Kartoffelchipsjournalismus – Viralität als Bento & Co

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‘Mein Kollege beim Social Media Watchblog, Martin Giesler, ist einer der Köpfe hinter Bento, und fragte, nachdem ich auf Twitter ein paar Mal Kritik an Bento auf Twitter gefavt und formuliert habe, was mich denn eigentlich konkret daran stört. Vorneweg: Ich glaube durchaus, dass Buzzfeedklone wie Ze.tt, Byou und Bento ‘funktionieren’ können, wenn ‘funktionieren’ heißen soll: ‘konsumiert werden und profitabel sein’. So gesehen funktionieren Kartoffelchips ja auch als Lebensmittel. Virale News sind das Junkfood unter den Medien, das in deiner Timeline lärmend nach Aufmerksam heischt, was ähnlich nervt wie Menschen die nur in Großbuchstaben tippen und leisere, subtilere, nachhaltigere Angebote aus der Facebook-Timeline verdrängt, die – so sagen es zumindest immer wieder Statistiken – zu großen Teilen der Ort ist, von dem Menschen ihre News bekommen.

“Sie sind halt weder queer Tumblr-Kids, noch nutzen sie Social Media wie die, die sie als Publikum anvisieren und “auf Augenhöhe” treffen wollen.”

Wo sich das englischsprachige Buzzfeed noch aus der Meme-Kultur und VICE aus der Fanzine-Kultur gewachsen anfühlten, wirken die ‘Neuen’ hierzulande oft konstruiert und ein wenig hölzern hinterherstelzend: Es wirkt meist wie ein Versuch, bei dem jung-dynamisch-erfolgsorientierte Journalist*innen etwas nachbauen, was sich anfühlen soll, wie wenn sich z.B. queer Kids auf Tumblr austauschen. Ich möchte ihnen nicht mal Begeisterung und gutgemeintes Engagement absprechen. Aber sie sind halt weder queer Tumblr-Kids, noch nutzen sie Social Media wie die, die sie als Publikum anvisieren und “auf Augenhöhe” treffen wollen. Da können sie noch so oft “RT≠Endorsement” und “hier privat” in ihre Twitter-Bio schreiben, oder gleich was ganz bewusst “was lustig abgefahrenes”, weil man das ja in diesem Internet so macht – es bleibt spürbar: sie sind Gast dort, sie haben bei Social Media immer den Blick darauf, wie sich etwas davon berufstechnisch verwerten lässt.

Apropos verwerten. Die Artikel von Bento & Co. sind wie bei Buzzfeed oft unentgeltliche Verwertung von Inhalten, die andere erstellt haben – oft Privatpersonen. Die selbstverständliche Exploitation, die Annahme soziale Netzwerke seien zum Melken da. Das hat Twitter mit seiner gestern vorgestellten Moments Funktion nun ja auch noch perfektioniert, indem es den Journalismus als Zwischenposten ausschaltet, und selbst Tweets zu Themen kuratiert. Ich musste über eine Guardian-Schlagzeile dazu schmunzeln: “Twitter launches its assault on news with Moments”. Aber täte es Journalismus nicht vielleicht auch ganz gut, wenn er sich wieder mehr auf eine eigene Identität und eigene Inhalte konzentriert, statt jedem neuen Social Network und Werbemöglichkeiten hinterherzuhecheln und seine Inhalte nach deren Regeln zu produzieren, ohne die ganzen Kompromisse und Abstriche, die er dabei macht, überhaupt noch in ihrer ganzen Fülle wahrzuhaben?

Bento & Co produzieren auf eine jugendliche Zielgruppe hin, sagen sie, 18-30 sagt Bento, glaube ich, sprich: diese Bilderbuchnetzjugend aus dem Statistikland, die ihr bestimmt auch von vielen Tech/SocialMedia Blogs kennt, in der US-Variante – und von da wird viel abgekupfert – sind’s die ‘Millenials’. Die Sprache auf Bento selber verwechselt gerne einen leichten Lästertonfall mit jugendlicher Sprache, und Spartentitel wie “Haha – hieß früher LOL” und “Streaming – Netflix and chill” hörst du an, dass sie erst an Jugendjargon im Netz kratzen, wenn er in einer Statistik oder den Twitter-Trends vorkam.

“Den Faux-Social Justice Warrior üben wir noch mal”

In eine eigene queere Sparte gleich mit einem Clip einzusteigen, in dem sich Schwule über andere Schwule beschweren, ist jetzt nicht gerade glücklich, aber solange der große Bruder Spiegel regelmäßig einen Fleischhauer gegen Gender hetzen lässt, wirkt die Queer-Sparte auf Bento eh etwas meh. Minoritätenthemen funktionieren aber halt viral, weil sie polarisieren. Grenzen zwischen Ernstnehmen und als Freaks ausstellen sind fließend bei Schlagzeilen wie: “Tucken unerwünscht! Jetzt trampeln auch noch Schwule auf Schwulen herum” oder “Ich setze mit dem Kopftuch ein feministisches Zeichen.” Feministische Themen wie das letzgenannte oder “feministischer Porno” rangieren bei Bento nicht unter Politik oder Kultur oder Arbeitsrecht, auch nicht unter “Gerechtigkeit”, sondern interessanterweise unter “Gefühle – Psyche, Liebe, Freundschaft.” Den Faux-SJW üben wir noch mal, gelle? Dafür ist die Legalisierung von Cannabis in USA unter ‘Gerechtigkeit’ zu finden. Diese Sparte sollte vielleicht auch insgesamt noch mal überdacht werden, da sie Konstellation wie diese hervorbringt, die ähnlich unsensibel gewählt sind, wie das eingangs gepostete Bild:

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11 Sachen, die typisch für Junkfoodjournalismus oder Clickbait sind

Wenn ich schon mal beim Durchgucken bin, hier noch ein paar Sachen, die für mich typisch für Junkfoodjournalismus oder Clickbait sind:

  • Immer wieder Versuch der Herstellung eines Wir-Gefühls, einer sozialen Beziehung durch Ansprache mit “Du”, das Behaupten persönlicher Relevanz (”x – und was das für dich bedeutet”, “x – und so kommst du da wieder raus”)
  • Platzieren von Reizwörtern in den Überschriften (”Tucken”, “rechtsextreme Dumpfbacke”, “süchtig machen”, “hassen”, “Hass”)
  • Listicles (”33 Dinge, die nur Erwachsene im Haus haben” usw.)
  • Quizzes (”Wieviel Käse steckt in dir” usw.)
  • viraler Videokram (Mauerkuchen backen, Pizza auflegen usw.)
  • Antriggern durch Frageform in Überschriften (“Was passiert, wenn man zerknüllte Einkaufszettel nachkocht?”)
  • Beiträge, die letztlich nur Weiterleitungen zu Inhalten woanders sind (Chelsea Manning Blog usw)
  • Versprechen einfacher Lösungen (”Geld verdienen mit einer Schnapsidee”, “Wie sich Krach unter Flüchtlingen verhindern lässt” usw.)
  • Unkritische Banalisierung grauenerfüllter und komplexer Themen (z.B. Massaker von Ankara)
  • Pseudo-Enthüllungsfloskel “wirklich” in Überschriften (So spießig sind wir wirklich; Wie es sich anfühlt, wenn man wirklich kein Gluten verträgt usw.)
  • Unklare Überschriften (”Das Leben dieses Models ist ein großer Witz” usw.)

“”Social Media Tauglichkeit” mit “Zielgruppe Jugendliche” gleichzusetzen tut letzterer Unrecht.”

Es ist für die Viralität sozialer Netzwerke gemachter Boulevard, nicht ernsthafter für Jugendliche gemachter Journalismus, und “Social Media Tauglichkeit” mit “Zielgruppe Jugendliche” gleichzusetzen tut letzterer Unrecht. Es ist keine Annäherung an ein jugendlicheres Publikum, es ist eine Annäherung an ein Journalismusverständnis, bei dem es mehr um die Qualität des Verkaufens als um die Qualität des Produkts geht.

“Ich will nicht noch mehr entertainende Nachrichten mit Wir-Gefühl in meinen Timelines.”

Mich stört es, dass immer mehr solcher Angebote geschaffen werden, mit dieser Vereinfachung komplexer Themen, eine quasi Sloganisierung, bei der Inhalte der viralen Form geopfert werden, bei der Medien wie Marketing funktionieren sollen, bei der ins Soziale vorgedrungen und ein ominöses Wir-Gefühl heraufbeschworen werden soll. Dieser immer mitwabernde Versuch Kontakt herzustellen, die persönlich zu triggern, ein Wir-Gefühl herzustellen – das ruft bei mir Assoziationen zur der “deutschen Unverkrampfheit” hervor, der Frank Apunkt Schneider in seinem Buch “Deutschpop halt’s Maul so treffend die Forderung einer Ästhetik des Verkrampften entgegensetzt. Sorry, ich will mit meinem Newsmedium nicht ‘befreundet’ sein. Diese Art der Aufdringlichkeit von Werbung und News empfinde ich, gerade wenn sie sich auf sozialen Plattformen unter die Status-Updates von Freundinnen und Freunden mischt, als ambiente soziale Übergriffigkeit.

Genauso wie Marken sich selbst gern als menschgewordenes Produkt “sozial” mit der Kundschaft verbinden wollen, will es diese Sorte Newsmedien. Leichte Konsumierbarkeit, Snackcharakter, Emotionalisierung, Polarisierung – Moment, da war doch noch was? Ach ja, die Bild ist ja auch die meistgelesenste Zeitung hierzulande, und fast jede große Tageszeitung hält sich ihren Martenstein oder Don Alfonso. Natürlich ist es völlig legitim, auch noch das xte boulevardisierte Newsangebot rauszuhauen und sich auf das Niveau von RTL-News zu begeben, aber es ist eben auch legitim, das Scheiße zu finden. Noch mehr Listicles, noch mehr Anbiederungs-, Empörungs- und Lästertonfall – das braucht es für mich wirklich nicht, auch wenn ich mich auch gern ab und zu über ein albernes Listicle amüsiere.

Ich will keine entertainenden Nachrichten mit Wir-Gefühl in meinen Timelines. Ich will kein Action-Movie Äquivalent von Nachrichten. Wenn ich ein Newsmedium ernst nehmen soll, sollte es formal durchaus mit Neuem experimentieren, aber dabei auf die Inhalte fokussieren, nicht nur auf höchstmögliche Verbreitung und bestes Entertainment hin. Mich würde auch mal eine Untersuchung dazu interessieren, inwieweit die Zunahme von Zuspitzung, Polarisierung und Vereinfachung in den Medien sich auf gesellschaftliche Diskussionen und Meinungsbildung und Konsensfindung auswirken. Abschließend noch: Ich fand übrigens die Bento-Kritiken von taz und DWDL durchaus passend – sie sind eben einfach genauso flapsig und vereinfachend geschrieben, wie sie Bento empfinden.

“Auch für mich gibt es natürlich positive Beispiele für neue Formen im Journalismus”

Um nicht nur negatives zu erwähnen: Auch für mich gibt es natürlich positive Beispiele für neue Formen im Journalismus. Da fällt mir natürlich der experimentierfreudige Guardian ein – nur ein Beispiel: Er ist eins der wenigen Medien, die es schaffen, Videoschnipsel unaufdringlich in Texte einzubringen, ohne dass die Texte nur noch wie Beiwerk, sondern tatsächlich die Videos ergänzend zum Text wirken. Aber lasst mich ein paar andere spannende Einzelbeispiele nennen:

“Dumbing-News means dumping news.”

Es gäbe so viele Möglichkeiten, aber Kreativität und Mut, in sie zu investieren, fehlen leider oft. Neue technische Spielzeuge machen nicht von allein neuen guten Journalismus. Periscope Streaming um des Streamings willen ist das neue Snowfall-Bauen, ein halbes Jahr nachdem alle schon vom Scrollen durch lauter Artikel genervt sind, bei denen das Snowfall-Format nur dazu diente, den fehlenden Inhalt zu strecken. Wenn neue Formate nur deswegen eingesetzt werden, weil das Publikum laut irgendwelche Statistiken dort zu finden sei, ohne dass ein Mehrwert bei der Vermittlung von Inhalten entsteht, sondern oft sogar eine Verschlechterung, Verstreuung und Banalisierung – dann läuft da was falsch. Bitte investiert lieber mehr in neue Ideen, statt in halbgare Varianten dessen, was es eh schon in rauer Menge gibt. Buzzfeed und VICE machen das, was sie machen, schon am besten, da kommt ihr – tut mir leid – eh nicht ran. Und es ist auch etwas peinlich, so offensichtlich zu kopieren, um an deren Publikum zu kommen. Ich weiß schon, auch die zwanzigste Chips-Geschmacksrichtung findet noch Käuferschaft. Aber. Je mehr Junkfood du produzierst, desto weniger werden Leute dafür zahlen wollen. Dumbing-News means dumping news.

P.S. Noch mal: Bento steht hier nur stellvertretend für die ganzen viralen Newssites, weil dank Verbindungen auf Social Networks seine Inhalte ein paar Mal zu oft in meiner Timeline gelandet sind, die ich sonst recht gut frei von solchem viralem Newskram gepflegt habe.

2 comments on “Kartoffelchipsjournalismus – Viralität als Bento & Co

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