Virtual Reality und Kunst – re:publica 2016

Hier kommt das Skript, Audio und Video meines Vortrags zu Virtual Reality und Kunst auf der re:publica 2016. Es war mein erster Besuch dort und ich habe ihn in vollen Zügen genossen. Selten so viel spannenden Input so komprimiert erfahren. Insgesamt viel weniger ‘businessy’ als ich befürchtet hatte, viel sympathischer. Ich selbst hatte mich eigentlich mit einem anderen Thema beworben (eher Richtung, wie sich soziale Medien in unser Denken, unser Wahrnehmung usw einschreiben), aber wurde dann gefragt, ob ich bei meinem Background nicht lieber was zu VR und Kunst machen würde, weil das heuer ein Schwerpunkt sei. Da ich mich immer für das was Medien so mit uns anstellen interessiere, und ich VR als neues immersives Medium tatsächlich sehr spannend finde (Mixed oder Augmented aber eigentlich noch mehr), nahm ich das gerne als Gelegenheit an, mir mal ein paar mehr Gedanken dazu zu machen. Und sei es nur, um das allgemeine “woah, krass!” und “VR ist die Zukunft von xy” um etwas zu erweitern. Bei mir geht es denn mehr darum, was ein Medium, in das du eintauchst, eigentlich für das Verhältnis von Künstler*in und User und Werk bedeuten könnte, und über die Möglichkeiten und Notwendigkeit von freier kritischer VR Kunst um ihre gesellschaftliche Rückkopplung sichtbar zu machen.

Ich werde auf jeden Fall in den kommenden Tagen noch Impressionen und Gedanken und Vortrags-Tipps zum Im-Nachhinein-Gucken von der re:publica aufschreiben, hier aber erst mal mein Vortrag, weil doch ein paar Leute nachgefragt haben. Freut mich! Danke!

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Virtual Reality und Kunst

Um Virtual Reality und Kunst soll es bei mir hier heute gehen. Was ist das besondere an VR, was macht dieses Medium so radikal, warum wird es als ähnlich einschneidend wie seinerzeits die Einführung der Perspektive in der Malerei betrachtet?

Immersion vs Erzählen

Eine Sache, die an VR fasziniert, ist für den User allein schon die Auflösung der Distanz zu der präsentierten Erlebniswelt. Pimentel und Texeira haben über diesen anti-semiotischen Charakter, also dass wir keine Zeichen mehr zu übersetzen brauchen, sondern direkt eintauchen können schon in den 90ern geschrieben: “Einfach gesagt, ist Virtuelle Realität, wie Schreiben und Mathematik, ein Weg, das, was du dir mit deinem Denken vorstellen kannst, zu repräsentieren und zu kommunizieren. Aber sie kann machtvoller sein, weil du die Ideen nicht in abstrakte Symbole mit restriktiver Semantik und syntaktischen Regeln konvertieren musst.”

VR Kunst aber nun nur als bloßes Eintauchen in eine Erlebniswelt zu betrachten, hieße, lediglich von der Perfektheit der Illusion fasziniert zu sein, wenn nicht sogar von der eigenen Schöpfermacht berauscht zu sein. Es hieße, das Medium nur als Erweiterung von so etwas wie 3D-Filmtechnik zu betrachten. Etwas, mit dem du noch mehr mittendrin bist im Geschehen. Nun, als Eintauchen in ein Erlebnis, als Identitätstourismus – so werden die Möglichkeiten von Virtueller Realität von vielen derzeit gedacht. Ob es eine Achterbahnfahrt durch den Kosmos ist oder der Aufenthalt in einer Isolationshaftzelle – das heißt VR als Möglichkeit zu denken, wie ich als Künstler meine Version einer Geschichte noch eindringlicher auf den User wirken lassen kann. Das stößt aber schon beim Storytelling an eine Grenze: Wie erzähle ich eine Geschichte? Wie lenke ich den User meine Handlung entlang? Storytelling im klassischen Sinne funktioniert nicht, wenn der User als Figur teil der Erlebniswelt wird und frei in ihrem oder seinem Handeln ist. Wenn User hingucken und hingehen können, wo sie wollen – wie kann dann eine stringente lineare Handlung erzählt werden?

Oder reicht ein zu erkundender Raum als Erlebnis? Wellnesskunst-VR mit sphärischen Klängen und meditativen Umgebungen gibt es ja auch schon. Das gerade frisch veröffentlichte VR Erlebnis vom Guardian über Einzelhaft funktioniert deswegen gut, weil eine Isolationszelle per se ein abgeschlossener kleiner Raum ist. Da lässt sich nicht viel Erforschen und Interagieren. Ähnlich ist es in Notes of Blindness, in dem das Audio-Tagebuch des langsam erblindenden John Hull, visuell und akustisch umgesetzt wurde. Umgebungsgeräusche, O-Ton, Erzählerstimme – akustisch gibt es auch hier, wie beider Einzelhaft-VR eine Mischung aus Erzähler und Erleben. Es werden Grenzen gesetzt, die den User einschränken. Aber das ist keine wirkliche Lösung des Storytellingproblems, schöpft auch nicht die Eigenheiten des Mediums aus, sondern schränkt sie ein: Der Erschaffer will die Macht behalten, sein Publikum zu steuern. Es soll nur ein bisschen von der Leine gelassen werden, darf sich in 360° umgucken, bisschen was tun, wie Gaming gedacht, aber bitteschön weiterhin in der passiven Rolle bleiben.

VR heißt so einfach nur, das Erlebte als noch ein bisschen echter zu empfinden. Im Moment ist das durchaus auch faszinierend, aber wenn die Technologie gewohnter wird, könnte es dazu führen, dass VR ähnlich verpufft wie 3D, als nicht mehr als eine Art Special Effect durch den sich der User noch mehr berühren oder manipulieren lässt.

VR Erlebnis als schöpferischer Akt

Ein konsequenterer Ansatz ist es, den User als Miterschaffenden dieser künstlichen Welt zu sehen. Also: Dass ich keine feste Geschichte vorgebe, sondern nur eine Umgebung, eine potenzielle Erlebniswelt erschaffe, in der ein User selbst ihr oder sein Erlebnis formt. Keine fertige Geschichte, die der User durchspielt. Der autoritäre Erzähler verschwindet. Die Erlebende bringt ihre eigenen Wünsche, Ideen, ihren ganzen Background hinein und schafft das virtuelle Kunstwerk dadurch, wie sie sich in dieser Welt verhält, überhaupt erst mit.

Ein vergängliches und personalisiertes virtuelles Erlebnis: Keine zweite Person wird sich exakt genauso Umgucken und in derselben Weise mit der virtuellen Umgebung interagieren. Den User als Mit-Erschaffenden zu denken, scheint mir dem Medium Virtual Reality angemessener, denn anders als beim Buch oder Film gibt es hier kein abgeschlossenes Produkt oder Objekt, sondern dieses entsteht erst, wenn der User die VR Brille aufsetzt und mit der artifiziellen Realität interagiert. Und existiert nicht mehr, wenn er sie abnimmt.

Ist es nicht ein ganz schöner und ermächtigender Gedanke, dass der Autor somit im VR Medium, nun rund 50 Jahre nachdem Roland Barthes ihn schon mal für tot erklärt hat, nun gewissermaßen ein zweites Mal sterben könnte? Barthes bezog das damals darauf, dass ein Kunstwerk immer vor dem biographischen Hintergrund seines Schöpfers interpretiert werden müsse: Er emanzipierte dagegen die individuelle Betrachtungsweise. In VR stirbt der Autor nun den Tod als handlungsformende Hand. Virtual Reality also als Ermächtigung des Users und der Userin: das Erleben wird zu einem schöpferischen Akt.

VR als Erotik der Kunst

Oder gar: Zu einem lustvollen schöpferischen Akt, einem sinnlichen schöpferischen Erlebnis, eben wegen dem Eintauchen in die virtuelle Welt. Susan Sontag hat schon ein paar Jahre vor Barthes (jouissance) in Against Interpretation festgehalten, dass es bei Kunst nicht um eine richtige Lesart gehe. Das Herangehen an Kunst dürfe nicht darauf beschränkt werden, dass es nur eine vom Schöpfer quasi versteckte Bedeutung gäbe, die es zu enthüllen gälte. Sie forderte stattdessen eine Erotik der Kunst und verschob damit die Gewichtung auf das individuelle emotionale sinnliche Erleben eines Kunstwerks.

Das möchte ich auf das schöpferische Kunsterlebnis von Virtual Reality übertragen: Sie ermöglicht auch formal eine Erotik der Kunst, indem der User gleichzeitig Erlebender und Mit-Schöpfer des Werks wird. Also dadurch, dass jeder User, jedes Userin ein individuell anderes Virtual Reality Erlebnis durchläuft, ja, durch ihren Blick und ihre Interaktionsentscheidungen erst mitkonstruiert, und eben nicht eine vom Künstler vorgegebene Storyline nachvollziehen muss. Das VR Kunstwerk an sich entsteht erst in dem Moment der Interaktion mit dem einzelnen User.

In voller Konsequenz des Mediums gibt es also bei Virtual Reality kein eines fixes Werk mehr, sondern es ist eine flüchtige Vielheit von Kunstwerk: die verschiedenen Erlebnisstränge, die verschiedene User durchmachen, stehen als viele ephemerale Kunstwerke gleichberechtigt nebeneinander.

Kritik des Unsichtbaren

Das Spannende an einem neuen Medium ist auch immer, herauszufinden, wie wir darüber sprechen können. Sprache hilft uns ja, etwas zu verstehen. Bei Virtual Reality ist das alles noch im Entstehen. Wird sie angesehen, wird sie erlebt, wird sie gespielt? Das greift alles nicht so recht. VR hebt unsere gewohnte Vorstellung von Perspektive aus den Angeln. Wir stehen vor, oder besser gesagt, in einem unsichtbaren Medium. Wir haben kein Buch, keine Leinwand, keinen Bildschirm – nichts, was uns von dieser Welt in der Welt trennt. Durch dieses Eintauchen wird auch die Konstruiertheit dieser Welt quasi unsichtbar. Ohne eine Distanz dazu – wie können wir uns da ein kritisches Bewusstsein bewahren?

Überall dort, wo neue Technologie unsichtbar wird, oder: unsichtbar gemacht wird, gibt es dieses Problem der Art und Weise der Kritik. “Black Box Society” nennt Frank Pasquale das Phänomen im Zusammenhang mit immer mehr intransparenten zum Teil lernenden Algorithmen, die immer größere Teile unseres Lebens durchziehen. Es ist schon schwierig etwas zu kritisieren, wenn es sehr komplex ist, aber es ist noch schwieriger, wenn es quasi unsichtbar ist. Kate Crawford hat die Gefahren, die darin stecken, dass die Vorurteile von Menschen unsichtbar mit in Technologie hineinkonstruiert werden, gestern bei ihrem Vortrag hier schön an ein paar Beispielen aus der automatischen Bilderkennung gezeigt: Wenn zum Beispiel bei einer Suche nach CEO nur Bilder von weißen Männern als Ergebnis ausgespuckt werden. Der Timeline-Algorithmus von Facebook ist auch so ein schwer fassbares Ding. Es gibt keine Kontrollinstanz außerhalb des Unternehmens und es gibt immer noch viele User, die nicht mal wissen, dass ihr Newsfeed gefiltert wird. Genauso schwer ist es, die Konstruiertheit von VR zu sehen.

Und es wichtig dass Technologie nicht unsichtbar bleibt, sondern dass wir Wege finden, darüber zu sprechen, weil Unsichtbarkeit leicht mit Neutralität verwechselt wird, und dazu verführt, zu denken, dass eine bestimmte Technologie nur so und nicht anders konstruiert werden könne. Die Sichtbarmachung ist nötig, um sinnvoll Kritik üben zu können.

Kunst als spielerisches Erforschen

Und eine kritische Auseinandersetzung mit neuen Technologien, neuen Medien ist wichtig, weil sie uns verändern und wir verstehen sollten, wie. Digitale mobile Kommunikationsmedien zum Beispiel haben unseren Sinn für Raum und Zeit, für Soziales, für Privatheit und Öffentlichkeit grundlegend verändert, und wir stecken hier immer noch mitten im Versuch, zu verstehen, wie. Marshall McLuhan hat darauf hingewiesen, dass Medien zu verstehen heißt, die Effekte von Medien zu verstehen. Kunst kann das im kreativen Erforschen und Spiel mit dem Medium oft besser festmachen, als eine komplexe wissenschaftliche Abhandlung. Bestimmt kennen viele von euch die Serie Black Mirror? In ihr wird kreativ mit den Möglichkeiten moderner Kommunikationsmedien gespielt. Science Fiction, aber so nah an den jetzigen technologischen Entwicklungen, dass es hilft, besser zu verstehen, wie diese unsere Gesellschaft verändern.

Körperlichkeit in VR: das Bauchgefühl

Mit Virtual Reality stehen wir schon an der Schwelle zu einem noch größeren Umbruch, als ihn soziale Medien, Smartphones usw. bedeutet haben. Wo Smartphones Mobilität des Bildschirms und dank Touchscreens eine direktere, intuitivere Bedienung als die gute alte Maus am Desktopcomputer brachten, fällt bei virtueller Realität der Bildschirm weg, und wir können noch direkter auf Dinge zugreifen. Das ist der anti-semiotische, oder post-semiotische Charakter von VR: Wir müssen nichts per Mausklick auf ein Symbol eines Mülleimers ziehen, sondern können etwas gleich mit einer Handbewegung in einen virtuellen Mülleimer werfen.

Steuerung durch Gesten, durch Blick, oder – auch das gab es schon in einer VR Installation – Steuerung der Fortbewegung durch Atmung. Damit lassen sich ganz neue körperliche Erfahrungen austesten. VR Kunstinstallationen, in denen sich die Schwerkraft verändert, je nachdem wo du gerade bist. Der Kreativität sind da eigentlich keine Grenzen gesetzt.

In einem Artikel über Mixed Reality mit Magic Leap hieß es vor kurzem, dass hier eine Verschiebung vom Erschaffen, Weiterverbreiten und Konsumieren von Information zum Erschaffen, Weiterverbreiten und Konsumieren von Erfahrungen stattfände. Dass Virtual Reality so anders sei, weil wir ganz aus dem Bauch heraus verstünden, was wir dort erleben. Ich werde immer etwas nervös, wenn mir Leute Bauchgefühl als Beleg für Authentizität oder Wahrheit nennen, gerade in der Ära der besorgten Bürger. Aber mit genau wegen so einer Direktheit des Fühlens wird gerade sehr viel herumgeschwärmt in Sachen VR.

VR und Empathie: Botschaft vs Spektakel

Kaum ein Text über VR derzeit, in dem nicht mit dem Begriff der Empathie herumgeworfen wird. Vor allem Journalismus, der dank des Gamings von sozialem Miteinander, das ja den Kern von Social Media Plattformen darstellt, derzeit ohnehin schon mehr denn je auf kurzlebige Emotionalisierung statt auf tiefergehende Erklärungen setzt, scheint darauf anzuspringen. Darüber hinaus scheint mir die virtuelle Teilnahme an Doku-Erlebnissen auch ein Weiterführen von so etwas wie Liveticker oder Livestreamen von Katastrophen zu sein. Es geht leider oft mit dem Verzicht auf komplexere sachliche Auseinanderetzung einher. Menschen sind auch von Filmen zutiefst gerührt, oder vom Bild eines toten Flüchtlingskinds kurzzeitig schockiert. Muss ich in einem virtuellen Flüchtlingslager stehen, um die Not dieser Menschen nachvollziehen zu können?

Das Geld für das Herumexperimentieren mit VR wird gerade in rauen Mengen von vielen ausgegeben, die mit Emotionen Geld verdienen können. Ob es Newsmedien sind, die auf emotionalisierte Inhalte setzen, um Leser zu locken, oder Facebook, das soziale Vernetzung gamifiziert. “Es ist eine Sache, wenn du jemandem etwas beschreibst, aber was ganz anderes, wenn du es erlebst”, so Matthew Cooke, der an VR Welten wie z.B. Isolationshaft in einer Einzelzelle arbeitet. Chris Milk hat in einem TED-Talk den Begriff von VR als “Empathiemaschine” geprägt, und auch Nonny de la Peña von Emblematic verwendet diesen Begriff: Sie schaffen VR Erlebnisse, in denen du zum Beispiel live dabei sein kannst, wenn in Syrien eine Autobombe hochgeht, oder wenn George Zimmerman Trayvon Martin erschießt.

Im Schlusspanel der Theorizing The Web Konferenz vor ein paar Wochen ging es um die Viralität des Bösen, dort stellte Zeynep Tufekci die Frage in den Raum: Gibt es auch nur einen wirklich gelungenen Anti-Kriegsfilm? In dem wirklich die Botschaft gegenüber dem Spektakel überwiegt? Botschaft vs Spektakel – das sollte auch bei als Emotionsmaschine eingesetzter Virtual Reality abgewogen werden. Es kann nicht einfach gelten “Wer verstehen will, muss fühlen.”

Ava Kofmann sprach ebenfalls bei Theorizing The Web über die Gefahr, dass wir übersehen, dass hinter der Virtual Reality Technologie diesselben Machstrukturen die Muskeln spielen lassen wie auch sonst im Silicon Valley. Kofmann wies auf die Gefahr hin, dass hier etwas als Objektivität 2.0 vermarktet wird, was in Wahrheit jedoch genauso von einem Autoren konstruiert wurde, wie ein Film. Nur weil die gestaltende Hand mit dem Wegfallen des Bildschirms noch unsichtbarer wird, und der Nutzer das Geschehen aus 360° betrachten kann, darf hier keine Objektivität, keine Neutralität angenommen werden. Virtuelle Realität also als Doku, all diese Empathie-VR-Projekte, sollten kritisch gesehen werden, denn, um nochmal Kofmann zu zitieren: VR lässt uns vielleicht durch die Augen von jemandem sehen, aber wir können nicht in deren Kopf sein.

Philippe Bertrand ist einer von acht Künstlern, die The Machine To Be Another geschaffen haben, eine Virtual Reality Installation, in der es ebenfalls um Empathie geht. In ihr kannst du in den Körper einer anderen Person schlüpfen. Sie wird ergänzt durch Liveperformer und es werden Teilnehmenden auch Gegenstände, zum Beispiel ein Apfel, in die Hand gelegt, wenn sie das gerade in der Virtuellen Realität erleben. Aber auch Bertrand lehnt VR als Empathiemaschine eher ab. Er sagt, dass es ihnen in ihrem Kunstprojekt um das Experimentieren mit Empathie ging, nicht um die Technologie als quasi Lösung dafür, Empathie zu erzeugen. In weiteren künstlerischen Projekten würden sie sich dem Thema auch ganz ohne Technologie annähern.
Und auch Ava Kofmann brachte es bei ihrem Theorizing The Web Vortrag auf den Punkt: Empathie darf nicht zum Endprodukt werden.

Aber wer das Geld für die neue Technologie hat, hat auch das sagen, womit herumexperimentiert wird.

VR als Empathiemaschine: What could possibly go wrong?

Der quasi-pädagogische Ansatz, VR als Empathiemaschine zu gebrauchen könnte das sein, was sich im VR Mainstream durchsetzt. Von Hollywood bis Neuromarketing – das ist gefundenes Fressen. Deswegen wird herumgetüftelt, wie Storytelling aussehen könnte, eine Führung des Erlebenden, wie kann ich ihn manipulieren, was für eine Karotte halte ich ihm vor’s Maul, damit er sich einem von mir entworfenen Erlebnisstrang entlangbewegt, und damit er das fühlt, was ich ihn fühlen lassen will. Jason Lanier erzählt in einem Interview für Wired von einem Forschungskollegen, Jeremy Bailenson (der Director des Virtual Human Interaction Labs an der Stanford University ist und einen Psychologie-Background hat), und Lanier hält dessen Experimente zum Teil für fragwürdig. Darunter war nämlich so etwas wie “Hey, ich möchte mal sehen, ob ich das Selbstbewusstsein von jemandem verändern kann, indem ich ihn in einer VR Simulation nach und nach kleiner werden lasse, oder indem ich seine Hautfarbe immer dunkler werden lasse, während er mit anderen interagiert”, also Rassismus erfahren lasse. Lanier bestätigt, dass beides funktioniert hat, aber er selbst sieht solches Herumexperimentieren als ethisch fragwürdig an, gerade, sagt er, in dem Zusammenwirken mit unserem derzeitig dominanten Geschäftsmodell, in dem sich alles um Werbung und Manipulation und Spionieren dreht. Die Befreiung des Users, als die VR gern gefeiert wird, ist also durchaus mit Skepsis zu sehen.

Kunst als Kritik ermöglichende Instanz

Wenn sich ein so spannendes Medium wie VR als an Storytelling gebunden und als Gefühlserzeugungsmedium durchsetzen sollte, ist das durchaus auch ein Zeichen für die schmerzhafte Leerstelle der Kunst in diesem Bereich. Konzerne, Marketing (und Militär, aber darauf gehen wir jetzt mal nicht näher ein) – dort steckt das meiste Geld und die technologischen Voraussetzungen um mit VR schöpferisch tätig werden zu können. Und dort ist Kunst meist eher in Formen wie Entertainment oder Design gern gesehen, aber nicht als freies und auch kritisches Herumexperimentieren, das sich nicht vermarkten lässt. Und nicht als potenzieller Disruptor. Wenn’s blöd läuft, bewegen wir uns auf eine Hauptentwicklung des VR Mediums in Richtung Black Box, das heißt: Unsichtbarhaltung der Verankerung und der Rückkopplung der virtuellen Realität in der gesellschaftlichen Realität.

Aber, um Marshall McLuhan zu bemühen, er schrieb: “Künstler waren lange die, die mögliche Effekte von neuen Medien aufspürten, Navigatoren was Soziales und Politisches anbelangte. Die Modelle, die sie schufen, waren nicht sehnsüchtige Träume, die Geld kaufen kann, sondern dringliche tatsächliche Instruktionen wie sich Disaster vermeiden lassen. Jede neue Struktur, die Erfahrung in Codes verpackt und Information bewegt, sei es das Alphabet oder die Fotografie, hat die Macht hat, ihren strukturellen Charakter und ihre Annahmen auf alle Ebenen unserer privaten und sozialen Leben aufzuerlegen, sogar ohne die Leistung von Konzepten oder von bewusster Akzeptanz.” Das sei das, was er mit “the medium is the message” eigentlich meinte.

Oder, wie es Bruce Springsteen sang: “We learned more from a 3-minute record, baby, than we ever learned in school.” Kreatives, spielerisches, und ja, auch emotionales Wissen über ein Medium.

Genau deswegen wollte ich bei aller Euphorie über das Medium einen etwas kritischeren Vortrag zu Virtual Reality und Kunst bringen – das Schwärmen überlasse ich heute anderen, und es gibt auch genug zu Schwärmen. Keine Frage, es wird auch so bestimmt viel spannendes Entertainment dabei herauskommen, und es wird noch besser ausgetüftelt, wie sich User gamen lassen, bei der Stange gehalten werden können, so dass wir uns gewiss nicht langweilen werden mit VR.
Aber.
Wieviel Spannenderes, Vielschichtigeres und Erhellenderes eine freie wilde und auch eine kritische Kunstszene aus Virtual Reality herausexperimentieren könnte, das wäre doch sehr bereichernd zu erfahren.

Wenigstens ein spannendes positives Beispiel möcht ich kurz ansprechen, und zwar eine Mischung aus Kunst und Doku namens Clouds: Eine VR Dokumentation über die Schönheit von Code und digitaler Kunst, über kreatives open source VR Coden, und gemacht mit DepthKit, einer Open Source VR Editing Suite, finanziert über Kickstarter. Die Virtualität, die Künstlichkeit des Erlebnisses, wird darin umarmt, nicht in Pseudorealismus übersetzt. So sind zum Beispiel die Bilder der dokumentierten Personen von Glitches verzerrt. Sie sind so als digitales Avatar kenntlich gemacht. Eine fragmentierte Welt, beschreibt es einer der Macher, Jonathan Minard, in der Bruchstücke von Code herumschweben. Der Betrachter oder Erlebende ist sich bewusst, dass er eine computergenerierte Welt erlebt. Das besondere an CLOUDS ist auch, dass es keine lineare Erzählung ist, sondern als loses Netz angelegt ist, das der User in seiner selbstgewählten Reihenfolge und seinem eigenen Tempo erforschen kann. Das geht genau in die Richtung Ausforschen der Möglichkeiten des Mediums, wie ich sie mir mehr wünsche. Einer Ermächtigung des individuellen Users, eben das, was ich mit der Erotik der VR Kunst und dem kreativen Erleben angesprochen habe.

Ihr seht hoffentlich, was ich meine: Mehr Arthouse, weniger Game of Thrones! Oder wenigstens: mehr Black Mirror! Allein schon das nötige technische Knowhow, aber ebenso die Finanzierung machen es jedoch schwer, Virtual Reality Technologie außerhalb des Rahmens, und außerhalb der Plattformen, und damit außerhalb der Interessen von Sponsoren aus den großen Bereichen, die heute damit arbeiten, künstlerisch zu erforschen. Deswegen möcRe:hte ich diesen Vortrag als kleines Plädoyer verstanden wissen, für alternative unabhängige Finanzierung von Kunst, für eine Stärkung von interdisziplinären Kunstkollektiven, von mit Technologie und Wissenschaft verwobenen Kunstformen, die kreativ erkunden können, was Virtual Reality kann, und wie sie sich in unserer Gesellschaft niederschlagen könnte.

Danke für’s Zuhören.

re:publica Seite zum Vortrag
Audiomitschnitt
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Videomitschnitt:

3 comments on “Virtual Reality und Kunst – re:publica 2016

    1. Danke für die Beispiele! Ich sehe mich aber weder als Expertin noch war mein Vortrag als umfassender Überblick gemeint. Wegen der Kürze (20min), und weil der Vortrag nach mir sich konkreten Beispieln widmete, habe ich einen theoretischen Ansatz gewählt. Das bringt viele Konjunktive mit sich, und diese sind durchaus dazu gedacht, dass andere sie weiterdenken oder widerlegen. Deswegen freue ich mich, dass du da gleich ergänzt, was dir zu kurz kommt. Mir ging es eher um VR Kunst, die ein Mainstreambewusstsein erreicht, weil mich eben die gesellschaftliche Rückkopplung interessiert.

  1. Nachvollziehbar, ja. Ich fand, es macht Sinn, an einer Stelle, wo sich offensichtlich jemand dafür interessiert, darauf hinzuweisen.

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