Blame alle außer die Rechten, Kapitel 9857744

Derzeit gibt es einen ekelhaften Backlash von “Identitätspolitik”-Feinden und Konservativen gegen Bewegungen für soziale Gerechtigkeit, die gern unter “Political Correctness” oder “Identitätspolitik” gefasst werden, geframed werden. Er erfolgt auf ganz verschiedenen Niveaus und in verschiedenen Nuancen: Das geht vom deutschen Blogrant oder der Sibylle Berg Kolumne im Spiegel bis zu New York Times, Vox.com, Daily Beast oder im Soziologie-Research-Blog der London School of Economics. Blaming Identitätspolitik und political correctness für das Aufblühen der Rechten, das eint dann sogar Junge Welt und Jungle World. Einen Jungle World Artikel hatte ich auf Facebook gepostet, um dort auch mal wieder etwas beizutragen, womit ich nicht einverstanden bin. Ganz und gar nicht. In den Kommentaren wurde ich um eine Erklärung gebeten, warum mir der Artikel aufstößt. Das wurde jetzt so lange, dass ich’s hier blogge, statt nur dort zu kommentieren.

Ein Auszug aus dem Jungle World Artikel ‘Der Archipel der Enthemmten: Über alternative Rechte, reaktionäre Linke und den »cultural war« in den USA’ von Felix Schilk und Tim Zeidler:

“Obwohl die Ideologie der Alt-Right maßgeblich auf »weiße Identität« fixiert ist, wäre es falsch, das Phänomen ausschließlich als eine neue Manifestationsform des weißen Suprematismus zu verstehen, wie es linke Kritiker in den USA und Deutschland überwiegend tun. (Jungle World 38/2016)

Durch ihre provokative Artikulationsform und die fundamentale Zurückweisung von universalistischen Werten vereint die Alt-Right eine Bandbreite an Positionen und stößt auch bei vielen Rechtslibertären auf Zuspruch. Einer dieser Fürsprecher ist der free speech fundamen­talist Milo Yiannopoulos, der auf Breitbart, einer der wichtigsten konservativen Nachrichtenseiten der USA, einen vielzitierten Leitfaden über die Alt-Right schrieb und ihr als Journalist in den Medien zu Aufmerksamkeit verhilft. Yiannopoulos zufolge ist die Alt-Right als eine subver­sive Gegenkultur zur diskursiven Hegemonie der US-amerikanischen Linken zu verstehen, die junge Rebellen anziehe, weil sie Fun, Grenzüberschreitungen und die Infragestellung sozialer Normen verspreche.”

Nur mal so als Gschmäckle. Der Artikel übernimmt in großen Zügen die Selbstdefinition der “Alt-Right”, und verkennt, dass es ein gezieltes Branding ist – nix anderes als was die Die Identitären versuchen. Die Alt-Right Selbstdefinition als Subkultur gegen die – vemeintliche! – Vorherrschaft von P.C. Culture oder “Identitätspolitik” oder “social justice warriors” einfach zu übernehmen, wie es in diesem Artikel in großen Teilen passiert und die anti-feministische rassistische Gamergate-Ikone Milo “social justice is cancer” Yiannopoulos als Meinungsfreiheitfundamentalisten zu verharmlosen, ist für eine linke Zeitung unter aller Kanone. Das als zwei Seiten einer Medaille zu verstehen, heißt den Kampf gegen oder von unten und den Kampf für Unterdrückung oder von oben gleichzusetzen. Die Ideologie dahinter, die Gleichberechtigungs- und die Kämpfe um öffentliche Wahrnehmung von Marginalisierten als reine Befindlichkeiten zu diskreditieren, sie als alles durchdringendes akademisches ränkeschmiedendes Eliten-Netzwerk darzustellen, statt als Arbeit gegen intersektionale Diskriminierung und Marginalisierung, dient diesen Neo-Nazis natürlich. Den Kampf um soziale Gerechtigkeit als Beschneidung der Rechte und Meinungsfreiheit derjenigen zu inszenieren, die um ihre dominanteren Rollen in der Gesellschaft fürchten, ist eine reaktionäre Taktik, um eine Spaltung der gesellschaftlich Benachteiligteren entlang der Linie gender/race/etc. und class/labor zu erreichen. Dass dabei inzwischen Theorien und Techniken von Rechten verwendet werden, die eigentlich Marginalisierten helfen sollten, ist perfide, aber das mitzuspielen, und “Social Justice Warriors” als Ursache oder Mitursache des Erstarkens der Rechten zu interpretieren, toppt das noch. 

Vieles an der Kritik an Gender Studies, Critical Whiteness, etc. – eben der sog. “Identitätspolitik” auf akamischen Level, hat schlicht mit einer Spezialisiertheit des akademischen Diskurses zu tun und mit einer allgemein gestiegenen Feindlichkeit gegenüber Geisteswissenschaften in einer Zeit der “factiness”. Gegen Quantenphysik wird nicht so gegeifert. Darauf zu beharren, dass Diskussionen um Marginalisierung vom Klassenkampf etc. ablenken, bloß weil man selber nicht oder weniger von selbiger betroffen ist, ist schon nachvollziehbar. Aber – und das jetzt noch konkret zur Universität als safe space – es muss doch umgekehrt auch nachvollziehbar sein, dass es dabei darum geht, einen Ort zu schaffen, an dem alle ausgeglichene Voraussetzungen für Diskussionen haben. Level ground, nicht cocooning. Irgendwie wird da immer so eine schräge Nullsummenrechnung aufgemacht: Wenn ich den einen mehr Sicherheit gebe, dann nehme ich den anderen was weg. Und eben auch gerne in den latent misogynen Begriffstopf rund um “sensibel”, “emotional”, “hysterisch” und ja – auch “narzisstisch” gepackt. (Die Konnotation bleibt, auch wenn der Begriff für eine etwas verkrampfte psychoanalytische Legitimisierungsvariante des “SJWs are to blame for Alt-Right”-Klischees eingesetzt wird, die außen vor lässt, dass der Kampf um soziale Gerechtigkeit aus einer gesellschaftlichen Benachteiligung heraus wuchs, während die Alt-Right schlicht für klassische White Supremacy in neuem Gewand steht.) Egal, zum Universitären hat das gestern auf Twitter Karen Gregory eh schön auf den Punkt gebracht:

“There is no labor history that is not the history of discrimination. And so there is no easy return to “studying labor” without critical race theory, intersectionality, queer studies, feminist marxism. Also, if you want to know what the “academy” gets things wrong take a look at the labor practices in the academy. You have tons of good research being written by people who don’t understand where their careers are to be made because we have fully undone any sense of security in academic life. How many dissertations might have been the books we need now? It is the fantastic destruction of the university as a public social institution that put us “out of touch.” Not women, POC, queer theory.”

Und gleich noch Charles Davis hinterher:

U.S. liberalism is a toxic ideology, at home and abroad, but jettisoning “identity politics”–the defense of vulnerable people on issues that are matters of life and death–is the absolute wrong lesson to take from a four percent swing among registered voters who actually decided to vote. Trump’s campaign was itself based on identity: whiteness. The response is not abandoning identity in politics, but developing a more radical version of it that advocates equality within a socialist critique of an economic system designed by and for predominantly white men with capital.”

So viel mal schnell aus dem Bauch von mir als Nicht-Akademikerin dazu runtergetippt.
Und wenn ich sie schon zitiere, sei bei dieser Gelegenheit doch auch gleich Karen Gregory’s Talk zu “Digital Labour and Exploitation” empfohlen, ein wirklich guter Überblick und Ausblick zu diesem Thema.

P.S.: Das einzige was uns insgesamt vorzuwerfen wäre, ist, dass wir allesamt nicht darauf vorbereitet waren, uns dagegen zu wehren, dass sich die Rechte die Post-Moderne und Strategien, die Minderheiten helfen sollten, in einem teuflischen Mischmasch angeeignet hat.  Was lustigerweise ausgerechnet ein Artikel auf MTV.com mit am besten auf den Punkt bringt. Aber der hier auch. Mal sehen, ob uns dieses hart erlangte Wissen nun hierzulande gegen AfD & Co. helfen wird.

PSPS: 

https://twitter.com/aaron_con_leche/status/799973111680495616

RECLAIM THE NIGHT LOUNGE – Lasst uns gemeinsam etwas gegen Übergriffe im Nachtleben tun

Im Folgenden findet ihr einen Impulsvortrag samt Slides, den ich für die Reclaim The Night Lounge gemacht habe. Das Veranstalterkollektiv musikverein, bei dem ich mitmache, versucht mit verschiedenen Anstößen derzeit gegen Übergriffe im Nachtleben aktiv zu werden – und anderen Lust darauf zu machen, selbst aktiv zu werden. Davon ist dies ein Teil.

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RECLAIM THE NIGHT LOUNGE

Lasst uns gemeinsam etwas gegen Übergriffe im Nachtleben tun

Gleich mal vorneweg: Dieser Abend wir die Probleme nicht lösen. Wer mit der Erwartung hier her gekommen ist, dass wir am Ende mit einer Lösung heimgehen, die und den muss ich enttäuschen. Was ich für prima halten würde, ist, wenn wir alle mit dem Gefühl rausgehen würden, wirklich Lust und Mut zu haben, an dem Thema dranzubleiben. Das Thema ist: Übergriffe im Nachtleben.

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So gut wie alle von uns, vor allem so gut wie alle Frauen haben schon Übergriffe im Nachtleben erlebt. Was als grenzüberschreitend angesehen wird, variiert dabei von Mensch zu Mensch und von Club zu Club. Es gibt in der linken Subkultur die Faustregel: wenn jemand etwas als übergriffig empfindet, dann ist es übergriffig. Damit wird versucht, soziale Räume zu schaffen, in denen die Opfer von Übergriffigkeiten auch mal nicht in der strikten Beweispflicht stehen, die sie auf rechtlicher Ebene haben. Und das ist auch eine der Linien, an denen entlang sich die Diskussion darüber abspielt, wie sich Club Nights und Konzerte zu sicheren Orten für alle gestalten lassen. Hier geht es nicht um eine gesetzliche Reaktion, sondern darum einen gemeinsamen sozialen Konsens durchzusetzen.

Es sollte auch gar keine zu fixe Festlegung davon geben, was Belästigung ist, denn verschiedene Menschen haben ganz verschiedenes Erleben und Hintergründe, und es kommt auf den jeweiligen sozialen Moment an. Eine empfindet es als übergriffig, zu sexualisiert angetanzt zu werden, die andere mag es. Daraus wird dann in der Art und Weise, wie derzeit öffentlich oft diskutiert wird ein Gegensatz gemacht: Die die es mag, sexualisiert angetanzt zu werden, sei sexuell aufgeschlossen und selbstbewusst, und finde, man sollte sich da nicht so anstellen, und die, die es nicht mag, sei prüde, empfindlich, lustfeindlich und will bestimmt Verbote für jeglichen Spaß fordern. Diese Art von Zuspitzung ist pures Gift für eine Konsensbildung. In Wahrheit geht es nämlich beiden Seiten um dasselbe: Sie möchten, dass ihre jeweiligen individuellen Grenzen eingehalten werden. Gegen Sexismus sein, feministisch sein, heißt in diesem Kontext also einfach lustbetont feiern zu können, ohne Angst haben zu müssen, dass persönliche Grenzen überschritten werden.

Die meisten Menschen verhalten sich auch so, für den Rest gilt es, neue Normen zu setzen, einen neuen sozialen Konsens einzufordern. Das ist natürlich gerade da schwer, wo wir keine geschlossene Community haben, sondern immer wieder auch wechselnde Gäste. Trotzdem müssen wir es versuchen und die Selbstverständlichkeit von Übergriffigkeiten aufzubrechen, das ist der erste Schritt dorthin. Es soll hier darum gehen, dass wir auch als Gäste uns wieder mehr als eine Community verstehen, die an ihrem Safe Space arbeitet, nicht einfach nur als Kunden eines Clubs. Das heißt im Idealfall: Alle gucken ein wenig mehr aufeinander, und wie, das können wir uns zum Beispiel hier heute Abend überlegen.

Bei uns vom Musikverein ist die Reclaim The Night Geschichte ein Teil von einem größeren Anliegen, das wir haben. Wir haben vor ca. 2 Jahren festgestellt, dass es uns immer noch ein viel zu unausgewogenes Geschlechterverhältnis auf der Bühne gibt, egal ob bei Konzerten oder bei Parties. Noch dazu in Nürnberg auch hinter den Kulissen, bei denen, die veranstalten. Wir haben dann nach und nach versucht, bewusst mehr weibliche, und auch queere Acts zu finden und nach Nürnberg zu holen, die uns richtig gut gefallen. Dazu kam dann letztes Jahr auf unserer Jahresklausur, dass wir die Nase voll davon hatten, von Reaktionen in Form von Rausschmiss uralten Aushängen gegen Sexismus abgesehen, gegenüber Angetatsche und blöden Anmachen auf Parties untätig zu sein.

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Unsere erste Idee war, bei Parties immer Visuals mit Slogans gegen Übergriffe an die Hauswand zu beamen – die Vorlagen seht ihr hier, das läuft so seit November letzten Jahres – weil das einfach auffälliger ist, als irgendwelche Zettel oder Poster zwischen x andere Poster zu hängen.

Letztlich geht es bei all dem um Konsens und well, ja – eigentlich schlichte Höflichkeit, das Einschätzen-Können und Respektieren von Grenzen. Eigentlich ist es ja wirklich einfach, durch Blickkontakte und Körpersprache vor einer Anmache schon abzuchecken, ob die andere Person Interesse hat. Spätestens aber, wenn sie sich abwendet, deine Hand wegstreift, oder das Gespräch beendet, müsste es eigentlich jedem klar sein. Ist es aber – gerade in alkoholgeschwängerter Atmosphäre und einer gewissen machistischen Kultur – einfach nicht. Und es geht nicht nur um Männer, die Frauen belästigen. Auf meiner Queer Party fühlten sich auch schon mal Männer von anderen Männern zu hart angemacht. Da hab ich mit Aushängen gegenzusteuern versucht, die das auf eher humorvolle Art thematisieren:

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Cats of Grindr und der Hinweis, dass meine Party eben nicht Grindr sei, keine bloße Fleischbeschau, sondern dass hier gegenseitiger Respekt und Consent zählt: erst mal – per Blick und Körpersprache und miteinander reden – abchecken, ob dein Gegenüber überhaupt auch Interesse zeigt.

Und es gibt natürlich auch Frauen, die Männer belästigen, nur als Beispiel: Manche unserer männlichen Bar- oder Einlassleute wurden durchaus auch schon von Frauen belästigt, die ihre Situation ausnutzten, also dass sie halt hinter der Theke oder dem Einlasstisch auf dem Servierbrett eingesperrt sind und nicht groß wegkönnen und höflich zu bleiben versuchen müssen.

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In einem Vortrag zur Digitalisierung verwende ich den Satz von Arthur C. Clarke: “Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.” Letztes Wochenende bin ich auf eine großartige Abwandlung davon gestoßen, von Deb Chachra, einer Ingeneurin und Werkstoffforscherin: “Any sufficiently advanced neglect is indistinguishable from malice.” Also: “Jede hinreichend fortgeschrittene Nachlässigkeit ist von bösem Vorsatz nicht zu unterscheiden.” Wenn Veranstalter also nicht bedenken, was der Rahmen, den sie bauen, z.B. Flyermotive, Diversity auf der Bühne usw. für Frauen bedeutet, wenn ein Architekt ein Damen-WC an einen relativ abgelegenen Ort platziert, wenn ein DJ Tracks mit plumpen sexistischen Texten pumpt, all das gehört zur Architektur das Nachtlebens und schafft einen Raum, an dem sich Frauen oft nicht so willkommen fühlen, oder nur in Begleitung hintrauen. Wenn ich das als Verantwortliche*r dafür vernachlässige, ist das tatsächlich vom Ergebnis her nicht anders, als wenn ich es aus böser Absicht so konstruieren würde. Dieser Gedanke lässt sich aber auch noch darüber hinaus fortsetzen: Unser Problem der Übergriffe im Nachtleben ist letztlich nur ein Ausschnitt der Vernachlässigung und Verharmlosung eines gesamtgesellschaftlichen sozialen Konsens.

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Haben wir Solidarität und gegenseitigen Respekt verlernt? Und damit meine ich nicht nur Übergriffe, sondern eine Kultur, die zutiefst unausgewogen ist. Wir haben im Nachtleben z.B. nach wie vor eine ähnlich unausgewogene Genderverteilung wie in den Führungsetagen oder auf Baustellen. Auf der Bühne stehen zumeist Musiker und männliche DJs, überwiegend von Männern veranstaltet und von männlichen Technikern gemischt. Die meisten männlichen Veranstalter und DJs lehnen sich da auch meist ganz paschamäßig zurück und kommen gar nicht drauf, dass an der Situation was seltsam ist. Die ganze Musikkultur hat für Frauen immer noch meist in erster Linie den Platz als Fan oder als ‘Freundin von’ oder in einer Hilfsposition oder in der Gastro reserviert. Alles andere muss ein Stück weit erkämpft werden.

Aber nicht nur Frauen geht es so, es ließe sich vielleicht sogar besser umreißen, wenn wir das auf Leute erweitern, die nicht gut in Sachen Ellbogenkultur sind, denen es mehr um soziales Miteinander geht, als darum, ihren Platz zu behaupten, und die deswegen auch oft einen Schritt zur Seite gehen und Platz machen statt sich krampfhaft durchzusetzen. Das ist was die Rollenverteilung angeht bildhaft so, kannst du aber auch genauso auf jeder Tanzfläche dieser Stadt live in action so sehen. Es geht also auch um Machtgefälle. Und jede Art von Bro Culture, von Lad Culture, Männlichkeitskultur, trägt dazu bei, diesen Konsens zu stärken.

Gesprächskultur voller sexueller Anspielungen und anzüglicher Witze, Herabwürdigungen von Frauen oder Queers oder Schwächeren, verstärkt auch in Songtexten, wo sie als Kunstfreiheit tabuisiert werden – und das reicht von Ballermann-Indie wie Wanda oder Stoner Rock bis zu diversen Rap Texten. Da kann noch so oft argumentiert werden, die Leute würden das schon trennen können, und das sei doch nur Kunst: In der Club-Situation, wenn mir da auf einer HipHop-Nacht ein Typ, den ich des Raumes verweisen muss, nur noch Sprüche im Hiphop-Jargon wie “I will fuck you up, bitch! Don’t mess with me, bitch!” um die Ohren haut, während er körperlich übergriffig wird, braucht mir keiner mehr damit kommen, dass das gar nichts miteinander zu tun hat. Insgesamt schafft auf jeden Fall die Dominanz einer solchen maskulinen Kultur in einer Szene oft ein Klima, das die Herabwürdigung von Frauen normalisiert.

Viele Männer glauben, über Frauen verfügen zu können. Das zeigt sich in der Selbstverständlichkeit, mit der du zugequatscht wirst und dein Desinteresse an einem Gespräch – geschweige denn an mehr – einfach nicht akzeptiert wird. Wenn Umstehende da einfach wegschauen. Das zeigt sich, wenn du penetrant angetanzt wirst, obwohl du durch Abwenden signalisierst, dass du einfach nur alleine für dich oder mit Freunden tanzen willst. Die banalsten sozialen Signale werden oft blindlings missachtet, und das ist nicht nur zum Kotzen, weil es übergriffig ist, es ist traurig weil es so stumpf und ellbogenmäßig dumm ist, dass deswegen eine exzessive sexuell aufgeladene Partykultur voller gegenseitigem Respekt und einer Sensibilität für soziale Signale den Bach runtergeht. Bis du dich schon gar nicht mehr traust, subtile Zeichen von Interesse an jemanden zu senden, weil dein Gegenüber das gleich als “woah, die krieg ich ins Bett” missverstehen könnte und ausrasten könnte, sobald du an einem späteren Punkt Stop sagst, weil du nicht mehr von ihm willst als z.B. gemeinsames Tanzen, vielleicht auch ein bisschen Knutschen, aber nicht mehr.

Also insgesamt: Scheißpatriarchat is everywhere, und tut Männern genausowenig gut wie uns Frauen. Vielleicht, und das ist nur eines von vielen Fragezeichen, die ich in den Raum stellen möchte, müssen wir unsere Clubkultur wirklich wieder stärker politisieren. Wenn es nur noch um Musik geht, nur noch um Skills und Feiern, eine gute Zeit haben, ohne zu thematisieren, dass diese gute Zeit für manche eben mit Übergriffigkeiten gespickt ist, dann kommen halt auch Leute, die sich einen Dreck um soziale Mindeststandards scheren, sondern denen es nur um ihre gute Zeit geht.

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Faszinierend ist immer wieder aufs neue, dass Übergriffe trotz ihrer Häufigkeit so unsichtbar bleiben. Die Normalisierung und Abgestumpftheit demgegenüber ist eigentlich unglaublich, wenn du genauer darüber nachdenkst. Es funktioniert ekelhaft gut, solche Sachen, die der Hälfte der Gäste nicht passieren, zu verschweigen oder so zu tun, als wären sie schon okay und akzeptiert. Für die, denen so etwas nicht passiert, ist Einschreiten dann gleich Policing, Szenepolizei, Begrenzung ihres Spaßes. Ähnlich wie Martensteins, Sarazins und Pirincis gleich Zensur schreien, wenn jemand mehr Gleichstellung und weniger Rassismus fordert. Wenn es um den eigenen Freiraum geht, hört der Spaß für viele auf. Für den Rest aber würde es den Spaß erst ermöglichen. Wie Margarete Stokowski mal geschrieben hat: “Menschen finden es blöd, wenn man sie privilegiert nennt, und sie nicht gerade ein Champagnerglas in der Linken und ein Lachshäppchen in der Rechten halten. Dann denken sie: Was, ich? Gestern erst eigenhändig den Müll runtergebracht. Aber so ist das mit den Privilegien: Wenn man sie hat, sind sie kein Problem, und wenn man sie vorgeworfen kriegt, wird man bockig. … Wenn bei mir doch alles gut läuft, warum sollte sich dann etwas ändern?” Das verdeutlicht, warum viele Menschen, die nicht unter der Situation leiden, still bleiben, oder es verharmlosen.

Aber warum sind die Frauen und anderen Betroffenen nicht lauter? Warum ist das nicht sichtbarer? Nun, weil wir eben eine Kultur haben, die Übergriffe und Belästigungen zur Bagatelle verklärt, und in dieser Kultur gibt es für jede Frau eigentlich genug Gründe, warum sie sich nicht jedes Mal beschwert. Zum Beispiel

  • weil sie selbst im Freundeskreis schon ein “jetzt hab dich doch nicht so” zu hören bekommen hat
  • weil sie schon mal vom Personal eines Clubs mit einem Augenrollen abgewimmelt wurde
  • weil sie den Mann, der sie von hinten im Vorbeigehen begrapscht hat, eh nicht identifizieren könnten
  • weil sie nicht zum hundertsten Mal hören will, dass der Typ sie ja nur aus Versehen im Vorbeigehen gestreift hätte
  • weil sie einfach ihre Ruhe haben will nach einem unangenehmen Erlebnis
  • weil sie nicht als prüde, empfindlich oder humorlos gelten will
  • weil sie nicht schon wieder was sagen will
  • weil es eh nichts hilft

Und. So. Weiter.

Wir können gerne nachher noch mehr Gründe und Erlebnisse sammeln. Unsichtbar bleibt das Problem, weil wir nicht unseren Mund aufmachen. Und mit “wir” meine ich nicht nur die in der Einzelsituation Betroffenen, sondern uns alle, die wir irgendwas mitanhören oder -sehen, und keine Kritik dran üben, weil’s ja nur ein Einzelfall zu sein scheint, weil es ja nicht so schlimm zu sein scheint. Jedes einzelne Mal, wo wir das übergehen oder mit einem krampfhaften Lächeln abtun, tragen wir letztlich dazu bei, solche Grenzüberschreitungen zu normalisieren. Es ist anstrengend, immer wieder gegen dasselbe antreten zu müssen, aber solange wir es nur über uns ergehen lassen, wird sich auch nichts ändern.

Damit komme ich zu dem Punkt: Was können wir tun? Je nachdem, ob in der Rolle als Veranstalter*in, Clubbesitzer*in, Hausleitung, Thekenmensch, Security, oder Gast gibt es verschiedene Möglichkeiten, etwas gegen Übergriffe im Nachtleben zu tun. Ich hab’s mal in vier Kreise unterteilt.

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Zunächst mal die Täter selbst (bzw geht das auch an die Berichterstattung in der Presse raus): Da möchte ich einfach von einem Flyer-Fundstück ein paar Tipps zitieren:

  • Kippe keine K.O. Tropfen in die Drinks von Frauen.
  • Wenn du eine Frau alleine herumlaufen siehst, lass sie in Ruhe.
  • Wenn du nachts anhältst um einer Frau zu helfen, deren Auto eine Panne hat, versuch daran zu denken, sie nicht zu vergewaltigen.
  • Wenn es dir schwerfällt, Frauen nicht blöd anzumachen oder anzugrapschen, sag einem Freund Bescheid, damit er dich begleitet, und dich im Zweifelsfall zurückhält.
  • Trag eine Trillerpfeife mit dir herum. Wenn du merkst, dass du dabei bist, jemanden zu vergewaltigen, puste rein, bis jemand kommt, der dich davon abhält.
  • Ehrlichkeit ist am besten. Wenn du eine Frau zu einem Date bittest, tu nicht so als seist du an ihr als Person interessiert, wenn du sie nur ins Bett kriegen willst. Wenn du nicht signalisierst, was deine Absichten sind, könnte eine Frau das als Zeichen nehmen, dass du sie nicht vergewaltigen willst.

Dass wir das ein bisschen amüsant finden, zeigt wie sehr wir es gewohnt sind, dass die Täter sowieso unerreichbar sind, und stattdessen die Opfer Tipps bekommen. Genau das ist Victim Blaming: Betrink dich nicht. Geh nicht alleine nach Hause, sondern such dir Leute mit denen du gemeinsam den Heimweg antreten kannst. Warum hast du mit ihm geflirtet, wenn du gar nicht mit ihm ins Bett willst. usw.

Das Problem ist also hier: Wie kann ich die Leute, die so selbstverständlich übergriffig werden, erreichen? Ich kann sie schlecht zu einem Abend wie diesem heute einladen. Die üblichen Hinweisschildchen mit irgendwelchen Regeln – “Null Toleranz bei Sexismus, Rassismus und Homophobie” oder “No means no!” -, das lesen gerade potenziell übergriffige Leute typischerweise nicht. Sie empfinden sich ja meist auch gar nicht selbst als übergriffig. Ich kenne kaum ein Beispiel von einem Poster, das die Zielgruppe tatsächlich ansprechen dürfte, aber an eins muss ich immer wieder denken: Es war ein Poster im Rahmen einer Aktion vom Frauennotruf zusammen mit dem Feierwerk in München (von 40 angeschriebenen Clubs haben sich dort übrigens wohl nur zehn an der Aktion beteiligt!). Ich hab’s mal nachgebaut, weil ich kein Originalbild gefunden habe:

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Auf diesem Level, eben genauso platt, brutal offensiv und plakativ, ja, quasi wie ihr Gegenteil, die sexistische Werbung….

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… genauso hart und provokativ wie übergriffige Werbung, müssten wohl Aushänge aussehen, mit denen du auch wirklich die potenziellen Grapscher und andere Idioten erreichst.

Wer Ideen hat oder das diskutieren mag – ab dafür, genau um so was anzustoßen, dafür machen wir die ganze Reclaim The Night Geschichte – Hive mind funktioniert besser. Und gemeinsam finden sich leichter Wege, um Ideen umzusetzen.

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Dann gibt’s die Sachen, die Veranstalter*innen und Clubbesitzer*innen tun können. Brenzlig ist für gerade privatwirtschaftliche Clubs: Man hat Angst, das Problem sichtbar zu machen, weil es schnell ein schlechtes Licht auf den Laden werfen könnte. Angst ums Image. Verständlicherweise. Deswegen dachten wir uns, als musikverein, also als ehrenamtliches Veranstalterkollektiv trauen wir uns das einfach mal anzustoßen, wir haben da weniger zu verlieren, weil bei uns die Grenzen zwischen Gästen und Veranstaltenden eh verschwimmen, und je mehr verschiedene Läden sich dann vielleicht anzuschließen trauen, und auch mit Aushängen, Visuals arbeiten und transparent mit dem Thema umgehen, desto deutlicher lassen sich Signale setzen. Was von veranstaltender Seite getan werden kann, sind mindestens Dinge wie: Hinweise, dass sich an Bar/Tür/Security-Leute gewendet werden soll bei jede*r Art von Übergriffigkeit und Personal, das Betroffene ernstnimmt, wenn sie sich beschweren, das aber auch selber die Augen offenhält.

Da wäre eben z.B. die Frage an euch, ob euch das in allen Clubs, in denen ihr so verkehrt, deutlich genug ist, dass ihr euch beim Personal um Hilfe wenden könnt, oder ob das deutlicher signalisiert werden sollte. Und auch wie ihr euch das wünschen würdet. Vielleicht gibt’s da ja Ideen, auf die die Veranstaltenden gar nicht kommen.

Wir vom musikverein haben dann auch noch unter dem Reclaim The Night Projektnamen einen Mailverteiler und einen runden Tisch mit anderen interessierten Veranstaltenden und Clubs angestoßen, damit man sich schnell vernetzen kann zu dem Thema und immer wieder mal austauscht, und auch da Aktionen plant.

Und wir dachten uns dann eben noch, wir haben den Raum hier, den können wir doch als Plattform zum Austausch und als Verstärker anbieten, deswegen dieser Abend heute. Darüber hinaus dann noch für euch als Kontaktmöglichkeit zu dem Thema:

  • Eine Extra-Mailadresse – reclaimthenight@musikverein-concerts.de. Die kommt bei Carmen double u cc und bei mir an, und wenn ihr dazu schreibt dass ihr das wollt, werden wir die Mail auch völlig anonym behandeln. Da könnt ihr uns gerne Ideen für Aktionen, Wünsche für Verbesserungen an Veranstaltende, oder auch Erlebnisse schreiben.
  • Damit’s auch ein öffentliches Podium zum Austausch im Netz gibt, haben wir gestern eine Facebook-Gruppe eingerichtet: Reclaim The Night Lounge.

Und wir können eben auch gerne bei der Umsetzung von Ideen helfen, gucken wie sich z.B. Poster- oder Flyerideen oder sonstwas umsetzen und der Druck finanzieren lässt.

Das ist, denke ich, das Wichtige: Wir müssen als Veranstaltende offen sein, andere Perspektiven, vor allem die Perspektiven von Betroffenen, und Vorschläge anhören, dann gucken, was umsetzbar ist oder vielleicht auch auf eine andere passendere Institution oder Gruppe verweisen, oder um Hilfe bitten. Die Möglichkeiten sind ja endlos.

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Dann gibt’s noch die Leute, die selbst gerade nicht betroffen sind, aber einen Übergriff mitbekommen oder grundsätzlich einfach helfen wollen. Da wäre mein Rat: wenn du siehst, dass zum Beispiel eine Frau sichtlich genervt von einem Mann ist, der sie zulabert oder antatscht, geh einfach mal hin und frag sie, ob alles okay ist. Nicht gleich als Retter aufspielen, aber eben zeigen, dass sie nicht alleine ist, und im Zweifelsfall den Nerver ablenken, bis die Frau weg ist. Und dann natürlich, je nachdem was vorgefallen ist, jemandem vom Club Bescheid sagen. Wenn du siehst, dass eine Frau gegen ihr Einverständnis angetanzt wird, auch dann kannst du jemandem vom Club Bescheid sagen. Oder zum Beispiel auch dazwischentanzen.

Es gibt unzählige Einzelsituationen, für die es nicht pauschal eine Lösung gibt, aber was immer zutrifft: Schau nicht einfach weg. In unseren kleinen Clubs hier geht es um gemeinsames Feiern, da sollten alle sich im Idealfall auch dessen bewusst sein, wie es den Leuten um sie herum geht.

Darüber hinaus ist aber noch etwas wichtig: Macht die Übergriffe sichtbar. Erzählt es weiter, tauscht euch mit Freundinnen und Freunden aus. Fragt nach, ob anderen schon mal so etwas passiert ist, lasst das Thema nicht unter den Tisch fallen, lasst nicht locker. Und wenn Leute in eurem Umfeld so etwas verharmlosen, oder gar darüber scherzen, dann sagt etwas dagegen, seid ruhig der Spaßverderber und macht ihnen klar, wievielen Menschen das dafür im Nachtleben regelmäßig den Spaß verdirbt.

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Zu guter letzt gibt es dann noch die Personen, die von Übergriffen betroffen sind. Hier tue ich mir als Veranstalterin schwer, euch irgendetwas zu raten, denn schließlich solltet nicht ihr diejenigen sein, die sich tausend Tricks zum besseren Schutz ausdenken müssen, das ist eben genau das Victim Blaming, das ich schon angesprochen habe. Aber als jemand, der das auch immer wieder passiert, auch wenn nicht mehr so oft – einer der Vorteile des Alterns ^^ : Ich finde einen Austausch über Tipps untereinander schon wichtig. Es darf nur nicht von oben oder von außen kommen, in der Form, die uns für eine Lösung des Problems in Verantwortung nimmt, oder uns gar die Schuld aufbrummt, wenn uns etwas passiert. Wir müssen wegkommen, von einem Zustand, in dem es bei einem sexualisierten Übergriff bei einem betrunken feiernden Mann entschuldigt wird, so auf die Art “er war doch betrunken, er hat es nicht so gemeint, er ist doch sonst gar nicht so”, während die Frau, die betrunken feiert in Verantwortung genommen wird: Hättest du halt nicht soviel getrunken, hättest du halt nicht mit ihm geflirtet, du wolltest es doch auch usw.

Von daher: Es ist wichtig, es so sichtbar wie möglich zu machen. Auch zum hundersten Mal an der Bar oder am Einlass Bescheid zu sagen, selbst wenn ihr den Typen, der euch im Dunkeln auf der Tanzfläche heimlich zwischen die Beine gefasst hat, nicht identifizieren könnt. Die Leute vom Club haben dann zumindest schon mal die Warnung, die Augen extra offen zu halten, und erwischen ihn so vielleicht bei der nächsten Situation. Fühlt euch nicht wie die Spaßverderberinnen, denn das sind immer die, die euch das antun.

Viele haben auch eigene Kniffe im Nachtleben und ein Austausch über unsere Wehrhaftigkeit ist leider wohl auch immer noch notwendig. Mich hat letzthin z.B. ein Freund gefragt, wie normal es heute eigentlich noch sei, dass junge Frauen einen Selbstverteidigungskurs belegen. Das war früher mal ziemlich gängig, aber wir hatten beide das Gefühl, dass das nicht mehr so häufig ist. Ist natürlich auch wieder schwierig abzuwägen mit dem Punkt, dass nicht die Opfer verantwortlich für ihren Schutz sein sollten.

Was wir vor allem, glaube ich, untereinander brauchen, ist mehr gegenseitiges Mutmachen zum Widerstand gegen so einen Mist, und das mit Lust, dass wir uns selber nicht den Spaß rauben lassen, mehr weibliche Solidarität, uns nicht gegenseitig damit alleine lassen. Wenn ihr also auch Tipps austauschen möchtet, wie ihr euch wehrt, wie ihr euch vorbereitet, dann könnt ihr das natürlich auch gerne heute in diesem Rahmen tun. Aber eben immer unter dem Vorbehalt, dass es nur ein letztes Mittel zum Schutz sein sollte, und nicht zu einem sozialen Konsens beitragen darf, dass sich Frauen schon selber drum kümmern, sich zu wehren.

Ein paar typische Beispiele nenne ich jetzt vielleicht mal, und zwar eher, damit Nicht-Betroffenen vielleicht klarer wird, wie tief im Alltag das für viele Frauen verankert ist, wie normalisiert dieser Zustand ist:
z.B.

  • Leute, denen du halbwegs vertraust, ansprechen, ob du mit ihnen gemeinsam zur U-Bahn oder zum Taxistand laufen kannst, weil du dich alleine am Heimweg unsicher fühlst.
  • Immer einen Kopfhörer oder ein Buch dabei haben, um in öffentlichen Verkehrsmitteln gleich auszustrahlen, dass du nicht angesprochen werden möchtest. Überhaupt: Sich möglichst nicht auf ein Gespräch mit einem Fremden einlassen, wenn du alleine unterwegs bist, weil jedes Gespräch sich nach ein paar Sätzen zu einer stumpfen Anmache und bei deiner Ablehnung in Beschimpfungen oder gar Gewaltdrohungen wenden könnte.
  • Ein Klassiker ist auch der zwischen die Finger gespreizte Schlüsselbund, den du am nächtlichen Heimweg in der Jackentasche umklammerst.
  • Oder: Den ganzen Heimweg lang mit jemandem laut telefonieren oder so tun als ob, um einen potenziellen Bedroher abzuschrecken.

Solche Taktiken sind zahllos. Traurigerweise.

Aber wieder zum Positiven. Ich bin ja seit jeher eine Freundin von Dingen die Spaß machen und mit Politik zu tun haben. Deswegen fände ich es auch ziemlich cool, wenn aus diesem Abend heraus etwas Längerfristiges entsteht, wo wir immer wieder mal neue Ideen weiterspinnen können, kleine Aktionen ausdenken, die eben nicht nur bierernst an die Sache herangehen, sondern stattdessen lieber denen, die übergriffig werden, den Spaß verderben.

Wenn ihr wollt, können wir diese Reclaim The Night Lounge genau dafür öfters machen, als losen Treffpunkt, um Ideen auszuhecken und uns auszutauschen. Zweimonatlich oder monatlich – gebt uns einfach Feedback, dann sind wir sofort dabei. Es wäre ein Angebot von uns an euch – ob was draus wird, hängt von euch ab. Von denen, die sich gegen Übergriffe engagieren wollen, weil sie die Nase voll haben.

Damit schon mal Ideen im Raum stehen, hab ich ein bisschen gegrübelt, und habe mal die klassischen Kärtchen zum Abwimmeln rausgekramt, die es in verschiedensten Formen schon weltweit gab, von Punk AZs und Ladyfests bis zu Technikkonferenzen oder Raves. Ich hab da mal schnell was rausgehauen – ist nur ein Anstoß. Und selbstverständlich mit Schreibfehlern. Pardon dafür. Ihr seht die schon überall hier rumliegen.

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Creep Cards hab ich sie getauft. Solche Kärtchen mögen erst manchen vielleicht etwas albern erscheinen, aber sie haben den Vorteil, dass ich mich nicht auf ein Gespräch mit einem vielleicht Betrunkenen einlassen muss, der mich dann in Endlosdiskussionen verwickelt, ich gebe ihm aber trotzdem die Botschaft mit. Und: sie geben mir auch beim Überreichen gleich einen Moment der Ablenkung, in dem ich weggehen kann. Noch dazu gibt’s die kleine Chance, dass der Täter das vielleicht am nächsten Tag, wenn er wieder nüchtern ist, noch mal liest und er merkt, dass er Scheiße gebaut hat. Ist keine Lösung, aber ein Puzzleteil, das auch was beitragen kann.

Wenn euch dafür zum Beispiel bessere Sätze oder Formulierungen einfallen – das wäre super. Das wäre eben genau so eine Sache, wo alle mal nachdenken können, und entweder gleich heute Abend noch oder auch per Mail oder in der Facebookgruppe Ideen einbringen können, und dann könnten wir sammeln und über Formulierungen abstimmen, und das ganze dann noch von jemandem cool layouten lassen, gucken wie wir Geld für den Druck zusammenkriegen, und dann auch wirklich in einer größeren Menge drucken und in der ganzen Stadt verteilen.

Als eine noch aktivere Sache ist mir auch noch eingefallen, dass wir uns auch ab und zu einfach mal zusammentun könnten, und als kleine aber offensive Gruppe von Frauen – es können aber auch gerne Jungs mitmachen! – ein, zwei Stunden gezielt in der U-Bahn oder Innenstadt mit Motto-Schildern, Info-Flyern, vielleicht auch Ghettoblaster und offensivem Auftreten Präsenz zeigen im Nachtleben. Sowas wie eine coole feministische Variante von Jungesell*innenabschieden. Die schaffen es ja auch, den Leuten nachhaltig im Kopf zu bleiben. Das könnte man auch immer wieder mal machen. Und Reclaim The Night, unser Slogan, kommt übrigens von großen nächtlichen Demos bei denen Leute gegen sexualisierte Gewalt und Übergriffe im Nachtleben auf die Straße gegangen sind.

So, das war’s von mir – jetzt seid ihr dran, und ich übergebe an Bettina für die Gesprächsleitung. Danke für’s Zuhören!

Reclaim The Night Lounge – ein Interview zum Abend

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Ich habe den Nürnberger Nachrichten ein Interview zur RECLAIM THE NIGHT LOUNGE, unserem Abend gegen Übergriffe im Nachtleben gegeben und freue mich sehr, dass sie über unsere Arbeit dazu berichten. Der Artikel bringt allerdings einen Punkt etwas verkürzt rüber, der mir wichtig ist: Es klingt, als wollten wir heute Abend nur Frauen Tipps geben wie sie sich besser schützen können. Das würde ich aber als Victim Blaming betrachten, und hatte ich eigentlich in meinen Antworten nicht so gesagt. Aber dafür hab ich ja einen Blog – hier das vollständige ausführliche Interview:

F: Wie ist man auf die Idee gekommen so eine Veranstaltung ins Leben zu rufen? Gab es einen Vorfall der sozusagen als Initiator gewirkt hat, oder war es ein spontaner Einfall von Seiten des MV? Ist dies der erste Abend oder gab es schon ähnliche Veranstaltungen dieser Art? Sind weitere geplant?

A: Dass Übergriffe, von verbaler Belästigung bis zu Angrapschen oder mehr, im Nachtleben ekelhaft gängig sind, aber viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommen, fanden wir schon länger, aber konkretisiert hat sich das auf unserer letzten Jahresklausur September 2016. Da die Basis wichtig ist, legt der Musikverein seit zwei Jahren mehr Wert auf Gender-Ausgewogenheit auf der Bühne und unter den Veranstaltenden. Wenn mehr Frauen unter den Veranstaltenden sind, bekommt automatisch auch ein Problem, das in erster Linie Frauen betrifft, mehr Aufmerksamkeit. Dann haben wir unseren Gästen immer wieder ans Herz gelegt, sich zu melden, wenn sich ihnen gegenüber danebenbenommen wird. Da bekamen wir auch Feedback und dadurch wurde das Thema noch dringlicher. Unter dem Sammelbegriff Reclaim The Night haben wir dann begonnen, konkreter zu werden: Seit letztem Herbst zeigen wir bei unseren Club Nights auf der Hauswand Visuals mit Slogans gegen Übergriffe, zum Beispiel „’Nein’ heißt nicht ‘überzeuge mich’!“ oder „Party hard but party with consent!“

Um einen Austausch zu diesem Thema mit anderen Veranstaltenden aufzumachen, haben wir im November zu einem Runden Tisch eingeladen, den gab’s inzwischen schon zum zweiten Mal, da hat sich Carmen ‘double u cc’ vom Musikverein stark darum gekümmert. Zur besseren Vernetzung zwischen Veranstaltenden haben wir eine Mailingliste und eine geschlossene Facebookgruppe angelegt. Die Reclaim The Night Lounge ist jetzt mein Baby. Da ist die Idee, in den Austausch mit Gästen bzw. Betroffenen zu gehen, da wir uns als Community verstehen, und weil ein offener Austausch immer ein guter Ansatz für Problemlösungen ist. Wir wollen auch das Tabu abbauen, dass manche Clubs sich nicht offen darüber reden trauen, weil sie Angst um ein schlechtes Image haben müssen – wenn alle offen darüber reden, wird schnell klar, dass das ein clubübergreifendes, ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Und je nach Feedback wird es den Abend öfter geben.

F: Gibt es großes Interesse an der Veranstaltung? Also haben Sie schon Feedback für Idee bekommen? Welche Zielgruppe haben Sie im Blick? Ist Die Veranstaltung nur für Frauen oder sind auch Männer willkommen? Was ist das angestrebte Ziel dieser Veranstaltung?

A: Das Interesse im Vorfeld zu messen ist immer schwierig, aber ja – es hat uns schon positives Feedback erreicht. Die Reclaim The Night Lounge ist für alle Betroffenen gedacht, das heißt sowohl Frauen und andere, die schon Übergriffe im Nachtleben erlebt haben, als auch Leute, denen das Thema wichtig ist und die sich engagieren oder informieren wollen. Natürlich sind auch Männer willkommen, sie sind zwar seltener Opfer von Übergriffen, aber auch das kommt vor. Uns ist wichtig, dass sich eben wirklich alle willkommen fühlen, denen es ein Anliegen ist, etwas gegen Übergriffe im Nachtleben zu tun. Das Ziel ist Information, Austausch, Aktion. Wir haben dazu jetzt auch noch eine Facebookgruppe angelegt:  damit die Diskussion auch online weitergeführt werden kann, und eine Kontakt-Mailadresse: reclaimthenight@musikverein-concerts.de (die Mails landen bei mir und Carmen double u cc und wir werden auf Wunsch natürlich auch Mails anonym behandeln.) Und demnächst geht auch die Website www.reclaimthenight-nbg.de online.

F: Wie gesagt ist das Thema der sexuellen Übergriffe ein brisantes Thema seit dem Vorfall in Köln. Deshalb auch die Frage, ob Köln Auswirkungen auf das Nürnberger Nachtleben hatte (negativ wie positiv)?

A: Die verabscheuungswürdigen Übergriffe der Silvesternacht fanden ja nicht nur in Köln statt, sondern es gab meines Wissens auch einen kleinen Ableger in Nürnberg. Wir vom Musikverein waren uns schnell einig, dass wir das für eine sehr systematisch angelegte, gezielte Aktion halten, und dass wir die Gefahr einer Instrumentalisierung für rassistische Vorurteile sehen und für ein Gegeneinander-Ausspielen der Opfer von Rassismus und Sexismus. Das hat sich dann leider auch bestätigt: Plötzlich haben sich Leute gegen Übergriffe stark gemacht, die vorher fanden, dass Frauen ja total übertreiben, wenn sie sich darüber beschweren.

Unabhängig von der Silvesternacht, die wie gesagt ein sehr krasser und anscheinend systematisch angelegter Übergriff war, begegnen wir und andere Veranstaltende, die explizit Flüchtlinge willkommen heißen, um ein Zeichen zu setzen, natürlich auch Übergriffen von Flüchtlingen. Aber: wir sehen viel mehr Geflüchtete friedlich mit uns feiern, deswegen ist es uns wichtig, dass da kein Graben zwischen Alt- und Neu-Nürnbergern aufgetan wird. Die letzten beiden Übergriffe gegen mich persönlich zum Beispiel kamen nicht von Geflüchteten. Aber sie kamen von Männern. Wenn also jemand unbedingt ein Kulturding draus machen, will, dann wäre es angebrachter, eine bestimmte Art von Männerkultur zu kritisieren, denn da gibt es über alle Kulturgrenzen hinweg einiges an Selbstverständlichkeit und Leichtfertigkeit in Sachen Belästigung abzubauen. Schafft erst mal Mario Barth und Club Nights, bei denen Frauen mit freiem Eintritt und Gratisdrinks willig gemacht werden sollen, ab, bevor ihr euch Geflüchtete als Zielscheibe aussucht.

F: Was glauben Sie persönlich was man ändern könnte, um solche Übergriffe zu verhindern? Welche Tipps können Sie Frauen mit auf dem Weg geben, wenn sie sich  zum Beispiel alleine auf dem Heimweg befinden oder eben, was leider viel zu oft vorkommt, auf der Tanzfläche begrapscht werden?

A: Langfristig, im Großen gedacht, hilft nur eine Verschiebung des sozialen Konsens, dazu gehört z.B. auch kein Victim-Blaming zu betreiben. Deswegen: Frauen (und anderen, die belästigt werden) möchte ich als Tipp mit auf den Weg geben, es nicht als selbstverständlich hinzunehmen, dass sie diejenigen sind, die ständig bereit zur Abwehrhaltung sein müssen. Stattdessen möchte ich Männern mit auf den Weg geben: Belästigt keine Frauen. Aber eigentlich mag ich den Geschlechtergraben da auch nicht, deswegen: Grapscht nicht in der Anonymität der Tanzfläche andere Menschen an, außer diese haben klar signalisiert, dass sie Lust auf Körperkontakt mit euch haben. Lasst Menschen in Ruhe, die signalisieren, dass sie sich keine Unterhaltung mit euch wünschen. Vergewaltigt keine anderen Menschen. Sagt Leuten an Bar oder Tür oder einfach anderen Gästen, die in der Nähe stehen gleich Bescheid, wenn jemand übergriffig wird. Tut das nicht länger als Bagatelle ab, macht es sichtbar. Wenn ihr etwas beobachtet, was übergriffig aussieht, fragt einfach mal nach, ob es für die Person okay ist, oder ob sie Unterstützung beim Abwimmeln braucht.

F: Sie engagieren sich ja auch neben dieser Veranstaltung gegen Sexismus. Welche Möglichkeiten hat der MV um die Sicherheit von Frauen in Discos, Bars und Co. zu verbessern?

A: Wir versuchen, Gästen zu vermitteln, dass wir eine Nulltoleranzpolitik bezüglich Übergriffen fahren, via Webpräsenz, Aushängen und Visuals. Alle die bei uns an Einlass und Bar im Einsatz, sind stets bereit zu helfen, und wir haben inzwischen bei jeder Party mindestens einen Security im Einsatz. Wir versuchen sogar, dass bei jeder Party auch jemand von uns auf der Tanzfläche ein bisschen die Augen aufhält. Da die Grenze zwischen Veranstaltenden und Publikum bei einem Kollektiv wie dem Musikverein oft fließend ist, liegt uns an einem Austausch mit unseren Gästen, deswegen die Reclaim The Night Lounge: eine öffentliche Plattform schaffen. um Erlebnisse zu schildern, Wünsche an Veranstaltende zu äußern, Ideen für kleine Aktionen in den Raum zu werfen.

Entschuldigung aber ich habe ganz vergessen zu fragen wie denn der gesamte Abend ablaufen soll (Programm und geplante Aktionen)?

Nach einem einleitenden Vortrag von mir wird es eine offene Gesprächsrunde geben, in die sich alle, die kommen einbringen können. Bettina Wagegg vom Musikverein wird das moderieren und mit ein paar Fragestellungen ins Rollen bringen. Danach gibt’s noch ein bisschen Bar-Musik, damit auch im kleineren Kreis noch Gespräche fortgeführt werden können. Und ein bisschen was zum Snacken gibt’s auch.

Immerhin schreibt Meike Lobo nicht, diese “moderne Frauenbewegung” müsse rhythmisch sein

“We spend too much time telling girls that they cannot be angry or aggressive or tough, which is bad enough, but then we turn around and either praise or excuse men for the same reasons. All over the world, there are so many magazine articles and books telling women what to do, how to be and not to be, in order to attract or please men. There are far fewer guides for men about pleasing women.”
Chimamanda Ngozi Adichie, We Should All Be Feminists

 

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Ausgerechnet am Weltfrauentag jeglicher Idee von Solidarität ins Gesicht zu spucken, und in einem Artikel in einer der größten Zeitungen Deutschlands an verschiedenen Feminismusströmungen herumzunörgeln, bzw. unter denen auch nur die zu kritisieren, die Meike Lobo in (sozialen) Medien aufgefallen sind – well, kann man schon machen. Dabei einen Text abzuliefern, der sich nicht mal die Mühe macht, halbwegs zu recherchieren oder argumentieren, sondern einfach eine chimärenhafte “moderne Frauenbewegung” heraufzubeschwören – dafür ein herzliches pffffrrrrrrrt.

Jahrelang werden soziale Netzwerke wie Twitter dafür kritisiert, dass sie Frauen* zu wenig Möglichkeiten geben, sich gegen Fluten von Hasspostings zu wehren, die voller Gewaltdrohungen stecken, und die Kommunikation unmöglich machen, weil sie die Mentions blockieren. Weil nichts passiert außer schönen Worten, greifen die Opfer zur Selbsthilfe: z.B. wurde Derailing auf Twitter als Muster ausgemacht, um Frauen* mundtot zu machen, oft erfolgt das von extra dafür angelegten “Eier”-Accounts. Damit nicht jedes Opfer auf’s Neue einzeln damit zu kämpfen hat, tun sich Opfer zusammen und erstellen Blocklisten zum Selbstschutz. So wie sich Frauen auch offline z.B. gegen Übergriffige wehren, indem sie sich gegenseitig davor warnen, sich mit Menschen, von denen dieses Verhalten bekannt ist, nicht einzulassen. Meike Lobo macht daraus die “Kritikresistenz” der “modernen Frauenbewegung”. In ihrem Text hüpft sie dabei auch noch fröhlich umherstichelnd von (nicht klar benannten) Feministinnen auf Twitter zu (nicht klar benannten) universitären Feministinnen in Großbritannien, dann wieder zu einem “gelangweilten, übersättigten Selbstverwirklichungsfeminismus privilegierter Frauen” (ah – hier sogar klar benannt: edition f) und wieder zurück. Alles irgendwie diese “Mitglieder der modernen Frauenbewegung”, die ja wohl echt mal an ihrem Image feilen müsste (“schlechte Außenwirkung”) und schlittert dabei nur knapp an der jahrehundealten Waffe der Gegner*innen jeglicher Frauenbewegung vorbei, nämlich diese als hysterisch zu bezeichnen. Nein, das tut Meike Lobo nicht, sie belässt es bei “Übererregbarkeit, “grellen Stimmen”, “empfindlichen Teilen der Frauenbewegung”, “laut, paranoid” – oh, ups: Da ist es ja doch, die uralte H-Bomb gegen die Frauenbewegung: von der “Hysterie des Feminismus” schreibt Meike Lobo.

*summt zur Beruhigung “I was boo-ooorn under a waaandering wooomb….”*

Aus dem Verweigern vieler Feminist*innen sich im Fahrwasser der Silvesterübergriffe von Köln zu Zuarbeiter*innen des Rassismus instrumentalisieren zu lassen, der hierzulande gerade blüht, macht Meike Lobo – sich ins Fahrwasser von AfD und PEGIDA werfend – den Vorwurf, dass diese “moderne Frauenbewegung” der Rape Culture zuarbeite und Opfer gefährde. Wer will gegen solch unterkomplexes “entweder/oder” Herumgemeine denn ernsthaft andiskutieren? Die Argumente dagegen wurden lang und breit veröffentlicht, wer sie nicht lesen oder verstehen will, wird dies auch bei der hundertsten Erklärung nicht tun.

Sie scheint tatsächlich ganz eindimensional davon auszugehen, dass die Frauen, die auf Twitter ein im Kontext sexistisches Hemd eines Wissenschaftlers kritisieren (ein Beispiel von vor zwei Jahren?! Eigentlich wollte ich hier meinem damaligen Text dazu verlinken, finde sie aber nicht mehr – wird vielleicht noch nachgereicht) und darüber feministische Witze reißen, ihr feministisches Engagement darauf beschränken. Dass die Frauen, die auf Twitter spontan lautstark etwas verbal kritisieren, gleichzeitig die sind, die auch abseits davon sehr aktiv sind, scheint ihr nicht mal als Möglichkeit in den Kopf zu kommen (sich für weibliche Flüchtlinge engagieren, so was wie speakerinnen.org auf die Beine stellen, oder sich für Hebammen und für die Anerkennung von Care Work und anderer unsichtbar gemachter Arbeit, die typischerweise von Frauen* verrichtet wird, auf die Straße stellen – ich selber kenne aus dem Stegreif etliche Beispiele). Ich zum Beispiel tweete aber recht wenig über mein konkretes Engagement, weil es meist auf lokaler Ebene stattfindet, und ich auf Twitter eher zum internationalen Gedankenaustausch und informieren unterwegs bin. Oder muss ich, bevor ich ein feministisches Katzengif posten darf oder sprachlich ein paar Diversity-Sternchen sprinkeln kann, erst dazu schreiben, dass schon mein allerallererstes selbstorganisiertes Konzert ein Benefiz für ein Frauenhaus war, das damals knapp bei Kasse war? Dass ich vor der letzten Gesetzesverschlechterung einen Fundraiser für eine Sexarbeiter*innen-Beratungsstelle organisiert habe? Dass ich in meiner Promotertätigkeit andauernd aktiv für mehr Künstler*innen auf der Bühne und Sicherheit von Frauen* im Nachtleben eintrete? Schmerzt der Hashtag-Feminismus und das Gender-Sternchen den konservativen schwarz-weiß Feminismus so sehr? Sorrynotsorry.

Diese Sorte Texte, die dich mit Rechtfertigungen und Erklärungen des immerselben beschäftigt halten, so dass du wieder weniger Zeit hast, deinen Kopf frei für die nächste praktische feministische Aktion zu haben. Gab’s da nicht ein Wort dafür?

 

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Gerade am Weltfrauentag ein dermaßen unsolidarischer, falsch vereinfachender und entstellender Text von einer Frau in einer so großen Zeitung – das machte mich wütend. Das saß. Glückwunsch Zeit.de, Ziel erreicht. Und dann noch den Konterartikel nachlegen und noch mal so viel Klicks abholen. Euer Geschäftsstil ist ein dreckiger. Ich habe mich jetzt ein paar Tage dagegen gesträubt, etwas über diesen Text zu schreiben, weil er so klar zu der Sorte Provokation gehört, die Medien zur Steigerung ihrer Klickzahlen veröffentlichen. Öl ins Feuer gießen, Wut anstacheln – da kriegt man die Leute schon, mit diesen unterkomplexen Aufreger-Artikeln. Nun habe ich mich doch dazu hinreißen lassen. Es sich nicht von der Seele zu schreiben, seine Plattform nicht zu nutzen, ist ja auch nicht besser. Lose-Lose Situation. So ist wenigstens ein Ünzchen mehr auf der “wir wünschen uns von professionellen Schreiberlingen und Medien eine komplexere, weniger emotionale Berichterstattung zum Feminismus” Waagschale. Und ich habe das Wort “Ünzchen” schreiben können. Kommt man auch nicht alle Tage dazu. Ünzchen.

 

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P.S.: Auslöser war übrigens, dass mir heute zur Morgenlektüre Meike Lobos Reaktion-auf-die-Reaktionen-Blogpost als “nachdenkenswert” unter die Finger kam: Er zeige, was für “Diskussions- und Reaktionsschemata wir uns durch soziale Netzwerke angewöhnt” haben. Uff. Es gibt unzählige gute Artikel, die sich analytisch mit diesem Thema auseinandersetzen, aber der von Meike Lobo ist einfach nur ein persönliches Aufarbeiten und Abrechnen. Was völlig okay ist. Aber nicht sonderlich relevant. Sich bei einem langem Artikel in einer großen Zeitung danach über Diskussionen, die sie nicht explizit mit einbeziehen, als “Hinter-dem-Rücken-Lästern” und “Krebsgeschwür von Twitter” zu äußern – uff, harte Worte. Medien und Twitter mit einem Schulfhofverständnis betrachtet. Dass sie einen “Großteil der Reaktionen” als “mutwillige Verzerrung” und “bewusst verfälschende Zusammenfassung” abtut, ist wiederum amüsant. Du erntest, was du säst. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Ünzchen werfen. Usw.usf. Fehlt bloß noch, dass sie das als ‘Derailing’ bezeichnet und die Ironiekatze beißt sich in den Schwanz.

That’s why the lady is a fan – Frauen, Fankultur und dieses Internet

Ich habe im Rahmen der Ausstellung PASSION im Kunsthaus Nürnberg einen Vortrag zu weiblichen und zu digitalen Aspekten von Fankultur verfasst, den ich zur Feier des Internationalen Frauenkampftages in Schriftform zur Verfügung stelle. Wenn ihr ihn lieber hören würdet als lesen – bitte Rückmeldung, dann stelle ich das gerne auch als MP3 / Podcast online. Viel Vergnügen.

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That’s why the lady is a fan

Ich habe mir ein paar Punkte zu weiblicher Fankultur herausgepickt, an denen ich versuche, zu verdeutlichen, dass Fankultur schon immer mehr war als nur Schwärmerei für einen Star, sondern auch etwas mit Ausbruch aus Repression und mit Communities als verstärkende Kollektive zu tun hat. Dazu werde ich über Teengirl Fan Communities von Bobby Soxers 1944 bis Directioners heute eingehen. Dann wird’s drum gehen, warum Fankultur im Pop schon immer eine weibliche Domäne ist bzw warum eigentlich Frauen immer vor der Bühne und nicht auf ihr zu finden waren und oft immer noch sind. Riot Grrl habe ich mir als eine historische Landmarke herausgepickt, die zum einen weibliche Solidarität verstärkt hat, die ein wichtiger Bestandteil des Teengirl Fantums ist, und die gleichzeitig aus einer Idee des DIY Punk heraus die Distanz zwischen Fan und Künstler*in aufzuheben suchte. Dann wird es um den Einfluss der Digitalisierung und Internetkultur auf Fantum gehen, zu der dann eine auch auf Mainstreamebene verringerte Distanz zwischen Fan und Künstler*in kam, aber gleichzeitig auch mehr Konkurrenz und eine Hyperkommerzialisierung. Das wiederum führt dazu, dass Stars ihre Fans durch eine Reverse Fan Culture bei der Stange halten müssen. Dank Internet gibt es mehr denn je Formen, in denen Fankultur ausgelebt wird, und sich darüber ausgetauscht wird. Als eine interessante Form werd ich kurz auf Fanfic eingehen. Und dann auch noch als spezifisches Beispiel auf ein Musikvideo, das für mich ganz speziell für das sich verändernde Verhältnis von Star und Fan, für internetspezifisches Marketing und Musik stehen kann. Und abschließend werd ich kurz darauf eingehen, ob es nicht ein positiver Ausblick sein könnte, derivate Kunst nicht als rein nostalgisch anzusehen, als “Retromania”, wie es Reynolds nannte, sondern über das Verstehen dieser Kunst als Fankultur, sie als zukunftsverheißenderen Entwurf zu sehen: als “configurable culture”, wie es Aram Sinnreich nannte.

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Frank Sinatra als erster Popstar mit großem Teen-Fangirl-Following: den Bobby Soxers

Der Titel, ‘That’s why the lady is a fan’, lehnt sich nicht umsonst an den Titel eines Songs an, der zwar zuerst von Mitzi Green gesungen wurde, von dem aber zahllose Versionen existieren, von Ella Fitzgerald bis Lady Gaga. Ich habe ihn in einer Fassung von Frank Sinatra kennengelernt: “That’s why the lady is a tramp”, ein Song über eine Frau, die sich nicht der New Yorker High Society Etikette unterwerfen will. Und Frank Sinatra wird gerne als der erste Popstar mit einem richtig riesigem Fankreis gesehen, deswegen erschien mir das als Titel ganz passend.

Dorian Linskey schreibt, dass er in Sachen Fanphänomen als Vorgänger Sinatras eigentlich nur die Lisztomania sieht, die – von Heinrich Heine so benannt – 1842 aufkam: eine Art Masseneuphorie bei Konzerten von Franz Liszt. In einem Radiobeitrag von NPR wird der Pianist Stephen Hough zu Liszt zitiert “Wir hören davon, dass Frauen ihre Kleidung auf die Bühne geworfen haben und seine Zigarrenstummel genommen und sich in ihren Ausschnitt gesteckt haben.” Sie sollen sich auf ihn gestürzt und um Fetzen seiner Kleidung, gerissene Pianosaiten und einer Locke seines schulterlangen Haares gekämpft haben.

100 Jahre später erst kam dann bei Frank Sinatra eine ähnliche Masseneuphorie unter Fans auf. Einschneidend ist der 12. Oktober 1944 gewesen, an dem es zu den Columbus Day Riots kam: Eine Masse junger Fans – vor allem weibliche – fluteten den Times Square, weil an diesem Tag Frank Sinatra seine Residenz im New Yorker Paramount Theatre begann. Genauso wie wir es von der Beatlesmania oder von heutigen Boygroup Fans kennen, wurde lange vor Öffnung schon auf der Straße gewartet. Fans wollten alle sechs Shows sehen, die Sinatra an diesem Tag spielte, und so verließen nach seinem Auftritt nur 250 von 3000 ihre Sitze, während auf der Straße 30.000 darauf warteten reinzukommen. Die Polizei war überfordert von den Massen an Teenagern, Chaos überall. Jon Savage stellte fest, dass passenderweise in genau diesem Monat desselben Jahres auch das erste Mal der Teenager-Markt erschlossen wurde, genauer gesagt: Das Teen-Magazin Seventeen wurde zur selben Zeit veröffentlicht wie die großen Ausschreitungen der Sinatra-Fans stattfanden. Noch mal 60 Jahre später und Popstars wie Miley Cyrus zierten das Cover von Seventeen.

Frank Sinatras Fans hatten auch schon einen eigenen Namen: Die Bobby Soxers, nach den Ringelsöckchen benannt, die viele der jungen Frauen damals trugen. Heute gibt es für die Fangemeinden der ganz großen Stars den Begriff der Fan Army, der schon etwas ernstzunehmender bzw fast bedrohlich klingt. Auch diese Fan Armys haben je nach Star ihre eigenen Namen:

One Direction – Directioners
Taylor Swift – Swifties
Beyoncé – Beyhive
Justin Bieber – Beliebers
Miley Cyrus – Smilers
Lady Gaga – Little Monsters
Bruno Mars – Hooligans

Weibliche Teenager als Fans werden schnell mit Worten wie Hysterie und Manie abgestempelt: Massen kreischender Teenies, die naiv auf die Marketingfalle Pop hereinfallen und hoffen, dass ihr Star sich auch in sie verknallt, sich für immer in Sehnsucht nach ihm verzehrend, wie es auch Scott Matthew in seinem Song ‘Market me to children’ düster-skeptisch vertont hat:

“It’s a chilling claim to fame
We steal their baby brains
big minds work out strategy
that never fail to train

oh the horror”

Fantum als selbstermächtigender sozialer Raum

Ich habe bewusst von Masseneuphorie und nicht dem negativen Begriff Massenhysterie gesprochen, der Frauen zum passiven Opfer macht, denn – auch da möchte ich Jon Savage aufgreifen – es handelt sich um einen Moment, der von der kollektiven Macht junger Frauen zeugt, die schon immer einen zentralen Punkt in der Popmusik einnahm. Claudia Calhoun schreibt über die kreischenden jungen weiblichen Fans: “Sie machten ein Spektakel aus sich selbst, sie machten einen Star aus Frank Sinatra, und sie erschufen einen sozialen Raum, in den Generationen von weiblichen Fans weiterschreien und in Ohnmacht fallen würden.” Sie inszenieren ihr Auftreten ganz bewusst, es ist ein Spiel, ein Ritual, sie sind sich im Klaren darüber wie sie wirken, egal ob Justin Bieber Fans auf Twitter oder Frank Sinatra Fans, die gemeinsam hinter verschlossenen Türen zu Schallplattenmusik übten, wie sie sich auf Konzerten in Verzückungspose werfen würden. Es ist immer eine Mischung aus Leidenschaft und aus Selbstinszenierung gewesen. Das Niederschreien der Band als Ausdruck der eigenen Macht im Kollektiv.

Abwertung weiblicher und Teen Fankultur und Expertise

Demgegenüber: Das Urteil der vermeintlich echten Musikkenner: Wenn sich für eine Band eine große Anzahl von Mädchen interessiert, dann kann ihre Musik nichts taugen. ‘Mädchenmusik’ gab es vor Jahren schon als abwertenden Begriff dafür. Dabei kennen sich die jungen Frauen unglaublich gut aus mit ihren Stars und deren Musik, da wird genauso intensiv diskutiert wie es männliche erwachsene Fans tun, die sich aber als die einzigen ernstzunehmenden Kritiker sehen. In Blogs und sozialen Netzwerken wie tumblr tauschen diese Fan Communities sich detailliert aus, zerlegen jeden Song und jeden Tweet, feiern ihre Stars genauso wie sie sich gegenseitig feiern. Das Communitygefühl jenseits von Eltern und trautem Heim, das über das Erarbeiten des eigenen Geschmacks, das Diskutieren über den gemeinsamen Geschmack und das Teilen von Gedanken dazu entsteht, ist ein wichtiger Teil des Erwachsenwerdens für viele – und bleibt auch später im Leben für viele wichtig zur Weiterentwicklung.

Die Teen-Fans sind sich, anders als es das erwähnte Scott Matthew Zitat vermuten lässt, völlig im Klaren darüber, wie konstruiert der Popstar ist, wie Kampagnen zur Werbung für neue Alben oder Songs lanciert werden, das Skandale bewusst gestreut werden, um Aufmerksamkeit zu generieren. Die Musikjournalistin Brodie Lancaster hat ein schönes Beispiel dafür, wie kritisch und selbstermächtigend Teenager heute mit ihren Stars umgehen, nämlich eine sogenannte DIY Single von Directioners, also One Direction Fans, 2015.

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Directioners DIY Single

Nachdem sie die von One Direction und ihrem Management veröffentlichten Singles als zu zuckrig empfanden, statt dass die guten Songs Singles wurden, und das Album nicht so durchstartete, wie erhofft, waren einige Fans sich einig, dass der Song ‘No Control’ eine Single sein sollte. Ein Fan postete auf tumblr die Idee, dass alle Directioners sich zusammentun sollten, Artwork und sogar ein Fan-Video machen sollten, und alle am selben Tag den Song auf iTunes kaufen, damit er an diesem Tag in die Verkaufscharts eingehen würde. Als verstärkendes Element, damit es auf Social Media viral gehen würde, verwendeten sie Thunderclap, so etwas wie Kickstarter für virale Kampagnen. Und tatsächlich: Project No Control wurde ein voller Erfolg. Teenie Fans brachten eine der größten Bands überhaupt zur Zeit dazu, das zu tun, was sie wollten. Ein BBC Moderator verglich das sogar mit Punk und DIY Releases, deswegen auch der Begriff DIY Single.

Fangirl vs Musiknerd

Eins macht es jedenfalls klar: Teenagermädchen suchen sich selbst aus, was ihnen gefällt, wissen genau, was sie wollen und wie sie es bewirken können. Sie sind alles andere als nur naive Konsumentinnen. Aber ‘Fangirling’ hält sich als Begriff für beliebige Schwärmerei: durch und durch emotional, als das Gegenteil des männlichen erwachsenen Musiknerds, der angeblich ganz rational erklären kann, warum etwas gut ist oder nicht. Das ist natürlich Quatsch, denn dass die Qualität von Musik ganz objektiv bestimmbar sei, haben diese Kritiker im Verlauf der Popmusikgeschichte selbst immer wieder widerlegt. Ausgrenzungsmechanismen aus dem Popkanon erfuhren und erfahren letztlich so gut wie alle Werke von Künstler*innen, die nicht männlich und weiß sind. Nur um dann Jahre später durch nerdige Nischenkramerei dann doch im Nachhinein als verkannte Musiker*innen noch mal als interessant entdeckt zu werden. Und als ihre Entdecker lassen sich auch dann wieder meist weiße männliche Kritiker feiern. Der Zugang, den junge weibliche Fans zu Musik finden, wird oft ins Lächerliche gezogen oder gar als Blasphemie betrachtet, z.B. wenn Miley Cyrus The Smiths covert in ihrem Projekt für obdachlose Queer-Jugendliche. Oder wenn jemand die Ramones über eine Fernsehserie wie O.C. California kennengelernt hat. Aber, so stellt Claudia Calhoun fest: auch wenn Musik, die junge Frauen anspricht, oft von Erwachsenen und jungen Männern abgetan wird: seit um die Zeit des 2. Weltkriegs herum eine Teen Girl Fan Kultur aufkam, folgte die Unterhaltungsindustrie dieser immer mit großem Interesse, egal ob es war, um sie schlechtzureden, sich drüber lustig zu machen, was Teenies jetzt wieder vermeintlich Schreckliches gefiel, oder um sie als kaufwillige Kundschaft ins Visier zu nehmen.

Fangirling als Protest gegen sexuelle Repression

Umgekehrt, schreibt Calhoun, haben Mädchen Popidole benutzt, um sich selbst auszudrücken, um ihr Begehren, ihre Wünsche in einer Gesellschaft sichtbar zu machen, die sie oft bevormundet. Im Zeitalter der Massenmedien ist die Popmusik zu einem wichtigen sozialen Ort für junge Frauen geworden. In der Starverehrung haben Mädchen eine Form gefunden, in der sie ihre neuentdeckten romantischen Gefühle, und zwischenmenschliche Beziehungen auf sichere Art erforschen können, wie Sandra Song feststellt. Die Kritikerin Barbara Ehrenreich schrieb 1992, dass einerseits Mainstreamkultur zunehmend sexualisiert war, aber von jungen Mädchen trotzdem erwartet wurde, dass sie der Inbegriff von Reinheit sind. Sie schreibt über die Beatlesmania: “Die Kontrolle zu verlieren – zu schreien, in Ohnmacht zu fallen, in Mobs umherzudrängen – das war, in der Form, wenn nicht gar in bewusster Absicht, ein Protestieren gegen sexuelle Repression, den strengen Doppelstandard weiblicher Teenkultur. Es war der erste und dramatischste Aufstand der sexuellen Revolution der Frauen.” Trotzdem war Sexualität nur ein Bruchteil dessen, was Fantum ausmacht: Solidarität und eine Gruppenidentität spielten eine mindestens genauso große Rolle. Etwas, das Fans untereinander verbindet, sonst aber niemand – und schon gar nicht Eltern – versteht.

Fan – die Rolle der Frau in der Musik

Wie kommt es dazu, dass Frauen so oft in der Fanperspektive zu finden sind? Das ist kein reines Teenphänomen, und auch keines aus längst vergangener Zeit, sondern auch heute noch, wenn es darum geht als Musikerin oder DJ aktiv zu werden, sind es meist die Männer, die auf der Bühne und die Frauen die davor stehen. Sind es die Männer, die ‘fachsimpeln’, sind es die Frauen, die ‘schwärmen’. Es hat mit dem erwähnten Nicht-Ernstnehmen einer weiblichen Perspektive auf Pop zu tun, aber auch mit einer anerzogenen weiblichen Art, sich nicht vordrängeln zu wollen. Und natürlich mit allgegenwärtigen Boys Networks, den Kumpelnetzwerken, bei denen Frauen einfach nicht dabei sind / sein können. Frauen gehen nach wie vor seltener alleine Abends aus, stellen sich seltener auch mal alleine an die Bar – schon allein, weil sie da schnell unliebsame Anmachen abbekommen. Wieviel Zeit Frauen mit dem Abwehren von ungewollten Anmachen aufbringen müssen, während Männer sich gemütlichem Plauschen über Musik hingeben können. Bah. Als Sahnehäubchen kommt darauf das Lustigmachen über Frauen, die im Musikkontext unterwegs sind, z.B. das Klischee der Freundin als Jackenhalterin beim Konzert, das Möchtegern-Groupie der Band, usw. Allein schon durch einen gewissen roughen Tonfall werden Grenzen markiert. Sexismus wird oft als Scherz gekennzeichnet: man wisse ja, wie’s gemeint sei, und das egal ob beim Gespräch an der Theke oder auf Facebook: Männer verstärken immer wieder ihre kumpelhafte Verbundenheit, und weil sie die meisten wichtigen Positionen in der Musikszene innehaben, ist es schwer für Frauen, Zugang zu finden und sie selbst zu prägen. Am leichtesten bekommst du Zugang, wenn du dich an den Männertonfall anpasst, als ‘one of the guys’ durchgehst, auch mal über Frauenfeindliches mitlachst.

Diese Netzwerke und Mechanismen sind unsichtbar, schwer zu benennen, schwer konkret zu belegen. Es ist nichts Offizielles, und kaum einer der Männer, der sich in solchen Kumpelnetzwerken befindet, würde sich als jemand sehen, der Frauen ausgrenzen möchte oder das gar aktiv tut. Aber genau wegen dieser Unsichtbarkeit funktionieren die Mechanismen auch so gut. Natürlich sind nicht alle Männer so, genauso wenig wie sich alle Frauen davon abschrecken lassen, bzw gibt es natürlich auch Frauen, die beim Heruntermachen anderer Frauen mitspielen, allein schon um als Kumpel in den Männerbünden akzeptiert zu werden. Das erschwert Solidarität unter Frauen. Wenn sich eine Frau für andere Frauen einsetzen will, und das als Thema auch explizit transparent macht, weil es ihr fairer erscheint, bekommt sie oft zu hören, dass es doch um Musik ginge, und nicht darum, was für ein Geschlecht jemand hätte. Wenn Männer immer wieder Männer begünstigen, ohne das transparent zu machen, wird andererseits stets abgestritten, dass es etwas mit dem Geschlecht zu tun hätte und damit dieser Mechanismus unsichtbar gemacht. Das alles also wären Gründe, warum es für Frauen* schlicht einfacher, sicherer und angenehmer ist, als Fan in der Musikszene unterwegs zu sein. Dazu kommt der Teufelskreis: Fehlende Vorbilder. Wenn es nicht ‘normal’ ist, dass genauso viele Frauen* auf der Bühne oder hinter dem DJ Pult stehen, dann bleibt es auch eine Sonderposition, die immer erst ein Stück weit erkämpft werden muss. Leidenschaft für Musik wirft viele heterosexuelle junge Frauen mangels weiblicher Identifikationsfiguren auch in eine gespaltene Gefühlsposition, wenn sie vor der Bühne stehen: Begehre ich das Musiker-Sein oder den Musiker? Ein Lied von Sleater-Kinney hat das für mich immer ganz wunderbar ausgedrückt: “I wanna be your Joey Ramone”.

“i wanna be your joey ramone
pictures of me on your bedroom door
invite you back after the show
i’m the queen of rock and roll
i just don’t care
are you that scared?
i swear they’re looking right at me
push to the front so i can see
it’s what i thought
it’s rock’n’roll”

 

Weibliche Perspektive im Musikjournalismus

Fan-Sein hat ja immer etwas mit Identifikation zu tun. Das Dilemma der weiblichen Fans, egal ob vor Bands oder vor Filmen und Büchern, die uns fast nur männliche Hauptfiguren geben – will ich wie der Held sein oder bin ich in den Held verknallt? Liebe ich die Idee von mir in seiner Rolle, oder liebe ich ihn? Dazu kommt, dass die Weiblichkeit sogar in der Perspektive des Musikjournalismus oft kleingehalten wurde, vor allem wenn es um Leidenschaft ging. Eli Davies schreibt darüber, wie Frauen aus der britischen Indiegeschichte geradezu herausgeschrieben wurden: “Deine tiefe Liebe und Verehrung für eine Band wird oft als manische Hysterie, oder als Verlangen den Leadsänger zu ficken abgetan.” Über Pulps Different Class schreibt sie: “Ja, Sex war ein großer Teil der Anziehungskraft für mich, aber kein körperliches und reduktives Verlangen nach Jarvis selbst, oder irgendeinem anderen Mann in der Band. Da war ein lusterfüllter Drive, der sich durch diese Songs zog, von dem viel aus den Texten kam, aber auch direkt in der Musik und Ästhetik war, im Schimmern und Summen von Candida Doyles Keyboard, den tiefen wummernden Basslinien, der stacheligen Gitarre.” Diese tiefe Sexualität von Musik fehlt meist in Besprechungen männlicher Journalisten und Fans, selbst bei einem Thema wie der lustvollen Pit-Tanzkultur des Punk und Hardcore. Sie wird immer als asexuell, als nur über Aggression als emotional empfunden dargestellt, als ob da kein lustvolles Erleben dabei wäre, wo doch dieser feiernden engen verschwitzten sich aneinanderreibenden Nähe von oft halbnackten Männerkörpern ja ein erotisches Moment nicht abzusprechen ist.

Das Tabu, Sexismen anzusprechen

Dazu kommt das Tabu, über frauenfeindliche Texte zu reden. Sie gehören einfach dazu, zählen als künstlerische Freiheit, Szenekolorit. Es wird nicht ernstgenommen, ist ein Nebenschauplatz. Eli Davies schreibt dazu: “Versteh mich nicht falsch: Ich weiß, dass wir von unseren Popstars keine politische Reinheit erwarten, aber es sollte doch wert sein, über den Prozess zu reden, durch den wir als weibliche Fans gehen, wenn wir Frauenfeindlichkeit bei den Künstlern sehen, die wir lieben. Es ist nicht gerade ungewöhnlich, auch wenn wir es nicht unbedingt immer gleich erkennen. … Wenn du verstehst, dass Musik in der Mainstreamkultur immer noch fundamental als Männerterritorium gesehen wird, ist es klar, warum nichts davon ordentlich diskutiert wird. Es sollte aber nicht einfach als zufälliges Detail abgetan werden, es sollte wahrgenommen werden. Als Hörerinnen verhandeln wir dieses Zeug die ganze Zeit mit uns, bewusst und unbewusst, und dieser Prozess ist zum Großteil unsichtbar.”

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Riot Grrl als Verstärker weiblicher Solidarität

Kathleen Hannah von Bikini Kill gilt als Aushängefigur einer Bewegung, die eigentlich keine Gallionsfigur haben wollte: Die Riot Grrls. Es war eine Bewegung, die nicht nur mehr Frauen auf die Bühne brachte, sondern war auch für die weibliche Fankultur dieser Szene wichtig, denn in erster Linie bedeutete Riot Grrl eine Selbstbehauptung von weiblicher Solidarität. Fanzinekultur war ein wichtiger Teil, Frauen schrieben selbst über Künstlerinnen, die sie toll fanden, und über ihre Rolle und Perspektive und ihre Probleme als Musik-Fan in einer männerdominierten Szene. Die Situation als Frau in einem Hardcore-Pit, in dem das Recht des körperlich Stärkeren galt. Über Männernetzwerke. Über Sexismus, Belästigung und Vergewaltigung, die einer als weiblicher Fan in einer Szene passierte, die man eigentlich von Musik und Idee her liebte. Es wird von der Riot Grrl Bewegung oft nur die Rolle gesehen, die sie für Frauen auf der Bühne spielte, aber das eigentlich großartige und nachhaltig verändernd wirkende war dass es keine Rolle spielte, ob auf der Bühne oder als Fan davor: Riot Grrl steht für die Möglichkeit eines weiblichen Schulterschlusses und eine Nivellierung des Fan/Star Verhältnisses: Jede* kann Musik machen, jede* kann die Szene als Fan mitprägen, keines von beiden ist wichtiger. Wir sind es gewohnt, uns über den männlichen Blick zu definieren. Das ist gar nicht so leicht loszuwerden. Riot Grrl trug dazu dabei, von unten, aus dem Punkbereich, einen weiblichen Blick in die Popmusik einzuführen. Diese Art engagierter weiblicher Solidarität ist in vielen Musikszenen und Musik Communities immer noch oder immer wieder neu, aber Fan Communities sind eigentlich der Ort, an dem sie auch vor Riot Grrl Zeiten gelebt wurden. Riot Grrl hat dazu noch aus dem Punk die Idee des “jede*r kann Musik machen” genommen, und damit die Aufweichung der Grenze zwischen Fan und Star. Heute ist es gängiger geworden, Musikerinnen* über andere Musikerinnen* schwärmen zu hören. Das ist eine Solidarität, die aus einem Fantum gelernt wird. Es sind nicht mehr nur Frauen, die sich als Einzelkämpferinnen einen Status als Musikerin erkämpfen, nicht mehr nur Frauen, die versuchen, sich den Respekt von männlichen Fans und Kritikern zu erobern, sondern etwas, was eine Art Bechdel-Test für Frauen in der Musikszene bestehen würde: Frauen, die sich mit anderen Frauen über Künstlerinnen unterhalten. Inzwischen gibt es auch halbwegs große Medien dafür: In Deutschland steht dafür sowas wie das Missy Magazin, in den Staaten zum Beispiel das Rookie Magazin.

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Lane Kim aus Gilmore Girls als Fangirl und Nerd

Mir ist zum Thema dieser weiblichen Solidarität und dem gleichzeitigem Fan und Star sein, auch noch eine Serie in den Kopf gekommen, die eine großartige Indie-Punk-Nerd Grrl Figur hat: Lane Kim in Gilmore Girls. Eine Serie rund um Frauenfreundschaften, in der sich eine weibliche Perspektive, ja, eine Teen Fangirl-Perspektive auf alles von Musik über Kaffee oder den ersten Schnee erstreckt. Das gemeinsame Fangirling, das so gerne ins Lächerliche gezogen wird, wird bei den Gilmore Girls lustvoll zelebriert. Und es kommt unglaublich viel gute Musik vor – Yo La Tengo, The Shins, Björk, Angelic Upstarts, Big Star, in einer Folge tauchen Sonic Youth und die Sparks als Straßenmusiker*innen auf. Und für das Fan-Thema ist Lane Kim eine fantastische Figur: ein unglaublicher Musiknerd, gegen die Mutter rebelliernd, weil sie Musik so liebt, sie muss ihre große CD-Sammlung unter den Dielenbrettern ihres Zimmers vor ihrer strengen superreligiösen Mutter verstecken, später fängt sie dann aber sogar in einer Band zu spielen, als Schlagzeugerin. Es wird gezeigt, wie meisterhaft sie ausgetüftelte Wege findet, damit ihre Mutter nichts von ihrem leidenschaftlichen Parallelleben als Musikfan und später auch Musikerin erfährt, bis sie sich zu outen wagt. Die Storyline im späteren Verlauf der Serie wurde dann leider etwas enttäuschend, und von vielen Fans heftig kritisiert: Lane heiratet, kriegt Kinder, hört mit dem Musikmachen auf – entsetzlich! Es gab viele Fans, die sich alternative Storystränge für Lane ausgedacht haben, und sie zum Beispiel als Fanfiction im Netz teilten.

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Veränderung der Fankultur dank Internet und sozialen Plattformen

Damit kommen wir auch schon zu den ganzen neuen Formen von Fankultur, die das Internet und soziale Plattformen mit sich brachten. Noch mal kurz ein Blick zurück: Bei der näheren Betrachtung der Bobby Soxers, der Frank Sinatra Fans, ließ sich feststellen, dass es sich damals schon nicht um ein reines Anhimmeln handelte, sondern dass das weibliche Fantum schon immer auch mit Selbstermächtigung und weiblicher Kollektivität zu tun hatte. Das partizipatorische Element war schon immer da, und sei es nur als rituelles gemeinsames Kreischen auf Beatles-Konzerten, oder Malen von Bildern des Stars. Punk mit seiner DIY Kultur, und explizit ermächtigend für Frauen der Riot Grrl Teil davon, hat den Fan noch mehr emanzipiert, z.B. durch das Schreiben in oder selbst Veröffentlichen von Fanzines, das Organisieren von Ladyfesten, auch Craftkultur hat sich neu verbreitet, und vieles mehr. Eine große Erweiterung und eine große Veränderung im Verhältnis zwischen Fan und Star fand dann mit dem Internet und Social Media Plattformen statt.

Mit dem Internet wurden Fan Communities internationaler, sichtbarer und sie bekamen schneller und direkter Zugang zu Informationen über und von ihren Stars. Social Media Plattformen brachten dann noch mal mindestens zwei Veränderungen, gerade mit der Form des endlosen Streams der Timelines: Erstens stehen News von deinem Star auf Plattformen wie Facebook, Instagram oder Twitter mitten zwischen den Statusupdates von deinen Freund*innen, und es kommt eine Zeitlichkeit dazu: Der Stream begleitet dein Leben in Echtzeit. Zweitens brauchst du kein technisches Vorwissen um selbst etwas zu posten auf tumblr, Facebook oder sonstwo. Dementsprechend ist das Teilen von selbstgemachten Fan-Bildern oder -Videos oder Kommentaren zu der Musik oder den Stars einfach geworden. Und die Fans sind besser denn je untereinander vernetzt. Das reine Schwärmen für den Star als Beziehung von einem Fan direkt auf den Star ist natürlich präsent, aber daneben hat die Rolle der Fan Community rund um das Objekt des Stars an Bedeutung noch zugenommen.

Partizipatorische Fankultur wächst

Ein Fan will heute meist nicht nur konsumieren, sondern will nach dem Konsum eines Werks sein Urteil abgeben, diskutieren, weiterschreiben, selbst aktiv werden, sich selbst inszenieren. Selbst kreativ werden in der Reibung am Star. Fan Communities sind Orte geworden, die von zahllosen Leuten genutzt werden, um zusammenzukommen um über das Werk kommuniziert ihre sozialen Werte und kulturellen Interessen auszudrücken oder zu diskutieren. Die Bereiche vermischen sich dabei, niemand ist nur Fan von einem Star oder einem Film oder Game. Fans selbst werden zu Stars. In der Gamerszene gibt es mit Twitch.tv eine Livestreaming Video Plattform auf der sich 1000e von Game-Fans gegenseitig beim Spielen zuschauen und Kommentare dazuchatten. LP, kurz für Let’s Play, ist der Name dafür, wenn ein Video-Gamer sich beim Spielen und gleichzeitigen Kommentieren filmt. Das reicht von Kids, die einfach Fans sind, bis zu richtigem Geldscheffeln. Der erfolgreichste Youtube-Star, der sowas macht, PewDiePie, ein Schwede, hat 2015 mit genau sowas an die 7 Mio Euro verdient.

Bei Filmen und Musik wird das Werk kaum nach Veröffentlichung oder Leak sofort weiterbearbeitet. Es ist, als würden Werke von vielen nur noch als eine Möglichkeit einer Geschichte oder eines Songs gesehen, und Fans remixen die Musik sofort, oder erzählen die Geschichte eines Films oder Buches weiter oder anders. Da werden Fantasien ausgelebt, alternative Weltentwürfe gesponnen, Ungerechtigkeiten ausgeglichen. Gerade für Minderheiten ist das auch ein wichtiges und spannendes Feld geworden: alternative Handlungsstränge mit People of Colour, Queers, Genderswitching macht Frauen zu Heldinnen, Behinderte werden zu Held*innen. Auf Tumblr zum Beispiel gibt es eine sehr aktive Szene, die genau damit spielt, Bilder zeichnet oder bearbeitet und postet, gif-Serien von Lieblingsstellen in einem Film oder Musikclip erstellt und kommentiert, und so weiter. Oder es entsteht gleich ein neues Fan-Musikgenre, z.B. Wizard Rock: lauter Bands mit Songs, die sich um Figuren und Geschichten aus dem Harry Potter Kosmos drehen. Ich greife mal Fanfiction als einen Bereich heraus, der schon zu LiveJournal Zeiten geblüht hat, aber heute immer noch superlebendig ist.

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Derivate Kultur, partizipatorische Kultur: Fanfic

Fanfic ist eine große kreative Szene. Es handelt sich dabei um das Weiterspinnen oder Verändern von Geschichten, oder das phantasievolle Erfinden von Geschichten um einen Star oder einen fiktiven Charakter aus einem Buch, Film oder Spiel. In Fanfiction findet oft das Ausdruck, was Fans als zu unterrepräsentiert im Mainstreamstorytelling empfinden. Da kann dann eine Geschichte aus dem Alltag eines Star Wars Troopers dabei herauskommen, oder eine darüber, wie die Golden Girls die Menschheit vor Vampiren schützen, oder auch einfach endlose Liebesgeschichten über Boybandmitglieder. Für One Direction z.B. gibt’s dann eben auch Extra-Websites, die sich darauf spezialisiert haben, nur tausende von Fanfics über One Direction Mitglieder zu sammeln.

Sehr häufig ist auch eine Homoerotisierung: Slash oder Slashfiction ist der Begriff dafür. Zum Beispiel gab es auf tumblr gleich nach Serienstart viel zu der Sherlock-Serie mit Cumberbatch, .u.a. wurden erotische Zeichnungen gepostet, die wahlweise aus Sherlock und Watson oder aus Sherlock und Moriarty ein Liebespaar machten. Es gibt Künstler, die das hassen und ihre Kunst als Marke schützen und gegen so etwas ankämpfen, aber Sherlock ist eine Serie, die selbst ein wenig von der Machart von Fanfic in sich trägt. Da war es dann auch nicht ganz so erstaunlich, das die Sherlock Fanfiction sogar in einer Folge der Serie ein Echo fand: in einer Neuadaption der klassischen “Reichenbach Fall”-Geschichte, in der Sherlock von einem Hochhausdach statt einem Wasserfall stürzt. In der Serie gründet sich daraufhin eine Art verschwörungstheoretische Gruppe, die sich alle möglichen alternativen Theorien ausdenkt, wie Sherlock den Sturz überleben hätte können. Allein das schon hat etwas vom “es hätte doch auch so sein können” der Fanfic-Kultur. Aber es taucht dann auch eine Frauenfigur auf, die wirklich eine eindeutige Hommage an Fanfic-Schreiberinnen ist, und in deren Theorie Sherlock und Moriarty zu knutschen anfangen.

“Wenn es etwas gibt, gibt es auch Pornos dazu”, das ist eine alte Regel des Internets und interessanterweise gibt es bei Fanfic überdurchschnittlich viele von heterosexuellen Frauen geschriebene und geliebte Stories mit männlicher Homoerotik, also Slash. Dazu gibt es eine Statistik von AO3, der Archive Of Our Own Website, einer Plattform für Fankunst und Diskussionen, die eine große Umfrage dazu gemacht haben.

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Über 46% macht die männlich homoerotische Fanfic aus, die Top Ten bestanden nur aus männlichen Paaren, und ganz weit vorne war bei dieser Umfrage Sherlock und Watson.
Was genau hier die Faszination für heterosexuelle Frauen ausmacht ist ein Phänomen, das zahllosen Wissenschaftler*innen seit Jahren Kopfzerbrechen bereitet. Ein paar Erklärungsansätze sind zum Beispiel: Das Material. Viele Serien haben nur männliche Hauptfiguren, also kommt es vermehrt zu homoerotischen Alternativerzählungen, weil einfach keine Frauen da sind. Und wenn mal eine Frau dabei ist, ist es oft keine, mit der sich andere Frauen identifizieren würden, sondern sie sind für den männlichen Blick angelegt. Oder eine weitere Theorie: Frauen fühlen sich wohler mit schwuler Erotik, weil sie in heterosexueller an jeder Ecke Sexismus um die Ohren kriegen. Vielleicht drückt diese Dominanz von Frauen hier einfach das aus, was ich bei Musik schon als emotionales Dilemma vieler Mädchen beschrieben habe: Bin ich verliebt in den Star oder will ich der Star sein? Vielleicht identifzieren sich viele von uns Frauen lieber mit Slash, weil schwule Pornografie mehr Gleichgestelltheit zwischen Partnern ausdrückt. Man weiß es nicht. Wahrscheinlich spielt von allem ein bisschen was mit rein.

Fanfic sind nicht immer nur Kurzgeschichten, es gibt zum Beispiel eine vielgepriesene 1000 Seiten lange namens ‘Isolation’, ein sogenanntes “Dramione”, eine Psycho-Liebesgeschichte zwischen Draco Malfoy und Hermione Granger aus dem Harry Potter Universum. Dazu haben dann wiederum andere aus Originalmaterial der Potter-Filme zusammengeschnipselte Fake-Filmtrailer gemacht und auf Youtube gestellt. Auch das ist ein Fan-Genre für sich. Fanfic gibt’s von viel wirklich üblem Trash bis zu gutgeschriebenen, spannenden Geschichten. Oder es gibt auch Fanfic in Kurzform, als Twitter Accounts, hier ein paar Tweets aus einem für Beyoncé Fanfic:

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Natürlich gibt es auch heute nicht nur die partizipatorische Fankultur, es gibt unzählige Schattierungen von Fantum, von treuen nostalgischen Sammler*innen und Archivar*innen bis zum kommerziellen sich Eindecken mit immer den neuesten Fanartikeln. Die kommerzielle Merchszene ist natürlich auch riesig geworden. Ganze weltweite Produktserien für Directioners oder Beliebers oder Star Wars Fans. Oder Whisky von Heavy Metal Bands. Auch der liebevolle absurde Bandmerch hat sich längst von der DIY Punkszene in die For-Profit Musikszene ausgebreitet: Beispiele wären Fan-Merch wie der Shokei Flachmann, die Kommando Sonne-nmilch Geschirrtücher, der The Locust Spiegel, die Hudson Mohawke Butterdose oder limitiertes Sexspielzeug zum Vinyl von Sophie. Was für die einen ein kaum profitables Spiel mit Absurdidät im Rahmen ihrer Musikkultur ist, ist für viele Musiker, die Karriere machen wollen, der Kampf ums Überleben auf dem Aufmerksamkeitsmarkt. Die Aufmerksamkeit von potentiellen Käufer*innen ist das wertvollste und höchstumkämpfteste Gut heutzutage, nicht zuletzt dank Social Media und werbefinanzierten Geschäftsmodellen.

Social Media und der Aufmerksamkeitsmarkt

Für Musiker*innen ist das Internet wie für alle anderen auch gut und schlecht. Mit MP3 Sharing kam ein Rückgang der Verkaufszahlen, aber gleichzeitig mehr und einfacherer Zugang zu einer breiten Öffentlichkeit von potentiellen Fans. Durch Digitaltechnik wurde das Machen und Aufnehmen von Musik billiger und einfacher, und damit für viel mehr Menschen möglich, aber es entstand auch viel mehr Konkurrenz. Mit dem Netz kam weniger Angewiesenheit auf Labels, Vertriebe und Journalisten als Gatekeeper des guten Geschmacks, gleichzeitig aber mehr eigene Promoarbeit oder mehr Angewiesenheit auf Marketinginstanzen, um in der Flut von anderen Künstler*innen überhaupt noch wahrgenommen zu werden. Musik allein reichte irgendwann nicht mehr. Es brauchte ein Video, Bildmaterial um die Social Media Kanäle zu füllen, die Band im Studio, die Band im Tourbus, die Band beim Schlafen, Essen, und so weiter. Immer wieder neue Spielereien, Wettbewerbe – alles mögliche, was Publikumsaufmerksamkeit erhascht.

Social Media beeinflusst auch, wie Musik gemacht wird, Robin James sprach beim Theorizing The Web Music Panel 2015 in diesem Zusammenhang die alte musikalische Tradition des “call and response” an, die vor allem in afro-amerikanischer Musik zum Einsatz kam. Das heißt, dass Musik mehr denn je gezielt für Social Media Vernetzung mit den Fans gemacht wird. Am besten bezieht man gleich seine Fans mit ein, macht sie zum Teil des Werks. Ein paar Beispiele: Es gibt von Ellie Goulding ein Video aus 1200 Bildern die Fans dafür auf Instagram für sie gepostet hatten. Oder Jets Overhead, ‘What you really want’: ein interaktives Social Video, für das Fans ein Bild von sich hochladen konnte, mit einem Schild, auf dass sie Wünsche geschrieben hatten. Bei jedem Abspielen zeigt das Video eine andere Auswahl aus diesen Bildern.

Die Fanreaktionen auf sozialen Netzwerken gehören zu dem ganzen Musikzirkus mehr denn je dazu: Musikjournalismus besteht heute regelmäßig aus Berichten über die interessantesten, lustigsten, bösesten Fan-Reaktionen zu irgendwas, was Musiker getan oder veröffentlicht haben. Und manchmal passieren dann auch so furchbare virale Dinge wie der Harlem Shake von Bauuer oder Gangnam Style – dass die ganze Welt Musikclips nachspielt. Da ein großer Teil der Präsenz von Künstlern über Social Media funktioniert, wird es wichtiger, eine gut durchdachte Star-Figur für Facebook/Instagram/etc dauerpräsent zu haben. Ein ganzes Image, ein Leben, eine Kunstfigur, am besten in Echtzeit. Die Rolle des Stars hat sich verändert: Immer mehr muss er oder sie um die Gunst des Fans buhlen, ist nicht mehr angehimmelte rare Legende, nein: Das einzigartige Künstlergenie ist tot, Musiker*innen gibt es wie Sand am Meer und sie kämpfen um die Aufmerksamkeit ihrer Fans, weil sie wissen wie schnell sie wieder aus dem Rampenlicht verschwinden. Die Methoden, mit denen gebuhlt wird, sprechen Bände über die Dringlichkeit. Ein Exklusiv-Gratis-MP3 im Austausch für die Emailadresse, über die dann auch noch per Newsletter ins Bewusstsein des Fans gehämmert werden soll, ein Unplugged- oder Beatsmaking-Clip auf Youtube wie eine Art Privatkonzert, Instagram-Fotos aus dem Privatleben, viel besser inszeniert als die von Paparazzis – die damit auch ein Stück weit überflüssig wurden -, oder ein noch privaterer Foto-Schnipsel auf Snapchat. Unvergessliches halbwegs aktuelles Beispiel: die Snapchat Jetski-Panne von DJ Khaled. Nur am Rande erwähnt, zum Amusement, davon hat jemand dann gleich eine linke Parodie-Version gemacht, DJ Khamred:

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Reverse Fan Culture

Es werden immer neue Formen des Inszenierens gefunden, um Fans bei Stange zu halten. Ich würde das als Reverse Fan Culture, als umgekehrte Fankultur bezeichnen. Dazu kommt noch das Tracking: Die Stars lassen ihre Marketingfirmen jeden Click ihrer Fans sammeln und analysieren: auf ihren eigenen Websites, Social Media Postings, exklusiv eingebetteten Soundcloud- oder Youtube-Links in Artikeln auf den Seiten von Musikmagazinen, in Newslettern usw – die Daten ihrer Fans werden genauestens getrackt und analysiert, um zu wissen, für was sie sich am meisten interessieren, und in diese Richtung wird dann weitergearbeitet. Ist das nicht ein wenig wie ein Reverse Stalking? Hatten wir früher das Klischee der den Star stalkenden Fans, stellt sich heute mit der Digitalisierung die Frage: wer buhlt mehr um das Interesse des anderen, wer erschleicht sich mehr Wissen über den anderen, wer begehrt den anderen mehr – Stars ihre Fans oder Fans ihre Stars?

Zeilen aus einem Song von Placebo, “Because I Want You Too” sind mir dazu in den Kopf gekommen:

“Stumble into you, is all I ever do
my memory’s hazy and I’m afraid to be alone
tear us in two, is all it’s gonna do

As the headache fades this house is no longer a home
don’t give up on the dream, don’t give up on the wanting
and everything that’s true
don’t give up on the dream, don’t give up on the wanting

Because I want you too
because I want you

Falling in to you is all I ever do
when I hit the bottle coz I’m afraid to be alone
tear us in two”

Der Song kann einerseits als dreckige Kehrseite einer Beziehung gelesen werden, aber eben auch – gerade weil zur Illustration ein Konzert-Video gewählt wurde – als Song über die Beziehung zwischen Star und Fan: über das Betäuben des emotionalen Hangovers und der Einsamkeit nach dem Auftritt mit Alkohol. Der Konzertraum, der nach der Show “no longer a home” ist. Das Begehren, wieder vor den Fans zu stehen, ihr Begehren spiegelnd.

Die richtig großen Stars und ihre Marketingleute heute wissen um die Vorlieben ihrer Fans, wissen, wie sie ein Paket von Song und Video abliefern, das Material für eine Weiterverarbeitung zu Memes durch ihre Fans abgibt. Drake, zuletzt mit seinem Hotline Bling Video, ist zum Beispiel einer von denen, die das immer wieder hervorragend hinbekommen. Für mich persönlich war einer der größten Coups, der in den letzten Jahren wirklich perfekt Marketing, Aufmerksamkeitsgenerierung mit künstlerischer Vieldeutigkeit, Anknüpfungspunkten für Fans mit einer positiven Message und ‘nebenbei’ auch einem großartigen Song verbunden hat: Beyoncés “Flawless”. Das hab ich mir herausgepickt, um ein bisschen genauer drauf einzugehen.

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Beyoncés “Flawless”: Fangirling, Politics, Marketing

Es gibt auf sozialen Medien eine ganze neue Generation von jungen Frauen, vor allem aus dem US-amerikanischen und britischen Raum, zunehmend aber auch hier, die soziale Plattformen für einen großartig lustvollen intersektionalen Feminismus nutzen und das dort auch über Fankultur, ja: Fangirling ausleben. In Folge des Gamergate-Skandals vor ein paar Jahren, beschimpften Männerrechtler aus der Videogamingszene Frauen, die Sexismus in Videospielen kritisieren, als Social Justice Warriors – ähnlich vielleicht wie hierzulande sozial gesonnenere linke Kreise von Rechten als Gutmenschen beschimpft werden. War ein bisschen ein Fehler, denn “Social Justice Warrior” klingt halt einfach schon cool, gerade für so eine Gamerseele, und das als Schimpfwort gemeinte Wort, wurde einfach ins Positive verkehrt und auch gleich selbst verwendet, Buttons damit gebastelt usw. Der Begriff wird inzwischen weit über die Gamerszene hinaus gerne für diese junge Generation von Menschen verwendet, die sich politisch für Rechte von Marginalisierten einsetzen, und die verstehen, das Internet zum vernetzenden und verstärkenden Austausch zu verwenden. Diese Szene hat auch das hemmungslose Schwärmen für alles von Katzen bis zu Filmen, Pizza oder Musik-Stars wieder für sich entdeckt. Politics und Fankultur gehen hier Hand in Hand.

Genau diese Sorte Feminist*innen hat Beyoncé – oder ihr Medienteam – mitten ins Herz getroffen, und gleich noch drüber hinaus für einen riesigen Schwung Menschen weltweit Feminismus wieder ein Stück salonfähiger gemacht. Es gab zahllose gifs mit Szenen aus dem Video, die Zeilen “I woke up like this – flawless” (”ich bin so aufgewacht, makellos”), wurden zu Hashtags und Memes und T-Shirts, ja unzählige Selfies wurden mit dem Satz gepostet, alle fühlten sich Beyoncé plötzlich schwesterlich verbunden: wir sind alle flawless, makellos schön, egal ob zerzaust und ungeschminkt, oder ob total aufgebrezelt, uffjemiezt. Das Selfie wird zum feministischen Ausdruck, in jeglicher Lebenslage, egal ob gestylt oder ungestylt, ist “provokative Selbstdokumentation”. Ein Begriff, den ich vor kurzem in einem rückblickenden Review zu dem Film ‘Kids‘ als typischen Ausdruck der derzeitigen Jugendkultur gelesen habe, und den ich treffend finde. Im Review heißt es: “What [Kids] anticipates is the rise of a youth culture based on provocative self-documentation. The material transformation of media that was fragmenting ‘mainstream’ movies and journalism would soon make it possible for real kids to capture the look of their own lives, or the lives they want to look like they have, in the same glamorized ‘gritty’ style that runs through Kids.”

Mit “I woke up like this – flawless” hatte der Feminismus endlich mal wieder einen neuen Slogan, der so allgemein war, dass er die breite Masse einen konnte, gleichzeitig aber auch sehr persönlich berührte, denn der Schönheitsdruck auf Frauen trifft jede einzelne sehr privat und persönlich. Das “Bow down, bitches” am Anfang des Songs gemeint als selbstermutigender Blick in den Spiegel, als “Lass dich nicht kleinkriegen, kleinreden, schau, was du alles schon geschafft hast”. Und im Mittelteil des Songs die auch ohne Beyoncé schon im Netz gefeierte Rede “We Should All Be Feminists“der nigerianischen Schrifstellerin Chimamanda Ngozi Adichie – die übrigens inzwischen in Schweden alle 16jährigen Oberschüler als Beitrag zur Erziehung zur Gleichberechtigung als Gratisbüchlein in die Hand gedrückt bekommen. Einen Ausschnitt aus dieser Rede hat Beyoncé als Verbeugung vor Chimamanda in dem Song gesampelt – ein Ausdruck ihres Fanseins in den Song eingebaut. Eingerahmt ist der Song in eine Original-Szene aus der TV-show Star Search, in der eine schwarze Girl Group, Beyoncés Teenager-Band Girls Tyme, in einem Fernsehduell gegen eine weiße Männerband antrat. Am Ende des Songs verliert ihre Band gegen die Männerband. Die schwarzen Mädchen gegen die weißen Männer. Der Song dazwischen als großes “Jetzt erst recht!”, die Geste die auch in der wütenden Zeile “Bow down bitches” anklingt.

Wie Beyoncé das als Video umgesetzt hat, ist dann noch mal ein brillanter Twist, denn dazu greift sie ausgerechnet die Skinhead-Punkszene auf und spielt den Punk-Pit als post-rassistische, geschlechtergleichberechtigte Utopie aus, in der alle hemmungslos abgehen ohne groß auf ihr Aussehen zu achten. Gleichzeitig schwingt über die Figur des Skinheads eine Anspielung auf Rassismus und Cultural Appropriation mit, kulturelle Aneignung: Sie als schwarze R&B Frau eignet sich ein Stück des weißesten Ecks der männlich dominierten Gitarrenmusik an, die Weiße dem schwarzen Blues und Rock&Roll entführt hatten. Und natürlich kommt Fankultur hier auch zum Ausdruck: Der Pit ist der Ort der Fans und sie begibt sich da mitten rein. Hier das Video.

https://vimeo.com/143510834

Noch mal kurz den Bezug zur Fankultur zusammengefasst: Der Punk-Pit als Ort der Fans, in den sich Beyonce hier begibt. Das Sample der Rede Chimamanda Ngozi Adigie als Ausdruck von Fan-Sein. Die wie für Fans geschaffene Slogan- und hashtagtaugliche Textzeile, die sie inhaltlich mit ihren weiblichen Fans eint. Die x ikonischen Bilder im Video, die sich für ihre Fans zum Weiterverbreiten eignen, für die Memekultur des Internets anbieten.

Derivate Fan-Kultur als dominante Kunstform in Zeiten der Digitalisierung

Ich habe Beyoncés Verwendung von Chimamanda Ngozi Adichies Rede als Sample bezeichnet. Samples sind meist kürzere Versatzstücke, aber sie sind mehr als dominant in der Popmusik heute und sie sind letztlich oft nichts anderes als die Ehrerbietung eines Fans vor einem vorhergehenden Musiker oder einer Musikerin. Wir leben in einer Zeit derivater Kunst, alles lehnt sich an vorhergegangene Kunst an, sei es die x-te Punkband die nach Ramones klingt, das alte Soulsample im neuesten Hiphoptrack, Tarantino-Filme, oder ein Soundcloudclip, der aus einem um 600% verlangsamten Justin Bieber Song ein experimentelles Drone-Stück macht. Aber auch die DJs, die liebevoll ihre Sets zusammenstellen, Mixes online stellen, oder Leute, die – genauso wie früher Leute über Mixtapes saßen – heute stundenlang an der perfekten Playlist feilen, die sie dann auf Spotify posten. Sind immer wieder abgewandelte Memes nicht kollektive Kunst? Wer ist Fan, wer ist Künstler*in? Die Grenzen werden immer fließender, und fast jede_r ist beides. Und unser Copyright ist da sowas von veraltet und unpassend, da raucht mir schon beim Gedanken dran der Kopf. Auf der einen Seite haben wir Künstler, die darauf pochen, über Copyright an Geld zum Leben zu kommen. Auf der anderen Seite haben wir eine blühende kreative Netz- und Musikkultur, die genau aus dem Übernehmen von Teilen eines anderen Werkes oder aus dem Neuinterpretieren unzählige Kunstformen geschaffen hat, und diese wäre tot, wenn das Copyright strenggenommen würde. Aber wo setzt du eine als gerecht erscheinende Grenze? Ist die Grenze da, wo jemand Geld mit Schnipseln des Werkes von jemand anderem verdient und sollte alles andere, was non-profit geteilt wird, Fair Use sein? Ist die Grenze da, wo jemand sich die bessere Anwältin leisten kann? Letzteres scheint im Moment in der Praxis oft der Fall zu sein.

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Retromania vs Configurable Culture

In Zeiten, in denen du aus Copyrightgründen keine Fotos vom nächtlich beleuchteten Eiffelturm mehr posten darfst, scheint es müßig überhaupt erst das Nachdenken darüber anzufangen – zu verfahren scheint die Situation. Allen Coypright-Klagen zum trotz hält sich die Meme-, Zitat- und Samplekunst aber als Kern unserer derzeitigen Kultur und wird auch nicht mehr loszuwerden sein. Aram Sinnreich nennt sie “Configurable Culture”, denn, so wie früher mündliche und dann schriftliche Kultur, und dann Buchdruck, jeweils ihre speziellen Ausdrucksmöglichkeiten und -formen mit sich brachten, hat uns die Digitalisierung eben endlose Möglichkeiten gebracht Sachen neu zusammenzusetzen und neu anzuordnen, zu rekonfigurieren. Was Simon Reynolds als “Retromania” bezeichnet hat, das Zurückgreifen auf Vergangenes als Sehnsucht nach einer gewesenen besseren Zeit, die er mit einer Unfähigkeit Neues zu schaffen verbindet, das muss nicht unbedingt nur nostalgisches Nachhängen und Rückblicken sein. Ich denke, dieses Benutzen von Vergangenem, diese Zitatkultur lässt sich auch als eigenständig begreifen, und sie zeigt wie stark heute die Grenzen zwischen Fan und Künstler verschwommen sind. Bereits vorhandene Kultur aus vergangener Zeit als Material der Kunst. So lässt sich mit Sinnreich diese Samplekultur etwas weniger als Endzeitkultur verstehen, sondern einfach nur als grundlegender Umbruch, der mit den Möglichkeiten der Digitalisierung entstanden ist.

Einem Umarmen dieser Configurable Culture wirft aber eben die Hyperkommerzialität der digitaliserten Musikkultur Stöcke zwischen die Beine. So ist denn derzeit auch ein kleines pop-avantgardistisches Genre vielleicht das konsequenteste, indem es die kapitalistische Implosion von Popmusik als Inhalt nimmt. Konsequent in einer Zeit, in der Musikmarketing längst seinen Zenith erreicht hat, in der viel Musik nur noch von Sponsoring und Product Placement lebt und mit den Konsequenzen dieser Abhängigkeit zu leben versucht. Da wird in einer hyperkommerziellen Ästhetik, einer krassen Übertreibung von zersampelten gebrochenem kitschigem Charts-Pop, das Vermischen von Musik und Marketing, Marketing als Inhalt in der Musik, bis zum Anschlag aufgedreht. Beispiele wären da PC Music, Sophie oder auch Future Brown, zum Beispiel mit ihrem die Sprache der Werbung aufgreifenden Clip zu “Vernáculo“.

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Future Brown bezeichnen das selbst als kapitalistischen Surrealismus. Für mich wirft das Fragen auf wie: Was ist Produkt, was ist Kritik, was ist Kunst, was ist Marketing, ist Marketing die eigentliche Kunstform unserer Zeit, und als große Kern leuchtet wieder mal auf: Authentizität ist sowas von tot. Was bleibt ist die andauernde Selbstkonstruktion, der immer wieder neue Selbstentwurf als Marke. Das ist es, was Teile der Avantgarde der Popmusik heute durchspielen, Marken wie adidas sind selbst Popstars, und das ist es, was Fans von Popmusik längst für’s Leben gelernt haben. Denn schließlich wird in einer durch und durch von kommerzieller Logik geprägten Gesellschaft auch dein Lebenslauf als perfekte Selbstinszenierung als Marke gefordert. Marketingprofis und Identitätstheoretiker*innen wie Butler und Foucault dürften sich da im Hyperkapitalismus des Social Media Zeitalters einig sein: Identität wird immer performt, immer erst konstruiert und Produktdesigner und Soziologinnen unterscheidet da nur die Blickrichtung oder Zielsetzung.

Als Schluss ist mir das aber zu depressiv, deswegen noch als letzten Satz:

Ein Hoch auf das Fangirling als soziale Praxis der Selbstermächtigung, des kreativen Ausprobierens und der Solidarität der marginalisierten Underdogs!

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Ein paar Quellen:
Dorian Linskey, Beatlemania: ‘the screamers and other tales of fandom’

NPR Staff, How Franz Liszt became the world’s first rock star

Jack Doyle, The Sinatra Riots 1942-1944

Jon Savage, The Columbus Day riot: Frank Sinatra is pop’s first star

Claudia Calhoun, Seventy Years of Pop Idols and Audiences

Brodie Lancaster, The Importance of Music to Girls

Eli Davies, Retrospective Sexism: How Women Are Written out of British Indie Music History

Moira Weigel, Are the kids allright? Larry Clark’s proto-hipster teen grotesque turns 20

Sprache is Duke

Mir gingen gestern ein paar Gedanken als Nachwehen durch den Kopf, die halte ich hier mal eben fest. Ich finde Christian Simons “Kontext ist Queen” für unseren Social Media Watchblog ja richtig gut, da er die Leute einfach mal beim Wort nimmt, die Jung verteidigen indem sie sagen, das Bild sei doch nur ein Scherz. Christian geht dem nach, nimmt Kontakt zu der Frau auf dem Bild auf und holt sie damit auch – ganz nebenbei, ähem – mal aus dem Objektstatus heraus, den sie bei der ganzen Story bis jetzt hatte, und er bekommt sogar die Bestätigung: Ja, das Bild war als Scherz gemeint, der in völligem Konsens entstand. Und genau das verwendet Christian dann, um uns vorzuführen, dass es schnurzpiepegal ist, wie dieses Bild von der Frau und dem Fotografen gemeint war, sondern dass es darauf ankommt, wie Jung das Bild eingesetzt hat. Und dass er dafür zu Recht kritisiert wird. Oder wie @Autofocus das so hervorragend in einem Tweet zusammengefasst hat: “Für konsensuelles in den Sand stumpen. Gegen sexistische Herrenwitze zum Frauentag. Beides ist drin!”

Was ich intern bei uns als kleinen Abstrich angemerkt habe (und was mir auch wichtig ist, weil ich da selber bestimmt auch öfters mal misformuliere und Sensibilität für Sprache zu erarbeiten für einen andauernden Prozess halte und es ist gut, sich drüber auszutauschen, gerade für Vielschreibende): Ich persönlich finde es wichtig, nicht bei dem Framing von “feminist” als Gegenteil von “sexist” mitzuspielen, das in den letzten Jahren medial aufgebaut wurde, denn das trägt immer ein bisschen dazu bei, Kritik an Diskriminierung mundtot zu machen. (Ähnlichkeiten zum “rechts” vs “links” Diskurs natürlich völlig zufällig. ^^) Zu oft werden Meinungskundgebungen in Social Media auf einen (suggerierten) Tonfall reduziert – “die regen sich mal wieder auf” – statt dass Inhalte ernstgenommen werden. Deswegen hätte ich die Kritik an dem Bild nicht als “den Empörer und die Empörten” beschrieben, wie es Martin im Teaser für den Text durchgerutscht ist.* “Empört”, das ist das neue “hysterisch” und die kleine Schwester vom “Shitstorm” und dem “Twittermob”. Und der Großneffe von “Social Justice Warrior”, “PC-Polizei” und “Gutmensch”. Es hat einen abwertenden Beigeschmack, der die damit gekennzeichnete Meinung als nicht ernstzunehmend markiert, sie rhetorisch zu entmachten sucht, die Kritik als nicht berechtigt abtut. Und ist mindestens so hoffnungslos überstrapaziert wie dass ich hier  mit dem x-ten Text zu #tilogate aufwarte. Auch wenn’s in dem gar nicht mehr wirklich um Jung geht. Ich finde jedenfalls dieses ganze Aufregervokabular ähnlich problematisch wie das Verwenden der Floskel “sich bekennen” im Kontext von Homosexualität oder wie das explizite Erwähnen von nichtweißer Hautfarbe oder nichtdeutscher Herkunft von Tätern in sonst sehr knapp gehaltenen Nachrichtentexten. Indirekte sprachliche Diskriminierung ist oft an die Stelle gerückt, wo direkte inzwischen gesellschaftlich verpönt ist.

In Christians Text wird auch ein Essay von Lasersushi verlinkt, und sie war auf Twitter etwas verschnupft darüber, dass ihr Text auf das Zitat “sickly sexist” reduziert wurde. Das kann ich nachvollziehen, denn ihr Artikel versucht einen konstruktiven Ansatz von Kritik an dem “blinden Fleck”, mit dem von Krautreporter, sowie von vielen in der Journalismusszene allgemein, bei einer jahrelangen Geschichte von Sexismen Tilo Jungs geflissentlich weggesehen wurde. Dem wird das kurze Zitat natürlich nicht gerecht, vielmehr kann die Verkürzung sogar als Andeutung gelesen werden, das sich dahinter ein Text aus der konstruierten Klischeeecke des “empörten Twitterfeminist*innenmob”™. Um das mitzudenken, musst du aber schon wirklich tief im Onlinediskurs von Feminismus, und all diesen Versuchen, ihn zu einem Witz seiner selbst zu stilisieren, drinstecken, was bei Christian einfach nicht der Fall ist.

Lasersushis Reaktion mag von manchen als empfindlich gesehen werden; sagte sie sogar selbst, und ich kenne diese Geste von mir auch nur allzugut: dieses sich selbst gleich für seine Empfindlichkeit zu entschuldigen während du deine Kritik äußerst, immer mit einem “vielleicht könnte man das auch so sehen” die Höflichkeitstür aufhaltend, aber es gibt eben auch einen Grund dafür, dass gerade die an solchen Punkten gereizt sind, die sich trauen gegen Diskriminierung den Mund aufzumachen. Denn egal, wie sachlich sie dabei vorgehen, sind es genau sie, die diese Erfahrung immer und immer wieder machen, und das scheuert und verpasst dir eine wunde Stelle, die natürlich empfindlich ist. Es sind irgendwann keine Kleinigkeiten mehr, sondern ist konstantes Nudging, das dich ein Stückchen mehr Richtung Schweigen stupsen will.

Ich tue mir hart, das Problem überhaupt zu kommunizieren. Wie wir Sprache verwenden, hat viel mit Gewohnheit zu tun. Dementsprechend kommt die Kritik an solchen sprachlichen Feinheiten leicht als pingelig rüber und wird als kleinlich abgeschmettert oder ins Lächerliche gezogen. Wenn sie sich aber so häufen, wird aus tausend Kleinigkeiten dann eben doch etwas Großes, eine grundlegende Haltung kristallisiert sich heraus. Um sie zu erklären, muss ich sie aber wieder in ihre granularen Bestandteile zerlegen. Und das klingt dann wiederum übertrieben, als ob ich mich nur über Kleinigkeiten aufrege. So funktioniert Nudging, so werden Meinungen gemacht, so entstehen Normen und so verändert sich gesellschaftlicher Konsens zu Themen. Aber auch: So halten manche irgendwann lieber ihren Mund.

Ich finde es spannend und wichtig, dass kontextuelle Integrität immer häufiger zum Thema bei Diskussionen um soziale und Medien im Allgemeinen wird, wie es Christian eben hier so schön mit Tilo Jungs Gewalt gegen Frauen verharmlosenden Tweet vorgeführt hat, denn es kann ein verdammt komplexes und mächtiges Ding sein, etwas aus einem Kontext herauszulösen und verkürzt in einem anderen wiederzugeben, ob bewusst eingesetzt oder unbewusst geschehen. Sehen wir ja gerade auch bei Varoufakis’ Mittelfinger, auf den ich jetzt aber nicht auch noch eingehe, keine Angst. Ein totgerittenes Pferd aus dem Grab zerren reicht selbst mir pro Tag.

*) Vielleicht geschah das aber sogar in Anspielung auf den Text von Patrick Gensing; hier am besten mindestens ab der Zwischenüberschrift “Herrenwitze ernten Widerspruch” lesen.