“We spend too much time telling girls that they cannot be angry or aggressive or tough, which is bad enough, but then we turn around and either praise or excuse men for the same reasons. All over the world, there are so many magazine articles and books telling women what to do, how to be and not to be, in order to attract or please men. There are far fewer guides for men about pleasing women.”
Chimamanda Ngozi Adichie, We Should All Be Feminists
Ausgerechnet am Weltfrauentag jeglicher Idee von Solidarität ins Gesicht zu spucken, und in einem Artikel in einer der größten Zeitungen Deutschlands an verschiedenen Feminismusströmungen herumzunörgeln, bzw. unter denen auch nur die zu kritisieren, die Meike Lobo in (sozialen) Medien aufgefallen sind – well, kann man schon machen. Dabei einen Text abzuliefern, der sich nicht mal die Mühe macht, halbwegs zu recherchieren oder argumentieren, sondern einfach eine chimärenhafte “moderne Frauenbewegung” heraufzubeschwören – dafür ein herzliches pffffrrrrrrrt.
Jahrelang werden soziale Netzwerke wie Twitter dafür kritisiert, dass sie Frauen* zu wenig Möglichkeiten geben, sich gegen Fluten von Hasspostings zu wehren, die voller Gewaltdrohungen stecken, und die Kommunikation unmöglich machen, weil sie die Mentions blockieren. Weil nichts passiert außer schönen Worten, greifen die Opfer zur Selbsthilfe: z.B. wurde Derailing auf Twitter als Muster ausgemacht, um Frauen* mundtot zu machen, oft erfolgt das von extra dafür angelegten “Eier”-Accounts. Damit nicht jedes Opfer auf’s Neue einzeln damit zu kämpfen hat, tun sich Opfer zusammen und erstellen Blocklisten zum Selbstschutz. So wie sich Frauen auch offline z.B. gegen Übergriffige wehren, indem sie sich gegenseitig davor warnen, sich mit Menschen, von denen dieses Verhalten bekannt ist, nicht einzulassen. Meike Lobo macht daraus die “Kritikresistenz” der “modernen Frauenbewegung”. In ihrem Text hüpft sie dabei auch noch fröhlich umherstichelnd von (nicht klar benannten) Feministinnen auf Twitter zu (nicht klar benannten) universitären Feministinnen in Großbritannien, dann wieder zu einem “gelangweilten, übersättigten Selbstverwirklichungsfeminismus privilegierter Frauen” (ah – hier sogar klar benannt: edition f) und wieder zurück. Alles irgendwie diese “Mitglieder der modernen Frauenbewegung”, die ja wohl echt mal an ihrem Image feilen müsste (“schlechte Außenwirkung”) und schlittert dabei nur knapp an der jahrehundealten Waffe der Gegner*innen jeglicher Frauenbewegung vorbei, nämlich diese als hysterisch zu bezeichnen. Nein, das tut Meike Lobo nicht, sie belässt es bei “Übererregbarkeit, “grellen Stimmen”, “empfindlichen Teilen der Frauenbewegung”, “laut, paranoid” – oh, ups: Da ist es ja doch, die uralte H-Bomb gegen die Frauenbewegung: von der “Hysterie des Feminismus” schreibt Meike Lobo.
*summt zur Beruhigung “I was boo-ooorn under a waaandering wooomb….”*
Aus dem Verweigern vieler Feminist*innen sich im Fahrwasser der Silvesterübergriffe von Köln zu Zuarbeiter*innen des Rassismus instrumentalisieren zu lassen, der hierzulande gerade blüht, macht Meike Lobo – sich ins Fahrwasser von AfD und PEGIDA werfend – den Vorwurf, dass diese “moderne Frauenbewegung” der Rape Culture zuarbeite und Opfer gefährde. Wer will gegen solch unterkomplexes “entweder/oder” Herumgemeine denn ernsthaft andiskutieren? Die Argumente dagegen wurden lang und breit veröffentlicht, wer sie nicht lesen oder verstehen will, wird dies auch bei der hundertsten Erklärung nicht tun.
Sie scheint tatsächlich ganz eindimensional davon auszugehen, dass die Frauen, die auf Twitter ein im Kontext sexistisches Hemd eines Wissenschaftlers kritisieren (ein Beispiel von vor zwei Jahren?! Eigentlich wollte ich hier meinem damaligen Text dazu verlinken, finde sie aber nicht mehr – wird vielleicht noch nachgereicht) und darüber feministische Witze reißen, ihr feministisches Engagement darauf beschränken. Dass die Frauen, die auf Twitter spontan lautstark etwas verbal kritisieren, gleichzeitig die sind, die auch abseits davon sehr aktiv sind, scheint ihr nicht mal als Möglichkeit in den Kopf zu kommen (sich für weibliche Flüchtlinge engagieren, so was wie speakerinnen.org auf die Beine stellen, oder sich für Hebammen und für die Anerkennung von Care Work und anderer unsichtbar gemachter Arbeit, die typischerweise von Frauen* verrichtet wird, auf die Straße stellen – ich selber kenne aus dem Stegreif etliche Beispiele). Ich zum Beispiel tweete aber recht wenig über mein konkretes Engagement, weil es meist auf lokaler Ebene stattfindet, und ich auf Twitter eher zum internationalen Gedankenaustausch und informieren unterwegs bin. Oder muss ich, bevor ich ein feministisches Katzengif posten darf oder sprachlich ein paar Diversity-Sternchen sprinkeln kann, erst dazu schreiben, dass schon mein allerallererstes selbstorganisiertes Konzert ein Benefiz für ein Frauenhaus war, das damals knapp bei Kasse war? Dass ich vor der letzten Gesetzesverschlechterung einen Fundraiser für eine Sexarbeiter*innen-Beratungsstelle organisiert habe? Dass ich in meiner Promotertätigkeit andauernd aktiv für mehr Künstler*innen auf der Bühne und Sicherheit von Frauen* im Nachtleben eintrete? Schmerzt der Hashtag-Feminismus und das Gender-Sternchen den konservativen schwarz-weiß Feminismus so sehr? Sorrynotsorry.
Diese Sorte Texte, die dich mit Rechtfertigungen und Erklärungen des immerselben beschäftigt halten, so dass du wieder weniger Zeit hast, deinen Kopf frei für die nächste praktische feministische Aktion zu haben. Gab’s da nicht ein Wort dafür?
Gerade am Weltfrauentag ein dermaßen unsolidarischer, falsch vereinfachender und entstellender Text von einer Frau in einer so großen Zeitung – das machte mich wütend. Das saß. Glückwunsch Zeit.de, Ziel erreicht. Und dann noch den Konterartikel nachlegen und noch mal so viel Klicks abholen. Euer Geschäftsstil ist ein dreckiger. Ich habe mich jetzt ein paar Tage dagegen gesträubt, etwas über diesen Text zu schreiben, weil er so klar zu der Sorte Provokation gehört, die Medien zur Steigerung ihrer Klickzahlen veröffentlichen. Öl ins Feuer gießen, Wut anstacheln – da kriegt man die Leute schon, mit diesen unterkomplexen Aufreger-Artikeln. Nun habe ich mich doch dazu hinreißen lassen. Es sich nicht von der Seele zu schreiben, seine Plattform nicht zu nutzen, ist ja auch nicht besser. Lose-Lose Situation. So ist wenigstens ein Ünzchen mehr auf der “wir wünschen uns von professionellen Schreiberlingen und Medien eine komplexere, weniger emotionale Berichterstattung zum Feminismus” Waagschale. Und ich habe das Wort “Ünzchen” schreiben können. Kommt man auch nicht alle Tage dazu. Ünzchen.
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P.S.: Auslöser war übrigens, dass mir heute zur Morgenlektüre Meike Lobos Reaktion-auf-die-Reaktionen-Blogpost als “nachdenkenswert” unter die Finger kam: Er zeige, was für “Diskussions- und Reaktionsschemata wir uns durch soziale Netzwerke angewöhnt” haben. Uff. Es gibt unzählige gute Artikel, die sich analytisch mit diesem Thema auseinandersetzen, aber der von Meike Lobo ist einfach nur ein persönliches Aufarbeiten und Abrechnen. Was völlig okay ist. Aber nicht sonderlich relevant. Sich bei einem langem Artikel in einer großen Zeitung danach über Diskussionen, die sie nicht explizit mit einbeziehen, als “Hinter-dem-Rücken-Lästern” und “Krebsgeschwür von Twitter” zu äußern – uff, harte Worte. Medien und Twitter mit einem Schulfhofverständnis betrachtet. Dass sie einen “Großteil der Reaktionen” als “mutwillige Verzerrung” und “bewusst verfälschende Zusammenfassung” abtut, ist wiederum amüsant. Du erntest, was du säst. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Ünzchen werfen. Usw.usf. Fehlt bloß noch, dass sie das als ‘Derailing’ bezeichnet und die Ironiekatze beißt sich in den Schwanz.