Donnerstag, 5.3., hatte ich das Vergnügen, für die Kunstwochen im Edel Extra, einem kleinen Raum für ästhetische Prozesse, neben drei anderen Vorträgen folgenden von mir zu halten. Beeindruckend war Hermann Glaser, vor dessen scharfen Verständnis und Witz ich mich wieder mal verneige. Von seinem Credo “Jeder muss ‘Klopstock’ sagen können!” bis zur Kritik an affirmativer Kultur, ach ja, und wie er, als jemand meinte, die Kunstfreiheit sei durch Political Correctness bedroht, elegant und knapp, mit dem Hinweis auf den Unterschied zwischen Präskription und moralischer Kritik als Vorschlag, abwinkte – I’m fangirling.
Hier aber nun wie versprochen das kleine Brainstorming zum Thema, das ich dort beitrug:
“Was ist Kunst, was kann Kunst sein, wie ist ein Kunstbegriff zu definieren” – als ich gefragt wurde, ob ich heute hier einen kurzen Vortrag zu diesem Thema halten würde, sind bei mir gleich schaudernd Erinnerungen an ein Philosophieseminar wieder hochgekommen, das ich vor 100 Jahren belegt hatte, und in dem wir ein Semester lang in unglaublich trockener Weise Kunst zu definieren versuchten, in dem wir uns an der Geschichte entlanghangelten. Von Geniebegriff über Wahrheit, Schönheitblablubb, und was es nicht alles gab. Ich hatte die ganze Zeit insgeheim tatsächlich die naive Hoffnung, dass der Professor am Ende des Semesters doch noch eine befriedigende zeitgemäße Definition aus dem Ärmel zaubern würde, was aber natürlich nicht geschah und so ließ mich dieses Thema so unzufrieden zurück, dass ich eigentlich bis heute noch mit der Kunst hadere. Deswegen habe ich auch etwas gezögert, zuzusagen, und komme heute mit durchaus diffusen Gedanken zu euch.
Es gibt in New York eine zwischen Kunst und Unternehmensberatung changierende Gruppe namens K-Hole. Bei ihnen verschwimmt die Grenze zwischen Business und Kunst: sie machen keine Kunstwerke, die sich ausstellen liesen, liefern aber auch keine Unternehmensberatung, die aus Daten bestünde, aus denen eine Firma einfach so Nutzen ziehen könnte. Eher lässt sich das, was sie tun, als ästhetische Fiktion bezeichnen, die meines Erachtens zwar den Geist von kritischer Kunst atmet, aber sich bewusst nicht als kritisch sieht. Für K-Hole würde sich, denke ich, die Frage nach einem, mir bei der Definition hilfreichen, Spannungsfeld zwischen Kunst und Business nicht mehr stellen. Ist Kunst heute, wenn sich die kreativsten Köpfe nur noch auf das Designen von Start Ups oder im Marketing bewegen?
Marken nehmen die Rolle ein, die vielleicht eher der Staat einnehmen sollte, wenn er dies von einer neutralen demokratischen Warte aus täte. Kunstsponsoring wie der Place de la Liberté, den meine Lieblingszigarettenmarke vor ein paar Jahren am Quellegelände als zeitlich begrenzten Freiraum für Kunst ausrief, dabei auch noch Street Art subsumierend, wird von vielen als Erschließung neuer Möglichkeiten gesehen, um bekannter zu werden und von Kunst leben zu können und würdigt nicht die Kunst zum Werbeträger herab. Ihr merkt an meiner Wortwahl, dass ich das nicht so sehe. Ich bin ja schließlich auch etwas älter und mit einem Kunstbegriff groß geworden, der irgendwo zwischen DIY Punk, Soziokultur mit Fokus auf Underground-Musik und Literaturtheorie hin- und her irrt. Für mich ist es eine Entwertung von Kunst, wenn sie benutzt wird, um ein Produkt zu bewerben. Und das geschieht für mich auch, wenn eine Bank oder ein Ölkonzern ein Museum finanziell unterstützt. Oder wenn Red Bull eine Music Academy macht. Derek Walmsley hat im Wire im Kontext der Red Bull Music Academy u.a. als Problem von Mäzenentum festgehalten, dass es die Szenen und das Publikum ignoriert, die Untergrundmusik zu einem so dynamischen System machen. Das trifft, denke ich, nicht nur auf Musikmäzenentum zu, sondern auch auf die Kreativszene. Context matters, das ist ein Punkt, bei dem ich bei den verschiedensten Themen, die mich beschäftigen immer wieder stoße und der ziemlich vernachlässigt wird. In gemanagter Kunst wird deren eigentlicher Kontext meist zugunsten eines Zwecks, sei es Profit, sei es Imagearbeit im Feld von Marketing, neutralisiert oder entfernt.
Das geschieht auch, wenn die Stadtplanung selbst hier in Nürnberg, wenn auch mit 10 Jahren Verspätung, Richard Florida liest und die Kultur- und Kreativwirtschaft für sich entdeckt. Und tatsächlich hat die Stadt in den letzten Jahren auch hier genug Beinflussungskraft bewiesen: Plötzlich schossen lauter Creative Mondays und Fablabs aus dem Boden und Kreativität steht plötzlich in erster Linie dafür, kreativ aus irgendwas Geld machen zu können. Plötzlich sind Jobs einer der Hauptthemen im Kultur- und Kreativbereich, und es sind darin lauter Leute damit beschäftigt, sich zu vernetzen und Ideen herauszumelken, aus denen das nächste Start Up erblühen kann, das die Branche very kreativ disruptet. Kreative Communities bestehen plötzlich daraus, sich gegenseitig daraufhin zu beschnüffeln, wie dir der oder die andere nützlich sein könnte. Connections und so. Unglaublich, wie schnell sich da in den letzten Jahren wie viel Idealismus verflüchtigt hat und die Grenze zwischen Kunst und Wirtschaft verschwimmt. David Liese hat das auf Regensburg Digital, einem kritischen lokalen Blog, sehr schön in der Warnung zusammengefasst: “Denn wer „kreativ“ sagt und damit die prosperierende Designagentur ebenso meint wie den kleinen Künstler, der trägt dazu bei, dass sich der Unterschied zwischen einem kritischen und einem pragmatischen Kunst- und Kulturbegriff zugunsten des zweitgenannten verflüchtigt.”
Michael Cirino, ein ehemaliger Künstler, der inzwischen unter dem Namen A Razor A Shining Knife außergewöhnliche kulinarische Events macht, zieht in einem Interview für den Pacific Standard (mit dem passenden Titel: How Do You Make a Living, Producer of Experiential Weirdness?) die Grenze am Beispiel Musik ganz deutlich: “Du bist ein Künstler bis zu dem Moment, in dem du bei einer Plattenfirma unterschreibst. Dann wirst du zum Musiker und dein Job ist es, Musik zu verkaufen. Wenn du die Idee Musik zu verkaufen nicht magst, dann bleib weiterhin ein Künstler. Mach deine Platten, verkauf sie selbst, aber bitte niemanden anders in sie zu investieren, weil sie von der Sekunde an, in der sie das tun, ein Mitspracherecht haben.”
In meinen Augen ist die Kultur- und Kreativwirtschaft für die Künstler*innenszene einer ganzen Stadt ein bisschen das, was in der Musik so etwas wie die Red Bull Music Academy (oder auch ein großes Plattenlabel für Musiker*innen) ist: Förderer und Parasit, der, solange die Künstler und Künstlerinnen alle Kunststückchen machen, die erwünscht sind und damit Imagearbeit für’s Produkt leistet, egal ob das ein Energy Drink oder eine Stadt ist, oder gar Geld in die Kassen spült, an ihnen herumnuckelt, ihnen den Kopf tätschelt und ein Häppchen abgibt, und sie danach ausgeblutet zurücklässt. Es entsteht eine Kunstszene, die nur noch darüber als förderungswürdig betrachtet wird, dass sie entweder durchökonomisierte Kunst abliefert, die als Elite gekürt und gefeiert wird. Oder Kunst, die in den Nischen am ausgestreckten Arm verhungernd als exotisches Lockmittel existieren darf, solange sie nicht zu kritisch, laut und dominant wird. Ein Lockmittel, um das Stadtbild ein wenig bunter und wilder wirken zu lassen, denn das bringt Kundschaft in die Stadt.
In diesem Bild von Kunst steckt soviel Respektlosigkeit, dass sich die Künstler*innenszene eigentlich wirklich langsam mal auch hier überlegen müsste, wie sie dagegen in die Puschen kommt und sich nicht nur auf ein brav konformes unkritisches Schmuckwerk einer Stadt reduzieren lässt, das instrumentalisiert wird, um das Eckchen aufzuwerten, das gerade attraktiver gemacht werden soll oder von Missständen ablenken soll. Damit wird aus Kunst dann doch irgendwie bloßes Design oder Handwerk. Oder Entertainment. Je nach “Branche”. Aber dank Austerität und Prekariat ist eben dann doch jeder und jede froh, wenn sie irgendwie ein Stücken vom Kuchen abbekommt und von irgendwas muss man ja leben und Kunst … mei, Idealismus ist halt Luxus. Ist natürlich auch wiederum nachvollziehbar.
Es ist schwer, diesen Entwicklungen etwas entgegenzusetzen, in einer Zeit, in der Stadtplanung alles durchzieht und es kaum mehr blinde Flecken gibt, in denen Kunst auch mal aufregend und gefährlich, zweck- und sinnfrei, oder anonym agieren und wachsen kann. In der Kunst nicht erst die Versammlungsstättenverordnung auswendig können, und mit Blut die Verantwortlichkeit für jegliche möglichen Folgeschäden für Räume und Publikum einer Ausstellung oder eines Auftritts unterzeichnen muss, sondern in der Kunst sich ausprobieren, fließen und wuchern kann. Wie World/Inferno Friendship Society in einem Philipp K. Dick gewidmeten Song sangen: You can’t change the system from within, the system changes you. Es ist ein ziemlich ekliges Gefühl der Hilflosigkeit, dem ganzen Bereich der durchinstutionalisierten und städtisch geordneten Kultur eigentlich gar nicht mehr entkommen zu können, wenn es nicht Kunst im kleinen abgeschotteten quasi-privaten Kreis sein will, der dann aber auch nur Wenige erreicht und recht wirkungslos bleibt. Und Reibung und Begegnung mit Fremdem sind auch wichtig für Kunst. Kultur als ernstzunehmende kritische Instanz ist eigentlich schon ziemlich abgewürgt.
Noch mal zurück zu K-Hole. Ein Kunst-/Mode-/Zeitgeistbegriff, der von ihnen 2013 in ihrer Youth Mode Veröffentlichung geschaffen wurde, und den vielleicht ein paar von euch kennen, ist Normcore. Es wurde oft viel zu vereinfachend als Angepasstheit und Mittelmäßigkeit ausgelegt (wofür K-Hole auch einen Begriff haben: Acting Basic). Etwas genauer betrachtet, entspringt der Begriff eher aus dem Gedanken, dass wir keine fixe authentische Identität besitzen, sondern diese in jedem Moment erst erschaffen, indem wir sie performen. Wir verändern uns ständig. Wenn es keine festen Identitäten gibt, dann gibt es auch keinen Mittelwert, und demnach gibt es auch keine Normalität. Normcore besteht deswegen nicht darin, möglichst normal zu sein, sondern darin, sich jeder Situation gemäß zu verändern und anzupassen, das aber jeweils mit vollem Einsatz. Grund für diesen Zeitgeist ist, wie es K-Hole in Youth Mode ausdrücken: “In der Vergangenheit wurden Menschen in Communities hineingeboren und mussten ihre Individualität finden. Heute werden Menschen als Individuen geboren und müssen ihre Communities finden.”
Vielleicht ließen sich daraus für einen kritischen Kunstbegriff zum Abstecken Begriffe wie ‘der Schwarm’ und ‘das Fließen’ herbeispinnen. Nicht mehr das Schaffen von zeitlosen Werken sondern fließende Kunst, die nicht auf Etablierung aus ist. ‘Schwarm’ statt Communities, weil in einem Schwarm Anonymität mitschwingt und das einem Künstlerbegriff des Genies ebenso entgegensteht wie dem Künstler oder der Künstlerin als Marke. Kunstaktionen wie das Entführen der Gedenkkreuze der Mauertoten durch das Institut für politische Schönheit mitsamt dem Crowdfunding für die Fahrt vieler zum Grenzzaun Europas, oder auch einiges, was Schlingensief geleistet hat, ließe sich vielleicht grob darunter fassen.
Aber nicht nur kritisches und durchdachtes, auch Pop kann so etwas sein: Internet-Memes sind zum Beispiel eine Kunstform des Schwarms, der Hive-Mind, die außerhalb von Verwertungslogik, Copyright ignorierend entsteht und die von unzähligen anonymen Leuten variiert, weiterbearbeitet und im Netz weiterverbreitet wird, und wieder verschwindet. Das Meme ist tot, wenn es nicht mehr im Netz kursiert. Die Bewegung, das Fließen, gehört zu ihm, macht es mit aus. Sobald es nicht mehr weiterentwickelt wird, sobald es auf einem T-Shirt oder einer Tasse landet, sobald eine Marke es sich für Werbung aneignet, oder sobald eine Zeitung es aus seinem natürlichem Lebensraum, aus ihrem Kontext, herausreißt und abdruckt, ist es schon tot. Darin ähnlich der offiziell legitimierter ‘Street Art’.
Die Flüchtigkeit im Sinne von Vergänglichkeit, die Ephemeralität, fände ich auch tatsächlich einen spannenden Ansatz für einen Kunstbegriff heute. Sie kann sowohl dafür sorgen, dass sich einer Verwertungsmöglichkeit entzogen wird, als auch dem konservativen musealen Charakter von Kunst etwas entgegensetzen. Und sie bietet auch der endlosen Dokumentation, dem endlosen Archiv, das wir dank Digitalisierung aus unseren Leben machen, die Stirn. Nichts mehr von Wert schaffen? Kunst als Modus statt als Werk? Das Kunstwerk nur noch als nostalgischer Fetisch, ähnlich der Vinylplatte? In Bewegung bleiben, auf neue Situationen mit ständiger Veränderung reagieren statt einen Stil, eine Marke zu verfestigen? Das als Aggregatszustand von Kunst? Oder ist das dann gleich die Auflösung von Kunst?
Auch irgendwie unbefriedigend, ich weiß.
Das waren dann auch schon meine paar bescheidenen Gedanken zum Thema. Danke für’s Zuhören.