht die Möglichkeit, dass der Green New Deal könnte so ein Framework werden könnte: Ein Planungsregime, das öffentliche Ausgaben ebenso beinhaltet wie einen Fokus auf Machtstrukturen und die Situation Marginalisierter. Um den nötigen kulturellen Umbruch hinzubekommen, braucht es auch den Beitrag von Erziehung, Medien und Kunst, die Planen zu etwas Coolem machen können, ein “Mainstreaming” des Planens quasi. Und es müssen Institutionen für demokratisches Planen geschaffen werden, um Teilnahme oder Delegation zu ermöglichen, jenseits von McKinsey Beratung und Black-Box Plattformen.

2. Geopolitik

Um die Geopolitik des Ausstiegs aus fossilen Brennstoffen zu verstehen, müssen wir verstehen, wer auf Öl angewiesen ist und wer die Fähigkeit hat, auf andere Energiequellen umzusteigen. Es sind gerade einige der am wenigsten entwickelten Länder der Welt, die derzeit planen, die Fossilen als Hebel für ihre wirtschaftliche Entwicklung einzusetzen und auszubauen, weil sie ihre Exporte noch nicht diversifiziert haben. Dazu brauchen sie die Technologie und Finanzierung der großen internationalen Ölfirmen. Es könnte dadurch zu einer Situation kommen, in der der globale Norden nachbegrünt und sich für die Netto-Null feiert, während in der ärmeren Hälfte der Welt weiterhin massiv in die Ölindustrie gepumpt wird. Buck führt hier einiges zu den Besonderheiten US-amerikanischer, saudi-arabischer und russischer Wirtschafts- und Energiepolitik aus, und zu den Schwierigkeiten eines fairen Umstiegs. Ghana zum Beispiel ist ebenso auf die Ölindustrie fixiert wie Russland oder Saudiarabien, aber ist so winzig, dass es sinnvoll sein könnte, es um der Klimagerechtigkeit willen erst mal weiterproduzieren zu lassen, währen es bei den großen Staaten ein echtes Problem darstellen würde. Für Länder des armen Südens wie Nigeria gibt es Diskussionen um einen Schulden-Klima-Austausch: eine Kompensation, die angemesssen ist, weil der Norden das Problem ja zum Hauptteil verursacht.

Es zeigt sich, so Buck, dass der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen eine globale Anstrengung mit lokalen Nuancen sein muss. Es braucht detaillierte, ortsspezifische, gerechtigkeitsbewusste Planungen, die zusammen mit lokalen Expert*innen und Gemeinden diese Diskussion aufs nächste Level heben. Buck fordert, dass unser westlicher Klimaaktivismus sich stärker mit der Außenpolitik unserer Länder befassen muss. Da ist noch vieles in Sachen Wissen, Vernetzung und Solidarität nachzuholen. Und wir sollten lauter fordern, dass die reichen Länder die Transition zu sauberer Energie rund um die Welt mittragen, nicht nur in ihrer Nachbarschaft. Der Blick durch die Linse der internationalen Beziehungen gibt uns die Fähigkeit von einer lokalen gerechten Umstellung zu einer globalen zu gelangen.

Was bringt uns dieser Blick durch die kulturelle Linse auf das Problem? Empathie und einen Blick für Techniken für Transformation vor und über Regulierungen hinaus.

3. Infrastruktur

Der geplante Ausstieg sollte auch durch die Brille der Infrastruktur gesehen werden. Damit zum Beispiel Windenergie einen wirklich maßgeblichen Teil zur Energiegewinnung beiträgt, braucht es verdammt viel Landfläche für die Turbinen. Wäre es da nicht doch sinnvoller, die alten Kraftwerke weiterlaufen zu lassen und für einen Emissionsausgleich zu sorgen? Natürlich nicht, denn das würde nicht reichen, um die angestrebten Klimaziele zu erreichen, aber: es klingt so gut. Umgekehrt wird das Ausrangieren der alten Infrastruktur gern als ein “Erleiden” beschrieben, als wäre nicht schon das Errichten davon im Wissen um die Klimalage ein Fehler gewesen: Es wird von “vorzeitigem” Schließen geredet und von “gestrandeten” oder “verlorenen” Kapitalanlagen.

Sehen wir uns die Infrastruktur der fossilen Brennstoff-Industrie mal genauer an, gibt es drei Teile: Vorgelagerte Aktivitäten wie Erforschung und Extraktion, alles was mit den Reserven unter der Erde zu tun hat. Dann gibt’s Transport, wozu Pipelines, Zugstrecken, Schiffe usw gehören. Und es gibt die nachgelagerten Operationen wie Ölverarbeitung, Distribution wie an Tankstellen und Kraftwerke. Dank dem Niedergang der US Stahlindustrie in den 1970er und 80ern, und weil schon so viele Kraftwerke wegen Überalterung schließen mussten, gibt es schon genug Wissen über so eine große Deindustrialisierung und es lässt sich planvoll vorgehen statt einfach blindlings in Negativfolgen hinein zu laufen. Um Verzögerungen vorzubeugen, sollten alle beteiligten Interessengruppen gemeinsam einen Schließungsplan erarbeiten, der Punkte wie Finanzierung und Ersatzenergie, Auszahlung von Anleihen, einen Übergangsplan für Arbeiter*innen, und Kompensation für die allgemeine Öffentlichkeit enthält. Ein Ausstieg ohne dass viele Schaden nehmen, muss gut geplant sein.

Als unterliegende Frage zieht sich durch, wer für einen Fehler zahlen sollte. Wenn wir nach kapitalistischer Logik entscheiden, sollten die Konzerne, die in vollem Wissen schlechte Entscheidungen getroffen haben, einfach hängengelassen werden. In anderen Bereichen schützen wir solche Firmen ja auch nicht. Warum sollten fossile Brennstoffe etwas Besonderes sein? Egal, wie wir diese Frage aber beantworten: Klar sollte sein, dass unser Fokus darauf liegen sollte, Menschen vor den schlechten Entscheidungen zu schützen, die Unternehmensleitungen treffen. Und wenn wir sie eh schon finanziell retten müssen, dann doch bitteschön lieber früher als später, wenn noch mehr Klimaschaden erfolgt ist.

Buck stellt auch fest, dass es interessant ist, dass anzunehmen wäre, das ein Thema wie Infrastruktur sehr klinisch betrachtet werden könnte, aber tatsächlich in diesem Diskurs eine sehr emotionale Sprache geführt wird und die Zuhörenden immer wieder zu einer Identifikation mit der Infrastruktur gebracht werden sollen: Kraftwerke und ihre Besitzer sind darin die Sympathieträger statt die Leute, die geliebte Menschen an Luftverschmutzung durch fossile Brennstoffe verloren haben und noch mal: Das waren zum Beispiel allein 2018 8.7 Millionen Tote. Auf der anderen Seite sollte der Ton aber natürlich auch nicht zu jubelnd oder zu klinisch kalt ausfallen, da die Schicksale ganzer Gemeinden an solchen Unternehmen hängen. Insgesamt lässt uns die Betrachung des Problems durch die Linse der Infrastruktur einen räumlichen Blick dafür gewinnen, mit Bezug zu den menschlichen Geographien von Arbeiter*innen und Ökonomien.

3. Geopolitik

Um die Geopolitik des Ausstiegs aus fossilen Brennstoffen zu verstehen, müssen wir verstehen, wer auf Öl angewiesen ist und wer die Fähigkeit hat, auf andere Energiequellen umzusteigen. Es sind gerade einige der am wenigsten entwickelten Länder der Welt, die derzeit planen, die Fossilen als Hebel für ihre wirtschaftliche Entwicklung einzusetzen und auszubauen, weil sie ihre Exporte noch nicht diversifiziert haben. Dazu brauchen sie die Technologie und Finanzierung der großen internationalen Ölfirmen. Es könnte dadurch zu einer Situation kommen, in der der globale Norden nachbegrünt und sich für die Netto-Null feiert, während in der ärmeren Hälfte der Welt weiterhin massiv in die Ölindustrie gepumpt wird. Buck führt hier einiges zu den Besonderheiten US-amerikanischer, saudi-arabischer und russischer Wirtschafts- und Energiepolitik aus, und zu den Schwierigkeiten eines fairen Umstiegs. Ghana zum Beispiel ist ebenso auf die Ölindustrie fixiert wie Russland oder Saudiarabien, aber ist so winzig, dass es sinnvoll sein könnte, es um der Klimagerechtigkeit willen erst mal weiterproduzieren zu lassen, währen es bei den großen Staaten ein echtes Problem darstellen würde. Für Länder des armen Südens wie Nigeria gibt es Diskussionen um einen Schulden-Klima-Austausch: eine Kompensation, die angemesssen ist, weil der Norden das Problem ja zum Hauptteil verursacht.

Es zeigt sich, so Buck, dass der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen eine globale Anstrengung mit lokalen Nuancen sein muss. Es braucht detaillierte, ortsspezifische, gerechtigkeitsbewusste Planungen, die zusammen mit lokalen Expert*innen und Gemeinden diese Diskussion aufs nächste Level heben. Buck fordert, dass unser westlicher Klimaaktivismus sich stärker mit der Außenpolitik unserer Länder befassen muss. Da ist noch vieles in Sachen Wissen, Vernetzung und Solidarität nachzuholen. Und wir sollten lauter fordern, dass die reichen Länder die Transition zu sauberer Energie rund um die Welt mittragen, nicht nur in ihrer Nachbarschaft. Der Blick durch die Linse der internationalen Beziehungen gibt uns die Fähigkeit von einer lokalen gerechten Umstellung zu einer globalen zu gelangen.

4. Code

Im nächsten Abschnitt richtet Holly Jean Buck unseren Blick auf Beziehungen zwischen Digitalität und dem Ausstieg aus fossilen Brennstoffen. Visionen von der Netto-Null hängen daran, eine Art von planetarem Computer herzustellen. Das wird selten explizit so gesagt, aber ist eigentlich klar, denn irgendwie muss ja mit Emissionsmessungen usw. berechnet werden, wann ein Netto-Null-Status erreicht wird und die großen Plattformen dürften alle heiß darauf sein, dabei zu sein.

Helle Köpfe von Harvard, MIT, DeepMind, Google AI, Microsoft Research und anderen haben sich schon für ein Paper mit 111 Punkten zusammengetan, um festzuhalten, wie sich der Klimawandel mit Machine Learning bekämpfen ließe, z.B. kann Machine Learning intelligente Netzwerke ermöglichen, Vorrat und Bedarf vorhersagen, um bestimmen zu helfen, was für Energiekraftwerke gebaut werden sollten, Wetter in die Planung von Erneuerbaren einberechnen, Speicherplätze für Kohlenstoff identifizieren und managen, Satelliten dazu verwenden Emissionen zu messen, geteilte Mobilitäts-Services ermöglichen, Frachtrouting und Logistik, das Heizen und Kühlen industrieller Einrichtungen optimieren, präzise Landwirtschaft antreiben, Wiederbewaldung automatisieren, Kohlenstoffpreise vorhersagen und Kohlenstoffmärkte designen helfen und vieles mehr. Buck findet das eigentlich Interessante an dem Papier, wie unterentwickelt viele der Ideen erscheinen: Viele sind eher spekulativ als dass sie Entwicklungen beschreiben, die schon Fuß gefasst haben. Den Grund für die Unausgereiftheit der Technologien sieht sie nicht in deren Unmöglichkeit, sondern darin, dass derzeit kein offensichtlicher Profit aus dem Monitoring der Erde und der Kohlenstoffflüsse zu schlagen ist. Aber das ändert sich langsam, das Interesse des Venturekapitals steigt inzwischen massiv.

Bevor diese Infrastruktur designed wird, sollte allerdings beantwortet werden, was für Daten oder Kapital die Plattformen unterwegs extrahieren sollen. Wer ist das Subjekt bei der Kohlenstoffplattform, welche Beziehungen stellt sie her oder löst sie auf? Derzeit sind unsere Online-Netzwerke auf einem System von personalisierter Werbung aufgebaut, beruhen auf einem mentalen Modell aus der Finanzwelt. Wir sollten es nicht zulassen, dass die Kohlenstoffflüsse so beobachtet und gehandelt werden wie unsere Aufmerksamkeit jetzt. Es kann gut passieren, dass Microsoft oder Google die ersten Startups für ökologisches Sensing und Modeling aufkaufen und es damit endet, dass diesen Konzernen die ganze Infrastruktur gehört. Für eine bessere Alternative verweist Buck auf Benjamin Brattons The Terraforming, das wir auch schon in unserer Radical Utopias Reihe diskutiert haben. Wir brauchen das planeten-weite Computing und ökologische Messungen, aber wir brauchen sie in öffentlicher Hand und müssen sie auf öffentliche Ziele richten.

Ebenso wahrscheinlich ist allerdings, dass sich Big Tech und Big Oil zusammenschließen. Microsoft hat schon Interesse gezeigt und Geld investiert, um Kohlstoffmanagement und Emissionmärkte zu erschließen, und es will bis 2030 kohlenstoffnegativ sein, aber gleichzeitig stellt Big Tech genau die Infrastruktur, die Ölkonzernen hilft, ihr Geschäft effizienter zu verrichten. Aber es bedarf fähiger Plattformen für den Austausch von Emissionen und Kohlenstoffentfernung, und es ist schwer vorstellbar, dass Amazon, Google und Microsoft da nicht dabei wären. Und es ist ja auch fantastisch, dass mit Infrastruktur wie der von Amazon als Planungswerkzeug heutzutage eine demokratisierte Planwirtschaft tatsächlich vorstellbar ist.

Durch die Linse von Code über unser Problem, wie wir die fossilen Brennstoffe abschaffen können, zu blicken, ermöglicht uns darüber nachzudenken, wie Technologie hilft, das zu verwalten, was auf der anderen Seite der Abschaffung sein könnte. Die Infrastruktur der Fossilindustrie durch Datenzentren ersetzt Arbeiter*innen, die in die Wissensökonomie wechseln. Aber es könnte alles auch entsetzlich werden, wenn wir uns angucken, wie in der Vergangenheit Big Tech und Big Oil schon verflochten sind, denn es bleibt klar: Wir brauchen die Technologie, aber sie muss reguliert werden. Die Frage, wie das geschehen soll, und ob das Überführen in die öffentliche Hand machbar und effektiv sein kann, muss ernsthaft als Option geprüft werden und braucht ebenfalls einen gut geplanten Ausstieg.

5. Politische Macht

Im letzten Abschnitt dieses Teils geht Holly Jean Buck darauf ein, wie wir die politische Macht erringen können, die es braucht, um den Ausstieg aus den Fossilen zu forcieren. Es reicht nicht, unser Meinung kundzutun und es reicht nicht, wenn Regierungen erst in Krisenmomenten reagieren, sondern für einen planvollen sozial gerechten Ausstieg braucht es Planung und um zu den Manager*innen des Ausstiegs zu werden, muss politische Macht errungen werden. Dazu geht sie auf drei Beispiele ein, aus denen wir lernen und Mut schöpfen können: Plastik, giftige Chemikalien und Tabak, die alle drei bis zu einem gewissen Grad erfolgreich eingedämmt wurden.

Die Abschaffung der Plastikbeutel zeigt, wie weit es eine Bewegung von unten mit vielen lokalen Ursprüngen statt einer großen transnationalen Kampagne bringen kann. Fragen, wie die danach, was als Ersatz sinnvoll ist, oder dass der Fokus auf einzelne Produkte wie bei der Abschaffung von Strohhalmen vom größeren Problem ablenken können, sind auch für die Abschaffung der fossilen Brennstoffe wichtig. Die Lektion aus der Abschaffung von FCKW ist, dass öffentliche Meinung und große langanhaltende Verhandlungen Wirkung zeigten, ebenso wie das öffentliche Anerkennen der wissenschaftlichen Fakten dazu und das Zusammenwirken informeller Netzwerke für die Verhandlungen. Beim dritten Beispiel, Tabak, gab es wie bei den fossilen Brennstoffen eine Debatte, ob es eine komplette Abschaffung oder Kontrolle des Wann, Wo und Wie der Verwendung geben sollte.

Interessant ist, dass alle Beispiele mindestens zehn Jahre früher Arbeit brauchten, bevor sie überhaupt ernstgenommen wurden, und dass ein Aufmerksamkeitshöhepunkt und der Punkt, an dem sich eine neue kulturelle Norm herausbildet, noch nicht mit Erfolg verwechselt werden darf. Gerade da braucht es noch mal eine große Kraftanstrengung.

Es sollten auch die Unterschiede bedacht werden, zum Beispiel dass über fossile Brennstoffe schon viel diskutiert wird und neben der Industrie auch ein Dialog mit dem Klimawandel-Komplex der Think Tanks, Nachhaltigkeitsindustrie, NGOs usw. nötig ist, die schon an Regulierungen rund um Netto-Null arbeiten.
Ein weiterer Punkt in Sachen politische Macht ist die Kluft zwischen Stadt und Land, die Buck als nächstes anspricht. Wie lassen sich die Menschen in ländlichen Gegenden überzeugen, die gar nicht einsehen, warum sie Windräder auf ihre Felder stellen sollten, die dann einer Elite von Städtern zu gute kommen? Buck greift hier Xiaowei Wangs Konzept der “Metronormativität” auf, um klarzustellen, dass wir das Verständnis von der Stadt als Kern und dem Land als Peripherie oder bloßes Anhängsel aufbrechen müssen, da dies in ländlichen Regionen oft einen dunklen Populismus schürt. Ein Green New Deal, der auch tatsächlich den ländlichen Gegenden zugute kommt, wäre eine verbindende Perspektive, ebenso wie ein anti-monopolistischer Ansatz, der sich gegen die große Industrie stellt.

Der Blick auf das Problem des fossilen Ausstiegs durch die Linse der politischen Macht gibt uns ein Gespür dafür, was an organisatorischer Arbeit nötig ist, und weitere Themen an die Hand. Wir brauchen einen Ansatz, der all diese Fronten vorantreibt: die Infrastruktur, die kulturelle Veränderung, die Geopolitik, den Code und die politische Macht von unten.

Im dritten Teil des Buchs versucht Buck eine “Ausstiegs-Toolbox für die 2020er” zu entwerfen. Wie könnten konkrete Schritte zur Beendigung der Nutzung fossiler Energieträger aussehen? Holly Jean Buck ist sich sicher, dass es sehr unterschiedliche, große und kleine Maßnahmen sein werden. Doch was ist dazu nötig? Braucht es Militanz, wie etwa der Aktivist und Soziologe Andreas Malm argumentiert? Schließlich war diese auch nötig in den Kämpfen gegen Versklavung, in der Bürgerrechtsbewegung der USA oder beim Kampf der Suffragetten um Gleichberechtigung.

Auch wenn sie Aktivismus essenziell findet im Vorgehen gegen den Klimawandel um politische Möglichkeiten zu schaffen, konzentriert sich Buck bei ihrer “Toolbox” auf Ideen, die durch Regierungsprogramme, Gesetze oder wirtschaftliche Anreizprogramme umgesetzt werden können und liefert keine aktivistische Toolbox. Sie zitiert The Red Nation: “Wir ‘machen’ nicht nur Revolution, sie muss hergestellt werden. Sie muss organisiert werden. Es kein fortdauernder Aufstand auf den Straßen sein.” Buck geht es darum, was einen Aufstand begleiten muss: Die planvolle bedachte Organisation dessen, wohin wir wollen. Sie nennt fünf Punkte, die sie in eine grobe Reihenfolge bringt, in der sie sich gegenseitig am wirkungsvollsten verstärken könnten.

1. Moratorien, Verbote und Verweigerung der Finanzierung

Es braucht Abkommen und Gesetze um den Fossil-Ausstieg voranzutreiben. Buck ist für Verbote der Erkundung von Vorkommen, des Abbaus und der Förderung sowie des Exports dieser. Ein Verbot der Erkundung von Öl- und Gasvorkommen wäre ein guter Start, da es ein starkes Signal aussendet. Ein Moratorium der Förderung ist ein drastischerer Schritt, immerhin haben diesen aber einige Länder bereits durchgesetzt, z. B. Frankreich, Belize und Costa Rica. Ein Verbot zur Weiterverarbeitung gibt es bisher nur auf lokaler Ebene, in den USA z. B. im Staat New York. Immerhin laufen international bereits 106 Moratorien in 22 Staaten, was schon mal widerlegt, dass sie unmöglich wären. Auf länderübergreifender Ebene wird es schwieriger, daher ist es notwendig, klare Regelungen zu schaffen, denen auch transnationale Konzerne unterliegen. Bisher mangelt es an diesen.

2. Zuschüsse einstellen

Durchschnittlich fördern Regierungen die Fossilbrennstoffindustrie doppelt so stark wie die erneuerbaren Energien. Das muss sich schnell ändern. Doch die Politik tut sich schwer damit, schließlich möchte kaum eine Regierung die unpopuläre Entscheidung für höhere Energiepreise fällen. Diese Förderung passiert häufig auf Arten, die nicht sofort erkennbar sind, z.B. durch Steuernachlässe oder die günstige Überlassung von Landflächen. Daran etwas zu ändern wäre nicht nur für das Klima gut, viele dieser mehr oder weniger versteckten Fördermaßnahmen sind auch sozial ungerecht oder schaffen Wettbewerbsvorteile für große Firmen.

Das Gegenargument, die Reform der Förderung würde dem freien Markt huldigen, lässt Holly Jean Buck nicht gelten. Organisationen wie das Internationale Institut für nachhaltige Entwicklung haben längst Pläne entwickelt, wie eine sozial gerechte Umstrukturierung aussehen könnte.

3. Erlaubnis zur Gewinnung

Buck gibt zu, dass es ab diesem Punkt komplizierter wird. Es ist nötig, die Gewinnung und Produktion herunterzufahren, aber wie? Die meisten bisherigen Abkommen berücksichtigen nur die Emissionen. Eine Möglichkeit, die Produktion finanziell uninteressanter zu machen, wäre eine höhere Besteuerung, doch besteht hier immer die Gefahr, dass Energie teurer wird und die soziale Ungerechtigkeit steigt.

Sinnvoller wäre es, die Gewinnung von fossilen Energieträgern an eine Erlaubnis zu binden, die nicht endlos oft ausgestellt werden kann. Somit könnte eine Gesamtfördermenge kontrolliert und Schritt für Schritt eingeschränkt werden. Regelungen dieser Art gibt es bereits, z. B. seit Ende des 19. Jahrhunderts in Texas. Dort bestimmen gewählte Gremien, wo Öl oder Gas gefördert werden darf. Bisher wird dieses Instrument der Förderquoten nicht unter Klimagesichtspunkten eingesetzt, aber dies ließe sich ändern. Bei Grundnahrungsmitteln wie z. B. Rohzucker, Milch oder Butter sind hierzu längst Verfahren installiert, sie sorgen für Preisstabilität und regulieren die landwirtschaftlichen Ressourcen. Für das Instrument der Quotierung bräuchte es jedenfalls transparente Regeln und Vergabeverfahren, um Korruption zu verhindern.

Eine Quotierung der Produktion auf internationaler Ebene könnte etwas ermöglichen, was nicht nur Holly Jean Buck, sondern auch andere Denker*innen zum Thema Klima immer wieder andenken: eine durch AI gestützte, detailliert Überwachung der Produktion klimaschädlicher Güter.

4. Vergesellschaftung zum Ausstieg

Für wesentlich effizienter hält die Autorin allerdings die Vergesellschaftung der Energiekonzerne, so ließen sich auch Quotierungen leichter umsetzen. Den Ruf danach gab es vermehrt nach der Finanzkrise 2008, als die Regierungen weltweit Geld druckten um die Banken und damit auch die Konzerne zu retten. In der Coronakrise sind diese Rufe wieder lauter geworden, war durch den zwischenzeitlich stark gesunkenen Ölpreis die Branche doch stark angeschlagen.

Historisch gesehen, sind staatliche Eingriffe und Vergesellschaftungen keine Seltenheit, selbst in den USA. Beispiele sind die Zerschlagung des riesigen Rockefeller-Ölimperiums, die Verstaatlichung der Eisenbahnen sowie Eingriffe während der Weltwirtschaftskrise und auch 2008 und 2009 nach der Finanzkrise. Viele dieser Vergesellschaftungen waren temporär, in der Klimakrise müssten sie dauerhaft sein. Für besonders sinnvoll erachtet Buck nach einer staatlichen Übernahme die Schaffung eines Solarenergie-Fonds, mit dessen Hilfe dann ein staatliches Programm für erneuerbare Energien direkt in die Tat umgesetzt werden könnte.

Natürlich ist das Prinzip der Verstaatlichung nicht frei von Risiken. Was passiert z. B., wenn ein reaktionärer, den Klimawandel leugnender Präsident wie Trump gewählt wird? Bei einer Übernahme müsste also ein bindendes Ausstiegsabkommen aus der fossilen Energiegewinnung unterzeichnet werden, um eine Reprivatisierung zu verhindern. Bezahlbar wäre es durchaus: eine Untersuchung stellte 2017 fest, dass die 25 größten Öl- und Gasfirmen der USA 1,15 Billionen Dollar kosten würden. Die Kriege im Irak und Afghanistan kosteten geschätzt zusammen 4 bis 7 Billionen Dollar – und wurden ja auch finanziert. Wenn man dazu bedenkt, wieviel Geld aufgebracht werden wird, um in der Zukunft durch das Klima verursachte Schäden zu reparieren, wird die Idee immer attraktiver. Eine arbeiter*innen-zentrierte CO2-Removal-Industrie in öffentlicher Hand ist eine dringendes politisches Projekt.

5. Reverse Engineering

Der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen könnte die zugehörige Industrie irgendwann überflüssig machen. Holly Jean Buck sieht da aber eine Chance: Wenn die Konzerne nicht mehr ihrer ursprünglichen Aufgabe nachgehen können, sind sie trotzdem technologisch und personell in der Lage, an der Aufhaltung des Klimawandels mitzuwirken. Geologische Forschung, Tiefenbohrungen, Pipelines, Großlager, Tankschiffe: die Öl- und Gasindustrie unterhält eine riesige Infrastruktur, die für die Einlagerung von CO2 genutzt werden könnte. In Bereichen wie der CO2-Filterung aus der Luft entsteht eine neue Art Verwertungskette, die in großem Maßstab geplant und umgesetzt werden muss, auch dies wäre möglich. Das Schlagwort hierfür wäre “Reverse Engineering”.
Doch ohne Vergesellschaftung wäre dies nicht machbar, denn für einen Umbau bräuchte es enorme staatliche Unterstützung, die in privater Hand in dieser Form nicht passieren würde. Zugleich könnte die Allgemeinheit von den Einnahmen dieser verstaatlichten Konzerne profitieren, wenn die Umstellung gelungen ist. Es geht also, so Buck, nicht um Moleküle, die aus dem Boden gewonnen oder dort belassen werden, auch nicht darum, solche Konzerne zu zerschlagen – im Gegenteil, wir brauchen sie. Stattdessen geht es grundlegend um die Gestaltung unserer gesellschaftlichen Beziehungen, einer demokratischeren Verwaltung.

Im abschließenden Resümée ist sich Holly Jean Buck sicher, dass wir in diesem Jahrzehnt nicht die Lösung gegen den Klimawandel finden werden – aber es müssen wichtige Weichen gestellt und die Planungen vorangetrieben werden. Dazu müssen wir auch eine neue Art finden, über diese Prozesse nachzudenken und zu sprechen. Wir müssen Konzepte der Vergesellschaftung vorantreiben, die nötige Infrastruktur für die anstehenden Aufgaben erforschen und die Rolle von Energiekonzernen überdenken. In all diesen Prozessen ist das Konzept der “Netto-Null” wenig hilfreich, trifft es doch keine Aussage über kulturelle, wirtschaftliche und soziale Veränderungen, die dringend nötig sind. Die technischen Maßnahmen, mit denen wir dem Klimawandel begegnen können, sind nur da, um uns Zeit zu geben, tiefere Veränderungen vorzunehmen und dabei unseren Umgang mit Rohstoffen, Natur und Arbeit neu zu definieren.

Holly Jean Buck gibt uns hierfür fünf Ideen mit auf den Weg, die wir in unserem Umfeld diskutieren sollten:

1. Die Netto-Null ist das falsche Ziel für den Klimakampf, sie lenkt die Aufmerksamkeit weg von der Produktion, hin zu den Emissionen. Besser wäre es, die Gewinnung von fossilen Brennstoffen möglichst schnell und gut geplant auslaufen zu lassen.

2. Plattformmacht ist eine Macht für Veränderung. Das System der sozialen Medien, wie es jetzt angelegt ist, führt zu Polarisierung und macht uns anfällig für kollektive Täuschungen. Soziale Medien sind aber eine wichtige Informationsinfrastruktur und sollten deshalb vergesellschaftet werden.

3. Klimaschützer*innen müssen vorausschauender denken, um den Ausstieg aus den Fossilen und die Schaffung sauberer Energie-Infrastruktur zu planen. Sie müssen Entwicklungen wie die Entzauberung von erneuerbaren Energien oder Kampagnen für “saubere” fossile Brennstoffe vorhersehen und ihnen offensiv begegnen.

4. Es gibt große Risiken beim Auslaufenlassen fossiler Brennstoffe, aber die Vorteile überwiegen. Es muss offensiv über autoritäre Politik, Korruption, Ausbeutung und Unterdrückung gesprochen werden, die durch fossile Brennstoffe entstehen.

5. An das Auslaufenlassen muss multidimensional herangegangen werden. Kulturelle Transformationsprozesse müssen mitgedacht werden, globale und lokale Auswirkungen müssen gleichzeitig betrachtet werden. Eine demokratische Planung ist nötig, die von den fossilen Energieträgern auch auf andere Bereiche übertragen werden kann, in denen Menschen und Umwelt ebenfalls Schaden nehmen. Die Fähigkeit, Dinge zu beenden, ist zutiefst emanzipatorisch.

Wenn die Worte versiegen

Wahrscheinlich kennen alle, die schreiben, verschiedenste Formen von Blockaden. Du setzt dich mit einer groben Idee hin, willst das tippen anfangen, und – peng! Nada.

Sonst läuft es so: Ich habe eine grobe Idee, tipp die hin, knüpf in einem Flow verschiedene Gedanken, bis ich mich verrenne, das werf ich als loses Machwerk aus Maschen und Knoten aus, grobmaschig hin getippt in einen, in einem wilden Fluss. In diesem Netz trenne ich dann wieder Verbindungen, knote sie an anderen Stellen fest, verhedere mich, entknote, komme bei was ganz anderem raus, als worauf ich zielte, ich ändere und überschreibe, bis die Sprache halbwegs sortiert und übersetzt hat, was in meinen Gedanken vor sich geht: bis sie klingt.

Es ist ein wunderschönes Gefühl, ein kleines manisches High, in so einem wachsenden Text herum zu tasten, bis ich ihm entringen kann, was er von mir, was ich von ihm will. Umso frustrierender ist, wenn die damit verbundene Leichtigkeit nicht eintritt, einfach nichts gelingt. Wenn ich den ersten Satz tippe und nicht die gewohnte Welle an Worten und Gedanken kommt, sondern mein Text nach ihnen schnappend verendet wie ein Fisch an Land. (Okay, pardon the Bildersprache, mag sein, dass ich die letzten Abende zuviel in Red Dead R2 geangelt habe.)

Besonders schmerzt dieses Versagen, wenn es Themen und Kontexte sind, die ich für Menschen oder Publikationen schreibe, an denen mir liegt, und nicht nur für meinen Blog, sprich: wenn ich für und vor anderen scheitere. Aus einer aktuellen solchen Situation heraus schreibe ich jetzt stattdessen wenigstens diesen Text übers Schreibversagen.

Ganz ehrlich: Es liegt auch an meiner psychischen Situation, die während der Pandemie nicht gerade besser wurde. Genau die Impulse, die ich verdrängen musste, um in dieser Zeit der Isolation, Unsicherheit und erzwungenen Untätigkeit als Veranstalter*in und DJ bzw auch Party-Konzepionierer*in nicht komplett durchzudrehen, fehlten mir oft, wenn ich etwas Kreatives anfangen wollte. Von depressiven Phasen ganz zu schweigen. Es ist jetzt wieder besser, aber ich bin noch nicht wieder ganz zurück.

Vor ein, zwei Monaten fragte nun eine Freundin, die wunderbare Subrihanna, ob ich einen Text für das Heft zu ihrer nächsten Ausstellung schreiben wolle. Sie ist Visuals-Künstlerin, die gerade auch an neuen Projekten mit Interaktion arbeitet: Sessions, in denen Musiker*innen oder DJs auf Live-Visuals und/oder ein übergeordnetes Narrativ reagieren, wie kommenden Sonntag mit “Glass Fibre Roots” im Space Between in Nürnberg:

Mich hat die Anfrage sehr gefreut und es ist ein spannendes Themenfeld, aus dem ich mir etwas hätte aussuchen können, zum Beispiel: Wie Aspekte von Live-Elementen und Aufgezeichnetem ineinandergreifen. Das für das Publikum Statische und Nichtnachvollziehbare von Laptop-Perfomances, das mit Live-Visuals gebrochen und um eine ganz andere Ebene erweitert werden kann. Oder wie die Rolle der Visualskünstler*innen oft nur als begleitendes und bestenfalls verstärkendes Eye-Candy gesehen wird, ähnlich unterschätzt wie die Rolle von Tänzern wie Bez (Happy Mondays) oder Keith Flint von The Prodigy (zu “Music For The Jilted Generation”-Zeiten war er noch kein Sänger. Und völlig unrelated: “Break & Enter” ist immer noch ihr bester Track).

Interessant wäre auch gewesen, über Authentizitätsvorstellungen nachzudenken, darüber wie sich die Einstufung von bestimmten Elementen im Live-Musikkontext als “fake” verändert hat und weiter verändert: Galt irgendwann alles, was nicht vor Ort im selben zeitlichen Kontext mit dem Publikum originär und analog gespielt wird, als unauthentisch, hat sich das im Laufe der Jahre verschoben und inzwischen sprechen sogar DJs davon, dass sie “live spielen,” wenn sie auflegen und es gibt Künstler*innen, die mit Live-Einsatz von AI spielen. Wo steht da Live-VJing? Oder auch Themen wie das Spannungsfeld zwischen Subkultur und Kreativwirtschaft, zwischen Konzertsaal und Galerie, Club und Museum, zwischen Kollektiv und Solo-Artist.

Ich hab mich einige Male dran gesetzt, mit einem guten Gefühl, aber nein: Ich bin nie über ein paar Sätze hinausgekommen, egal wie ich mir den Kopf zermarterte. Trotzdem wartete ich und wartete ich, denn: Wer weiß, ob mir im letzten Moment doch noch ein Text aus den Fingern schießt?! Aber es sollte nicht sein.

Scheitern schmerzt, und es sich selbst und anderen einzugestehen ist peinlich und fühlt sich auch nach einer vertanen Gelegenheit und enttäuschten Verbindung an. Was hätte sich da alles für Gedanken hinter der ersten groben Idee entdecken lassen? Als echte Drama Queen frage ich mich in so einer Situation natürlich auch immer, ob ich jemals wieder in einen Schreibfluss kommen werde, oder ob es das jetzt einfach war. Auch ein Grund für diesen Text hier, der so zum Ausdruck von zwei Sachen wird: Nein, das wars noch nicht mit dem Schreiben an sich, nur leider mit dem Text für deine Ausstellung: Liebste Subrihanna, es tut mir leid und mach bitte so großartig und spannend und down to earth weiter wie bisher! <3

#Männerlesen

Habe vor ein paar Wochen, als mir die 100. Analyse zu Putin/Krieg in die Timeline gespült wurde, bei einem Bekannten auf Facebook ironisch-polemisch kommentiert, in etwa: “Call me IdPol, aber ich hab heut früh beschlossen, erst wieder so’nen Text zu lesen, wenn er nicht von einem weißen Cis-Mann kommt.”

Kommentiert hab ich, weil ich zwar einerseits dankbar für die ganzen Texte bin, die ich dank meiner Timeline zu lesen bekomme, es aber andererseits mehr als auffällig ist, dass einige Männer so gut wie ausschließlich Texte von Männern teilen – ohne das irgendwie seltsam zu finden. Mich nervt, wenn die kritische Theoriebubble es nicht mal wahrnimmt, dass mit ihrem aufklärerischen Selbstverständnis irgendwas faul sein könnte, wenn sie auch im 21.Jh immer noch so ne dampfende Herrensauna ist, die anscheinend für andere wenig einladend ist zum Mitdiskutieren.

Ich sprech das immer wieder mal an, denn Ausschlussmechanismen zu benennen und sichtbar zu machen ist weiterhin unangenehme Aufgabe derer, die ausgeschlossen werden. Diese Kritik als Identitätspolitik abzutun ist einer dieser Ausschlussmechanismen. Und absurd: Ich kritisiere die identitätsbasierte Bubblehaftigkeit und meine Forderung danach, sie aufzubrechen wird als identitätspolitisch kritisiert?

Ich glaube nicht an das, was gemeinhin als identitäspolitisch kritisiert wird: an geschlechter-essentialistische oder neoliberal-feministische Weltverbesserung, also: dass alles automatisch besser liefe, wenn nicht mehr nur weiße Cis-Männer am Tisch säßen. Aber es ist der Standardvorwurf, der dir heute entgegenschallt, wenn Männern der Ausschluss-Vorwurf nicht schmeckt.

Mir geht es bei der Kritikum ein Aufbrechen dieses uralten Kreislauf des gegenseitigen Schulterklopfens und Anerkennens, in den so viele weiße Cis-Männer nun mal so verstrickt sind, dass sie ihn nicht mal wahrzunehmen scheinen. Wie Stefanie Sargnagel mal zum Thema Frauenquote in der Kultur schrieb: “wieviele mittelmäßige männer pushen sich die ganze zeit gegenseitig? wieviele fade 0815 typen wurden da letztens schon wieder eingeladen?” Teilhabe ist der Punkt. Es geht nicht drum, dass der Diskurs automatisch besser wäre, wenn er diverser wäre.

Und kommt mir nicht mit dem Qualitätsargument, denn egal wie mittelmäßig das ist, was Männer schreiben, es finden sich immer Männer, die sie empfehlen und dieses gegenseitige Empfehlen ist wie ein geschlossener Kreislauf, der nicht so leicht zu durchbrechen ist. Es kostet Mühe. Dafür müssen sich Leute in ihrem jeweiligen Bereich etwas aktiver darum kümmern und suchen, ob es nicht andere Stimmen dazu gibt, und sich immer wieder bewusst machen: Es ist kein Zufall, dass gerade kein Text einer Frau oder eines nicht westlich geprägten oder queeren Menschen dazu kursiert, sondern es liegt an lange gewachsenen Netzwerken und Gewohnheiten und Traditionen.

Sich aktiv um Texte von solchen Anderen zu bemühen ist Arbeit, die meist an denen hängen bleibt, die, manche mehr, manche weniger, unter Ausschlussmechanismen leiden und das bedeutet: Sie opfern dafür Zeit und Arbeit, während andere sich einfach zurücklehnen. Ich merke das persönlich. Es ist Zeit, die mir fehlt, um mich um die Themen zu kümmern, die mich eigentlich interessieren und in die ich mich eigentlich tiefer einarbeiten will. Ich bin dessen auch immer wieder mal müde und will auch einfach gemütlich auf die bestehenden Kreisläufe zurückgreifen. Aber wenn dann eben wieder mal zu einem aktuellen Thema fast ausschließlich Texte von Männern weiterverbreitet werden, und das von Leuten, die sich als aufgeklärt und emanzipatorisch sehen, packt mich wieder dieser Ärger und ich überwinde mich, dass zumindest als Missstand zu kommentieren.

Ich tu das ganz gerne ironisch und scherzend, weil das oft eher ankommt und nicht gleich als Angriff verstanden wird. Das Problem an Ironie ist aber, dass sie nur für die erkennbar ist, die meine Position kennen, sowie eine Anspielung auch nur für die funktioniert, die wissen, auf was sie sich bezieht. Das ist etwas, was ich in Kauf nehme, weil mir sonst das Diskutieren und Kommentieren fad werden würde.

Was aber ein Problem ist, sind Leute, die sowas bewusst in Bad Faith Kritik eskalieren. Es ist eine uralte Propaganda-Taktik um die Position der unliebigen Seite anzweifelbar zu machen und Fronten zu verhärten. Dazu werden verschiedenste Mittel verwendet, von Strohmann-Argument über Red Herring bis zu Pseudo-Logik oder Bothsideism (Hier ist einer von vielen Texten im Netz, die das erläutern).

Es werden gezielt Aussagen gesucht, die extreme Klischees verstärken, im Fall meines Kommentars, den ich eingangs erwähnte, ist es das das Klischee der crazy woken identitätspolitischen Feministin, der ihre Achtsamkeits-Yoga-Matte-von-Feminismusverständis wichtiger ist als dass hier gerade Menschen in einem Krieg sterben. Totally lost und wohlstandsverwahrlost halt.

Es gehört zur Methode, dass Aussagen aus dem Kontext und Tonfall gezerrt und weitergeteilt werden, um anderen zu zeigen, dass was dran ist an den Klischees, und so langfristig ein Feindbild zu verhärten, keine Nuancen zuzulassen und vor allem solidarische konstruktive Diskussionen zu verhindern. Es geht dabei nicht um das Verstehen der Gegenseite, es geht nicht um Auseinandersetzung mit dem Thema, sondern um Ablenkung, um Eskalation und/oder um das Verstärken von Feindbildern.

Mein hier eingangs erwähnter Kommentar war natürlich prädestiniert dafür, weil ja auch wirklich nicht sehr konstruktiv. Ob ichs deswegen verdient habe, darauf die Entgegnung “hab Sex bitte” abzubekommen, wie ein random Mann mit ‘lustigem’ Fakenamen dann drunter kommentierte? Weiß nicht. Immerhin zivilisierter als das gute alte “du gehörst mal richtig durchgefickt,” dieses Ehrenabzeichnen jeder Frau, die sich öffentlich feministisch äußert.

Natürlich war ich neugierig, und hab, um ein bisschen Kontext zu kriegen, sein Profil angeklickt. Dort hat er ganz stolz meinen Kommentar als IdPol-Screenshot-Trophäe zum Aufheizen seiner Follower gepostet, die sich in knapp 90 Kommentaren einen drauf runterholten. Von traurigen RAD-Gestalten über Hot Takes-Journo von der Groove bis zu essentialistischen TERFs, alles dabei. Sichtlich Leute, die sich Verächtlichmachung und Freude an Eskalation zum Hobby erkoren haben.

Hab kurz überlegt, “triggered much?” drunterzuschreiben, weil es mir als so absurde Überreaktion erschien, wie sie sich da reinsteigerten, aber durch diese Art meme-hafter Kommunikation hatte das Problem ja angefangen. Deswegen schreibe ich das hier auch erst heute zu Ende. Ich hatte diesen Text schon kurz danach angefangen, aber es ist eine schmaler Grat zwischen Aufklärung und Verstärkung in unserer aufmerksamkeits-fokussierten Social Media Diskursöffentlichkeit. Vielleicht hilft es, dass jetzt ein zeitlicher Abstand dazwischen liegt, und die Edgelords mich längst vergessen haben.

Ich hatte jedenfalls schon so lange nur ziviliserten Austausch auf Social Media, dass ich ganz vergessen hatte, wie sich so ein Hetz-Post anfühlt. Auch die Verstärkung durch solche Plattformeigenheiten, wie dass du auf Facebook zentral gemeinsame Freund*innen angezeigt bekommst, kann dich in so einer Situation ganz schön runterziehen. Wider besseren Wissens fühlt es sich in solchen Momenten so an, als würden all diese schweigenden gemeinsamen Freund*innen die Meinung dessen stützen, der dich verächtlich zu machen versucht. Das ist wohl etwas, was alle berührt, die nicht komplett verroht sind.

Als ich dann auch einen Screenshot davon machen wollte, war das Profil des Users weg und ist es bis heute, ich hab grad noch mal nachgesehen. Bei so einem Edgelord ist da mein erster Gedanke, dass ihn wer wegen Fakenamen gemeldet hat, um ihn zum Schweigen zu bringen. Das wiederum ist etwas, was ich niemandem wünsche, weil Facebook halt für viele ein zentrales Kontaktmedium ist, und es sich übel anfühlen kann, wenn man da plötzlich rausgeworfen wird. Kenn ich aus eigener Erfahrung. Deswegen blocke ich lieber als zu sowas zu greifen. Ausschluss fühlt sich halt immer scheiße an, ob durch patriarchale Verhältnisse, oder ob durch eine Plattform. Und gerade bei solchen Leuten trägt sowas am End noch zur Radikalisierung bei. Oder er hatte zufällig gerade zu diesem Zeitpunkt die Nase von Facebook voll. Kann natürlich auch sein.

Anyway. Die Unmöglichmachung der Kritik an patriarchalen und rassistischen Ausschlüssen mit dem Totschlagargument, das sei identitätspolitische Wokeness, und das Aufhetzen von Netzfollowern sehe ich derzeit vor allem als neue Variante des alten Spiels, Progressive mundtot zu machen, die an traditionellen Netzwerken kratzen. Im Fall meines Posts: Sexistische Ausschlüsse werden zur Nebensache erklärt, über die zu sprechen angesichts der Hauptsache der Kriegsrealität unangebracht sei. Als würden wir nicht konstant solch große Dissonanzen aushalten und mit verschiedenen Problemen mit verschieden schweren Konsequenzen jonglieren müssen. Der Rückzug ins Zynisch-Destruktive ist für manche halt zur Form des Eskapismus geworden, den ich zwar nachvollziehen kann, aber dem ich hoffentlich nie so verfallen werde.

Und was tun mit der männlichen Dominanz in (linken) Theorietexten? Nicht müde werden, das ist das Wichtigste und Schwierigste. Nicht müde werden, das Missverhältnis anzusprechen. Im Idealfall erklärend und diskussionsoffen (außer bei Leuten, denen es sichtlich um Bad Faith Disput geht). Diese Kritik außerhalb der eigenen Wohlfühlbubble tragen. Gezielt gute Texte von anderen als den üblichen Verdächtigen suchen und weiterverbreiten, auch mal bei Multiplikator*innen drunterkommentieren. Es gibt auch Aktionen wie auf Twitter #Frauenlesen, was ein werter Ansatz war, aber es blieb dann doch arg exklusiv und ich hätte vielleicht lieber sowas wie #nichtnurweißewestlichecismännerlesenbroplz…? Manchmal wär mir auch danach, einfach immer nur bei allen, die nur Texte von Männern posten, #Männerlesen drunter zu kommentieren. Ach, ich weiß ja auch nicht.

Ich schließe mal mit einer Vortrags-Empfehlung: Julia Ingold zum Thema “Warum ich keine Männer mehr lese – eine Autopsie der Ermüdung” am 30.6.22 im Balthasar in der Reihe “Freie Uni Bamberg.” Wenns keinen Zoom-Stream geben sollte, überleg ich mir grad tatsächlich, den Ausflug dorthin zu machen.

Streit-Kräfte

Dieser Text hat heut früh eigentlich als Rant über einen Podcast angefangen, wurde jetzt aber ein bisserl mehr: Es ist auch ein raues Nachdenken darüber, wie ich gerade das online Streiten über den Krieg wahrnehme und ist so chaotisch wie halt derzeit meine Gedanken dazu sind.

Beide Konfliktparteien seien unversöhnlich, beide Seiten müssten zu Konzessionen bereit sein, Dämonisierung von Putin sei nicht hilfreich, man müsse ihm eine Brücke bauen – das ist also dieser ‘Streitkräfte und Strategien’-Podcast, den so viele empfehlen? Sorry aber: Was für ein verkürzter seltsamer Blick auf die Lage.

Die Ziele Putins werden reduziert auf geopolitische und militärische Machtlogik, kein Wort darüber, dass wir es hier mit einem völkisch-nationalistischem (Alp)Traum von einem wiederauferstehenden und upgedateten Zarenreich zu tun haben. “Völkisch” in dem Sinne, dass es auf einer wirren Idee einer überlegenen eurasischen Kultur basiert, und auch der von mir, seit ich ihn bei Holly Jean Buck gelesen habe so gerne gedroppte Begriff des “Petromaskulinismus” gehört (geprägt wurde er von der Politikwissenschaftlerin Cara Dagget).

Man kann natürlich glauben oder nicht glauben, dass es möglich ist, solch verbohrte Ideologen wie Putin an den Verhandlungstisch zu zwingen (ich bin skeptisch). Man kann natürlich glauben oder nicht glauben, dass mehr Waffen und mehr Streitkräfte die Lösung seien und das andere Staaten zum Eingreifen verpflichtet seien (meines Erachtens ist es keine Lösung und schon gar nicht gegen eine so starke Militärmacht, das muss selbst Kriegslogikern klar sein). Man kann natürlich glauben oder nicht glauben, dass härtere Sanktionen und Hilfe für die fliehende Zivilbevölkerung der fruchtbarste Weg sind (das ist derzeit der Standpunkt, den ich mir zusammengereimt habe, und ja, ich bin mir im Klaren darüber, dass das auf Kosten der Zivilbevölkerung gehen kann und auch hierzulande hart werden kann, aber besser als mehr Kriegstote und Zerstörung ganzer Landstriche oder gar Eskalation zum Nuklearkrieg). Es gibt bestimmt noch mehr Haltungen dazu, und Variationen davon, aber diese drei waren für mich in den letzten Tagen die, an denen entlang ich mir vorsichtig meine Haltung geformt habe.

Ich bin dankbar für die vielen wilden Diskussionen, die derzeit auf Facebook und Twitter dazu laufen. Die meisten sind wie ich ja erst mal total lost, was das Thema angeht, man hat so grobe Meinung dazu, ist schockiert, hilflos und traurig, und weiß nicht wohin damit, was tun, die Frage “wohin kann ich Kleidung spenden” ist ein typischer Ausdruck dieser Hilflosigkeit geworfen, ein anderer ist das Verfassen langer emotional-distanzierter linker Theorieposts, andere gehen gleich zur direct action über und organisieren Fahrten zur Grenze, um Flüchtlinge einzusammeln, andere machen Spendenaktionen, da entspinnen sich dann Diskussionen dazu, ob man fürs Militär spenden sollte, aber worauf ich eigentlich rauswollte: Die ganzen geteilten Artikel, Kommentartweets, Informationen, politischen Essays, Facebook-Posts die spontanes lautes Denken sind, das Anschluss sucht, und die daraus resultierenden Diskussionen, die auch schmerzhaft an Freundschafts- oder Freundlichkeitsgrenzen gehen, das alles ist herausfordend, aber eben auch großartig: Es ist demokratische Meinungsbildung in action und ich lerne so viel und fühle mich davon gleichermaßen durchgerüttelt wie aufgefangen.

Manche versuchen, das Kleinzureden, so von wegen, Leute die keine Ahnung haben, sollten lieber still bleiben. Ich sage, im Gegenteil! Genau diese Haltung ist undemokratisch und eine Expertokratie ist gewiss nicht das, was wir anstreben sollten, egal ob Militärexperten oder linke Theorie-Bros, sondern genau im Äußern auch unserer relativen Unwissenheit und Unsicherheit auf vielen Gebieten, den forschenden Gedanken, Sichtbarmachen von Fragen und von Denkprozessen, mal geduldig mal wütend, und auch Rummaulen darüber, dass etwas unverständlich sei, aber vor allem, sich immer wieder und weiter austauschen, sich fragend und kritisierend aufeinander zubewegen, darin liegt doch das, was die Gesellschaft und Demokratie ausmacht. (Und beg your pardon, hardcore-linke Freund*innen, aber ich strebe schon im Hier und Jetzt in dieser unperfekten Gesellschaft nach einem besseren solidarischen Leben und möchte daran rumbauen, und nicht alles auf eine Revolutionsutopiekarte setzen.)

Die Angst, sich nicht genug auszukennen und was Falsches zu sagen, und plötzlich als zu woke/marxistisch/bürgerlich, nicht woke/marxistisch/bürgerlich genug gecancelt zu werden, ist für viele eine stete Begleiterin in der Social Media Öffentlichkeit, weil viel zu lange unwidersprochen kleingeistige oder kleinherzige Kleinmacherei stehen gelassen wurde, online als “nicht echte” Kommunikation missverstanden wurde, man lieber schwieg als sich mit Bekannten anzulegen, es sind viele Gründe, aber es sind inzwischen viele Stimmen verstummt und in private Chatgruppen, in die Insta-Stories oder Newsletterkultur oder gar in ihre Offline-Filterbubbles vertrieben, und ich vermisse viele. Aber das ist ein anderes Thema.

Eigentlich wollte ich ja nur eine Kritik daran loswerden, was dieser Podcast da (zumindest in seiner aktuellen Folge) als angeblich neutral-objektive Analyse abliefert. Ein Nachrichtenmedium sollte doch mehr leisten als jemand, der oder die auf Social Media zu einem Thema laut denkt. Dieser Bothsideism, als wäre die Ukraine genauso Agressor in diesem Krieg wie das russische Regime, sollte in einem Podcast nichts verloren haben, dessen Moderatoren sich sachliche Information und Analyse auf die panzerbewehrten Brüste schreiben. Und nebenbei: Das Wort “Konflikt” kann im Kontext dieses Kriegs auch mal vom Tisch. Es suggeriert, dass beide Seiten schuld seien und verschleiert die Tatsache, dass es ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg eines machttrunkenen autoritären Regimes ist.

Wie könnte eine alternative und demokratischere Berichterstattung und Erörterung aussehen? Mindestens wäre sie um eine ideologische Analyse der Ziele Putins zu ergänzen, aber vor allem fehlt der Fokus auf die zivilen Betroffenen. Auf die Realität und Strategien der Vielen, die sich jetzt zum Krieg irgendwie verhalten müssen, ob kämpfen, ob fliehen, ob helfen und wie. Das sollte heutzutage gleichberechtigt in eine Kriegsanalyse mit rein.

Eigentlich haben wir doch schon viel darüber gelernt, was falsch an unserer jahrhundertelangen westlichen “aufklärerischen” Feldherrenperspektive auf die Geschichte war und was sie alles ausgeklammert und komplett verfälscht dargestellt hat. Daraus muss sich doch auch für aktuelle Ereignisse und Formen der Berichterstattung und Analyse was lernen lassen.

Statt, halb vom Krieg, halb von der Aufmerksamkeit, die die Herren Kriegsberichterstatter plötzlich haben, berauscht etwas davon zu faseln, dass Gefühle in ihrer “sachlichen” Analyse keinen Raum haben, einer Analyse – sorry, ich muss noch mal ausschwenken, weil ich mich so geärgert habe, hätte es nicht vorm Morgenkaffee anhören sollen, aber ich hab ja eingangs schon gewarnt, dass es ein Rant wird – einer Analyse, die etwas von Sportberichterstattung hat: Militärstrategen werden wie Bundesligatrainer besprochen, die Chancen der Teams kalkuliert, usw. Vielleicht ist auch das eine Wurzel für den Bothsideism: Der Krieg wird gedacht, als träten hier Teams gegeneinander an, deren Skillset und Strategien man jetzt auf dem Spielfeld rumschiebt und rumdeutet. Das Leiden wird ausgeklammert. Da sollten wir doch heute weiter sein.

Deswegen: Zurück zur der Ansicht, Emotionen hätten nichts in Kriegsberichterstattung verloren, die #unsereJungs™ da heute in diesem Podcast äußerten. Natürlich stört es dabei, den Feldherrenfetisch auszuleben, wenn man die Perspektive der betroffenen Menschen einbezieht, und nichts anderes heißt dieses “Gefühle haben in einer sachlichen Analyse nichts verloren” ja. Es bedeutet nämlich nicht wirklich alle Emotionen beiseite zu lassen: Kriegsrausch, nationales Zusammenhaltsgefühl, Truppengeist, gefühlt-und-nicht-logisch-begründete Kriegs- und Aufrüstungsstrategien: Die sollen nicht ausgeklammert werden, nur nicht als Gefühl verstanden werden. Diese Gefühle werden als “rational” verkleidetund sogar noch verstärkt in dieser Form der Kriegsberichterstattung. Die Gefühle, die in dieser stark verengten Perspektive auf Krieg ausgeblendet werden sollen, und als unsachlich stigmatisiert werden, sind vor allem Empathie, Mitleid, solidarische Verbundenheitsgefühle mit Zivilbevölkerung überall, die sich nicht um Nationsgrenzen scheren. Dieser Zusammenhalt wird als uneigentlich dargestellt. Es soll auch kein Raum sein für Emotionen wie den Schmerz über verlorene Leben, verletzte Körper, sich verloren zu fühlen im Herausgerissenwerden aus gewohntem Umfeld, Verzweiflung über das Kippen des gewohnten Umfelds in ein Schlachtfeld, oder auch die Angst vor Repression und die frustrierenden Schwierigkeiten im Organisieren von Widerstand in Russland selbst (da war ich zum Beispiel für diesen Artikel dankbar), das Mitgefühl und die Hilfsbereitschaft von unten, die sich auch superschnell in praktisches Handeln jenseits von langsamer anlaufenden staatlichen Hilfen zusammengetan hat, wild wuchernd sich über Telegram, Facebook, Instagram, Twitter, vernetzt hat, Spenden sammelt, Wissen, Erfahrungen und Erlebnisse weitergibt, Frust, Hoffnung, Freude wenn etwas gelang, so viele Fremde die anderen Fremden vertrauen usw.

Warum nicht auch eine Kriegsberichterstattung, die in ihre Analyse genauso stark miteinbezieht, wie verlaufen die Truppenbewegungen der solidarischen Kräfte? Wo verlaufen die Grenzen, wenn in Nicht-Offiziellem grenzenlosem Helfen gearbeitet wird und durch was werden sie gesetzt? usw.

Ich sage wohlgemerkt nicht, dass das gar keinen Raum in den Medien findet, aber es findet keinen gleichberechtigten Raum. Meist ist es in einem Feelgood-Artikel, der zeigen soll, wie toll die Deutschen zusammenhelfen um anderen zu helfen. Es findet sich abgewertet gegenüber dem “Expertentum” sachlicher Kriegsanalyse, obwohl solche solidarischen Bewegungen von unten und über Fronten und Grenzen hinweg schon immer ein wichtiger Teil von Krieg waren. Es wird als eine weiche und uneigentliche Seite präsentiert, obwohl hier die Verbundenheit ist und wächst, die gegen Kriege steht.

Ach, mich macht die Kriegstrunkenheit, das Einschwören auf eine Kriegslogik und die behauptete Alternativlosigkeit derzeit schon wirklich hilflos-wütend. Es geht fast so schnell und eindimensional vonstatten wie nach 9/11 und das meine ich nicht als Vergleich der Ereignisse, sondern mich erinnert die schnelle, geschmacklose und undemokratischer Weise daran, mit der die Militärmacht-Lüsternen das Schockiertsein der Gesellschaft über menschliches Leid für ihre Ziele ausnutzen. Hallo, über Nacht 100 Milliarden für die Bundeswehr. Und ja, ich sage, dass hier Emotionen und Affekte ausgenutzt werden. Ohne Ängste und Hilflosigkeit angesichts des Kriegs in der Ukraine wäre das nicht so einfach durchgewunken worden, sondern es wäre zu großen Protesten gekommen. Aber hier stoppe ich mal diese bisschen wild gewucherten Gedanken.

Zum Schluss liebernoch die Worte einer anderen: Mein Lieblingswort diese Woche kommt von Eva von Redecker und lautet “thanatos-besoffen.” Sie twitterte am 28. Februar:

“Wer jetzt Thanatos-besoffen vom „Aufwachen in der Realität“ spricht, ist vollauf dabei, sich mit dem Aggressor zu identifizieren. Unterstützt lieber die, deren Realität von Autokratie, Homophobie, Imperialismus gezeichnet ist, und die für eine andere arbeiten.“

Anmerkungen:

P.S.: Der Podcast ist natürlich nur ein Beispiel unter vielen gerade, er wurde halt einige Male in meiner Timeline und dann noch im Drosten&Ciesek-Podcast empfohlen, woraufhin ich ihn heut früh anhörte und deswegen hat er jetzt diesen Rant abbekommen, aber es gibt natürlich etliche ähnliche Medienformate derzeit.
P.S.P.S.: Hab das heut vormittag schnell runtergetippt und wollte es eigentlich noch mal ruhen lassen und drübergehen, aber hab nicht die Zeit dafür, deswegen hau ichs jetzt einfach raus. Sind ja eh keine abgeschlossenen Gedanken.
P.S.P.S.: Dass ich gar so oft “man” verwendet habe, kann oder kann nicht als genderbewusste Widerspiegelung der lautesten und präsentesten und am meisten weitergereichten Stimmen der öffentlichen Debatte gerade verstanden werden.

Ein paar Gedanken zur Impflicht und jetzigen Lage

Ich denk mal wieder laut in diesen Blog hinein. Was mich verwirrt: Bei “Impfpflicht” haben manche gleich ein Bild vor Augen, wie Menschen von Polizisten aus dem Haus gezerrt und gewaltsam geimpft werden. Ich ja nicht. Impfpflicht in der Praxis ist doch eher eine Zugangsregelung: Ich muss bestimmte Kriterien erfüllen, damit mir Zugang zu einem gesellschaftlichen Bereich gewährt wird, weil ich sonst das Wohl anderer oder meins in Gefahr bringe. So ist es doch zumindest bei der Masernimpfpflicht, siehe z.B. hier

Deswegen verstehe ich auch nicht, warum 2G-Zugangsregulierungen von manchen als “Impfpflicht durch die Hintertür” bezeichnet werden, als würde damit ein geheimer Plan von ‘denen da oben’™ enthüllt. Da ist doch nichts geheim dran. 2G lässt sich doch ganz klar als eine Form von Impfpflicht verstehen, oder nicht?

Diese Gesellschaftsbereiche voneinander isolierende Form der Impfpflicht reicht bei Covid-19 aber natürlich nicht aus: Die Gesellschaftsbereiche sind nicht so einfach zu isolieren, wie derzeit noch getan wird und was uns auch voll in die 4. Welle reinschwimmen hat lassen. Jetzt gilt es wieder mal, nicht drin zu ertrinken.

Ich bin latent schon für eine Impfpflicht und ich hab keine Geduld mit Leuten, die sich aus gesellschaftsfeindlichen Freiheitsvorstellungen oder (oft antroposophisch verwurzelter) Aufklärungsresistenz heraus nicht impfen lassen wollen, aber zu einer Impflicht gehört mir halt auch, dass da dabei sehr differenziert vorgegangen wird. Damit es zum Beispiel nicht Leute trifft, die sehr isoliert leben, damit nicht “Informationsferne” plötzlich von Strafmechanismen getroffen werden, obwohl das Problem in ihrem Fall eigentlich im staatlichen Verfehlen in Sachen Informationsarbeit und Impfangebot liegt. Ich seh das schon als Job des Staats, die Impfe zu den Leuten zu bringen, und da wäre schon noch ganz schön Luft nach oben.

Deswegen schmeckt mir gerade auch das pauschale Stigmatisieren aller Ungeimpften als aufklärungsresistente Verweigerer nicht. Ja, ich hab echt eine Stinkwut auf diese Leute, gerade beim Gedanken daran, was gerade in Krankenhäusern vor sich geht und an Leute, die durch ihren Job täglich in Kontakt mit welchen gezwungen sind. Emotional ist das gar keine Frage. Zu dem moralischen Dilemma von Impfverweigerung als sozialer Akt hat vorhin auch Georg Diez ein paar Gedanken fallen lassen. Es ist einfach arg frustrierend, von massiver Kontaktbeschränkung über politischer (Informations-)Arbeit bis zu Impfung alles gemacht zu haben, um der Pandemie entgegenzuwirken, und dann wegen Ungeimpfter die Ansteckungs- und Todes-Zahlen wieder so krass steigen zu sehen wie derzeit.

Aber auf der Suche nach Verantwortung sollten wir es uns nicht zu einfach machen. Mir erscheints wichtiger und effektiver in Hoffnung auf das weitere Vorgehen, auf das Versagen der staatlichen Pandemieverwaltung zu fokussieren statt auf Ungeimpfte: Mehr und gezieltere Aufklärungsarbeit, härtere (und kürzere) Maßnahmen, weniger Wirtschaftshörigkeit, schnelleres Reagieren – es wurden und werden in so vielen Bereichen da so viele vermeidbare Fehler gemacht. Da liegt das Problem. Nehmt nur die überfüllten Impfzentren, an denen derzeit Leute abgewiesen werden. Es war völlig klar abzusehen, dass sobald Boosterimpfungen offiziell empfohlen werden, der Run darauf losgehen wird. Das nicht besser abzustimmen, ist wieder mal so eine Panne, die aufzeigt, wie schlecht organisiert und unverzahnt die politische Pandemiearbeit abläuft.

Die Dissonanz ist halt derzeit wieder mal kaum auszuhalten. Auf lokaler Ebene: Gefüllte Clubs, keine Absage des Christkindlesmarkts und gleichzeitig Meldungen wie heute in den Tweets von Thomas Pettinger:

“Stille Triage.” Sie hat in #Nürnberg begonnen. Rettungskräfte überzeugen Angehörige, dass es besser ist schwer an #COVID19-Erkrankte nicht mehr in weit entfernte Krankenhäuser zu fahren, in denen kein adäquates Behandlungsbett mehr frei ist. Die Menschen sterben zu Hause.

Es ist also nicht nur die sich abzeichnende Überlastung der Notaufnahmen, die Schlange von Rettungswagen, die vor Krankenhäusern warten. Es werden schon jetzt viele Entscheidungen durch die Überlastung so getroffen, wie man sie in nicht pandemischer Zeit nicht fällen würde.

Das ist kein Vorwurf an die in der Notfallversorgung Arbeitenden, denn es sind die in der Notfallsituation richtigen Entscheidungen, die mangels besserer Alternativen getroffen werden. Aber es ist vermeidbares Leid, wenn Menschen sterben, die bei guten Bedingungen überlebten.

Aber ich franse aus, zurück zur Impfpflicht: Eine Impfpflicht durch Zugangsregulierung für verschiedenste und auch immer mehr Gesellschaftsbereiche halte ich deswegen derzeit für eine bessere Lösung als eine, die mit finanziellen oder Haftstrafen bewehrte. Theoretisch zumindest. Praktisch greift die Zugangsregulierung nicht so tolle – egal ob 2G oder 3G oder wie sich Söder jetzt für Diskos wünscht 2G+ – weil vielerorts nicht wirklich kontrolliert wird. Und sie verführt zu falscher Sicherheit, denn dass 2G in der derzeitigen Situation nicht reicht, ist eigentlich völlig klar, dazu hier ein aktueller Brandbrief von 21 Wissenschaftler*innen, u.a. Viola Priesemann, Sandra Ciesek und Ulrike Protzer in DIE ZEIT. Die Zahlen sind derzeit einfach wieder so hoch und die Krankenhäuser auf Anschlag, da müssen mehr Maßnahmen her. Lest zum Thema, warum 2G nicht reicht, auch diesen super Erklär-Text von Enno Park. Es sei auch noch mal drauf hingewiesen, dass das RKI seit Ewigkeiten zu Kontaktbeschränkungen auffordert. Ich weiß nicht, ob sich jetzt alle denken, wenn mir der Staat keine Beschränkungen auferlegt, dann ist es bestimmt nicht so dringend? Bei vielen erscheint es mir fast so.

Also: Das Wissen ist da, die meisten machen nur entweder nichts aus diesem Wissen, oder sie können aus sozioökonomischen Gründen keine Konsequenzen draus ziehen.

Die staatlich sanktionierte Form einer Impfpflicht wiederum dauert einfach zu lang, um uns jetzt aus der Bredouille zu hieven. Wie es Hans Zauner vorhin auf Twitter zum neuen MaiLab Clip, in dem sie für eine Impfpflicht eintritt, schrieb:

“Wie lange würde es dauern, eine Impfpflicht durch’s Parlament zu bringen und umzusetzen? Zur Bekämpfung der 4. Welle käme sie jedenfalls viel zu spät, insofern ist das jetzt kein pragmatischer Vorschlag, finde ich. … Pragmatismus statt Perfektion ist gefragt, sehr richtig. Allerdings: Eine formale Impfpflicht für alle ist eben auch nicht pragmatisch. Weil das juristisch und in der Durchführung so ein riesiges Fass aufmacht, das würde vor dem Frühjahr nicht mehr Gesetz werden können. “

El Hotzo bringt’s halt wieder mal auf den Punkt:

in ganz Deutschland gilt mittlerweile 2G:

G anz schön
G efickt

9/11, Klimakrise und die Wahlen

Ich hab vom 11.9. im Radio im Tourvan meiner Band gehört und wir hatten erst so ‘nen “Krieg der Welten”-Moment, überzeugt davon, dass wir auf einen cleveren Radio Stunt reinfielen. Und an diesem Abend World/Inferno Friendship Society spielen zu sehen, bzw hauptsächlich Jack Terricloth (RIP <3) reden zu hören, wie er versuchte sich dem anzunähern, wie man damit umgeht? es bewältigt? versteht? trauert? war einer der intensivsten Live-Konzert Momente, die ich je hatte. Reduziert zu sein auf Dankbarkeit dafür, am Leben und zusammen zu sein in diesem Moment, mit Freund*innen was zu trinken im Angesicht des Horrors, der geschehen ist und die Möglichkeit aufgetan hat, dass es wieder geschehen kann. Tschernobyl war ähnlich, was das anging, aber damals war ich viel jünger und es war eine ganz andere Art von Umgang mit sowas.
Für die Kids heute sind das natürlich peanuts. Wahrlich die Doom Generation, wenn’s jemals eine gegeben hat. Und wenn ich mir die Zahlen der nahenden Wahlen hier (D) ansehe, können wir nur auf Klima Aktivismus außerhalb formeller politischer Prozesse hoffen und uns selber die Hände damit schmutzig machen.

Deswegen lieb ich den neuen Wahlspot von den Grünen. Er trifft endlich das richtige Bedrohungslevel: “Ihre Stimme entscheidet über die letzte Regierung, die aktiv Einfluss auf die Klimakrise nehmen kann.”

Es geht hier nicht drum, ob grün oder links gewählt wird, mal ehrlich: Keine der Parteien hat hart genuge Klimaziele in ihrem Programm. So zu wählen, dass es eine Chance auf Rot-Rot-Grün gibt, ist nur ein winziger Schritt in die Richtung, in die wir wirklich gehen müssen.