Kleine Einführung zu Pride (2014) für Stardust Cinema

Zu meiner Freude durfte ich für das Filmhauskino Nürnberg bei der Filmreihe Stardust Cinema mitkuratieren, die 100 Jahre queeres Kino feiert (das Programm findet ihr hier, geht von 30.11.2023. bis 04.02.2024) und für drei der Filme gibts vorm Film eine kurze Einführung von mir dazu. Die erste war am 19.12.23 zu Pride (2014) und hier teile ich mit euch mein Skript dazu.

Das ist meine erste Filmeinführung, und noch dazu hab ich mir mit Pride einen Film ausgesucht, der von einem Regisseur ist, der sonst eigentlich im Theater und Broadway Musical zu Hause ist: Matthew Warchus. Das ist sowohl spürbar darin, wie der Film immer wieder in Momente der lustvollen Freude ausbricht, oft mit Musik gekoppelt. Aber auch darin, wie er nicht die Geschichte einer einzelnen Hauptfigur ins Zentrum stellt, sondern es schafft, einen doch recht großen Kreis von gut ein Dutzend zentralen Figuren so zusammen zu halten, dass sie sowohl als Gruppe als auch mit ihren einzelnen Schicksalen zum Tragen kommen.

Geschrieben wurde Pride von Stephen Beresford, der in Interviews erzählte, wie er auf die Idee zu dem Film kam. Hier ein Zitat:

“Vor etwa zwanzig Jahren hatte ich eine Diskussion darüber, ob schwule und lesbische Menschen überhaupt politisch aktiv sind und dabei habe ich von der Geschichte dieser Gruppierung LGSM erfahren, also Lesbians and Gays Support The Miners. Diese Diskussion hatte ich Mitte der 1990er Jahre, während eines kleinen Aufstands von Bergleuten. Ich sagte ‘Warum sollte ich diese Minenarbeiter unterstützen, sie unterstützen mich ja auch nicht’ und mein Gegenüber sagte ‘Okay, lass mich Dir eine Geschichte erzählen… Als ich zuhörte dachte ich bereits, dass sich das viel zu gut anhört, um wahr zu sein. Es war eine unglaubliche Geschichte und es war um so unglaublicher, dass sie niemand kannte. Über viele, viele Jahre erzählte ich Menschen immer wieder davon und sagte ‘Ich habe da diese Idee für einen Film…’“
Und es sollte fast zwanzig Jahre dauern, bis Pride dann 2014 tatsächlich in die Kinos kam.

Bei einem Film, der von tatsächlichen Ereignissen erzählt, stellt sich ja immer die Frage: Wie nahe ist er eigentlich da wirklich dran?

Beresford hatte eine kleine Doku namens “All Out! Dancing in Dulaith” entdeckt, die Interviews und Bilder zu den Ereignissen zusammenträgt und über sie fand er dann viele der Personen von damals und führte Gespräche mit ihnen.

Einer der echten Lesbians and Gays Supporting The Miners, Ray Goodspeed, erzählte in einem Interview zu der Frage, wie es damals für Schwule und Lesben war, Zitat:

“Es war wirklich schrecklich. Schwul zu sein war legal, aber nur, wenn man mindestens 21 Jahre alt war. Lesben wurden vom Gesetz ausgeblendet. Für Schwule war es illegal, jemand anderen nach Sex zu fragen. Wenn Schwule zusammengeschlagen wurden und zur Polizei gingen, passierte: nichts. Polizisten lauerten in öffentlichen Toiletten oder in schwulen Kneipen. Sie veranstalteten Razzien in Buchläden und schlossen Discos. Sie verhafteten Leute und verprügelten sie.”
Er erzählt auch, dass sich die LGSM Gruppe 2015 sogar noch mal neu gegründet hat und zum Beispiel Bergarbeiter in der Türkei unterstützte.

Die echte LGSM Gruppe war größer als die im Film, sie hatte 50 Mitglieder, die meisten davon politisch aktive Sozialist*innen. Bei der Kürzung auf die kleine Gruppe von Aktivist*innen im Film, sagt Beresford, dass sie die Geschichten von zwei oder drei Personen jeweils in einer Figur zusammengeführt haben, und auch ein paar Sachen ein wenig dramatisiert haben, aber dass tatsächlich viel der Handlung so ist, wie ihm die Ereignisse erzählt wurden.

Die Handlungsorte mussten zum Teil verlegt werden, aber den kleinen Buchladen, in dem sie sich im Film treffen, gab es nicht nur wirklich, sondern er existiert sogar heute noch. Gay’s The Word heißt er und er ist der älteste queere Buchladen in Großbritannien und ein Meilenstein für die breitere LGBT Community. Er wurde 1979 in London von einer Gruppe schwuler Sozialisten als ein Community Space gegründet, bei dem aller Profit wieder zurück ins Geschäft floss, und so ist es wohl heute noch.

Zum geschichtlichen Hintergrund gehört natürlich auch der Miners Strike: Der Streik der Minenarbeiter 1984 bis 85 war einer der bittersten Arbeitskämpfe, der sich durch viele Gemeinden von South Wales bis Schottland erstreckte. Im März 1984 hatte das staatliche National Coal Board eine Kapazitätskürzung von 4 Millionen Tonnen Kohle und die Schließung von 20 Minen beschlossen, was zum Verlust von 20.000 Arbeitsplätzen führen sollte. Darüber hinaus drohte den verbliebenen Minen die Privatisierung. Der konservativen Regierung, angeführt von Margaret Thatcher, waren Gewerkschaften ein Dorn im Auge. Thatcher bezeichnete sie als “Feind im Inneren”, und die Streikenden als “antidemokratischen Mob”, als “faschistische Linke”. Große Teile der Presse stiegen drauf ein und titelten dann mit sowas wie “Adolf Scargill”, den Gewerkschaftsführer Arthur Scargill verunglimpfend.

Dieser Streik der Minenarbeiter wurde zu einem großen, sehr gewaltvollen, sowie geschichtlich einschneidenden und gesellschaftlich lange nachwirkenden Showdown zwischen konservativer Regierung und Arbeiter*innen und Angehörige, für die es schlicht um die Existenz ging. Es kam zu massiven Polizeiaufmärschen, die zum Teil mit großer Brutalität vorgingen. Demgegenüber erfuhren die Streikenden aber auch eine große Welle der Solidarität von Teilen der Gesellschaft, darunter die verschiedensten politischen Gruppen und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Aus der Popmusik als Beispiel: Bronski Beat haben tatsächlich nicht nur im Film, sondern auch auf dem echten Pits and Perverts Solifestival gespielt, aber auch Aztec Camera, Everything For The Girl, Style Council, Billy Bragg, oder Wham!, die damals der größte UK Pop Act waren, spielten Benefizkonzerte für die Bergleute. Aber das nur am Rande.

Im Oktober 1984 gipfelte das Ausmass in über 130-140.000 streikende Bergleute, unterstützt von vielen anderen, und dieser Streik wurde erst im März 1985 beendet. Grund waren die finanzielle Not der Streikenden und die langsam bröckelnde Unterstützung aus anderen Industriezweigen.

Interessant an Pride ist, dass er sich bewusst entscheidet, nicht die Politik und das Leid in den Mittelpunk zu stellen, sondern das Positive in diesem geschichtlichen Moment des Arbeitskampfs hervorzuheben: Menschen verschiedener Hintergründe, die sich zusammentun, um ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen und gegen Ungerechtigkeit aufzustehen. Und das ganz bewusst nicht nur als Drama sondern vor allem als Comedy erzählt. Regisseur Warchus sagte in einem Interview, dass es gerade in einer Zeit, in der Leute so desillusioniert von Politik sind, viel bewegender ist, wenn sie plötzlich erkennen, dass es im Kern dabei einfach darum geht, sich für und um Menschen zu sorgen und gemeinsam die Sorte Gesellschaft zu erschaffen, die sie sich wünschen.”

Es gibt eine ganze Tradition von britischen Drama Comedies über die working class Opfer des aufkommenden Neoliberalismus, in die sich Pride einreiht. Die meisten füllten allerdings schon zwischen 1995 und 2000 die Kinos: Billy Elliott, in dem es sogar auch um den britischen Bergleute-Streik geht, The Full Monty, auf deutsch Ganz oder gar nicht, oder Brassed Off, um nur ein paar zu nennen. Alle erzählen mit einem Feelgood-Vibe von tragischen Konsequenzen der Thatcher-Politik. Sie erzählen von Niederlagen, aber lassen immer Raum für einen kleinen symbolischen Sieg, der Hoffnung macht, oder, wie es in einem Text so schön hieß: Sie zeigen, dass es, entgegen Margaret Thatchers berühmtestem Satz*, eben doch so etwas wie eine Gesellschaft gibt.

Diese Filme haben auch gemein, dass sie alle oft hart am Sozialkitsch entlangschrammeln. Sie liegen irgendwo zwischen Arbeiter*innen-RomCom und dem britischen Social Realism Kino, und auch Pride ist bestimmt einigen zu kuschelig, aber wäre er das nicht, hätte er viel weniger Leute erreicht. Und es gibt kaum politische Filme, die so überschwenglich von Aktivismus erzählen, und ja, er tut das voller Kitsch und purem Vergnügen. Pride zeigt eben auch die zwischenmenschliche Seite des linken Aktivismus, die oft in Berichten unter den Tisch fällt: Dass, wenn Menschen zusammenkommen, um zu debattieren und Aktionen zu planen, auch viel Spaß im Spiel ist, viele Freundschaften und Crushes aufkommen, und dass Aktivist*innen oft auch verdammt gut im Feiern sind.

Pride ist eine Geschichtslektion darüber, dass wir trotz unserer Unterschiede viel mehr bewirken können, als wegen unser Unterschiede. Pride hat dafür einen wichtigen Moment von politischem Aktivismus wieder aus der Vergessenheit geholt, der sonst verstaubt wäre. Und er hat eine gewisse Aktualität, so wie er erzählt, wie es sich lohnt, sich mit anderen zusammenzutun, die aus anderen Gründen, aber eben auch unter dieser neoliberalen Politik leiden, die damals in UK mit Thatcher zwar durchstartete, aber heute ja auch hierzulande schon so lange in voller Blüte steht, dass sich viele gar nicht mehr vorstellen können, dass Gesellschaft und Politik sich auch anders entwerfen und organisieren lassen könnten.

Ihr merkt, mir fällt’s schwer, von diesem Film inspiriert nicht gleich in eine politische Kampfrede auszubrechen. Ich glaub, ein bisschen Hintergrund hab ich euch jetzt schon auch mitgegeben, und ich wünsche euch jetzt genauso viel Spaß mit Pride wie ich damit hatte, aber: ich hoffe, ihr habt auch Taschentücher einstecken!

Zum Schluss noch eine Einladung: Wenn ihr von der ganzen 80er Musik in Pride Lust bekommen solltet, genau auf solche Songs danach noch zu tanzen, dann kommt doch nach dem Film noch einfach auf die andere Straßenseite in die Kantine rüber zur Dancing With Tears In My Eyes 80s Party vom Musikverein, wo unter anderem auch ich auflegen werde.
Und die wunderbare Stardust Cinema Filmreihe geht noch einige Wochen weiter, guckt unbedingt ins Filmhausprogramm, da sind noch einige großartige Filme zu sehen!
Danke fürs Zuhören!

*) Mit Thatchers berühmtesten Satz meine ich ihren Ausspruch, dass es so etwas wie “Gesellschaft” nicht gäbe: “there’s no such thing as society. There are individual men and women and there are families. And no government can do anything except through people, and people must look after themselves first.” Er steht wie kaum ein anderer für den Invidualismus, das “jede*r für sich selbst” der neoliberalen Konkurrenzideologie, die sich dann in den 90ern auch in Deutschland so richtig durchsetzte.

P.S.: Es gibt noch zwei Vorstellungen von Pride: 31.12.23 und 04.01.24, und meine nächsten beiden Einführungen sind am 09.01.24 zu Hedwig and the Angry Inch und am 26.01.24 zu Doom Generation.

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  • eve massacre
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