Auseinandersetzung um Antje Schrupps ‘Gibt es Frauen und Männer überhaupt?’

Als ich Freitagabend in der Tram in meiner Twittertimeline ein kurzes Hin und Her darüber las, ob die Kritik an einem Text in der ZEIT gerechtfertigt oder überzogen sei, entfuhr mir ein gedankliches “Oje”, weil ich vermutete, dass es um Antje Schrupps ‘Gibt es Frauen und Männer überhaupt?’ gehen würde. Ich lag richtig, und zwei Tage später hatte ich jetzt auch endlich Zeit, den Text zu lesen und der Kritik ein wenig nachzuspüren.

Wenn ich es richtig verstehe, liegt der Hund im Ende begraben, wo Folgendes zu lesen ist:

“Das feministische Projekt, das heute ansteht, bestünde hingegen darin, genau diese Personen – Menschen mit Uterus, die Kinder gebären (möchten) – als politische Subjekte zu positionieren, deren Interessen, Anliegen und Bedürfnisse nicht länger missachtet werden dürfen.”

Das ist unscharf formuliert und kann bedeuten: 1.) NUR solche Personen sollen das politische Subjekt des Feminismus sein. Oder: 2.) Diese Personen sollen AUCH einen Platz als politische Subjekte des Feminismus bekommen. Die Lösung im Sinne Antje Schrupps ist 2.), was eigentlich allen auch im darauf folgenden Satz hätte klar werden können:

“Es wäre der Kampf für eine Gesellschaft, in der Menschen AUCH DANN nichts an Einfluss, Macht, Wohlstand und Lebensoptionen verlieren, wenn sie schwanger sind oder kleine Kinder versorgen.” (Hervorhebung von mir.)

Einige lasen aber glasklar die Bedeutung, die ich unter 1.) beschrieben habe und Leute (teilweise auch welche mit richtig vielen Followern wie Margarete Stokowski und Mario Sixtus, die ich beide auf ihre Art schätze, aber denen ich beiden auf Twitter nicht mehr folge, weil sie so zugespitzt schreiben. Das ist so ein Dauerreizeffekt, als würdest du dauernd provoziert. Mir sind die leiseren Accounts lieber.) tweeteten lautstark, dass Antje Schrupp im TERF-Sinne fordere, dass Feminismus nur für Gebährfähige da sei.

Es schwelt. Halb Feminismusdeutschland scheint schon darauf zu warten, dass der polarisierende Kampf zwischen transinklusivem und -exklusivem (TERF) Feminismus, der z.B. in Großbritannien schon lange ausgebrochen ist, auch hier ‘endlich’ den Mainstream erreicht. (Wobei zu diskutieren wäre, inwieweit ihn die UK-Mainstreampresse überhaupt erst angeschürt hat.) Ich bin froh, dass es hier noch nicht das nächste große Thema des toxischen Kolumnenjournalismus ist, aber hatte, wie einführend schon erwähnt, als ich las, dass Antje Schrupp einen neuen Text in der ZEIT veröffentlicht hat, schon geahnt, dass es Kritik in diese Richtung geben würde, da Antje in der Vergangenheit schon Kritik aus der Enby- und Transgender-Ecke bekommen hat. Warum, weiß ich nicht und ich möchte das auch nicht recherchieren.

Dass sich der Tonfall von Trans- und Enby-Queerfeminismus-Twitter in großen Teilen über die letzten Jahre sehr verschärft hat, ist so schmerzhaft wie schmerzvoll. Schmerzhaft für die, die – oft zurecht – einen geballten Ansturm der Kritik erleben. Schmerzvoll, weil in der Verhärtung des Tonfalls, der Zementierung der Position und der Annahme, das Gegenüber könne nur das Schlechtmöglichste meinen, in Vorverurteilungen, in Forderungen nach eindeutiger Positionierung und nach Anerkennung, schlicht der Schmerz von wiederholten Diskriminierungserfahrungen steckt.

Auf der anderen Seite des Rings: der professionelle weiße Cis-Feminismus, der teils mit komplettem Unverständnis auf die Schärfe der Kritik und auch auf die Unprofessionalität des jungen Queerfeminismus mit DIY- und Meme-Bildungshintergrund reagiert, statt ihn zu verstehen zu versuchen.

Feministische Theorie und erlebte Diskriminierung, Politik vs Akademie, und andere prallen hier immer wieder aufeinander, als wären sie oppositionelle Lager, was man auch meinen könnte, bis der Blick auf die Männers fällt, weiß männlich hetero Mittelschicht aufwärts, wieder mal zum Großteil bloß außenrum sitzen und milde lächelnd den Kopf schütteln über diese crazy Queers und Feminist*innen und die ganzen anderen Freaks im Ring. Hoho, man könnte fast denken, für diese stünde irgendwas auf dem Spiel in diesen Kämpfen. Unterhaltsam allemal, während sie sich dann wieder mit den wichtigen Dingen des Lebens beschäftigen können. Oder sogar mit selbstausgesuchten Themen.

Die Kämpfe werden nicht aufhören.

Die diskursive Macht, die es allein schon durch Reichweite hat, in einem großen Printmedium zu veröffentlichen, oder mehrere Tausend Follower zu haben, ist erschlagend für die, die sich von so einem Artikel falsch dargestellt oder diskriminiert, nicht gehört, abgedrängt, zur Marginalie gemacht fühlen. Aber wenn sich viele, die alle nur eine kleine Reichweite haben, zusammentun, können sie auch gehört werden. So wird ein Machtausgleich versucht: durch Lautstärke und Zuspitzungen und Zusammenschließen zum Hive. Die Affordance von Twitter und Facebook ist ja nun mal, dass man dadurch am besten gehört wird.

Ja, mitunter wird dabei über das Ziel hinausgeschossen und die sogenannte Cancel Culture ist nicht automatisch fair und angemessen, nur weil sie von Marginalisierten kommt. Aber es ist eben ein Mittel der Ohnmächtigen, derer ohne Macht. Um eine Auseinandersetzung auf gleicher Sprechhöhe führen zu können, muss vielleicht erst die Ohnmacht abgeschafft werden. Oder zumindest: Mitgedacht werden. Den Grund für die Schärfe des Tonfalls mitzudenken, wäre doch mal ein Ansatz, oder? Sich der Verzweiflung, die hinter der Aggressivität oder Vehemenz stecken könnten, bewusst werden?

Das heißt nicht, Gesagtes gar nicht kritisieren zu dürfen, aber vielleicht mal etwas mehr Zeit in den Versuch investieren, zuzuhören und verstehen zu wollen. Nachvollziehen zu können, woher die Wut und die Kampfbereitschaft kommt, und sie anzuerkennen. Die eigene scheinbare Nüchternheit bei einem Thema nicht mit Objektivität/Neutralität/Professionalität usw. zu verwechseln, wenn sie eigentlich schlicht einer Privilegiertheit entspringt.

Aber das hat jetzt ganz weit weg von Antje Schrupp geführt, pardon.

Ich nehme Antje Schrupp hier nichts übel, da ich sie als pragmatische Feministin schätze, die sich gerade nicht im Akademischen genügt, sondern die sich traut, laut zu denken und öffentlich zu diskutieren, wie in ihrem immer wieder bereichernden Blog. Der Artikel, um den es hier geht, wirkt auf mich etwas so, als hätte die ZEIT gern mal wieder angetestet, ob das Transgender/TERF-Ding jetzt hier auch schon zieht – deswegen der J.K. Rowling-Aufhänger -, aber als hätte Antje Schrupp dann lieber doch zum Thema ihres aktuellen Buchs geschrieben. ^^

Ihr aktuelles Buch Schwangerwerdenkönnen habe ich noch nicht gelesen, aber wäre jetzt doch neugierig drauf. 17€ sind aber leider ein stolzer Preis für einen 192-Seiten-Essay und Bücher über Schwangerschaft sind jetzt nicht die Top-Prio auf meiner Interessensliste, wo ich erst vor ein paar Monaten The Argonauts und Full Surrogacy Now gelesen habe. Und letzteres sei auch allen in diesem Kontext ans Herz gelegt: Sophie Lewis Ansatz, von Schwangerschaftsarbeit – “gestators of all genders unite!” – zu sprechen und Leihmutterschaft und Wahlfamilien ins Zentrum einer Utopie des Ausgleichs dessen zu stellen, was Antje Schrupp “reproduktive Differenz” nennt, halte ich für einen großartigen Ansatz. Auf deutsch ist es noch nicht übersetzt, aber Lukas Hermsmeier hat schon mal was dazu geschrieben.

Als Vorgeschmack, empfehle ich hier für die Englischlesenden auch noch diese zwei Essays von Sophie Lewis: Who Liberates the Slave?, ich sag mal grob: über Handmaid’s Tale und weißen Feminismus. Und auch ganz großartig, zum Thema Familie und Midsommar / Hereditary: The Satanic Death Cult Is Real.

P.S.: Bisschen Beef mit Antje Schrupps ZEIT-Text hab ich aber trotzdem: Wenn schon bis hin zu millimetergenauen Angaben auf Biologie eingehen, dann nicht alte Mythen reproduzieren. Das tut sie, wenn sie von der Durchschnittsgröße einer Klitoris schreibt, “die bei der Geburt zwischen 0,2 und 0,85 Zentimeter groß ist.” Dabei geht es mir nicht um pingelige Zahlenklauberei, sondern um die bittere Geschichte instutionalisierter Unsichtbarmachung bis hin zu Feindlichkeit Frauen und deren Lust gegenüber, die bei diesen falschen Angaben zwischen den Zeilen mitschwingt. (Mehr zur Klitoris und wie verborgen und schambehaftet das Wissen dazu auch heute noch ist, gibt’s zum Beispiel in diesem Artikel.)

 

7 comments on “Auseinandersetzung um Antje Schrupps ‘Gibt es Frauen und Männer überhaupt?’

  1. die “transgender-Ecke” find ich da nun wieder etwas unglücklich gewählt, klingt etwas nach “diese paar Leute schon wieder, herrje”…

    Größtenteils teil ich die Sichtweise von deinem Text.
    Ich kann verstehen dass transmenschen, insbesondere transfrauen die nicht schwanger werden können, den Text als nicht relevant für die eigene persönliche Lage empfinden, und sich mit dem Aufmacher “gibt es Geschlecht überhaupt?” und dem nicht ganz schlüssig darauf folgenden Fazit “wir müssen uns um Menschen, die schwanger werden können, kümmern” unsichtbar gemacht sehen, besonders eben in einem Text mit gewisser Reichweite.
    Dem Text deswegen Trans*feindlichkeit* zu unterstellen wie es an etlichen Stellen geschehen ist, fiele mir eben auch nicht ein. Ich, NB, nichtschwangerwerdenkönnend, finde den Text trotzdem gut, egal ob er mich persönlich nun betrifft oder nicht. Gibt ja nicht nur mich auf der Welt. Und Cancel Culture und die Zuspitzungen und Unterstellungen nehme da genau so destruktiv wahr wie du.

    1. “die “transgender-Ecke” find ich da nun wieder etwas unglücklich gewählt, klingt etwas nach “diese paar Leute schon wieder, herrje”… ”

      Das stimmt, das kommt ohne das Wissen, dass ich mich selber zur “Enby- und Transgenderecke” zähle, eher negativ rüber. Tut mir leid, so ist es nicht gemeint. Die Flapsigkeit des Ausdrucks ist eher der Vertrautheit geschuldet.

  2. Hallo Eve, von mir noch eine kurze Anmerkung zu deinem Beef: Der Abschnitt mit der Klitoris-Länge war wörtlich aus der Studie von Blackless, Fausto-Sterling u.a. übernommen, die meines wissen die einzigen sind, die das Thema in dieser Gründlichkeit bisher untersucht haben. Ich wollte das gerne im Wortlaut haben, um klarzumachen, auf welcher (durchaus pingeligen) Grundlage die 98,3 Prozent zustande kommen. Der Klitoris-Begriff ist natürlich falsch, aber das jetzt noch auseinander zu nehmen, hätte für mein Gefühl zu weit vom eigentlichen Thema weggeführt.

    1. Danke! Das kann ich halb nachvollziehen. Ich hätte an deiner Stelle dann einen Halbsatz dazu eingefügt oder das Beispiel weggelassen, wenn ich mir dessen schon bewusst gewesen wäre. Aber es ist jetzt auch kein Weltuntergang. 🙂

  3. Hallo Eve, herzlichen Dank für deinen Text, den ich sehr begrüße und hilfreich finde. Er unterstreicht, worauf es Antje ankommt … gewiss nicht auf eine Art von Uterus-Kontrolle! Eine Randbemerkung noch, weil du auf den Ladenpreis des Buches eingehst: Ich versteh, dass 17,- EUR viel erscheinen können, aber Buchpreise sollten relativ gesehen werden: Der Ulrike Helmer Verlag ist seit über 30 Jahren ein feministischer Indieverlag – und kein gewinnmaximierend orientierter Großkonzern wie u.a. auch der, bei dem Margarete Stokowski sich verlegen lässt. Wenn Verlage wie meiner (z.B. auch Ventil und viele andere) weiterexistieren wollen, müssen die Ladenpreise von Büchern dem entsprechen, was solche Verlage an Arbeit und Engagement da reinstecken – zumal Indieverlage dasselbe buchhändlerische Vertriebsnetz mit denselben Kosten stemmen müssen. Indieverlage kämpfen hart um ihre Existenz, ohne sie hätte es viele Bücher, Themen und Autor*innen nie am Markt gegeben. Wenn ein Indiebuch also 17,- EUR kostet, sind das quasi “andere” 17,00 EUR als für ein Buch aus einem Großverlag … Ich gebe das einfach mal allgemein zu bedenken – dazu auch der Hinweis, dass es am 21. März einen “Indiebookday” gibt, bei dem Indieverlage durch Buchkauf in den Buchläden unterstützt werden können :o). Lieben Gruß, Ulrike Helmer

    1. Ich halte den Preis auch nicht für ungerechtfertigt, aber ich gehöre zu denen, die so prekär leben, dass sie bei Büchern meist auf billigere oder gebrauchte Ausgaben warten müssen. Wenn ich nicht gerade mal netterweise ein Rezensionsexemplar bekomme. Ich kenne ähnliche Klüfte aus Veranstalterinnenperspektive. Da liegen sie zwischen dem, was ich als angemessen als Gage für eine Künstler*in halten würde, und dem, was an Eintrittsgeld reinkommt und wir tatsächlich zahlen können, bzw. auch noch dem, was sich als Eintrittspreis verlangen lässt, damit ein Konzert für möglichst viele Leute erschwinglich ist.
      Deswegen finde ich gut, dass du das hier so ausführlich erklärst! Danke!

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  • nadja

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