Ein paar Gedanken zur Impflicht und jetzigen Lage

Ich denk mal wieder laut in diesen Blog hinein. Was mich verwirrt: Bei “Impfpflicht” haben manche gleich ein Bild vor Augen, wie Menschen von Polizisten aus dem Haus gezerrt und gewaltsam geimpft werden. Ich ja nicht. Impfpflicht in der Praxis ist doch eher eine Zugangsregelung: Ich muss bestimmte Kriterien erfüllen, damit mir Zugang zu einem gesellschaftlichen Bereich gewährt wird, weil ich sonst das Wohl anderer oder meins in Gefahr bringe. So ist es doch zumindest bei der Masernimpfpflicht, siehe z.B. hier

Deswegen verstehe ich auch nicht, warum 2G-Zugangsregulierungen von manchen als “Impfpflicht durch die Hintertür” bezeichnet werden, als würde damit ein geheimer Plan von ‘denen da oben’™ enthüllt. Da ist doch nichts geheim dran. 2G lässt sich doch ganz klar als eine Form von Impfpflicht verstehen, oder nicht?

Diese Gesellschaftsbereiche voneinander isolierende Form der Impfpflicht reicht bei Covid-19 aber natürlich nicht aus: Die Gesellschaftsbereiche sind nicht so einfach zu isolieren, wie derzeit noch getan wird und was uns auch voll in die 4. Welle reinschwimmen hat lassen. Jetzt gilt es wieder mal, nicht drin zu ertrinken.

Ich bin latent schon für eine Impfpflicht und ich hab keine Geduld mit Leuten, die sich aus gesellschaftsfeindlichen Freiheitsvorstellungen oder (oft antroposophisch verwurzelter) Aufklärungsresistenz heraus nicht impfen lassen wollen, aber zu einer Impflicht gehört mir halt auch, dass da dabei sehr differenziert vorgegangen wird. Damit es zum Beispiel nicht Leute trifft, die sehr isoliert leben, damit nicht “Informationsferne” plötzlich von Strafmechanismen getroffen werden, obwohl das Problem in ihrem Fall eigentlich im staatlichen Verfehlen in Sachen Informationsarbeit und Impfangebot liegt. Ich seh das schon als Job des Staats, die Impfe zu den Leuten zu bringen, und da wäre schon noch ganz schön Luft nach oben.

Deswegen schmeckt mir gerade auch das pauschale Stigmatisieren aller Ungeimpften als aufklärungsresistente Verweigerer nicht. Ja, ich hab echt eine Stinkwut auf diese Leute, gerade beim Gedanken daran, was gerade in Krankenhäusern vor sich geht und an Leute, die durch ihren Job täglich in Kontakt mit welchen gezwungen sind. Emotional ist das gar keine Frage. Zu dem moralischen Dilemma von Impfverweigerung als sozialer Akt hat vorhin auch Georg Diez ein paar Gedanken fallen lassen. Es ist einfach arg frustrierend, von massiver Kontaktbeschränkung über politischer (Informations-)Arbeit bis zu Impfung alles gemacht zu haben, um der Pandemie entgegenzuwirken, und dann wegen Ungeimpfter die Ansteckungs- und Todes-Zahlen wieder so krass steigen zu sehen wie derzeit.

Aber auf der Suche nach Verantwortung sollten wir es uns nicht zu einfach machen. Mir erscheints wichtiger und effektiver in Hoffnung auf das weitere Vorgehen, auf das Versagen der staatlichen Pandemieverwaltung zu fokussieren statt auf Ungeimpfte: Mehr und gezieltere Aufklärungsarbeit, härtere (und kürzere) Maßnahmen, weniger Wirtschaftshörigkeit, schnelleres Reagieren – es wurden und werden in so vielen Bereichen da so viele vermeidbare Fehler gemacht. Da liegt das Problem. Nehmt nur die überfüllten Impfzentren, an denen derzeit Leute abgewiesen werden. Es war völlig klar abzusehen, dass sobald Boosterimpfungen offiziell empfohlen werden, der Run darauf losgehen wird. Das nicht besser abzustimmen, ist wieder mal so eine Panne, die aufzeigt, wie schlecht organisiert und unverzahnt die politische Pandemiearbeit abläuft.

Die Dissonanz ist halt derzeit wieder mal kaum auszuhalten. Auf lokaler Ebene: Gefüllte Clubs, keine Absage des Christkindlesmarkts und gleichzeitig Meldungen wie heute in den Tweets von Thomas Pettinger:

“Stille Triage.” Sie hat in #Nürnberg begonnen. Rettungskräfte überzeugen Angehörige, dass es besser ist schwer an #COVID19-Erkrankte nicht mehr in weit entfernte Krankenhäuser zu fahren, in denen kein adäquates Behandlungsbett mehr frei ist. Die Menschen sterben zu Hause.

Es ist also nicht nur die sich abzeichnende Überlastung der Notaufnahmen, die Schlange von Rettungswagen, die vor Krankenhäusern warten. Es werden schon jetzt viele Entscheidungen durch die Überlastung so getroffen, wie man sie in nicht pandemischer Zeit nicht fällen würde.

Das ist kein Vorwurf an die in der Notfallversorgung Arbeitenden, denn es sind die in der Notfallsituation richtigen Entscheidungen, die mangels besserer Alternativen getroffen werden. Aber es ist vermeidbares Leid, wenn Menschen sterben, die bei guten Bedingungen überlebten.

Aber ich franse aus, zurück zur Impfpflicht: Eine Impfpflicht durch Zugangsregulierung für verschiedenste und auch immer mehr Gesellschaftsbereiche halte ich deswegen derzeit für eine bessere Lösung als eine, die mit finanziellen oder Haftstrafen bewehrte. Theoretisch zumindest. Praktisch greift die Zugangsregulierung nicht so tolle – egal ob 2G oder 3G oder wie sich Söder jetzt für Diskos wünscht 2G+ – weil vielerorts nicht wirklich kontrolliert wird. Und sie verführt zu falscher Sicherheit, denn dass 2G in der derzeitigen Situation nicht reicht, ist eigentlich völlig klar, dazu hier ein aktueller Brandbrief von 21 Wissenschaftler*innen, u.a. Viola Priesemann, Sandra Ciesek und Ulrike Protzer in DIE ZEIT. Die Zahlen sind derzeit einfach wieder so hoch und die Krankenhäuser auf Anschlag, da müssen mehr Maßnahmen her. Lest zum Thema, warum 2G nicht reicht, auch diesen super Erklär-Text von Enno Park. Es sei auch noch mal drauf hingewiesen, dass das RKI seit Ewigkeiten zu Kontaktbeschränkungen auffordert. Ich weiß nicht, ob sich jetzt alle denken, wenn mir der Staat keine Beschränkungen auferlegt, dann ist es bestimmt nicht so dringend? Bei vielen erscheint es mir fast so.

Also: Das Wissen ist da, die meisten machen nur entweder nichts aus diesem Wissen, oder sie können aus sozioökonomischen Gründen keine Konsequenzen draus ziehen.

Die staatlich sanktionierte Form einer Impfpflicht wiederum dauert einfach zu lang, um uns jetzt aus der Bredouille zu hieven. Wie es Hans Zauner vorhin auf Twitter zum neuen MaiLab Clip, in dem sie für eine Impfpflicht eintritt, schrieb:

“Wie lange würde es dauern, eine Impfpflicht durch’s Parlament zu bringen und umzusetzen? Zur Bekämpfung der 4. Welle käme sie jedenfalls viel zu spät, insofern ist das jetzt kein pragmatischer Vorschlag, finde ich. … Pragmatismus statt Perfektion ist gefragt, sehr richtig. Allerdings: Eine formale Impfpflicht für alle ist eben auch nicht pragmatisch. Weil das juristisch und in der Durchführung so ein riesiges Fass aufmacht, das würde vor dem Frühjahr nicht mehr Gesetz werden können. “

El Hotzo bringt’s halt wieder mal auf den Punkt:

in ganz Deutschland gilt mittlerweile 2G:

G anz schön
G efickt

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