Social Photography: Keine Knappheit, keine Gatekeeper

noscarcitynomasters

(this text in english)

Nur ein paar Gedanken. Die NSA hat uns unfreiweillig das Credo unserer Zeit gegeben, den Satz “Collect it all!” Wir knipsen vor uns hin, halten Momente in Bildern fest, speichern zahllose Fotos und Videos auf unseren Festplatten und Smartphones, wir fügen immer mehr zu unseren endlos wachsenden Bilderarchiven auf anderer Leute Festplatten (Clouds und sozialen Plattformen) hinzu. Billige Speichermöglichkeiten, digitale Kameras auf demselben Phone auf dem du auch deine gratis Social Sharing Apps hast, halbwegs erschwingliche mobile Verbindungen in vielen Ländern – das alles hat und verändert immer noch tiefgreifend die kulturelle Bedeutung und Funktion von Photographie. Ein Punkt ist, dass dadurch Dokumentation zuetwas geworden ist, bei dem wir jegliches Gefühl für Knappheit verloren haben. Der Wired Editor Joe Brown plädiert sogar für diesen Ethos: “Ich habe einen Pakt mit mir geschlossen: Ich lösche Fotos nicht mehr. Ich hab mir das iPhone mit der größten Kapazität geholt, meinen Dropbox-Account upgegradet, und jedes Bild hochgeladen, dass ich finden konnte.” Sein Ziel? Eine “ehrliche Aufnahme meines Lebens.” Das einzelne Foto in seiner Funktion als Repräsentant für etwas größeres genügt nicht mehr. Für jemanden wie Joe Brown ist das einzelne Foto wie einer in einer Million Frames, aus denen der Film seines Lebens zusammengesetzt werden könnnte.

ENDLOSES VERLANGEN NACH MENSCHLICHER INTERAKTION BRINGT ENDLOSE ARCHIVE UNSERER LEBEN HERVOR

Ich teile die Ansicht, dass wir uns an der Kippe von Archiven zu Flüchtigkeit befinden, was unsere “sozial” geteilten Medien anbelangt, weil es bei ihnen für viele inzwischen mehr um Kommunikation als um Dokumentation geht. Bei manchen sogar um Teilnahme, nehm nur die #sleepingsquad Kids, die sich einander gegenseitig auf YouNow beim Schlafen livestreamen. Wie so viele andere Besitzer von sozialen Plattformen, die ihre Produkte nicht ganz verstehen, erklärt der YouNow Macher #sleepingsquad mit Internet- und Social Media-Sucht, aber Katie Notopoulos bringt es in ihrem Text über das Phänomen treffend auf den Punkt: “Das schmerzhafte Verlangen mit menschlicher Interaktion durch die Langeweile des Alltags zu schneiden ist die treibende Kraft von allem im Internet.” Oder wie Nathan Jurgenson nicht müde wird zu erklären: Wir sind nicht süchtig nach Smartphones, wir sind süchtig nach einander. Und um ehrlich zu sein, wenn ich heute ein Teenager wäre, würde ich auch 24 Stunden am Tag mit meinen Freund*innen powerlivestreamen. Ich erinnere mich sehr gut darn, wie ich dauernd mit meinen Freund*innen in Kontakt sein wollte. Das alte Klischee der Jugendlichen, die, nachdem sie gerade noch auf ihrem Heimweg von der Schule mit ihren Freund*innen gequatscht haben, als erstes wenn sie heimkommen sich gegenseitig anrufen um weiter zu reden? So war ich, jeden einzelnen Tag.

Aber derzeit sind von den großen öffentlichen sozialen Plattformen nicht mal die, die sich etwas mündlicher anfühlen, wie Twitter zum Beispiel, ephemeral (also: flüchtig, die Nachrichten und Bilder wieder löschend). Derzeit wachsen unsere Archive. Unser endloses Verlangen nach menschlicher Interaktion bringt endlose Archive unserer Leben hervor. Wenn wir uns dauernd dessen bewusst wären, was wir vor Jahren gepostet haben und was online immer noch sichtbar ist, dass es alle finden können, durch Suchfunktion oder imdem sie sich ihren Weg in unsere Vergangenheit infinite-scrollen können – es würde uns verrückt machen und wir hätten sofort das Gefühl das erklären zu müssen, dass wir ganz anders waren, damals. Wir würden einen Kontext geben wollen, unsere Veränderung erkären wollen. Die Faux-Ephemeralität, die Fake-Flüchtigkeit des Timeline Streams auf Social Networks sind ein Mittel, damit uns diese Archive nicht überwältigen. Du postest ein Foto, ein paar Leute reagieren darauf oder nicht, das Foto verschwindet aus deinem Blick, wenn die nächsten Dinge gepostet werden, das Foto ist vergessen. Dein Fokus ist (halbvolles Glas:) die menschlichen Interaktionen, die es erzeugt / (halbleeres Glas:) die metrische Belohnung, die dafür sorgt, dass du mit dem Wunsch nach mehr immer wieder zurückkommst – yeah, 5 neues Likes oder Favs! Dein Fokus wird weggestupst von dem, was du dokumentiert hast, vom Archiv, das du baust. Sogar Fotografie-Plattformen wie Flickr oder Google Photos haven den Infinite-Scroll Stream und immer mehr “social” Elemente (teilen, kommentieren, Liken) gewählt um unsere Inhalte anzuzeigen.

Es gibt da eine Dissonanz: Viel der heutigen Dokumentation von Alltagsleben resultiert aus dem Wunsch nach kurzzeitiger sozialer Interaktion, aber wächst zu riesigen Archiven. Durchsuchbaren Archiven. Archiven, die nicht nur anhand von Tags, die du für deine Bilder ausgewählt hast, etwas finden: “Intelligente”, lernende Suchfunktionen helfen dir auch dabei Bilder durch Gesichtserkennung zu finden. Du kannst nach Fotos von jemandem suchen, indem du ein Bild ihres Gesichts hochlädst. Du kannst “Katze” tippen und wirst Bilder von Katzen gezeigt bekommen. (Okay, und von Dingen die ungefähr katzenförmig sind, denn so gut funktioniert es auch wieder noch nicht. Je mehr Input diese Mechanismen bekommen, desto besser werden sie aber, und wir füttern sie genau so gut wie unsere Katzen.) Sogar Mapping ist möglich: Dieses Suchding soll sogar Orte wiedererkennen, sogar von Bildern, die nicht geo-getagged sind. Diese riesigen Archive von Amateurfotografie sind zu wundervollen und faszinierenden Galerien geworden und eine wichtige Quelle für Fotografie. Sogar wenn sie nicht zum Zweck einer bleibenden Dokumentation unserer Leben gemacht wurden, werden viele dieser Bilder genau dafür verwendet. Und dieses Mosaik von Billionen von Fotos ergibt einen tieferen Eindruck unserer Alltagsleben, als es Straßenfotograf*innen je festhalten könnten.

Wenn Bloggen die Demokratisierung von Veröffentlichung war, hat Social Media uns Säkularisierung gebracht

Als vor Jahren Bloggen zu einem größeren Phänomen wurde, reagierten viele Leute zuerst, als sei es Blasphemie, dass Leute einfach so ihre Meinungen, ihr Wissen oder ihre Alltagserfahrungen veröffentlichten. Sogar letztes Jahr noch bekam ich einen Blogkommentar in Richtung “Was qualifiziert dich denn überhaupt dazu, das zu veröffentlichen?”, ein Versuch meine Stimme abzuwürgen. Als soziale Netzwerke den Mainstream erreichten hörtest du ähnliche Stimmen die Banalität der Inhalte anzukreiden, die Leute teilten: Wie kannst du es wagen, öffentlich so banale Dinge, wie deine Mahlzeit zu dokumentieren? Was hat dein unscharfes Bild von einem Sonnenuntergang, das nicht schon in den exitierenden Millionen von Sonnuntergangsbildern zu sehen wäre? Glaubst du, du wärst so was Besonderes, dass irgendwer dein Selfie sehen wollte? “Banalität” geht aber am Punkt vorbei. Öffentlich Fotos zu posten drehte sich um etwas Neues: Es geht nicht darum, ein Objekt so festzuhalten, dass es für alle dieser Objekte stehen könnte. Es geht nicht darum etwas besonders Wichtiges für die Allgemeinheit und Nachwelt festzuhalten. Es kann auch um all diese Dinge gehen, aber der wichtigste Faktor für die auf sozialen Netzwerken geteilten Fotos ist ihr sozialer Wert. Kommunikation, und oft: Kommunikation von Emotion. Was für die eine Person ein langweiliges Foto einer Mahlzeit ist, kann für eine andere ein liebevoller Blick darein sein, was ein Freund angesichts dessen empfindet. In einem solchen Foto einer frisch zubereiteten Mahlzeit dreht es sich nicht nur um diese, sondern es kommuniziert das glückliche Gefühl darüber, dass die Zubereitung gelungen ist, es ist ein Weg, die Vorfreude aufs Verzehren des Essens zu kommunizieren. #feelings. Eine Lektion, die uns das soziale Netz erteilt hat, ist: Nur weil etwas für dich nicht wichtig ist, bedeutet noch lange nicht, dass es nicht relevant für jemand anders ist, und das aus Gründen, die du nicht kennst.

Wenn Bloggen die Demokratisierung von Veröffentlichung war, hat Social Media uns Säkularisierung gebracht, und Fotos sind ein wichtiges Beispiel dafür. Die Aura der Fotografie ist ganz schön verwuschelt geworden durch ihren starken Gebrauch auf sozialen Plattformen. Die Hierarchie der Gatekeeper, die darüber entschieden, welche Bilder Öffentlichkeit verdienen, welche Bilder von Wert sind, an ihr wurde gerüttelt. Teile der Presse wundern sich immer noch, warum manchmal ein Katzenbild wichtiger ist als ihr gut gemachter aktuellster Beitrag über ernstzunehmende Nachrichten. Andere Teile der Presse und natürlich Marketing profitieren von dem Wissen, das Inhalte, die Gefühle erzeugen, “funktionieren”. Ihre Bilder müssen auf sozialen Plattformen mit den persönlichen Inhalten der Leute konkurrieren, und so zögern sie nicht auszuschlachten, was “funktioniert.” (Ich muss jetzt mal mit diesem Blogpost zu einem Ende kommen, weil mir die “”s ausgehen.) Die Idee, dass nur Bilder die einen objektivierbaren Wert haben veröffentlich werden sollten, ist welk geworden. Die ganze Idee von objektivierbarem Wert ist welk geworden.

Wenn ein professioneller Dokumentator keine ganz besondere Schneeflocke von Künstler mehr ist, weil alle eh alles dokumentieren, wenn wir endlose Archive von aller Fotos haben, die dauernd besser durchsuchbarer werden – driften wir auf ein neues Verständnis von Dokumentation zu? Schwarmdokumentation? Ich frage mich, in welchen Weisen soziale Plattformen noch veröndern, wie wir Fotografie in Dokumentation, und in Kunst, und in Straßenfotografie, die ein bisschen von beidem ist, sehen. ich noch ein paar Tage frei habe, wird es mit diesem wilden Herumtheoretisieren hoffentlich morgen weitergehen. Wenn ich nicht zu verkatert bin. Eine Empfehlung, wenn du heute in Nürnberg weilen solltest: Beat Thang mit DJ Slow als DJ Gast.

Nostalgie der Straßenfotografie – Teil 1: Straßenfotografie im Kampf gegen das Gesetz

“My best pictures have always been those that I have never made.”
Elliot Erwitt

Espen Eichhöfer, ein deutscher Straßenfotograf, ist von einer Frau verklagt worden, die das Objekt eines seiner Bilder war und sie hat gewonnen. Irgendwie. Die Diskussion um den Fall klang in etwa so: “OMFG, das Ende der Kunstfreiheit! Die Straßenfotografie hierzulande ist dem Untergang geweiht!” In Nachrichtenmedien, Blogs und Social Networks kümmerte sich kaum jemand um die Position der Frau. Weil nichts gar so einfach sein kann, wurde ich neugierig, begann ein wenig darüber zu lesen und wurde hineingesogen. Die Querelen um Straßenfotografie machen Spannungen sichtbar, die mit unseren immer stärker überwachten und digital durchdrungenen Leben zugenommen haben. Während manche Straßenfotografen argumentieren, dass die Gesetze zu unserem Persönlichkeitsrecht veraltet seien, könnte das eigentlich auf sie selbst zutreffen.

Ich werde diese Woche ein paar bescheidene Gedankene zu ein paar Aspekten dieses gewaltigen Themas in ein 3-4 Teilen posten, weil es zu lang für einen Text geworden ist. Hier ist der erste Teil.
(Die englische Version gibt es hier. Die Fotos sind von mir.)

STRASSENFOTOGRAFIE IM KAMPF GEGEN DAS GESETZ

Anders als in vielen anderen Ländern ist in Deutschland das Persönlichkeitsrecht eher so gewichtet, dass es die Fotografierten schützt: Anstelle eines Gesetzes im Geiste von “öffentlich ist öffentlich” haben Menschen das Recht zu entscheiden ob und in welchem Kontext Bilder von ihnen veröffentlicht werden. Wie Andrea Diener erklärt, wird auf der Ebene von Einzelfällen abgewogen, ob der Wert eines Fotos als historisches Dokument oder als Kunstwerk das Persönlichkeitsrecht überwiegt. In einem Blogpost verdammte Günter Hack vor kurzem dieses Recht am eigenen Bild als “Nemesis jedes Street Photographers”. Für ihn und andere ist es veraltet und passt heute nicht mehr, weil es aus einem anderen historischen Kontext kommt. Sixtus schreibt, dass dieses Recht “aus der vordigitalen Zeit [stammt], aus einer Ära, als die ‘Veröffentlichung’ eines Fotos noch ‘Zeitung’ oder ‘Zeitschrift’ bedeutete, als sie die Ausnahme war und nicht die Regel. Aus einer Zeit, als noch nicht jeder Mitmensch eine Fotografiermaschine mit eingebauter Publikationstaste permanent in den Händen hielt.” Und tatsächlich basiert dieses Kunsturhebergesetz auf einen Fall von 1889, als zwei Paparazzi jemanden für die Möglichkeit bestachen, Fotos vom sterbenden Reichskanzler Otto von Bismarck zu machen.

Die Diskussion um die Dos und Don’ts der Straßenfotografie hat sich erhitzt, als vor ein paar Monaten eine Frau einen Straßenfotografen dafür verklagte, dass er ein Bild von ihr ausstellte. Viele Zeitungen und Blogs haben darüber geschrieben, und auch auf Twitter war es ein Thema. Der Fotograf, Espen Eichhöfer, hatte sie ohne ihr Wissen fotografiert und ihr Bild in einer Galerie ausgestellt, hieß es. Das Bild zeigt sie wohl als dominanten Teil einer Straßenszene, während sie in einem Leopardenmantel vor einer Pfandleihe über die Straße eilt. Eichhöfer nahm das Bild ab, als sie sich beschwerte, aber sie klagte dennoch. Sie bekam zwar kein Schadensgeld zugesprochen, aber das Gericht entschied, dass der Fotograf ihr Persönlichkeitsrecht verletzt hat und deswegen die Verfahrenskosten tragen muss. Das löste eine Empörungswelle unter Fotografen, Kunst- und Medienmenschen aus, die um nichts weniger fürchten als um die Kunstfreiheit und die Zukunft der Dokumentation des Lebens auf öffentlichen Plätzen: sie bangen um die Zukunft der Straßenfotografie. Eichhöfer bekam einen Haufen Publicity (darunter ein von ihm selbst verfasster VICE Artikel), die ihm nun die Berufung vor der nächsthöheren Instanz, dem Bundesverfassungsgericht, ermöglicht. Er möchte ein Grundsatzurteil gegen die “Kriminalisierung” von Straßenfotografie. Sein Crowdfundingziel waren 14.000€, er hat 18.000€ zusammenbekommen.

Ein weiterer Fall, der die Gemüter erhitzte, war das “Lex Edathy”, eine Gesetzesänderung, die es in relativ vager Formulierung strafbar macht, unbefugt von einer anderen Person eine Bildaufnahme anzufertigen oder zu verbreiten, die “geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden.” Dagegen wurden natürlich Beschwerden laut, dass diese Formulierung dafür missbraucht werden könnte, kritischen Fotojournalismus unmöglich zu machen.

FÜR DIE FREIHEIT DER KUNST

Eichhöfer sieht sich selbst in der Tradition von Künstlern wie Henri Cartier-Bresson, Garry Winogrand oder Robert Frank: “Meine Fotos sind in dieser Tradition entstanden, sie halten spontane Alltagssituationen fest, die sich ungestellt vor der Kamera abspielen. Eine gelungene Straßenfotografie ist eine Verdichtung oder Zuspitzung vom Leben auf der Straße, im besten Falle ist sie Zeitdokument, Bestandteil des kollektiven Bildgedächtnisses.” Diese Art von Dokumentation ist viel bedeutender für ihn als der Wunsch der abgebildeten Person, obwohl er sagt, dass er es schon verstünde, dass manche Menschen ihr Foto nicht öffentlich ausgestellt sehen wollen.
Die Sorgen der Straßenfotograf*innen sind schnell aufgezählt und sie tauchen in Diskussionen in Blogs überall im Netz immer wieder auf. Hier sind einige, die Sixtus zusammengetragen hat:

  • Es ist technisch unmöglich, jede Person auf der Straße um ihre Erlaubnis zu fragen.
  • Sogar wenn es möglich wäre, Leute um Erlaubnis zu fragen, würden die meisten es dennoch nicht tun, da es den dokumentarischen Aspekt ihres Bilder zerstören würde: Sobald Menschen wissen, dass sie fotografiet werden, verändern sie ihr Benehmen und das Bild würde nicht länger eine authentische Szene zeigen.
  • Heutzutage hat jede*r Smartphones und macht und teilt die ganze Zeit Bilder öffentlich.
  • Bilder zu machen und zu teilen ist zur Kommunikationsart geworden, also käme ein Fotografieverbot einem Kommunikationsverbot gleich.

Günter Hack fügte das Überwachungsargument hinzu:

  • Kommerzielle und staatliche Überwachung sind allgegenwärtig. Kritisiert erst mal sie, denn sie könnten euch viel mehr schaden und haben dazu beigetragen, diese Situation zu normalisieren. Warum sollten Bürger*innen weniger Freiheit haben als der Staat?

FÜR DIE FREIHEIT DES WEGLASSENS

Während ich mit vielen dieser Punkte überhaupt nicht uneinverstanden bin, beschäftigte es mich, dass ich nur auf Artikel stieß, die auf der Seite des Fotografen waren. Die Frau, die Eichhöfer verklagt hatte, blieb in der öffentlichen Diskussion ein stummes Objekt, das Schlagzeilen wie “Wem gehört das Gesicht der Frau im Leopardenmantel?” abbekam, für Artikel, die sich nur um die Meinungen von Kurator*innen, Straßenfotografen und Eichhöfers Anwalt zu scheren schienen. Da Sachen niemals so eindeutig sind, wurde ich neugierig und begann ein bisschen rumzulesen und wurde in dieses Thema hineingesaugt. Einige dieser Artikel, und sogar Eichhöfers Crowdfunding-Versprechen drehen sich nur um die Version des Fotos, das in der Galerie ausgestellt hing. In Jörg Heidrichs Text las ich dann aber, dass das Bild auch für ein überlebensgroßes Poster verwendet worden war um die Ausstellung zu bewerben. Das führt mich dann dazu, mal das tatsächliche Urteil zu überfliegen (das gibt es hier). Es erwähnt noch ein Detail: Das Foto war auch auf der Facebookseite der Galerie zu sehen. Diese Punkte wurden in den meisten Texten zu diesem Thema weggelassen.

Ich denke, dass sie wichtig sind, denn sie bedeuten verschiedene Kontexte und verschiedene Abstufungen von Öffentlichkeit. In einer Galerie diskutierst du es als ein Kunstwerk in einem Kunstrahmen. Auf einem riesigen Poster auf einer öffentlichen Straße wird es in einem Werbungskontext verwendet und entanonymisiert die Frau viel mehr. Wenn ihr Bild auf einer öffentlichen Facebookseite auftaucht, wird ihr Gesicht von Gesichtserkennungssoftware erfasst. Diese könnte helfen, weitere Bilder von ihr zu finden und das könnte dazu genutzt werden Informationen über sie zu herauszubekommen. Um das richtig in Farben einer digital-durchdrungenen Welt auszumalen: Dass sie vor einer Pfandleihe abgebildet wurde, könnte zu einem schlechteren Schufareport führen. Sie könnte dafür getrollt werden, dass sie Pelz trägt. Sie könnte sich vor einem Ex-Ehemann verstecken, der sie verprügelt hat, und das Foto könnte ihm behilflich sein, sie aufzuspüren. Und, wie es so schön heißt: was einmal im Internet landet, kursiert dort für immer, so können mögliche zukünftige Konsequenzen noch gar nicht vorausgesehen werden. Jaja, ich übertreibe, aber das tun auch all die Texte, die sich nicht das kleinste bisschen um die Perspektive der Frau scheren. All diese möglichen Konsequenzen mitgedacht würde ich sagen, dass das Persönlichkeitsrecht in seiner deutschen Form zwar aus vordigitalen Zeiten stammen mag, aber besonders mit dem Ansatz nicht zu verallgemeinern, sondern anhand des jeweiligen Einzelfalles zu entscheiden, erscheint es mir gar nicht so unangebracht.

 

MAN BRAUCHT EIER

Die Geschichte der Leichtigkeit, mit der sich Social Photography (das Fotografieren und anschließende Teilen der Fotografie mit anderen auf Social Networks oder in Messenger-Apps) in vielen Teilen der Welt so weit verbreitet hat, ist auch die Geschichte der Dominanz der sozialen Gruppen, die am wenigsten davon zu befürchten haben, fotografiert zu werden. Ihre Stimme prägt auch den medialen Diskurs dazu. Leute, die es ablehnen, in der Öffentlichkeit fotografiert zu werden, werden als eitel betrachtet und in den meisten deutschen Artikeln, die ich zum Eichhöfer-Fall gefunden habe, zeigt der Tonfall wie auch der Inhalt keinerlei Sympathie für die fotografierte Frau. Es dreht sich nur um die Fotografen: Sie brauchen Freiheit, um tun zu können, was sie wollen, weil sie wichtige Kunst und wichtige Dokumentationsarbeit für die ganze Menschheit leisten. Meike Laaf sorgt sich um die Selbstzensur dieser wichtigen Künstler*innen ohne die Selbstzensur zur Kenntnis zu nehmen, die es für deren Objekte bedeuten kann: “Tanz, als ob dir niemand dabei zusähe” ist zu “geh nicht aus dem Haus, wenn du nicht willst, dass jemand von dir ein Bild macht, dass dich aus deinem Alltagsmoment reißt und vor einem großen Publikum öffentlich zur Schau stellt” geworden.

“Um heutzutage ein Straßenfotograf zu sein, brauchst du Bessenheit, Hingabe und Eier”, hat der Straßenfotograf Martin Parr einst gesagt, und tatsächlich scheint es eine recht maskuline Sphäre zu sein, wenn du den Tonfall betrachtest, mit dem die Fotografierten beschrieben werden. Eichhöfer prangert die Versuche von Leuten wie der Frau, die ihn verklagt hat, als “hysterisch” an. Günter Hack nennt sie “selbsternannte Opfer”, und verspottet sie: “ich stehle keine Seelchen, meine lieben, zarten Eingeborenen, mich interessiert nur wie das Licht auf belebte und unbelebte Körper fällt, auf dass die Nachwelt sich davon ein Bild machen kann, wie wir gelebt haben!” Als ob ein Fotograf in seinem Anspruch auf das Recht der Zudringlichkeit und Inbesitznahme weniger selbsternannt wäre. Als ob die Angst davor, dass eine*m die Seele gestohlen wird nicht tatsächlich eine gute Metapher für die Angst davor wäre, angeprangert, geoutet, getrollt, gestalkt usw zu werden. Auch Sixtus verhöhnt die möglichen Einwände seiner Objekte sarkastisch; dies ist einer der Untertitel zu einem Bild, dass er in seinem Text zum drohenden Untergang der Straßenfotografie verwendet: “Auch diese Dame wollte vermutlich nicht fotografiert werden. Zumindest entnehme ich das ihrem Blick. Im Dienste der Kunst habe ich ihren Wunsch jedoch ignoriert.” Sixtus wählt das “das machten doch alle”-Argument und verweist auf die Allgegenwärtigkeit von digitaler sozialer Fotografie, der zukünftigen Omnipräsenz von Life-Logging und Google Glass. Er ignoriert, dass dies (noch) nicht die Realität von allen um ihn herum ist. Während es langsam zur Realität wird, werden mehr und mehr Leute sensibel dafür und sehnen sich nach neuen Definitionen davon, was akzeptabel ist, was hingenommen werden muss.

TO BE CONTINUED.