Kleine Einführung zu Doom Generation (1995)

Zu meiner Freude durfte ich für das Filmhauskino Nürnberg bei der Filmreihe Stardust Cinema mitkuratieren, die 100 Jahre queeres Kino feiert (das Programm findet ihr hier, ging von 30.11.2023. bis 04.02.2024) und für drei der Filme gab es vorm Film eine kurze Einführung von mir. Die erste war am 19.12.23 zu Pride (hier nachzulesen). Die zweite war am 09.01.24 zu Hedwig & The Angry Inch (hier nachzulesen) und hier teile ich mit euch mein Skript zur Einführung für Gregg Arakis Doom Generation sein.

Ich hab euch ein bisschen was zusammengetragen, um euch ein wenig Kontext zum Film mit auf den Weg zu geben. Doom Generation ist ein Teen Angst Film des japanisch-amerikanischen Regisseurs Gregg Araki, der 1995 rauskam. Araki wird zu einer in den 90ern aufkommenden Strömung gezählt, die New Queer Cinema oder Queer New Wave genannt wird. Es sind Filme jenseit des Mainstreams, die sich bewusst dem experimentellen und Outsider Kino hingeben. Geprägt wurde der Begriff 1992 von B. Ruby Rich in einem Artikel für die Village Voice, inzwischen gibt’s auch ein Buch von ihr darüber.

Damals kamen schnell hintereinander einige queere Filme heraus, auf die sie sich bezog: Christopher Munchs The Hours and Times, Tom Kalin’s Swoon, Gregg Arakis The Living End und Laurie Lynds RSVP und auch Filme von Sadie Benning und Derek Jarmans Edward II zählte sie dazu, ebenso Jennie Livingstons Paris is Burning und Gus van Sants My Private Idaho. Rich betont, dass es zwar sehr unterschiedliche Filme sind, aber sie haben auch einiges gemein, nämlich einen Hauch von Homo-Porno-Ästhetik, und auch wie sie Mittel wie Pastiche, Ironie und Aneignung verwenden. Queerness wird bei ihnen fluider, Charaktere sind nicht unbedingt eindeutig schwul, lesbisch oder hetero, Männer haben auch mal feminine Züge und Frauen maskuline, und sie sind im Gegensatz zu der entsexualierten Darstellung von Queers, die damals vorwiegend üblich war, voll von offener Lust: plötzlich gibt es da auch sowas wie Körperflüssigkeiten! Und: diese Filme sind meist radikal in der Form.

Gregg Araki sieht das New Queer Cinema als aus dem Zeitgeist heraus entstanden: Es war die Zeit von AIDS und verzweifeltem und wütenden Queerradikalismus wie dem von ACT UP. Araki erinnert sich in einem Interview: Junge Leute brachen auf der Straße tot zusammen, es war schrecklich. Für junge Künstler der Zeit, wie mich und Todd Haynes und Gus Van Sant und Tom Kalin, für alle war es wirklich wie ein Aufruf zum Kampf. … Für die jungen Menschen heute ist es schwer zu verstehen, wie es war, in den Zwanzigern zu sein und das Gefühl zu haben, dass jeden Tag diese schwarze Wolke des Untergangs über einem hängt und die Leute auf der Straße tot umfallen. Jeder stirbt. Es war einfach eine so schreckliche Zeit.” Das ist denke ich wichtig, um zu verstehen, warum Sexualität in einem Film wie Doom Generation so offensiv verhandelt wird. Es geht nicht nur um Transgression um der Transgression willen.

Sexualität ist nach Rich in den Filmen des New Queer Cinema oft eine chaotische und subversive Kraft, und sie wird, sich an Postmoderne und Poststrukturalismus orientiert, als sozial konstruiert und daher fluide und wandelbar. Die Figuren sind oft gesellschaftliche Außenseiter*innen, die sich als solche gefallen, und unterminieren traditionelle heteronormative Vorstellungen von Familie, Identität, Geschlecht und Gesellschaft. Für Glyn Davis ist die deutliche Präsenz von Camp und Respektlosigkeit, die sie gerade in Gregg Arakis Filmen sieht, typisch für das New Queer Cinema. Anneke Smelik hebt auch hervor, dass es oft Queer Criminals sind, eine rein positive Darstellung queerer Figuren und überhaupt rein positive Bilder werden abgelehnt. Araki macht keine Filme für den gesellschaftlichen angepassten Teil der Queer Community, er fängt die Outsider auf, die durch die Ritzen fallen. Es geht oft existentialistisch, ja, nihilistisch zu, dabei gibt es aber auch oft cartoonhaft komische Momente.

Zur Campness in Arakis Filmen gehört, so Glyn Davis, dass er uns immer daran erinnert, dass die Schauspieler*innen eine Rolle spielen, also nach konventionellem Standard schlecht schauspielern. “Camp” erklärt sie hier als sowas wie die Übersteigerung vom guten alten Shakespearschen Bild des Lebens als Theaterstück. Arakis Figuren in Doom Generation sind wie übertriebene Versionen von Teenagern der 90er Jahre in Los Angeles, mit einem teils von ihm selbst erfundenem Jugendslang. Coolness, Drogen, Klamotten, alles ist überzogen, durch und durch künstlich, die Figuren eher Stereotype als Menschen. Es werden immer wieder Brüche gesetzt, es wird mit Klischees gespielt, und Gewalt und Humor gehen oft bewusst ins Geschmacklose, Absurde und Obszöne.

Trashige Popkultur ist allgegenwärtig, vom kitschigen Plastiktotenkopf über die Tattoos oder die Einrichtung der Motelzimmer, bis hin zu den Zigaretten der tatsächlich in den 90ern existierenden Marke Death. Production Designerin war Thérèse DePrez, deren Handschrift auch Filme wie Aaronofskys Black Swan, Solondz Happiness, John Cameron Mitchells Hedwig & The Angry Inch oder Spike Lees Summer of Sam prägte: sie wurde gern von Filmemacher:innen engagiert, die sich visuell Provokatives wünschten. Die knalligen Räume, die teils ins Surreale gehen, und Plastikkitsch-Gegenstände, die Doom Generation auszeichnen, sind symbolisch aufgeladen und banal zugleich. Glyn Davis zieht hier eine Verbindung dazu wie auch John Waters oder Andy Warhol sie eingesetzt haben: “Sie sind doppeldeutig, weil einerseits voller Bedeutung für ihre Benutzer*innen, gleichzeitig stehen sie aber auch für eine kaputte Konsumkultur: für Übersättigung, Langeweile, Apathie und letztlich den Tod.” Es ist eine Metarealität, die da geschaffen wird, und dieser Effekt wurde von Araki noch dadurch verstärkt, dass er ein paar Cameo-Auftritte von damaligen Celebrities einbaute, damit sich der Eindruck, als lebe man in einer trashig-kaputten TV-Welt noch verstärkte: Christopher Knight, der bei Brady Bunch mitspielte, die Comedian Margaret Cho oder Perry Farrell von Jane’s Addiction tauchen alle ganz kurz auf, ebenso wie die damals für ihren Call Girl Ring in Hollywood berühmte Heidi Fleiss.

Eine weitere campe Eigenheit, ist wie Araki avantgardistisches Filmen voll künstlerischem Anspruch mit populären Genres vermischt. Im Fall von Doom Generation sind typische Züge des Road Movies und des Teen Films, oder auch von trashigem Horror, die Namen von zwei Hauptfiguren stammen aus einer Graphic Novel, alles ist cartoonhaft übertrieben, nicht zuletzt die Farben, hier tauchen auch immer wieder das Rot, Weiß und Blau der US-Flagge auf. Selbst in den Namen der drei Hauptfiguren: Jordan White, Amy Blue und Xavier Red.

Der Film ist insofern zutiefst politisch, als er die positive, zutiefst romantische und experimentierfreudige Sexualität der drei Jugendlichen, vor allem von Jordan, in Konfrontation mit der patriotischen heteronormativen monogamen US-Mainstreamgesellschaft zeigt. Bei den Gefühlen der Drei, ihrer Anziehung, der brodelnden Erotik, da finden sich die puren, unschuldigen Momente des Films: Momente einer pansexuellen Utopie.

Der Film trägt den Untertiel “A heterosexual movie” und wie Adrian Martin so schön schrieb, ist das für das Araki kennende Publikum ein klarer Hinweis darauf, dass wir eine Maskerade sehen: Einen Film mit hetero Figuren und hetero Sex, aber gemacht von einem militant queerem Regisseur. Der gaze des Filmmachers, der Blick, mit dem wir mit ihm das Geschehen verfolgen, ist ein zutiefst queerer Blick, teils klar männlich schwul, teils omnisexuell fluide. Eine Filmkritik ging sogar soweit, den Film dafür als heterophob zu bezeichnen, er beschwerte sich unter anderem: Wenn da hetero Figuren sterben, sei es immer spaßig, nur wenn Queere sterben, sei es ernst und tragisch. An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass auch der legendäre Filmkritiker Roger Ebert den Film wirklich hasste, ihm einen leidenschaftlichen Verriss widmete, Null Punkte vergab und ihn später auch noch in einem Buch über die schlechtesten Filme aller Zeiten verewigte.

Die Geschichte davon, wie es zu dem Untertitel “a heterosexual movie” kam, ist auch erwähnenswert: Jim Stark, der zum Beispiel die Jarmusch Filme Stranger Than Paradise, Mystery Train und Night on Earth produziert hat, half damals Araki dabei, seine Filme finanziert zu bekommen. Nach The Living End und Totally Fucked Up sagte er aber zu Araki: “Hey, du machst diese schwulen Filme, die zu punk für queeres Publikum sind. Die hassen sie. Wenn du einen heterosexuellen Film machst, produziere ich ihn dir und ich kann dir eine Förderung von 1 Million Dollars verschaffen, damit du mal ein richtiges Budget hast.” Die vorherigen Filme lagen da eher so bei 200.000 Dollar. Araki nahm ihn beim Wort, und sagte ‘Yeah, okay, ich dreh dir einen heterosexuellen Film, aber es wird der queerste heterosexuelle Film, der je gemacht wurde.” Und Jim Stark hielt sein Wort, produzierte Doom Generation und verschaffte ihm immerhin 800.000 Dollar als Budget.

Neben seiner Queerness, das sei auch noch erwähnt, sagt Araki, dass für ihn die Punk und Alternative Music Kultur die zweite große Sache sei, die ihn sehr geprägt hat, und die auch eine große Rolle in seinen Filmen spielt. Doom Generation verbindet er vor allem mit der Musik der schottischen Band Jesus & Mary Chain. Sie verkörpert den Film für ihn in dem Sinne, dass im Kern ihrer Musik auch eine Art naive Romantik steht, die von brutalem Chaos umgeben ist. Araki ist 1959 geboren und schätzt sich glücklich, genau in der Zeit Teenager gewesen zu sein, als die Sex Pistols nach New York rüberschwappten, und Punk, New Wave und die ganze Welt der Alternative Music mit ihrer anticorporate DIY Kultur ihm eine aufregende neue Kultur erschließen konnten.

Was kann ich euch zum Schluss noch mitgeben, ohne zuviel zu spoilern? Vielleicht, dass es eigentlich ein Wunder ist, dass der Film heute zu sehen ist, und das auch noch in frischrestaurierter Fassung. Denn, schon während der Dreharbeiten lief einiges schief: Die erste Fuhre Aufnahmen ging im Labor kaputt, dann gabs ein Erdbeben, in dessen Nachwellen das Team einfach wohl oder übel weiterfilmte, während sich immer wieder mal noch irgendwo Geröll löste. Dann lief der Film lief zwar als erstes gleich beim Sundance Festival und wurde direkt von dort weg von Samuel Goldwyn Films erworben, aber als Goldwyn selbst den Film dann ansah, droppte er ihn sofort wieder. Danach kam es zwar noch zu einem Release über Trimark, aber in einer gekürzten Fassung, und er lief auch nicht lange. Aber am schlimmsten für Araki war dann eine Version von Blockbuster-Video, bei der gleich volle 20 Minuten wegzensiert wurden, um Doom Generation familienfreundlich zu machen.
Dann verschwand der Film völlig von der offiziellen Bildfläche, während er im Untergrund in der nur wenig gekürzten Version aber über all die Jahre als Bootleg illegal weiter verbreitet und am Leben gehalten wurde, und sich wider alle Umstände langsam zum Kultfilm entwickelte, bis er dann eben vergangenes Jahr endlich in 4K restaurierter Fassung dort noch mal anlief, wo er auch 28 Jahre zuvor seine Premiere hatte: Im Egyptian Kino am Sundance Festival.

Araki hat inzwischen seinen festen Platz in der Filmbranche gefunden, arbeitete neben Filmen auch an Teen Serien wie zum Beispiel 13 Reasons Why oder Riverdale mit, aber am meisten hat er sich in der Filmgeschichte tatsächlich mit seinen frühen Filmen verewigt: Mit The Living End von 1992, und seiner Teen Apocalypse Trilogie, zu der Totally Fucked Up von 1993, Nowhere von 1997 und eben Doom Generation von 1995 gehören. Und das wars dann schon auch von mir und ich wünsch euch viel Vergnügen mit Doom Generation!

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