Mir gingen gestern ein paar Gedanken als Nachwehen durch den Kopf, die halte ich hier mal eben fest. Ich finde Christian Simons “Kontext ist Queen” für unseren Social Media Watchblog ja richtig gut, da er die Leute einfach mal beim Wort nimmt, die Jung verteidigen indem sie sagen, das Bild sei doch nur ein Scherz. Christian geht dem nach, nimmt Kontakt zu der Frau auf dem Bild auf und holt sie damit auch – ganz nebenbei, ähem – mal aus dem Objektstatus heraus, den sie bei der ganzen Story bis jetzt hatte, und er bekommt sogar die Bestätigung: Ja, das Bild war als Scherz gemeint, der in völligem Konsens entstand. Und genau das verwendet Christian dann, um uns vorzuführen, dass es schnurzpiepegal ist, wie dieses Bild von der Frau und dem Fotografen gemeint war, sondern dass es darauf ankommt, wie Jung das Bild eingesetzt hat. Und dass er dafür zu Recht kritisiert wird. Oder wie @Autofocus das so hervorragend in einem Tweet zusammengefasst hat: “Für konsensuelles in den Sand stumpen. Gegen sexistische Herrenwitze zum Frauentag. Beides ist drin!”
Was ich intern bei uns als kleinen Abstrich angemerkt habe (und was mir auch wichtig ist, weil ich da selber bestimmt auch öfters mal misformuliere und Sensibilität für Sprache zu erarbeiten für einen andauernden Prozess halte und es ist gut, sich drüber auszutauschen, gerade für Vielschreibende): Ich persönlich finde es wichtig, nicht bei dem Framing von “feminist” als Gegenteil von “sexist” mitzuspielen, das in den letzten Jahren medial aufgebaut wurde, denn das trägt immer ein bisschen dazu bei, Kritik an Diskriminierung mundtot zu machen. (Ähnlichkeiten zum “rechts” vs “links” Diskurs natürlich völlig zufällig. ^^) Zu oft werden Meinungskundgebungen in Social Media auf einen (suggerierten) Tonfall reduziert – “die regen sich mal wieder auf” – statt dass Inhalte ernstgenommen werden. Deswegen hätte ich die Kritik an dem Bild nicht als “den Empörer und die Empörten” beschrieben, wie es Martin im Teaser für den Text durchgerutscht ist.* “Empört”, das ist das neue “hysterisch” und die kleine Schwester vom “Shitstorm” und dem “Twittermob”. Und der Großneffe von “Social Justice Warrior”, “PC-Polizei” und “Gutmensch”. Es hat einen abwertenden Beigeschmack, der die damit gekennzeichnete Meinung als nicht ernstzunehmend markiert, sie rhetorisch zu entmachten sucht, die Kritik als nicht berechtigt abtut. Und ist mindestens so hoffnungslos überstrapaziert wie dass ich hier mit dem x-ten Text zu #tilogate aufwarte. Auch wenn’s in dem gar nicht mehr wirklich um Jung geht. Ich finde jedenfalls dieses ganze Aufregervokabular ähnlich problematisch wie das Verwenden der Floskel “sich bekennen” im Kontext von Homosexualität oder wie das explizite Erwähnen von nichtweißer Hautfarbe oder nichtdeutscher Herkunft von Tätern in sonst sehr knapp gehaltenen Nachrichtentexten. Indirekte sprachliche Diskriminierung ist oft an die Stelle gerückt, wo direkte inzwischen gesellschaftlich verpönt ist.
In Christians Text wird auch ein Essay von Lasersushi verlinkt, und sie war auf Twitter etwas verschnupft darüber, dass ihr Text auf das Zitat “sickly sexist” reduziert wurde. Das kann ich nachvollziehen, denn ihr Artikel versucht einen konstruktiven Ansatz von Kritik an dem “blinden Fleck”, mit dem von Krautreporter, sowie von vielen in der Journalismusszene allgemein, bei einer jahrelangen Geschichte von Sexismen Tilo Jungs geflissentlich weggesehen wurde. Dem wird das kurze Zitat natürlich nicht gerecht, vielmehr kann die Verkürzung sogar als Andeutung gelesen werden, das sich dahinter ein Text aus der konstruierten Klischeeecke des “empörten Twitterfeminist*innenmob”™. Um das mitzudenken, musst du aber schon wirklich tief im Onlinediskurs von Feminismus, und all diesen Versuchen, ihn zu einem Witz seiner selbst zu stilisieren, drinstecken, was bei Christian einfach nicht der Fall ist.
Lasersushis Reaktion mag von manchen als empfindlich gesehen werden; sagte sie sogar selbst, und ich kenne diese Geste von mir auch nur allzugut: dieses sich selbst gleich für seine Empfindlichkeit zu entschuldigen während du deine Kritik äußerst, immer mit einem “vielleicht könnte man das auch so sehen” die Höflichkeitstür aufhaltend, aber es gibt eben auch einen Grund dafür, dass gerade die an solchen Punkten gereizt sind, die sich trauen gegen Diskriminierung den Mund aufzumachen. Denn egal, wie sachlich sie dabei vorgehen, sind es genau sie, die diese Erfahrung immer und immer wieder machen, und das scheuert und verpasst dir eine wunde Stelle, die natürlich empfindlich ist. Es sind irgendwann keine Kleinigkeiten mehr, sondern ist konstantes Nudging, das dich ein Stückchen mehr Richtung Schweigen stupsen will.
Ich tue mir hart, das Problem überhaupt zu kommunizieren. Wie wir Sprache verwenden, hat viel mit Gewohnheit zu tun. Dementsprechend kommt die Kritik an solchen sprachlichen Feinheiten leicht als pingelig rüber und wird als kleinlich abgeschmettert oder ins Lächerliche gezogen. Wenn sie sich aber so häufen, wird aus tausend Kleinigkeiten dann eben doch etwas Großes, eine grundlegende Haltung kristallisiert sich heraus. Um sie zu erklären, muss ich sie aber wieder in ihre granularen Bestandteile zerlegen. Und das klingt dann wiederum übertrieben, als ob ich mich nur über Kleinigkeiten aufrege. So funktioniert Nudging, so werden Meinungen gemacht, so entstehen Normen und so verändert sich gesellschaftlicher Konsens zu Themen. Aber auch: So halten manche irgendwann lieber ihren Mund.
Ich finde es spannend und wichtig, dass kontextuelle Integrität immer häufiger zum Thema bei Diskussionen um soziale und Medien im Allgemeinen wird, wie es Christian eben hier so schön mit Tilo Jungs Gewalt gegen Frauen verharmlosenden Tweet vorgeführt hat, denn es kann ein verdammt komplexes und mächtiges Ding sein, etwas aus einem Kontext herauszulösen und verkürzt in einem anderen wiederzugeben, ob bewusst eingesetzt oder unbewusst geschehen. Sehen wir ja gerade auch bei Varoufakis’ Mittelfinger, auf den ich jetzt aber nicht auch noch eingehe, keine Angst. Ein totgerittenes Pferd aus dem Grab zerren reicht selbst mir pro Tag.
*) Vielleicht geschah das aber sogar in Anspielung auf den Text von Patrick Gensing; hier am besten mindestens ab der Zwischenüberschrift “Herrenwitze ernten Widerspruch” lesen.