In einem Text namens ‘Konformismus im Netz – Die Meinung der Anderen’ schreibt Martin Weigert:
“Bei Twitter und in anderen Teilen des sozialen Netzes herrscht ein Konformitätsdruck, der durch die Furcht ausgelöst wird, am virtuellen Pranger zu landen. (…)
Auf Dauer sorgt es aber für ein vergiftetes Klima und einen Konformismus, der Meinungsfreiheit und Demokratie mindestens ebenso bedroht wie die Überwachung durch Geheimdienste und Regierungen.”
Weigert zitiert dazu den ‘Blogger und Professor Joshuah Neeley’:
“Er sieht die entscheidende Schwäche am Prinzip der Bestrafung durch die Masse darin, dass dabei nicht schädliche oder falsche Sichtweisen zum Verstummen gebracht werden, sondern vorrangig unbeliebte Perspektiven.”
Ein neugieriger Blick auf Twitter bestätigt mir, wo ich diesen Neeley zu verorten habe, denn er retweetet z.B. einen Satz wie diesen: “In a land of freedom we are held hostage by the tyranny of political correctness.” Mal abgesehen davon, dass ich mich gefragt habe, ob es schon ein Godwin’s Law-Äquivalent für Vergleiche mit der NSA-Überwachung gibt, wundere ich mich angesichts dessen was für Meinungen er hier gegen vermeintlichen Konformismuszwang verteidigen will schon darüber, wer mir alles diesen Artikel in den letzten Tagen beipflichtend in die Timeline gepostet hat. Das war für mich denn auch der Anlass dafür, etwas dazu zu schreiben.
Martin Weigert hat sich als ein Beispiel für Opfer von Twitterstorms Pax Dickinson ausgesucht, damals noch Chief Technology Officer von Business Insider (was auch in seiner Twitterbio vermerkt war), und in dieser Position z.B. auch über Einstellungspolitik entscheidend. Dieser twitterte über Monate hinweg Dinge wie: “In The Passion Of The Christ 2, Jesus gets raped by a pack of niggers. It’s his own fault for dressing like a whore though.” oder “aw, you can’t feed your family on minimum wage? well who told you to start a fucking family when your skills are only worth minimum wage?” oder “A man who argues on behalf of feminism is a tragic figure of irony, like a Jewish Nazi.” oder den Tweet, der dann eine Lawine von Retweets und Protestreplies ins Rollen brachte: “feminism in tech remains the champion topic for my block list. my finger is getting tired.” Kurz darauf wurde er gefeuert, weil BI das zu viel Negativwerbung war. Ein anderes Beispiel Weigerts ist der Fall von Justine Sacco. Die Frau, die einen hochrangigen PR Job hatte, twitterte: “Going to Africa. Hope I don’t get AIDS. Just kidding. I’m white!” Sie war am nächsten Tag ihren Job los, ihren Account hat sie gelöscht.
Von diesen Beispielen ausgehend fordert Martin Weigert mehr Empathie und Entschleunigung von den KritikerInnen dieser Tweets: Sie sollten doch erst mal durchatmen bevor sie auf sowas reagieren. Nun, ich fände es angebrachter, wenn er diesen Ratschlag Leuten wie Dickinson und Sacco gäbe. Ich finde es schade, dass so aus einem aktuellen interessanten Thema bei Weigert letztlich bloß wieder mal das Aufwärmen vom guten alten “Das wird man doch wohl mal sagen dürfen!” wurde. Protecting hate speech, yay. Es sind wieder mal die Stimmen der ‘Anderen’, die im Konsens des Mainstreams stören. Pardon, aber es hat halt wirklich so ganz und gar nichts mit Konformismus zu tun, wenn ich mir vor dem Posten überlege, ob das was ich schreibe, sexistisch oder rassistisch ist. Eher mit… ähem… Empathie?
Es mag für Privilegierte ungewohnt sein, dass sie im Internet nicht immer so konsequenzlos sexistisch und rassistisch sein können wie im Gespräch unter Vertrauten oder im Beruf, aber mein Mitleid hält sich da ähnlich in Grenzen wie wenn sich jemand über Konformitätszwang beschwert, weil alle dauernd Katzenbilder posten. Grundlegend ist es erst mal eine schöne Seite des Internets, dass in Blogs oder Social Networks diejenigen, die sonst z.B. im Job ständig aus Furcht selbigen zu verlieren ihren Mund zu Diskriminierungen halten müssen, sich trauen können auch mal dagegen zu protestieren. Und auch mal die Möglichkeit haben lautstark die Mehrheit zu sein, die Hatespeech ein Konter bietet. Und eines kann ja anscheinend dieser Tage wieder mal nicht genug betont werden: Meinungsfreiheit ist nicht die Freiheit von Konsequenzen aus dem Äußern der Meinung.
Es ist ja auch letztlich nicht die Angst vor den Äußerungen anderer User, die den ‘Konformismuszwang’ ausmacht, au contraire, denen sind solche Leute wie Dickinson ja eher gewohnt vor den Latz zu knallen, dass sie einfach keinen Humor hätten. Und dass Jim Knopf nun mal schwarz sei. Es ist die Angst vor Konsequenzen z.B. im Berufsleben. Pech für die, die einen Ruf zu verlieren haben. Oder an Sacco angelehnt: “Going on Twitter. Hope I don’t get fired. Just kidding. I’m self-employed!” (Jon Henke). Weigert jedenfalls scheint auch gar nicht Konformismusdruck an sich zu interessieren, sonst hätte er auch ein gelungeneres Beispiel wählen können, z.B. wie manche Frauen im Netz nur weil sie für Gleichberechtigung eintreten, mit Vergewaltigungs- und Morddrohungen überschwemmt wurden und werden. Genauso wenig geht es Weigert anscheinend um das Thema der Bedrohung der freien Meinungsäußerung im Netz, denn dann hätte er auch Beispiele anführen können wie das Twitter Joke Trial oder das des englischen Studenten, der wegen eines Twitterscherzes über “diggin’ up Marilyn Monroe” und “destroying” America deportiert wurde, um nur zwei zu nennen, die mir auf die Schnelle einfallen, und in denen es nicht andere User sind, die zum ‘Konformismus’ zwingen, sondern staatliche Behörden. Ich finde ‘Konformismus’ in diesem Artikel auch eher einen problematischen Begriff, weil er den Verzicht auf Hatespeech negativ auflädt, ebenso wie ‘Meinungsfreiheit’ ein zynischer Begriff ist um Rassismus und Sexismus zu verteidigen.
Aber noch mal zurück: In Echtzeit auf Twitter mitverfolgen zu können, wie Pax Dickinson dank massiver Kritik an seinen Hass-Tweets seinen Job verlor, fand ich gleichermaßen erschreckend und befriedigend. Erschreckend, weil es einfach ungewohnt ist, dass öffentlich mitbeobachtet werden kann, wie jemand für seine Bemerkungen zur Rechenschaft gezogen wird, und das auch noch so schnell. Befriedigend, weil da jemand, der zum Problem für Frauen in der Technikbranche gehört, hier mal tatsächlich Konsequenzen zu spüren bekam, und das nur weil sich eine Gruppe von Menschen zusammentat, um die Hassäußerungen zu kritisieren. Und dann gleich noch mal auf einer anderen Ebene erschreckend: Erschreckend vor mir selber, dass ich das als gut empfand. Es ist bei so etwas ein feiner Grat zwischen solidarischem Zusammenschluss und Mobverhalten.
Dieses Mobverhalten ist ja eigentlich der Punkt, der kritisch angesprochen werden sollte. Dieses ist ebenso wie die Gier nach Sensationen im Netz auch nicht immer negativ behaftet, sondern wird bei sowas wie Hypes und viralem Content ja durchaus auch als positiv empfunden, und gerne von der Werbebranche oder von Nachrichtenmedien ausgenutzt. Dabei wird es auch als angemessenes Verhalten bestärkt: Sei es eine extraprovokative Clickbait-Schlagzeile die Fremdenhass schürt oder ein sexistische Grenzen überschreitender Werbeclip – in solchen Fällen soll der User ja dazu gebracht werden mit Klicks und Kommentaren die Auflagenstärke 2.0 zu steigern. Dass diese Mobmentalität und das schnelle (Über-)Reagieren und ebenso schnelle Vergessen im Netz aber auch ganz Unbeteiligte oder Unschuldige in Abgründe stürzen kann (hier drei Beispiele via @machinestarts 1, 2, 3) wird dabei genauso schnell vergessen. Das läuft alles auf so unbedarftem niedrigen Instinktlevel ab, das nichts aus solchen Beispielen gelernt wird und keine Konsequenzen bedacht werden. Einen Gedanken wert ist es auch, dass es sich hier nicht um internetspezifisches Verhalten handelt, denn Mobbing und Outing finden auch seit jeher außerhalb des Internets statt, aber da finden sich nicht so schnell so große (anonyme) Gruppen, die sich beteiligen, und es gibt eine andere Sensibilität für Dos und Don’ts und ‘ungeschriebene Gesetze’.
Im öffentlichen Bewusstsein wurde viel zu lange der Mythos des digitalen Dualismus gepflegt: der Mythos vom Internet als uneigentlichem virtuellen Raum, der mit dem ‘echten’ Leben’, das als eigentliche Realität begriffen wird, nicht so viel zu tun hat, und deshalb auch keine Konsequenzen darin findet. Es herrscht oft eine Unbeholfenheit beim Kommunizieren im Netz – ist es nun wie öffentliches Reden, ist es wie Lästern im Freundeskreis? Soziologische, kulturelle und ethische Gedanken im Bereich der technischen Erweiterungen unseres Lebens hinken oft hilflos dem Einfluss dieser hinterher. Verhaltensforschung im Netz ist meist eher an Ergebnissen und Themen interessiert, die sich für die Werbebranche nutzen lassen. In Medien werden solche Themen meist nur zu einem breiter diskutierten Thema, wenn sich was Spektakuläres ereignet. Wo vor einer Weile noch die Abgründe der Kommentarbereiche oder die Shitstorms als Zeichen der Apokalypse gefürchtet wurden, ist es jetzt das Public Shaming und die Mobmentalität auf Twitter. Vielleicht hat es ja wirklich Menschen stärker als angenommen geprägt, dass sie seit langem in fast allen Lebensbereichen einer hypersensationalistischen empathiearmen Medien- und Werbekultur ausgesetzt sind, und es erscheint ihnen die adäquate Art und Weise jetzt dort wo sie selbst ‘Nachrichten’ posten können, ähnlich zu verfahren. Gelernt ist gelernt. Ich hoffe ja, dass sich auch hierzulande bald mal mehr schlaue Leute aus nicht-rein-technischen Disziplinen tiefergehend damit beschäftigen, wie wir mit unserer technisch-erweiterten Realität so umgehen und was für Folgen das hat, und die das mal soziologisch auseinandernehmen, diskutieren und mit allen negativen und positiven Facetten für eine breite Öffentlichkeit verständlich aufzubereiten. Dann liefe das vielleicht auch nicht immer nur auf Glorifizierung oder Dämonisierung (so wie im Text von Weigert gleich das Ende der Meinungsfreiheit und Demokratie heraufbeschworen wird) hinaus.
Ich habe Weigerts Text nicht gelesen, aber wenn er ernsthaft diese Beispiele aufführt dann ist mir unerklärlich wie er soviele Zuspruch bekommen konnte. Es hört sich wirklich nach einem großen “Das wird man doch noch sagen dürfen!”-Aufschrei an.
Außerdem verstehe ich nicht, warum Twitter nicht wie jedes andere öffentliche Medium behandelt werden sollte.
Genau so! Wobei der wichtigste Satz der hier ist: “Es mag für Privilegierte ungewohnt sein, dass sie im Internet nicht immer so konsequenzlos sexistisch und rassistisch sein können wie im Gespräch unter Vertrauten oder im Beruf”.
Besonders bei der Abwehr von Kritik an rassistischem Verhalten fällt mir auf, dass es fast ausschließlich darum geht, das privilegierte Recht auf Beleidigung, Pöbelei, Fortführung rassistischen Verhaltens, kurz: die eigenen Machtposition, zu wahren. Dabei schämen sich die betreffenden Personen nicht, weiter rassistisch zu agieren.
Ich gehe daher soweit zu sagen, dass es für Privilegierte ungewohnt IST, nicht mehr so konsequenzlos wie früher agieren zu dürfen.