Die Rolle, die Körperlichkeit und Soziales in meinem Erleben von Musik spielen: Der Kontext, der mir abhanden gekommen ist.

Der @horse_ebook Tweet, den ich zum Jahresanfang zitiert habe, ist immer noch treffend: “Everything happens so much.” Seit 12. März 2020 bin ich nun schon in halbfreiwilliger Corona-Isolation. Ich gehöre zur Risikogruppe, und das lässt mich vorsichtiger sein, als ich es von mir gedacht hätte. Bis auf gelegentliche kleine Fahrradausflüge, Spaziergänge und ein Mal die Woche Einkaufen bin ich zu Hause. Diese Zeit hat mir die ganzen Relationen rund um physische und psychische Anwesenheit und Nähe durcheinandergewirbelt.

Mein Bedarf an sozialen Momenten, ist mir so viel bewusster geworden. Es ist unglaublich, zu spüren, wie ein simpler Videochat mit Freund*innen sich positiv auf meine Stimmung auswirken kann, auch wenn ich es mit Home Office und alleine Wohnen eigentlich gewohnt bin, mich nicht dauernd mit jemandem zu treffen, sondern schon immer im Alltag auch meine isolierten Tage genossen habe. Aber das lag auch daran, dass ich sonst auch oft sehr viel unter sehr vielen Menschen bin durch das Veranstalterinnen-Dasein, und einen großen Bekanntenkreis habe. Nach Abenden mit vielen Begegnungen tat mir immer danach eine Dosis Alleinsein gut, so wie nach Nächten mit lauter Musik die Stille. Und der Kontakt über Messages oder Social Media begleitet mich ja eh 24/7.

Ich weiß nicht, wie mich diese Zeit verändern wird. Jetzt gerade merke ich, dass so langsam FOMO aufkommt

Derzeit fehlt dieser Gegenpol – also: unter vielen Menschen, die ich mag, zu sein, – und ich merke sehr: Fuck, auch ich kann mich ganz schön alleine fühlen, haltlos. Dazu trägt auch die Unbefristetheit dieses Zustands bei. Ich glaube nicht daran, dass wir in diesem Jahr noch Konzerte und Parties veranstalten werden können. Ich weiß nicht, wie mich diese Zeit verändern wird. Jetzt gerade merke ich, dass so langsam FOMO aufkommt, die Angst etwas zu verpassen, das Gefühl ausgeschlossen zu sein, da die Lockerungen in vielen Bereichen da sind, aber ich immer noch Öffentlichkeit meide, denn ich weiß, dass so bald ich wieder unter Menschen bin, die ich mag, werde ich unvorsichtig und die ganzen Sicherheitsregeln einzuhalten, wird mir verdammt schwer fallen, und ich will mich dem Risiko nicht aussetzen. Mein einziger richtige Krankenhausaufenthalt bis jetzt ist mir immer noch in zu übler Erinnerung.

Die Rolle, die Körperlichkeit und Soziales in meinem Erleben von Musik spielen: Sie bilden den Kontext, der mir abhanden gekommen ist.

Diese zwei Monate sind unglaublich schnell und langsam zugleich verstrichen. Ich ärgere mich, dass ich nicht gleich zu schreiben begann, weil ich die Hälfte von dem, was mir durch den Kopf ging, was ich gelernt habe, oder was ich empfunden habe, schon wieder entglitten ist, und ich jetzt schon merke, dass ich das gerne, so tagebuchmäßig, noch mal lesen würde. Wie und was sich von Woche zu Woche veränderte. Ich habe so viel gelernt in dieser Zeit. Durch Gelesenes, durch Vorträge und Diskussionen, die ich mir gestreamt habe, durch Menschen, denen ich auf Social Media folge. Viel aber auch darüber, was mir an der Musikkultur, in der ich mich engagiere, die ich veranstalte, wichtig ist. Die Rolle, die Körperlichkeit und Soziales in meinem Erleben von Musik spielen: Sie bilden den Kontext, der mir abhanden gekommen ist. Dass es Menschen dazu bringt, sich zu begegnen, sich nahezukommen, und was das in Einklang mit der Musik mit uns macht. Das war mir vorher nur vage bewusst, vor allem das mit der Körperlichkeit, weil es einfach da war, wie die Luft im Raum. so selbstverständlich, dass es keinen Gedanken wert war. Ich bin kein superkörperlicher Mensch, einerseits zumindest. Aber jetzt merke ich in meinen Erinnerungen und meinem Vermissen eine Sensibilisierung darauf. Die Berührungen beim sich Durchschieben durch einen vollen Raum, voller Musik, voller Menschen, zur Theke, zur Bühne, zur Tanzfläche, zu Zigarette und Gespräch vor der Tür.

Laute Musik zu spüren.

Es feht mir, laute Musik zu spüren. Die Bassfrequenzen beim Dubstep – was hab ich in letzter Zeit an die frühen SUB:CITY Parties oder Shackleton im Zentralcafé gedacht! Das Vibrieren der Luft, das Mitbeben meines Körpers bei extremen Konzerten wie denen von Lightning Bolt oder Sunn o))). Wie mir die Musik die Lungenflügel zuzudrücken schien bei einer frühen Ministry Show. Und – um hier nicht zu pathetisch zu werden: das verdammte alberne supernervige Kitzeln in der Nase bei bestimmten Bassfrequenzen. Krasse brutale akustische Attacken wie Konzerten von The Locust oder An Albatross, die zu kathartischen Momenten führten, bei denen mir plötzlich mittendrin ganz leicht ums Herz wurde. Als könnte ich das erste Mal seit Langem wieder frei durchatmen.

Körper zu Musik zu spüren.

Es fehlt mir, Körper zu Musik zu spüren. Nicht sexuell, oder vielleicht manchmal schon auch, aber überhaupt nicht auf einen sexuellen Akt gerichtet, sondern höchstens in der Flüchtigkeit eines vorbeischwirrenden Gefühls genossen. Das Umherschubsen und Drängen im Pit bei Punkkonzerten, die verschwitzte freundschaftlich-aggressive Körperlichkeit, wo auch Schmerz okay war. Frühe Against Me! oder World Inferno Friendship Society Konzerte. Das exzessive Moment davon, und von so vielen Partynächten ist ohne physische Nähe nicht zu haben. Vom Tanzen bis zum leichten Berühren, wenn du jemanden im lauten Raum ins Ohr sprichst, und nicht zu vergessen die ganzen Umarmungen und Küsschen. Der Virus macht mir jede Berührung bewusst.

Bestuhlte Kultur, bei der sich Menschen besser voneinander trennen lassen, und Kultur, bei der freie Bewegung und unvorhersehbare Begegnungen und Berührungen zwischen Menschen ein Teil des Kulturerlebnisses sind – das wird wohl die nächste Kluft bei Öffnungen in dieser Ecke der Gesellschaft werden.

Das ist es, was mir gerade auch das Herz schwer macht, wenn es darum geht, wie wir uns Veranstaltungen vorstellen könnten, wenn es denn dann irgendwann um Öffnungen der Clubs gehen wird. Ich merke, dass ich da keine Freundin von Kompromissen bin. Vorsicht und Sicherheit und andauernd reflektierte Distanz soll nicht zum Wesen der Kultur werden, die ich machen will. Bestuhlte, ruhige Konzerte waren noch nie so mein Ding, auch wenn ich auch da schon schöne erlebt habe. DJ Livestreams scheinen mir gerade auch in erster Linie zu zeigen, was fehlt, wie gesagt: ihr Kontext. Wir DJs und Musiker*innen sind bei live Veranstaltungen nichts ohne das körperlich anwesende Publikum, das tanzt, Raum hat sich gehen zu lassen, enthemmt ist, socialized, sich nahe kommt, uns liebt, uns hasst, und nur zusammen sind wir die crazy vielköpfige, vielkörprige Kultur, die wir jetzt so vermissen. Musik in Clubs, ob Konzert oder Parties, lebt davon, dass sie Menschen zusammenbringt, ein Petridish voller Möglichkeiten ist, aber deswegen eben auch ein Hotbed für virale Ansteckung. Bestuhlte Kultur, bei der sich Menschen besser voneinander trennen lassen, und Kultur, bei der freie Bewegung und unvorhersehbare Begegnungen und Berührungen zwischen Menschen ein Teil des Kulturerlebnisses sind – das wird wohl die nächste Kluft bei Öffnungen in dieser Ecke der Gesellschaft werden.

Deep Malle – Hölle? Hölle, Hölle, Hölle!

Zur Blauen Nacht, einem Beispiel städtischer Eventkultur in Nürnberg, habe ich für den musikverein zum Motto des Jahres 2019 ‘Himmel und Hölle’ einen Abend unter dem Titel “Hölle? Hölle, Hölle, Hölle!” entworfen:

“Hölle? Hölle, Hölle, Hölle!” lautet das Zitat eines großen deutschen Künstlers, das der musikverein für seinen Beitrag zur Blauen Nacht als Konzept aufgreift. Malle goes Noise und Techno und Pop und Deconstructed Dancefloor. “Sangria” kommt von “Aderlass” und “Limbo” ist ein Kreis der Hölle. Kritische Soundexperimente treffen auf ein Stahlbad voll Fun mit lokalen Künstler*innen: Live Acts, Installationen, DJs. So ein Wahnsinn.

Mit: Franz-Josef Kaputt (Otomatik Muziek), double u cc (Trouble in Paradise), Tobi Lindemann (Salon der unerfüllten Wünsche, Noris ohne Mauer, Libroscope) und vom musikverein: Philip Manthey, Amelie und eve massacre.

DEEP MALLE Mix

 

Mein musikalischer Beitrag war ein Mix, den ich nun auf Mixcloud hochgeladen habe. Ich habe noch aus meiner Mash-up-Phase eine große Liebe dafür, wie Kontextverschiebungen Musik verändern können, wie sich aus Textzeilen und Tracktiteln neuer Sinn ergeben kann, und für das Karnevalisieren von Musik, das Zerstückeln und Neukombinieren von Profanem mit Sakralem, von Seriösem mit Pop Trash. Eine Lieblingsstelle von mir ist in diesem Mix wie die Zeile “Vorglüh’n, Nachglüh’n, alle müssen springen!” über einen Sunn o))) oder Jóhann Jóhannsón Track gelegt, eher nach einem verzweifelten letzten Hilfeschrei klingt als nach Partygehüpfe, eine Erinnerung daran, wie eng verwandt extreme Verzweiflung und extremes Vergnügen sind.

Tracklist:

Disasterpiece – Title (It Follows OST)
Shalt – Nid de guepes
Chaos Team – Tschüss Niveau
Taso & Siete Catorce – 2 for 20$
Carina Crone – Ich hab auch Augen (Du Arsch)
Disasterpiece – Old Maid (It Follows OST)
Sunn o))) – Orthodox Caveman
Axel Fischer – Du bist mein Untergang
Isis Scott – Beautiful $ea
Jóhann Jóhannsson – Flight from the city
Marry – Vorglüh’n Nachglüh’n
Amnesia Scanner – Symmetribal
Andy Grey – Hasenzeit
Mia Julia – Wir sind die Geilsten
Air Max ’97 – Veneer
Jörg & Dragan (Die Autohändler) – Schade, dass man Bier nicht küssen kann
Throwing Snow – Simmer
Wolfgang Petry – Wahnsinn (Hölle, Hölle, Hölle)
Randomer – Far Purple Figs
Frenzy Blitz – Jung, blöd, besoffen
Dis Fig Bootie (Air Max ’97 x Oklou) – Like Rainbow Horse Running Through Misty Brain
Ikke Hüftgold – Huuh
Neana – Tell Her
Honk! feat. Andy Luxx – Wochenende, saufen, geil
Tobee – Helikopter 117 (mach den Hub Hub Hub)
Hans Zimmer & Benjamin Wallfisch – Mesa (Blade Runner 2049 OST)

DEEP MALLE Visuals

Als Visuals für den Abend habe ich ich Saufurlaubsbilder vom Ballermann mit Deep Dream und Glitch bearbeitet, als eine billige (passend zur “billigen”, verpixelten Optik, die auf das Trashige der Kultur anspielt) Metapher für den verzerrten Blick des Bildungsbürgertums und der Stadtoffiziellen, dem DIY-Kultur von kritischen Bürger*innen ähnlich wie die Arbeiter*innenkultur des Ballermanns animalisch erscheint. Gleichzeitig verweisen die Glitches und die langsame wabernde Verzerrung aber auch auf den durch Trunkenheit verschwommenen Blick der Ballermannkultur selbst, die Kritik an deren misogynen und nationalistischen Züge einarbeitend. Ein changierendes Bild, kein klares gut/schlecht Schema, Raum für trunken-mäandernde Reflexion. Hier ein Eindruck in Form kleiner gifs.

DEEP MALLE Sangria-Eimer

Neben Stoffblumengirlanden und großen aufblasbaren Plastikpalmen gab es in einer Ecke auch noch einen Sangria-Eimer, für den ich folgenden Hinweistext schrieb:

Der Sangria-Eimer, ein zweckentfremdeter Putzeimer, war das rituelle gemeinschaftsstiftende Gefäß der “Putzfraueninsel”, wie Mallorca verschrien wurde: Ein Ort, an dem der Urlaub, einst das Privileg der Bildungsschicht, eine Demokratisierung erfuhr und für den Urlaub der Arbeiterklasse, den rauschhaften Ausbruch der Arbeiterklasse aus dem Alltag stand. Für die bildungsbürgerliche Schicht ein beängstigend wilder Ausbruch voller Exzesse, ähnlich der ursprünglichen Karnevalisierung im Bachtinschen Sinne, wie Sascha Szabo feststellte. Das Ballermann-Feiern ist ein besonders heftiges, temporäres Aufbegehren gegen das protestantische und neoliberale Nützlichkeits- und Produktivitätscredo, dem sich sonst tagein tagaus unterworfen werden muss. Das schlägt sich auch in der Musik nieder: In Hits mit Titeln wie “Saufen, morgens, mittags, abends” oder “Hartz 4 und der Tag gehört dir”, mit Textzeilen wie “wenn keine Kohle, dann ab ins Dispo, doch das ist uns scheißegal”.

In den Visuals, die auf der Wand zu sehen sind, wurden Bilder von Ballermannfeiernden von Deep Dream interpretiert, einem künstlichen neuronalen Netz zur Erkennung von Bildinhalten, das vereinfacht gesagt, darauf trainiert ist, dass es Hunde erkennt. Dies spiegelt den Blick der bildungsbürgerlichen Schicht auf die Ballermannkultur: Sie wird als animalisch, verzerrt und primitiv interpretiert. Wie der Blick vieler auf viele, die aus dem Stadtbild verdrängt werden, weil sie unbequem am Bild des geregelten, ordentlichen und sicheren Nürnberg kratzen. Von Punk- und Sprayerszene bis zu berauschten Party People am Hauptbahnhof. Dementsprechend sind die Visuals keine attraktive topausjustierte Designkunst, sondern mit wenig Mitteln und Wissen von jedem und jeder machbare DIY Kunst.

Längst ist auch der Ballermann nicht mehr der wilde, entgrenzte Ort, als der er begann, sondern ist zum sicheren Erlebnistourismus herunterreguliert und -kommodifiziert. “Konfektionierte Erlebniskultur” ist allgegenwärtig, von Blauer Nacht, die von vielen als “Kultur-Ballermann” bezeichnet wird, bis Unsound oder Fusion.

Der Sangria-Eimer wurde verboten. Die Plastikstrohhalme werden es bald sein. Wir wollen ja alle vernünftig sein. Und auch morgen noch fit sein und funktionieren. Wir gedenken hier mit einem Schluck aus diesem musealisierten Sangria-Eimer den Zeiten der unvernünftigen Ekstase und des rauschhaften Ausbruchs.

Last but not least habe ich eine hervorragende Idee von Tobias Lindemann visuell umgesetzt:

Kulturvisionen – Podiumsdiskussion zum Umbau des K4 Nürnberg

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Heute Abend findet im K4 Hinterzimmer eine Podiumsdiskussion zu einem geplanten Umbau des K4  /Künstlerhaus statt, die mein Veranstalterkollektiv, der musikverein, organisiert hat. Zu sehr rein auf Pragmatik fixiert, zu bereinigend sind uns die Pläne, zu wenig Austausch mit uns Betroffenen fand uns statt, um sie einfach leise über uns ergehen zu lassen. Kurz zusammengefasst: Wegen Lautstärkenüberschneidungsproblemen zwischen verschiedenen Veranstaltungsräumen soll u.a. unser Veranstaltungsbereich (seit vielen Jahrzehnten das Zentralcafé) aus dem Erdgeschoss verschwinden. Dort soll stattdessen ein zwar “fair” organisiertes, aber wirklich sakrisch teures Burgerrestaurant einziehen. Fairness für die, die es sich leisten können. Für uns und die Veranstaltergruppe, mit der wir uns das Zentralcafé teilen, Kaya e.V., soll stattdessen ein nagelneuer Kellerraum im zweiten Untergeschoss gebaut werden. Wo sich andere nach so einem neuen Clubraum die Finger lecken würden, ist uns das zu kurz gedacht. Es wird kein Wort darüber verloren, was für einen Einschnitt das in der kulturellen Ausrichtung des Hauses ist, schon gar nicht öffentlich. Von der Hausleitung wird gar abgestritten, dass diese Umbaupläne, egal wie gut gemeint, eine kulturelle Gentrifizierung des K4 bedeuten.

Die für die Kultur von Nürnberg am nachhaltigsten prägende Zeit des Künstlerhauses war – da lässt sich nicht dran rütteln – die offenste: das KOMM 1974-1994. Hier drei Youtube-Clips, in denen Michael Popp, KOMM-Gründer und langjähriger Leiter des Amts für Kultur und Freizeit, die Bedeutung des KOMM zusammenfasst: 123. Auch er wird heute Abend auf dem Podium sitzen. Die Idee der “Kultur von allen, für alle”, für die das KOMM stand, hatte ihre chaotischen Seiten, aber die trugen auch Früchte, wie sich zeigte: Es sind Menschen, die sich dort kreativ ausprobierten, die aktiv blieben und bis heute so gut wie alle kulturellen und Medien-Bereiche der Stadt durchsetzen. Die Bedeutung von Freiraum, der ermöglicht, dass sich Menschen einer Stadt selbst einbringen können, um ihre Vorstellung von Kultur zu verwirklichen, wurde auch bis heute nicht komplett aus dem Haus vertrieben. Von offenen Werkstätten, über Bildungs- und Film-/Medienbereich und Werkbund bis zu den ehrenamtlichen Konzert-/Club Night-/Vortrags-veranstaltenden Gruppen musikverein und Kaya e.V. ist das Haus letztlich immer noch stark geprägt von  selbstgestalteter, freier Kultur – nur eben unter städtischer Leitung, die in einem neugeschaffenen Verwaltungsbereich mit Großraumbüro im zweiten Stock über uns schwebt.

Derzeit ist unsere selbstgestaltete Kultur – Alternativkultur, Subkultur, Offkultur, ehrenamtliche Kultur, non-profit Kultur, die Definitionsansätze sind so vielfältig wie die Menschen, die da mitmachen – im Herzen des K4 noch ziemlich präsent: Das Zentralcafé ist ein Raum der – wie der Name schon sagt – zentral liegt, und es strahlt in den Gangbereich aus, hat eine soziale und kulturelle Patina geprägt. Im Gang zeigt sich das auch visuell und informativ darin, dass überalle Poster und Flyer verschiedenster kleiner Veranstalter*innen aus dieser Szene hängen, aber auch WG- oder Bandsuchen: eine Landkarte für diese Art Kultur in Nürnberg, zentral zugänglich. Dazu kommen die mit Jugendkultur einhergehenden Tags und Aufkleber, die für manche jetzt schon verpönt sind, aber die eine bedeutende Signalwirkung haben: Sie strahlen aus, das dies nach wie vor ganz klar ein Haus mit anti-rassistischer, anti-sexistischer, anti-homophober – also mit offener, antidiskriminierender Haltung ist. Es waren auch gerade die freien Gruppen im Haus, die beim Aufkommen von PEGIDA und Co. Haltung gezeigt haben. All diese Wirkung, diese Prägung geht verloren, wenn im Erdgeschoss nur noch ein großes von oben durchgeplantes sauberes Foyer sein wird, und kein Raum mehr für jüngere Kultur.

Mit der Auguste kommt ein Gastronomiebereich dazu, der – bei allem Respekt für arbeitsrechtliche Komponente – unerschwingliche Preise für ein Großteil unserer Gäste hat. Die niederschwellige Zugänglichkeit des Hauses sinkt, und das, wo doch gerade ein städtisch geförderte Kulturhaus ein für möglichst viele Bürger*innen erschwinglicher Bereich sein sollte. Was dieses Haus bräuchte, ist eine Kneipe, die eine Schnittstelle darstellt: für alle verschiedenen Gäste des Hauses, und auch für die, die im Haus Kultur und Werkstätten beleben. Ein so vielschichtiges Haus braucht soziale Treffpunkte, an denen sich Menschen mal niederlassen können, um sich auszutauschen. Das sehen die Umbaupläne nicht vor. Aber an solchen Stellen entsteht, lebt Kultur. Bei aller Abgelegenheit ist der Glasbaubereich des Filmhauscafés so ein Treffpunkt. Und im Abendbetrieb sind die Treppen des Altbaus, ob im Sommer die vorm Haus oder im Winter die bei den EG-WCs hinten, notgedrungen genau zu solchen Bereichen geworden – dort wird sich ausgetauscht, kennengelernt, entstehen Ideen, werden Pläne geschmiedet. An solchen Fringes, ausgefransten Randzonen, die nicht klar definiert und nicht mit Konsumzwang belegt sind, begegnen sich Gäste und Macher*innen aus den verschiedenen Bereichen, halten mal einen Moment inne und kommunizieren, bevor sie weiterziehen. Statt mehr solche lockeren Zwischenbereiche zu schaffen, plant der Vor-Entwurf des Gebäudeumbaus alles komplett durch. Er seziert auseinander statt Überlappungen zu schaffen. Er steht für pragmatische Trennung der Bereiche, die von veranstaltungstechnicher Seite völlig Sinn macht, aber eben nur von dieser her. Eine Vertreibung der jungen Kultur gleich zwei Stockwerke unter die Erde, das Erdgeschoss nur noch für Seniorenarbeit und gutbetuchtes Publikum, und als bloßer Durchgangsbereich. Dieser Entwurf will jegliches mögliche Chaos, jegliche eigenständige Prägung des Hauses, die nicht explizit von oben abgesegnet wird, das Ausmalen neben den Linien, abschaffen, auch wenn er das zu bestreiten versucht. Meines Erachtens funktioniert lebendige Kultur so nicht. Wenn freie Gruppen angeblich weiterhin eine große Rolle spielen soll, brauchen sie auch räumlich eine zentrale Präsenz. Ich unterstelle mal, dass das nicht absichtlich geschah, aber letztlich spiegelt der Umbauplan deutlich die hierarchische Kulturvorstellung des Künstlerhauses heute wieder. Architektur ist schon auch ein Spiegel.

Bei Veranstalterkollektiven wie uns ist das “wie” des Veranstaltens genauso wichtig wie das “was”, es finden stetige Diskussionen über Struktur und Abläufe, über Inhalte und Positionierungen, über das, was wir sein wollen und können, statt. Nur so ist der Musikverein auch 40 Jahre alt geworden – was wir heuer übrigens mit einem fantastischem kleinen Zwei-Tages-Festival, dem MV40, feiern werden (Tag 1, Tag 2) und hat sich immer wieder dank junger neuer Mitglieder neu erfunden. So eine Kultur funktioniert nicht von oben nach unten, sondern nur auf Augenhöhe, nur durch unforcierten lockeren Austausch aller untereinander. Keine strikte Trennung von Gästen und Veranstaltenden. Für uns sind unsere Gäste nicht “Leistungszahlen”. Für eine spannende, inklusive Kulturarbeit, die sich untereinander vernetzen will, braucht es belebtere, offene Gänge statt abgesperrte Toiletten und Zwischentüren. Es braucht Sitzbereiche, in denen auch mal ohne Konsumzwang ein Austausch stattfinden kann, und das lose über das ganze Haus verteilt, nicht nur im Glasbau. Es braucht zentral im Erdgeschoss einen niedrigschwelligen, günstigen, offenen Gastrobereich als soziale Schnittstelle, von der aus sich auch das Haus erschließt. Diese sozialen Aspekte davon wie Kultur funktioniert, hätten wir uns von der Hausleitung als Diskussion vor dem Erstellen der Umbaupläne gewünscht. Dass sie uns freie Gruppen tatsächlich so ernst nimmt, wie sie immer theoretisch sagt. Dass sie die jahrelangen Erfahrungen aller im Haus miteinbezieht, und nicht nur als Bedarf sondern sie auf Ideen hin abklopft, was das Haus sein könnte, und was fehlt, und was gut funktioniert. Utopien, Träume, Visionen. Wir funktionieren auch im Untergrund, wir kommen auch mit einem Nischendasein klar – wenn wir die Umbauphase überstehen, die unsere größte Sorge ist. Aber für die Ausstrahlung des Hauses wäre eine solche Neugestaltung des Hausesdas ein herber Verlust. Es verlöre ein großes Alleinstellungsmerkmal. Deswegen wünschen wir uns mehr Diskussion auf Augenhöhe, und eben auch mehr öffentliche Diskussion, darüber wie sich an so einem zentralen Ort der Stadt Menschen ihre Kultur wünschen. Deswegen haben wir auch die Diskussion heute Abend organisiert, an der sich Interessierte beteiligen können. Es soll bitte kein Bashing werden, kein “wir gegen die”, sondern wirklich ein Austausch, der Lust auf mehr macht und wir werden danach auch noch das Zentralcafe für ein, zwei Stunden aufmachen, damit wir weiterquatschen können, wenn ihr das möchtet.

Ich könnte jetzt noch eine Stunde weiter darüber schreiben, aber da wird sowieso noch mehr dazu kommen, denn diese Diskussion über städtisch verwaltete Kultur, die ich auch gerne im größeren Kontext von Bürger*innenbeteiligung, kultureller Stadtplanung und öffentlichem Raum sehe, wird auch mit dem heutigen Diskussionsabend noch lange nicht abgeschlossen sein.

Wer unser ganzes Statement, das die Pros und Contras für den musikverein transparent zu machen versucht, lesen will: Ihr findet es hier. Oder auf Facebook hier. Ich hoffe, dass heute Abend bei der Podiumsdiskussion ein spannendes Gespräch zustandekommt, in dem sich Menschen aus der Zeit, in der das Haus noch eine klare kulturelle Vision hatte und Leute, die diese Vision auch heute noch in diesem Haus halten wollen, mit der jetzigen Hausleitung austauschen, denn wir sind neugierig, mehr über deren genaue kulturelle Vorstellung vom K4/Künstlerhaus zu hören.

Auf dem Podium diskutieren:
Hermann Glaser, Kulturhistoriker und Kulturdezernent der Stadt Nürnberg 1964 – 1990
Michael Popp (KOMM-Gründer, ehemaliger Leiter des Amts für Kultur und Freizeit)
Matthias Strobel, Direktor KunstKulturQuartier
Norbert Zlöbl, Werkbund Werkstatt Nürnberg
eve massacre, Musikverein im K4
Durch den Abend führen und moderieren wird: Tobias Lindemann, Radio Z und Salon der unerfüllten Wünsche

Um 19 Uhr geht es los. Hier findet ihr die genauen Infos auf unserer Website. Radio Z wird die Diskussion aufzeichnen. Wenn ihr darüber informiert werden wollt, wann ihr sie nachhören könnt, und auch weiter auf dem Laufenden gehalten werden wollt, tragt euch am besten in unseren Newsletter ein.