Das Monster unter unseren Betten

Das-Monster-unter-unseren-BettenEs geht bei der Überwachungsdiskussion um die NSA Leaks nicht nur um ein einzelnes Land, es ist so international wie nur möglich, und das nicht nur, weil die Geheimdienste und Webservices verschiedenster Länder mitdrinhängen, sondern weil es schließlich darum geht, wie unsere Leben mit unserem magic Interweb verflochten sind. Von Katzenbildern (Ich wusste, dass ich irgendeinen Grund finden würde, selbst für dieses Thema eins einzubinden – Internet, NSA, darf ich vorstellen: Ninja the cat) bis zu beliebiger Kommunikation mit Fremden von überallher auf der Welt, von Musikstreams (warum hat mir noch nicht schon längst jemand gesagt, dass Airhead ‘s ‘For Years’ Album so ein guter Sommersoundtrack ist?) bis zu viralen Videoclips, von großen Nachrichtennetzwerken bis zu obskuren Blogs, von Grindr bis Geocaching, von albernen Twitterpointen bis zu tiefgehenden Diskussionen, von Skype zu Snapchat, von Onlineshopping und – banking bis zum nostalgischen Facepalmen darüber, dass du eine Einladung zu Farmville von Freunden, Familienmitgliedern oder Chefs auf facebook bekommen hast. Und nicht zu vergessen: das Handy, das dir den Weg zur nächsten Pizzeria zeigt oder mit dem du dein Zugticket kaufst, die Payback Card mit der du im Supermarkt oder an der Tankstelle zahlst, aber auch Navis, Google Glass, Smartwatches und was es sonst noch im Internet of Things so alles gibt. Unsere persönlichen Daten fließen vor sich hin – da ist jede Meditationslehre ein Dreck dagegen. Alles im Fluss.

Ist das schlimm? Nicht unbedingt. Wir sind von kommerziellem Tracking her zu einem gewissen Grad gewohnt, dass wir nichts umsonst bekommen, sondern für kostenlose Services eben mit unseren Daten bezahlen, die wiederum für Werbezwecke genutzt werden. Und dass uns im Internet mit Social Networks neue Zonen von öffentlichem Raum zur Verfügung stehen, hat ja auch seine großartigen Seiten und ist eine Erweiterung von Kommunikations- und Austauschmöglichkeiten. Es ist dir ja klar, dass du ein gewisses Level von Privatheit hinter dir lässt, sobald du das Rumklicken im Netz anfängst oder etwas postest, Gadgets wie ein Fitnessarmband benutzt, oder selbst wenn du einfach nur mit deinem Smartphone in der Tasche unterwegs bist. Du tust diese Dinge in einem bestimmten Kontext und hast die Möglichkeit, in diesem Kontext selbst zu entscheiden ob du jeweils diese Information preisgeben willst oder nicht. Im Idealfall wären dabei jedenfalls dank Passwörtern, verschiedenen Benutzernamen für verschiedene Dienste, Verbot einer Realnamenpflicht, voneinander unabhängigen Geräten usw. diese Daten auch alle in irgendwelchen Ecken des Datennetzes gut verstaut untergebracht, und könnten jeweils nur nach den von dir gestatteten Regeln für andere sichtbar werden. Pustekuchen. Konjunktiv.

Dass bei all dem kommerziellen Tracking mehr Transparenz und schärferer Datenschutz angebracht wären, darauf will ich hier aber gar nicht eingehen. Ich denke jedenfalls, dass jede und jeder zumindest ahnt, dass da ganz schön viel gesammelt, und für optimierte Werbung, Empfehlungsalgorhythmen, Kaufverhaltensforschung, usw. zusammengetragen wird, und dass auch die Desensibilisierung die dadurch stattgefunden hat, dazu beiträgt, dass die Empörung über die staatliche Überwachung sich in Grenzen hält. Letztlich aber ist das im Falle all dieser kommerziellen Tracker nicht ganz und gar über unseren Kopf hinweg geschehen, sondern war und ist immer noch unsere eigene Entscheidung und wir können die Dienste, die diese Daten sammeln auch bis zu einem gewissen Grad einfach nicht verwenden. Oder uns auch wieder davon abmelden.

Wer das übrigens übersichtlich angehen will, dem und der sei an dieser Stelle die Website justdelete.me empfohlen, die Links und Informationen zum Abmelden von einer ganzen Reihe von Webservices gesammelt hat, die sogenannte ‘dark patterns’ benutzt, um dir das Abmelden zu erschweren. ‘Dark pattern’ steht für Methoden bei denen mit Wissen über menschliche Verhaltensmuster bei Benutzungsoberflächen getrickst wird, um dir eben zum Beispiel das Abmelden ganz absichtlich zu erschweren, zum Beispiel indem ein Link dazu schwer zu finden ist oder du dafür extra den Kundenservice kontaktieren musst und ähnliches.

Wie gesagt, über die Daten, die wir für Webservices und ähnliches freigeben, entscheiden wir bis zu einem gewissen Grad selbst. Mit dem ganzen NSA Überwachungsding kommt aber nun plötzlich eine Regierungsmaschinerie daher, die das im Geheimen tut, und die all diese kleinen Spuren die wir hinterlassen, sammelt, ohne dass wir uns dazu angemeldet haben, oder irgendwo die Möglichkeit gehabt hätten ein Häkchen durch einen Klick abzuwählen. Und diese Maschinerie – das haben uns die Enthüllungen zu XKeyscore verraten – kann in Echtzeit auf alles was wir online so treiben zugreifen, das heißt: nicht nur auf Metadaten, sondern auch inhaltlich. Also was in unseren Emails oder facebookchat steht, oder was du alles in einer Suchmaschine nachgesehen hast – alles. Glenn Greenwald fasst das erklärend im Guardian zusammen: “the NSA is attempting to collect, monitor and store all forms of human communication” – die NSA versucht alle Formen menschlicher Kommunikation zu sammeln, überwachen und zu speichern.

Entstanden ist dieser Ansatz aus der Herangehensweise des NSA Chefs Keith Alexander bei der Suche nach irakischen Terroristen, indem er nicht mehr nach einzelnen Spuren fahnden ließ, sondern einen “collect it all” -Ansatz einführt: Erst mal alles sammeln und dann das was interessiert herausfischen. Genau diese krasse Kriegslogik wurde dann im Laufe der Zeit immer mehr auf die eigene und die weltweite Bevölkerung übertragen. Die Grenzen dafür lagen bislang wohl nur im technischen Bereich, denn was rechtliche Grenzen anbelangt gibt es da bei Geheimdiensten wohl keinerlei Hemmschwellen. Derzeit wird in Utah an einem neuen NSA Datenzentrum gebaut, das gigantische Ausmaße hat: Die Nachrichtenstation KSL schreibt etwas von fünf Zettabyte, was fünf Billionen Gigabyte entspricht und zur Kühlung in etwa 3,8 Millionen Liter Wasser pro Tag brauchen wird.

Wir steuern also geradewegs auf eine Zukunft zu, in der es von uns allen komplette Datensammlungen geben wird, die unser ganzes digitales Leben parat haben, aus dem dann beliebig Informationen nach gewünschten Kriterien herausgesiebt und miteinander verbunden werden können. Was das für Möglichkeiten des Missbrauchs bietet, ist gar nicht alles auszudenken. Mit derselben Logik mit der Keith Alexander diese Massenüberwachung zur präventiven Terrorismusbekämpfung eingeführt hat, ließe sich das ja auch irgendwann, wenn noch weitere Tabus unseres demokratischen Rechtsstaatverständnisses abgebaut werden, in Richtung präventive Verbrechensbekämpfung ausweiten bis wir Precrime Units bekommen, wie wir sie bislang nur aus dem düsteren Science Fiction ‘Minority Report’ kannten. Aus bestimmten Verhaltensmustern und Daten lässt sich dann vermeintlich herauslesen, dass jemand ein Verbrechen begehen kann, et voilà: der Superstaat kann es verhindern, bevor es begangen wird. Alles zum Schutze der Bevölkerung, so die blumige Logik hinter der sich Abgründe der Missbrauchs- und Fehlermöglichkeiten auftun: NSA Mitarbeiter haben z.B. privat ihre LebensgefährtInnen gestalkt, wie Siobhan Gorman im Wall Street Journal berichtet, was übrigens nur durch Selbstanzeige rauskam – einen wirklichen Überblick wer die Daten wie missbraucht hat niemand. Diese Zukunft wird langsam doch etwas zu dystopisch für meinen Geschmack.

[Edit: in den letzten Stunden hat sich auf der schwarzhumorigen Seite von Twitter genau dazu das Hashtag #NSAromcom (RomCom = das Filmgenre der Romantic Comedy) verselbständigt. Hier ein paar Beispiele:

nsaromcom

Mir ist es bei der Totalüüberwachung auch staatenübergreifend völlig egal welche Regierung oder der Geheimdienst welcher Nation es ist, der mich in dieser Form komplett überwacht: Ich will, dass niemand die Möglichkeit dazu hat. Gerade weil die Folgen nicht absehbar sind. Niemand weiß, in welchen Händen diese Daten und Möglichkeiten irgendwann mal landen werden. Anhand solcher Datensammlungen lassen sich aus dem Leben jedes Menschen Informationen zusammenpuzzlen, mit denen jeder Mensch in irgendeiner Form als verdächtig oder schuldig zurechtkonstruiert werden kann. Es gibt jetzt schon Fälle wie – um einen der promintesten zu nennen – den von Murat Kurnaz, der wegen einer Namensähnlichkeit 11 Jahre in Guantanamo erleiden musste. Es ist ein in seinen Konsequenzen völlig uneinschätzbares Monstrum was da geschaffen wurde. Und wir stehen nun hier, quasi unserer Grundrechte beraubt, lugen leicht beunruhigt zu diesem Monster unter unseren Betten hinab, und fühlen uns gleich doppelt und dreifach hilflos dabei, weil wir die Regierungen, die dafür verantwortlich sind, ja auch noch ganz demokratisch selbst gewählt haben.

Was könnte diese bedrückende Situation noch schlimmer machen als sie eh schon ist? Ja, natürlich: Menschen. Menschen die vor sich hin menschen. Genauer gesagt: Die Apathie der Menschen angesichts der ganzen Enthüllungen. Die Wahrnehmung der Leute, dass es sie nicht wirklich betrifft. Leute die hynotisierend das Mantra derer vor sich hinsummen, die reinen Herzens sind: “Das überrascht mich nicht” und “Ich habe nichts zu verbergen”. Ich weiß nicht, wie oft diese beiden Sätze in Webkommentaren oder Gesprächen zu diesem Thema in den letzten Monaten geäußert wurden. Ich sag inzwischen meistens schon nichts mehr drauf, aber denke mir immer noch: Hallo?! Es sollte dich aber bitteschön überraschen! Zumindest das Ausmaß. Ich komme mir da manchmal vor, als sei ich die Einzige, die eine Durchsage vom Captain verpasst hat, dass unsere Grundrechte über Bord geworfen wurden. Ich lehne es ab, mir sagen zu lassen, dass ich hier die Naive sei. Egal wie gewohnt wir die Datensammlung von Unternehmen sind, ein staatliches Überwachungsnetz mit dem Rasterfahndung quer durch die komplette Bevölkerung ganzer Länder betrieben wird ist eine ganz andere Ebene. Die Datenschutzrechtlerin und Schriftstellerin Juli Zeh sagt in einem Interview, das ich für sehr lesenswert halte, im Donaukarier:

“Ein Mensch, der observiert wird, ist kein freier Mensch mehr. Man muss nur mal analysieren, was passiert, wenn man mehr als eine Minute angestarrt wird. Man fängt an, auf dem Stuhl herumzurutschen und bekommt feuchte Hände. Dafür müssen wir wieder ein Gespür entwickeln: Dass die Beobachtung uns entwürdigt. Wer das nicht empfindet, ist eigentlich kein freier Bürger in einem freien Land mehr, sondern ein Untertan.”

Udo Vetter vom überaus empfehlenswerten lawblog schreibt:

“Wer befürchten muss, wegen eines Verhaltens in ein behördliches Raster zu geraten, wird dieses Verhalten künftig tunlich unterlassen – selbst wenn genau dieses Verhalten gegen gar kein Gesetz verstößt.

Das ist der sogenannte “Chilling Effect”, den wir spätestens seit der Vorratsdatenspeicherung kennen (…). Wenn ich zum Beispiel – und sei es auch noch so entfernt – damit rechnen kann, dass ein Gespräch mit einem Bekannten Komplikationen auslösen kann, weil dieser “Youssuf” heißt, dann rufe ich ihn halt im Zweifel nicht mehr an. Auch wenn Youssuf der liebste Mensch der Welt ist.”

Und ich will das hier nicht mit dem Gefühl tippen, dass mir jemand dabei über die Schulter sehen kann, obwohl ich allein in meiner Wohnung sitze. Ich will mich weiterhin frei dabei fühlen, wenn ich im Netz unterwegs bin und Meinungen austausche, und nicht jedes Wort daraufhin abwägen, ob es mir in irgendeinem Kontext in 10 Jahren Probleme bereiten könnte, wenn es jemand aus einer Datensammlung herausfiltert, weil es irgendwie auffällig ist. Ich will mich nicht dabei ertappen, dass ich mir denke ‘oh, naja, wenn ich mir heute meinen Künstlernamen aussuchen würde, wäre es wahrscheinlich nicht ‘eve massacre‘, auch wenn es nur eine Anspielung auf ein Kapitel in einem wirklich guten Irvine Welsh Roman ist. Das alles sind kleine Stücke von Freiheit und Unschuld, die uns verlorengehen. Überwachung ist kein Nebenschauplatz, sondern zentral, weil er sich letztlich auf jeden Aspekt unseres Lebens auswirkt.

Um in aller Deutlichkeit noch mal Juli Zeh aus dem Interview im Donaukurier zu zitieren:

“Überwachung bedeutet das Totalisieren von Normalität. Das hat technische Gründe. Bei der Überwachung werden große Mengen von Daten gescannt. Registriert werden dabei die Abweichungen vom Normalen. Jede Abweichung vom definierten Normalfall setzt einen Verdacht. Und möglicherweise führt sie sogar zu einer staatlichen Maßnahme. Das bedeutet für uns Bürger auf lange Sicht, dass wir bewusst oder unbewusst dazu gezwungen werden, uns im Rahmen eines Normalverhaltens zu bewegen. Wir wissen oder spüren: Jede Form von Auffälligkeit kann uns Ärger bereiten. Und so ist das Wesen von totalitären Staaten: Dass nur ein Denken, ein Weltbild, eine Verhaltensweise für alle erlaubt ist.”

[Dieser, der vorangehende und der folgende Blogeintrag basieren grob auf einem englischen Text auf www.evemassacre.org]

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